Wie eng hängen Gott und Natur zusammen? Von Ellen White
Seit dem Sündenfall kann die Natur Gott nicht mehr unverzerrt offenbaren; denn die Sünde hat sie befallen und sich zwischen die Natur und den Gott der Natur geschoben. Wäre der Mensch seinem Schöpfer nie untreu geworden und wäre er moralisch rein geblieben, so hätte die Sünde die Natur nie entstellt. Dann würde sie dem Menschen immer noch Gottes makellosen Charakter offenbaren. Aber als der Mensch Gott untreu wurde, indem er vom Baum der Erkenntnis aß, schloss er sich dem abtrünnigen Führer an und konnte Gott fortan nicht mehr wirklich verstehen.
Von Unschuld zur Gottesignoranz
Als Adam und Eva auf die Stimme des Verführers hörten, sündigten sie gegen Gott. Das Licht, das Kleid der himmlischen Unschuld, wich von den Verführten im Tausch gegen das dunkle Gewand der Ignoranz: Sie verstanden Gott nicht mehr. Klare und reine Unschuld hatte sie bisher wie ein Licht umgeben und alles erhellt, dem sie sich näherten. Doch ohne dieses himmlische Licht konnten Adams Nachkommen in Gottes geschaffenen Werken seinen Charakter nicht mehr unverzerrt erkennen.
Gott begegnet uns im Messias
Nach dem Fall konnte die Natur den Menschen über Gottes großartige und wunderbare Liebe nicht mehr fehlerlos unterrichten. Deshalb sandte der Vater seinen hochgeliebten Sohn in die Welt und erklärte, dass ihn dieser den Menschen unverzerrt offenbare. Damit die Welt nicht in Finsternis bleibt, in ewiger, geistlicher Nacht, begegnete ihr der Gott der Natur in Jesus Christus. Er war »das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen« (Johannes 1,9).
Natur existiert nicht aus sich selbst
Das Schwierigste und Peinlichste, was der Mensch lernen muss, wenn er durch Gottes Kraft am Leben bleiben soll, ist seine absolute Unfähigkeit, die Natur richtig zu interpretieren. Die Sünde hat seine Sicht so vernebelt, dass er die Natur immer automatisch über Gott stellt. Er macht es wie die Athener, die Altäre zur Anbetung der Natur errichteten. Eigentlich hätten sie auf alle schreiben müssen: »Dem unbekannten Gott«. Die Natur ist nicht Gott und war nie Gott. Die Stimme der Natur spricht zwar von Gott und proklamiert seine Schönheit; aber sie ist nicht selbst Gott. Als Gottes geschaffenes Werk zeigt sie nur seine Macht.
Die alten Philosophen rühmten sich ihres überlegenen Wissens; doch Gott hat über sie gesagt: »Die sich für Weise hielten, sind zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere … Sie haben Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit.« (Römer 1,22.25)
Naturwissenschaft ohne Messias
Als persönlicher Retter kam der Messias in die Welt, um einen persönlichen Gott zu repräsentieren. Als persönlicher Retter fuhr er in den Himmel auf – und genauso wird er wiederkommen: als persönlicher Retter! Das will sorgfältig bedacht sein; denn in ihrer menschlichen Weisheit vergöttern die Weisen der Welt, die Gott nicht kennen, dummerweise die Natur und die Naturgesetze. Wer Gott nicht kennt, weil ihn seine Selbstoffenbarung im Messias nicht interessiert, wird Gott in der Natur nur verzerrt erkennen. Wer meint, er könne vollkommene Erkenntnis über Gott erlangen, ohne seinen Repräsentanten zu verstehen, von dem das Wort erklärt, er sei »der unverfälschte Ausdruck seines Wesens« (Hebräer 1,3 NGÜ), der muss sich erst selbst als Narren erkennen. Nur dann kann er weise sein. Solche Erkenntnis ist nämlich weit, weit entfernt davon, Gott in seiner Erhabenheit zu begreifen. Sie kann weder Verstand, Seele noch Herz weiterbringen und wird uns auch nicht völlig mit Gottes Willen in Einklang bringen. Sie wird die Menschen vielmehr zu Götzendienern machen.
Kunstwerk reflektiert Meister mit Einschränkungen
Obwohl man aus der unvollkommenen Natur keine vollkommene Gotteserkenntnis erlangen kann, vermittelt sie doch trotz all ihrer Verzerrungen auch Einsichten über den geschickten Meisterkünstler: Einer, der allmächtig ist, groß an Güte, Barmherzigkeit und Liebe, hat die Erde geschaffen. Selbst in ihrem angegriffenen Zustand bleibt viel Schönes übrig. Die Natur spricht. Sie erklärt: Es gibt einen Gott, den Schöpfer der Natur! In ihrer Unvollkommenheit kann sie Gott aber nur unvollständig darstellen; Gottes moralisch reinen Charakter vermag sie nicht zu offenbaren.
Der Messias zeigt Gottes Schönheit unverzerrt
Um dem Menschen Gottes Wesen unverzerrt darzustellen, kam Jesus auf die Erde. Er sagte: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich … Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.« (Johannes 14,6) Die Himmel verkünden zwar Gottes Herrlichkeit, und das Firmament zeigt sein Werk, aber Philippus konnte die Natur nicht als Gott annehmen. »Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater.« (Vers 14) Im Angesicht des Messias Jesus dürfen wir Gottes Schönheit schauen. In ihm hat Gott sich offenbart. In Person seines eingeborenen Sohnes hat sich der Gott des Himmels zu unserer menschlichen Natur herabgeneigt. Im Messias hat der Vater im Himmel Stimme und Person. Durch ihn kommt beides zum Ausdruck.
Gottes Tinte trocknet nicht
Wer Gott wirklich kennt, wird nicht so vernarrt in die Gesetze der Materie und die Vorgänge der Natur sein, dass er Gottes ständiges Wirken in der Natur übersieht oder nicht anerkennen will. Die Gottheit ist der Autor der Natur, und diese Natur verfügt allein über die von Gott gelieferte Kraft. Wie seltsam also, dass so viele aus der Natur eine Gottheit machen! Ihre Materie und ihre Eigenschaften werden von Gott zur Verfügung gestellt, mit ihnen führt er seine Pläne aus. Die Natur ist nur seine Tätigkeit.
Gottes Wunder hören nie auf
Unaufhörlich leitet Gottes Hand den Globus auf seinem kontinuierlichen Lauf um die Sonne. Dieselbe Hand, die die Berge hält und sie an Ort und Stelle ausbalanciert, leitet und ordnet den Lauf der jeweiligen Planeten. Alle wunderbaren Himmelsschönheiten tun nur, was ihnen aufgetragen wird. Die Vegetation gedeiht aufgrund der Kräfte, die der große und mächtige Gott einsetzt. Er schickt Tau, Regen und Sonnenschein, damit das Grün sprießt und seinen saftigen Teppich über die Erde ausbreitet – damit Sträucher und Obstbäume knospen, blühen und Früchte tragen. Es wäre falsch zu meinen, ein Gesetz sei in Kraft gesetzt worden, dass nun im Samen von selbst wirkt – oder das Blatt erscheine, weil es das von alleine tun müsse. Nein, es ist Gottes unmittelbares Wirken, das jedes winzige Samenkorn durch die Erde brechen und zum Leben erwachen lässt. Jedes grüne Blatt wächst, jede Blume blüht durch Gottes wirkende Kraft.
Der atmende Organismus: ein inspirierter Sakralbau
Der physische Organismus steht unter Gottes Aufsicht; aber er wurde nicht wie eine Uhr in Gang gesetzt, die nun von selbst geht. Das Herz schlägt, Pulsschlag folgt auf Pulsschlag, Atemzug auf Atemzug; aber das Lebewesen steht unter Gottes Aufsicht. Ihr seid Gottes Haushalt, ihr seid Gottes Gebäude. In Gott leben und weben und sind wir. Genauso wie Gott seinen Lebensatem in Adams Nase geblasen hat, wird jeder Herzschlag, jeder Atemzug von ihm eingehaucht als »Inspiration« des allgegenwärtigen Gottes, des großen ICH BIN.
Sakrileg oder Bereitschaft, sich dienen zu lassen?
Die Anbetung der Natur ist eine Farce, erfunden von Menschen, die den wahren Gott nicht kennen und die auch nicht möchten, dass man ihn kennen lernt. Die Worte der Heiligen Schrift sagen nichts von unabhängigen Naturgesetzen. Sie lehren vielmehr, dass Gott sowohl Hauptverwalter als auch Schöpfer aller Dinge ist. Das göttliche Sein ist mit der Existenz seiner Schöpfungswerke eng verknüpft. Ja, Gott hat Gesetze eingesetzt, aber nur als seine Diener, durch die er Ergebnisse bewirkt. Gott selbst ruft alles zur Ordnung und hält alles in Bewegung.
Segen statt Fluch
Durch die Natur dürfen wir aufschauen zum Gott der Natur. Wir dürfen uns an ihren Schönheiten freuen. Dann wollen wir diesen Segen auch nicht in einen Fluch verwandeln und uns zur Anbetung der Schöpfung verführen lassen, statt ihren Schöpfer anzubeten! Lassen wir ihre schönen Diener den Auftrag Gottes erfüllen und uns Liebesdienste erweisen, die unsere Herzen zu ihm ziehen. Dann werden wir von seiner Güte, seinem Mitgefühl, seiner unaussprechlichen Liebe schwärmen und von seiner Anmut erfüllt werden.
Aus: General Conference Daily Bulletin, 6. März 1899
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