Hat Jesus direkt nach seinem Tod das Paradies betreten? Oder gibt es eine andere, biblisch stimmigere Erklärung? Von Daniel Knauft und Kai Mester
Lesezeit: 5 Minuten
Die christianisierte Fassung der Philosophie Platons hat in der Christenheit zu viel Verwirrung geführt. Bibelverse werden so gelesen, dass die Bibel in sich widersprüchlich erscheint. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht die Bibelstelle, in der Jesus dem reumütigen Verbrecher am Kreuz neben ihm ewiges Leben verspricht:
»Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!« (Lukas 23,43)
Die Autoren des Neuen Testaments schrieben in Griechisch. Zu ihrer Zeit benutzte man praktisch gar keine Satzzeichen. Das ist auch den meisten Theologen und Gelehrten bekannt. Demnach sieht dieser Vers im Griechischen so aus:
Original: »αμην σοι λεγω(:) σημερον(:) μετ εμου εση εν τω παραδεισω«
Umschrift: amen soi lego(:) semeron(:) met emou ese en to paradeiso
Übersetzung: Wahrlich dir sage(:) heute(:) mit mir wirstsein in dem Paradies
Die Frage ist nun, wo wir den Doppelpunkt hinsetzen wollen.
Wochenendurlaub im Himmel?
Viele Christen glauben, dass Jesus nach seinem letzten Atemzug am Kreuz direkt in den Himmel aufgestiegen sei. Kurze Zeit darauf – am selben Tag noch – sei dann auch der reumütige Verbrecher im Paradies zu ihm gestoßen. Das hieße, Jesus wäre gar nicht wirklich oder richtig gestorben, sondern hätte das Wochenende im Himmel verbracht, während seine Jünger und die Frauen samt seiner Mutter auf Erden wie gelähmt trauerten.
Wäre das nicht grotesk? Das lang erwartete Lamm Gottes sollte doch den Tod des Sünders sterben und als stellvertretendes Opfer sein Leben lassen. Warum hätte Jesus in genau dem Moment zum Vater zurückkehren sollen, als er nach seiner eigenen Aussage die vollständige Trennung vom Vater erlebte?
Nach seiner Auferstehung sagte Jesus zu Maria Magdalena: »Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.« (Johannes 20,17) Also hatte Jesus das Wochenende doch nicht im Himmel verbracht, sondern hatte tot im Grab gelegen. Sind Auferstehungen nicht ohnehin für Tote gedacht?
Die korrekte Zeichensetzung
Deshalb muss die korrekte Übersetzung des Bibelverses eigentlich lauten: »Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein!«
Das war die Antwort auf die Bitte: »Herr, gedenke an mich, wenn du in deiner Königsherrschaft kommst!« (Lukas 23,42) Damit hatte der Verbrecher die Wiederkunft am Ende der Welt gemeint. Er hoffte, bei der Auferstehung der Gerechten dabei zu sein.
Jede andere Auslegung dieser Begebenheit wäre nicht mit der biblischen Lehre vom Tod vereinbar. [Oder hat Jesus nur ein subjektives Heute gemeint? Für den Verbrecher musste sich die Zeit zwischen Tod und Auferstehung schließlich nur wie der Bruchteil einer Sekunde anfühlen, auch wenn in Wirklichkeit etwa zweitausend Jahre dazwischenliegen. Dennoch ist fraglich, ob der Einzug ins Paradies auch noch genau an dem Tag der Auferstehung stattfindet oder nicht etwas später.]
Die Toten wissen nichts
»Denn die Lebendigen wissen, dass sie sterben müssen; aber die Toten wissen gar nichts, und es wird ihnen auch keine Belohnung mehr zuteil; denn man denkt nicht mehr an sie. Ihre Liebe und ihr Hass wie auch ihr Eifer sind längst vergangen, und sie haben auf ewig keinen Anteil mehr an allem, was unter der Sonne geschieht … Alles, was deine Hand zu tun vorfindet, das tue mit deiner ganzen Kraft; denn im Totenreich, in das du gehst, gibt es kein Wirken mehr und kein Planen, keine Wissenschaft und keine Weisheit!« (Prediger 9,5.6.10)
»Haucht der Mensch sein Leben aus und kehrt er zurück zur Erde, dann ist es aus mit all seinen Plänen.« (Psalm 146,4 Einheitsübersetzung)
»Welcher Mann lebt und wird den Tod nicht sehen? wird sein Leben befreien von der Gewalt des Scheols?« (Psalm 89,49 Elberfelder; שאול Scheol = Grab, Totenreich)
»Denn im Tod ruft man dich nicht an; im Scheol, wer wird dich preisen?« (Psalm 6,5 Elberfelder)
Auch die ersten Christen glaubten, dass die Toten im Grab ruhen und auf die Auferstehung warten:
»Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden von dem Erzvater David. Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag … David ist nicht gen Himmel gefahren.« (Apostelgeschichte 2,29,34)
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