Selbst in der finstersten Nacht scheinen sie, diese Sterne. Sie tauchen präzise zu besonderen Zeiten auf und weisen den Weg in die Zukunft. Von Bryan Gallant
»Je dunkler die Nacht, desto heller leuchten die Sterne. Je größer das Leid, desto näher ist Gott.« – Fjodor Dostojewski
Selbst in der schwärzesten Nacht gibt es Sterne. Wolken, Schmerz oder unser erdwärts gerichteter Blick macht sie unsichtbar. Aber sie scheinen trotzdem.
So erging es Penny und mir in dieser schrecklichen, finsteren Zeit. Ab und zu leuchtete ein Lichtpunkt durch die unsägliche Leere. Wie ein Suchtrupp, der ganz in unserer Nähe vorbeizog, während wir im Kerker des Leides eingesperrt waren, weckte dieses kurze Licht in uns so etwas wie Hoffnung auf einen baldigen Tagesanbruch.
Viele kleine hilfsbereite Sterne
Die ersten »Sterne« am Horizont waren die freundlichen Gesten, die Gegenwart der Freunde, die einen Blick in unseren schmerzerfüllten Abgrund wagten. Ehrlich gesagt waren uns diese menschlichen Sterne damals gar nicht bewusst, aber sie schienen doch! Ich denke an die 30 bis 40 Freunde, die sich im Wartezimmer des Krankenhauses drängten, um mich zu umarmen und mit mir an jenem kalten Dezemberabend zu weinen. Ich denke an Denny, der noch einmal ganz nach Hause fuhr, um mir etwas zu bringen, worum ich nur nebenbei gebeten hatte. Oder an die liebevolle Art, in der Darry und Ginny meine Verwandten bei sich in jener besagten Woche aufnahmen, als ich es nicht konnte. Aber das war noch lange nicht alles. Nach der Beerdigung brachten viele liebevolle Hände und Herzen uns warmes Essen. Sie hatten erkannt, dass wir in unserem Kummer das Essen vergessen könnten und das vorausschauende Planen oder Kochen erst recht. Diesen Gefallen erwiesen sie uns wochenlang. Wir spürten, dass man an uns dachte.
Freunde von Penny kamen zum Putzen und Kochen, während sie lernte, mit nur einer funktionierenden Hand zurechtzukommen. Ich denke an das Opfer, dass die Frauen brachten, die sie zu den vielen Arztterminen fuhren, wenn ich nicht konnte. In unserer Schockstarre versäumten wir es leider, uns bei ihnen zu bedanken, doch jede Liebestat schien hell hinter den Wolken unserer Verzweiflung. Sie wussten, dass sie nicht aufhören durften, uns zu lieben, auch wenn wir ihnen nicht dankten. Sie schienen trotz allem wie Sterne. Ihr Licht war sichtbar und wurde wahrgenommen!
Unser kleiner Freundeskreis schien zu wissen, dass die schmerzhafteste von allen Mahlzeiten, die wir alleine aßen, das Mittagessen nach dem Gottesdienst sein würde. Die wöchentliche Zeit der Ruhe und des Gottesdienstes, wo alle zusammenkamen und als Glaubensfamilie feierten, war für uns, die wir jetzt allein waren, ein Hohn und eine Qual. Doch die ganze Gemeinde kümmerte sich um uns, ohne sich für uns sichtbar abgesprochen zu haben. Nicht nur einen Monat oder sogar drei, sondern ein ganzes Jahr mussten wir nicht ein einziges Mal den Ruhetag alleine verbringen!
Erstaunlich!
Interessanterweise wurde der einzige zeitliche Rhythmus, der nicht von einem Himmelskörper bestimmt wird, für uns zu einem weiteren Lichtpunkt. Jede Woche, wenn wir in die Kirche kamen, wurden wir zum Mittagessen eingeladen. Dass die Geschwister uns ihre Häuser öffneten und uns mit Herzlichkeit und Essen überschütteten, war Nahrung für unseren Körper und Balsam für unsere Seele. Wir hatten an den anderen sechs Wochentagen immer noch genug Zeit, uns durch die Mahlzeiten zu quälen, was auch seine Narben hinterließ. Doch zu wissen, dass es am siebten Tag wieder Gemeinschaft und Freundlichkeit gab, schenkte uns Hoffnung. Dass so viele das ganze Jahr an dieser Gemeinschaft teilhatten, machte ihre gemeinsame Liebe für uns zu einer Art Lieblings-Sternbild, das uns den Weg nach vorne wies.
Gemeinsame Erinnerungen
Andere Lichter waren gedämpfter. Nicht alle waren sich bewusst, dass sie Lichter waren. Aber wir sahen sie. Zum Beispiel die Grußkarten, die noch Jahre an jedem Feiertag nach dem Unfall bei uns ankamen. Weil eine liebe Frau instinktiv wusste, wie wir empfinden mussten, wenn an Feiertagen die Familien zusammenkommen, dachte sie besonders treu an uns. Sie hieß Sharon. Schlichte, sorgfältig ausgesuchte Karten erinnerten uns daran, dass wir nicht alleine waren, dass sie an uns dachte und für uns betete. An Geburtstagen, an die sonst keiner gedacht hätte, dachte sie an Caleb und Abigail. Sie scheute sich nicht, mit uns zu weinen, an sie zu denken und aktiv das Gespenst des Vergessens zu bannen. Wenn wir ihre Namen liebevoll auf ihren Karten lasen, war die Lüge widerlegt, dass die Erinnerungen an unsere Kinder verschwunden waren. Die Vor- und Fürsorge, die sie dadurch bewies, war unermesslich viel mehr wert als der Geldwert irgendeiner Karte. Ihr helles und beständiges Licht half uns auf dem Weg in unser neues Leben in den Monaten vor uns. Sie wird nie völlig begreifen können, wie stark wir ihre Liebe spürten.
Sterne wie Sharon erhellten in den kommenden Jahren immer wieder unsere Nacht. Einige Sterne funkelten nur wenige Augenblicke, aber ihre Wirkung ist dennoch unvergessen und ungeschmälert.
Sind Kindergeschichten unehrlich?
Eines Tages saßen wir hinten im Gottesdienst in der Nähe des Bereichs, der für Familien reserviert war. War es immer noch unsere Gewohnheit, obwohl unsere Kinder tot waren? Oder wollten wir dadurch einfach nur so tun, als wären wir nicht einsam? Auf jeden Fall hatten wir uns dort hingesetzt. Vor der Predigt wurde die Kindergeschichte erzählt. Ich erinnere mich nicht mehr an den Inhalt, aber daran, dass alle Kinder nach vorne gingen, um zuzuhören. In diesen Kurzgeschichten ging es meistens darum, wie ein unsichtbarer Schutzengel scheinbar willkürlich eingriff oder wie ein anderes Wunder geschah. Ganz unabhängig von der Situation hatten diese Kurzgeschichten irgendwie immer ein Happy End. (Das finde ich übrigens im Nachhinein nicht ganz in Ordnung. Es weckt den Anschein, als ob wir es dem Leben selbst überlassen, den Kindern die schlechte Nachricht zu überbringen, dass es nicht immer ein Happy End gibt. Wir hoffen, dass sie ihren Glauben nicht verlieren, wenn die Tragödie den »Rest der Geschichte« zu einer Pointe verzerrt, die niemand hören will.)
Als das Drama sich weiter entfaltete und erzählt wurde, wie Gott auf wunderbare Weise seinen Schutz schenkte, hörte man hinten im Raum leises Schluchzen. Wir versuchten es zu unterdrücken, aber schafften es nicht. Die so ganz andere Realität des Lebens verwundete uns schon wieder: Kein Engel war gekommen, um unsere Kinder sicher auf der Böschung abzusetzen! Für sie war die Geschichte nicht gut ausgegangen. Der Gedanke, dass Gott uns verraten hatte, bemächtigte sich unserer und quälte uns – vor allem im Gottesdienst – und wir konnten die Tränen nicht zurückhalten. Da wir den Raum nicht verlassen konnten, versuchten wir so leise wie möglich zu weinen.
Mit den Weinenden weinen
Unmerklich und ohne dass der Geschichtenerzähler eine Pause machte, standen drei liebe Frauen von ihren Plätzen auf und setzten sich neben uns. Anstatt den gebührenden Abstand zu wahren, den in unserer Kultur fromme Menschen beachten, kamen sie von beiden Seiten zu uns, setzten sich auf der Bank in die schmalen Lücken neben uns und umarmten uns fest. Damit zeigten sie ihren Respekt vor dem tiefen Schmerz, den wir empfanden. Wie neuzeitliche Messiasse trösteten sie uns durch ihre Gegenwart. Sie weinten mit uns. Die gemeinsame Trauer drängte die düsteren Wolken der Depression zurück, die uns um Wochen hätten zurückwerfen können. Ihre Arme und Tränen erhellten den ganzen Tag. Sterne wie diese erinnern uns daran, dass das Licht da ist und siegen wird!
Gleißender Komet weist den Weg
Andere Ereignisse sind so erstaunlich, dass sie jeder mathematischen Wahrscheinlichkeit widersprechen. Wie der präzise Pfad eines Kometen den Nachthimmel pünktlich erhellt, lässt sich auch manch anderes nicht einfach als Zufall abtun. Es weist auf eine Regel oder eine Geschichte hin, die tiefer geht als unser Erfahrungsschatz es erklären kann. Eine solche Wirklichkeit erleuchtete unsere schwärzeste Nacht unmittelbar nach dem Unfall. Da mussten wir Gottes Liebe bekennen, obwohl unsere Kinder gestorben waren.
Die Geschichte kam wenige Tage nach dem Unfall heraus. Immer noch bin ich von ihr überwältigt, wenn ich an sie denke. Mir kommen die Tränen auch jetzt wieder, wo ich es aufschreibe. An jenem Schicksalstag stand ich unter Schock, nahm meine Umgebung nicht wahr und dachte, alle seien tot. Doch am Unfallort war noch jemand gewesen, und dieser Jemand stabilisierte meine Frau. Eine Frau in einem Auto hinter uns hatte den Unfall gesehen und war sofort ausgestiegen, um Penny zu helfen. Sie fixierte ihren Hals und kümmerte sich um sie, damit sie überlebte, bis weitere Hilfe kam. Doch sie war nicht einfach irgendeine Frau. Die erste Person am Unfallort war eine Notfallschwester, die tatsächlich auf dem Weg zur Nachtschicht in der einzigen großen Unfallklinik war, die es in der Region gab und die 100 km entfernt lag! Sie arbeitete genau in dem Krankenhaus, in das Penny später mit dem Hubschrauber gebracht wurde! Dort mitten im Niemandsland von Wisconsin, wo es auf dem Land nur freiwillige Ersthelfer gibt, hatte Gott Zeit und Raum buchstäblich so zusammenfließen lassen, dass diese erfahrene und einfühlsame Expertin sofort zur Stelle war!
Sensationell!
Tage später, als sie im Krankenhaus Penny besuchte, erzählte sie uns, was geschehen war. Als sie ausführlich erklärte, dass sie gerade zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, schien in der schwärzesten Nacht ein Licht aufzuflammen, das einen Hoffnungsschweif hinter sich herzog, an den wir uns noch Jahre lang klammern würden. Er trotzte dem Zufall und verkündete laut: »Ein Wunder ist geschehen!« Wie so manche Geschichte über einen Kometen in vielen Ländern Teil der volkstümlichen Überlieferung geworden ist, kündete die Geschichte dieser Krankenschwester von der Gnade im Angesicht des Todes. Es war ein Ereignis, das man nicht einfach so übergehen konnte. Es blieb in den vor uns liegenden Monaten ein Zeugnis von Gottes unleugbarer Treue zu uns.
Sterne, die eine neue Jahreszeit ankündigen
Ein weiterer Zweck nächtlicher Lichter besteht darin, den Wechsel der Jahreszeiten anzukündigen. Das Leben hat wohl oder übel auch seine Jahreszeiten. Auch wenn wir sie leugnen oder beschimpfen, sie kommen und gehen. Wenn wir klug sind, lernen wir, sie zu akzeptieren. Einige Sterne sieht man nur im Herbst oder Winter. Dass sie paradoxerweise gerade dann auftauchen, während Gras, Boden und Bäume in die Farben des Todes gehüllt sind, weckt Hoffnung.
Ed und Joy halfen uns, den Wechsel der Jahreszeiten in unserem Leben zu erkennen. Ihre Liebe und Weisheit bereitete uns auf den Schritt vor, der notwendig war, damit wir nicht völlig zerbrachen. Es bedurfte einer mutigen und selten gesehenen Liebe, um das zu tun, was sie taten.
Eines Abends kamen sie allein zu uns nach Hause. Damals dachten wir nicht darüber nach; aber sie mussten es bewusst so geplant haben, da sie ihr Kind an jenem Abend in die Obhut einer anderen Person gegeben hatten. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange wir uns schon kannten. Doch unser Caleb war mit ihrer Tochter aufgewachsen. Sie waren fast gleich alt. Da ihr zweites Kind bald auf die Welt kommen würde, hatten wir viel zusammen gelacht, uns über ähnliche Herausforderungen ausgetauscht und waren uns näher gekommen. Ihr Besuch brachte uns Freude trotz unserem tiefen Leid.
Als wir uns ein wenig über die eine oder andere Neuigkeit unterhalten hatten, wechselten sie das Thema. Ich erinnere mich noch genau daran, wie sie folgende Worte sagten: »Bryan and Penny, wir haben euch sehr gern. Es gibt nichts, was daran etwas ändern könnte. Wir wissen aber auch, dass es euch unglaublich wehtun muss, unsere Kinder zu sehen. Deshalb wollten wir euch sagen: Es ist in Ordnung, wenn ihr uns deshalb meidet. Wir haben euch trotzdem gern!«
Ich war schockiert, fast beleidigt. Wir sollten sie meiden! Das war doch verrückt! Sie waren unsere lieben Freunde! Ich antwortete mit wohlmeinender, aber unnötiger Tapferkeit in etwa folgendermaßen: »Macht euch bloß keine Sorgen; wir werden euch nicht meiden. Das ist schon in Ordnung. Wir treffen uns gerne mit euch.«
Sie schauten uns prüfend an, akzeptierten meine Antwort und wiederholten einfach, dass sie uns liebten. Es gab keinen Grund zu Diskussionen. Bald endete unsere Unterhaltung und sie gingen ihren Sohn abholen. Wir brachten sie zur Tür und fragten uns, was sie zu dieser Aussage bewogen hatte.
Mit den Wochen, in denen unser leeres Leben weiter in den kalten Winter zog, bemerkte ich, dass es mich jedes Mal, wenn wir sie sahen, bis ins Mark traf und mir fast den Atem raubte wie ein eisiger Nordwind. Automatisch verglich ich ihre beiden Kinder mit unseren verstorbenen. Was würden sie tun, wenn sie noch am Leben wären? Wie alt wären sie jetzt? Würde Caleb auch so rennen? Würde Abigail auch diese Worte sagen? Diese Fragen und Vergleiche stürmten wie ein Schneesturm von Emotionen auf mich ein, der mich zu Boden warf, bis ich mich samt meinen Schmerzen wie eingeschneit fühlte.
Ed und Joy hatten Recht. Sie hatten uns so gern, dass sie brutal ehrlich sein konnten und uns die Freiheit gaben, auf Abstand zu gehen. Nach ein paar Schneestürmen dachten wir an ihre Erlaubnis, sie zu meiden. Jetzt taten uns ihre Worte nicht mehr weh. Wir waren erleichtert. Ihre herzliche, gesunde Zuneigung gab uns die Kraft, vorwärts zu gehen, ohne uns ständig fragen zu müssen, was sie wohl dachten, weil wir uns nicht mehr mit ihnen trafen. Sie waren echte Freunde in dieser furchtbaren Jahreszeit.
Natürlich kannten sie weder die Zukunft noch den großen Plan dahinter, aber sie handelten aus Prinzip. Wie wir später erfuhren, wies ihre selbstlose Liebe auf eine bessere Zeit hin, in der wir in einer Weise wieder zueinander fanden, die sich keiner von uns damals hätte vorstellen können. Obwohl Sterne ins Reich der Nacht verbannt sind, künden sie doch den Tag an. Wie Vorboten machen sie auf den baldigen Tagesanbruch aufmerksam. Sie erinnern uns daran, dass die Finsternis das Licht nicht überwinden kann, auch wenn wir das gleißende Licht unseres eigenen Sterns, den wir Sonne nennen, gerade nicht sehen können. Die Sterne bleiben und ihr Licht gilt all denen, die das Kommen eines neuen Tages herbeisehnen.
Fortsetzung Teil 1 der Serie In Englisch
Aus: Bryan C. Gallant, Undeniable, An Epic Journey Through Pain, 2015, Seite 84-91
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