Wenn alles aussichtslos erscheint. Von Alberto Rosenthal
Es geschah am 17. März 2020.
Drei Stunden durfte ich mich um dieses kostbare, wunderschöne Tier kümmern. Es war eine ganz besondere Erfahrung.
Einmal meinte ich, er könnte mir in den Armen sterben. Das war am Bach, wo ich ihn nach der Befreiung von einem Zaun-Draht hingebracht hatte, der sich in seinen Flügel hineingebohrt hatte. Er war völlig ausgedürstet. Das war ein ganz eigentümlicher Moment, wo ich an den Tod meines Vaters denken musste, da sich der Vogel ähnlich verhielt. Er schloss die Augen, legte den Kopf auf die Brust …
Ich habe für diesen Milan so gebetet wie für einen Menschen, so sehr lag mir sein Überleben in diesen Momenten am Herzen. Dass ich überhaupt draußen unterwegs war, war ein Wunder. Wenn ich nicht das körperliche Bedürfnis nach Bewegung und Sauerstoff stark gespürt hätte, wäre ich vor dem Nachmittag nicht nach draußen gegangen, da ich eine Termin-Arbeit abzuschließen hatte. Dann aber wäre der Milan wahrscheinlich schon tot gewesen, und ich hätte ihn nur noch leblos in seiner schrecklichen Falle vorgefunden.
Ich brauchte ca. 20 Minuten, um ihn von diesem Draht zu befreien. Er hing mit einem Flügel am Zaun, ansonsten mit seinem ganzen Gewicht in der Luft. Als er mich bemerkte, versuchte er anfangs verzweifelt, sich freizukämpfen. Dadurch wurde ich überhaupt erst auf ihn aufmerksam. Ich betete und ging dann zu ihm, sprach ganz ruhig mit ihm und vertraute ihn seinem guten Schöpfer an.
Dann hob ich ihn sanft zu mir hoch und versuchte, den Draht herauszuziehen. Der war so verhakt, dass es nicht leicht war und ich schließlich Gott anflehte, mir zu Hilfe zu kommen. Der Heilige Geist gab mir dann die nötige Weisheit, und ich war unendlich dankbar, als das Tier frei wurde. Es war dann jedoch dermaßen erschöpft, dass mir klar war, dass nun weitere Schritte der Hilfestellung erfolgen mussten.
Gott sei Dank schöpfte der Milan dann ganz, ganz langsam wieder Kraft, als ich ihm den Schnabel immer wieder ins Bach-Wasser tauchte, abwechselnd mit Ruhezeiten, wo er ganz still am Ufer lag. Ich merkte das daran, dass er mehr zu trinken begann, wenngleich es weiterhin immer nur wenige Schlucke waren. Nach etwa einer Stunde entschloss ich mich, ihn nach Hause zu bringen. Ich wusste, dass es für meinen fünfjährigen Sohn Henoch ein großes Erlebnis sein würde. Zuvor streichelte ich ihn noch lange.
Den Milan zu tragen, war auch sehr schön, eine wunderbare Sache. Ich schmiegte ihn eng an mich, und so waren wir ca. zehn Minuten unterwegs, bis ich das Grundstück der Angermühle erreichte. Was ich gemerkt hatte, war, dass er genug getrunken haben musste, denn beim letzten Eintunken des Schnabels wollte er, so schien mir, nicht mehr. Aber hungrig schien er zu sein, da er den Schnabel wie ein Jungvogel weiter recht weit offen hielt. Drinnen war das Erstaunen von Patricia, Henoch und auch meiner Mutter sehr groß! Es war herrlich.
Wir ließen ihn sich ausruhen, beteten zusammen für ihn – mein Stiefschwiegervater Roland und mein Schwager Benjamin waren auch zu uns gestoßen – und versuchten ihn zu füttern. Doch wir hatten wohl nicht das Passende, und Roland meinte dann, dass er vielleicht noch einmal trinken wolle.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt ging unversehens ein kraftvoller Ruck durch seinen Körper. Ich war beglückt, ein Zeichen sich erneuernder Lebenskraft! Als ich ihn einige Augenblicke später über die Türschwelle nach draußen trage, fliegt er mir plötzlich buchstäblich aus den Armen heraus, setzt erst einmal einige Meter vor uns auf, breitet dann die Flügel aus und fliegt ca. 30 Meter auf niedrigem Niveau auf eine kleine Halde bei uns. Dort erholt er sich ein wenig, läuft dann auf unsere Wiese hinaus, um dann zu unserer Begeisterung seine Flügel auszubreiten und mit immer kräftigeren Schlägen in den weiten Himmel vorzustoßen. In der Ferne sehen wir ihn dann, wie uns scheint, schon auf Beutejagd … Er muss sehr, sehr hungrig gewesen sein!
»Die Erde wird erfüllt sein von der Erkenntnis des HERRN, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken.« (Jesaja 11,9)
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