Der letzte Strohhalm: Die kleine Enttäuschung

Der letzte Strohhalm: Die kleine Enttäuschung
Adobe Stock - neosiam
Wenn man sich von seinen Träumen nicht mal angemessen verabschieden darf. Von Kai Mester

Golgatha war die große Enttäuschung für Jesu Jünger. Alle ihre Träume waren wie eine Seifenblase zerplatzt. Ihr einziger Lebensinhalt – Jesus – war dahin. Alles andere hatten sie schon mehr als drei Jahre zuvor aufgegeben. Wegen Jesus waren sie in Israel in Verruf geraten: Bist du nicht auch einer von ihnen? (Matthäus 26,73) Auch ihre eigenen Pläne – wer ist der Größte? – waren beim Abendmahl als untauglich entlarvt worden. Die Jünger standen vor einem Scherbenhaufen und verbarrikadierten sich ängstlich im Obergemach.

Der letzte Strohhalm

Allein die Frauen aus dem Jüngerkreis klammerten sich an einen Strohhalm Hoffnung. Wenn nun schon alles in Scherben lag, so wollten sie Jesus wenigstens einen letzten Dienst erweisen. Deshalb machten sie sich ganz früh am Sonntagmorgen auf den Weg zum Grab. Sie wollten seinen Leichnam salben.

Ein kleiner, winziger Dienst. Wenigstens etwas Konstruktives; etwas, das ihre Liebe, ihren guten Willen zum Ausdruck brachte. Mutig, allein loszuziehen ohne männlichen Begleitschutz! Nun, Maria Magdalena war die Einzige gewesen, die schon vorher begriffen hatte, dass Jesus wirklich sterben würde. Sie war die erste am Grab (Johannes 20,1). Und erst später kamen auch Johannes und Petrus gelaufen (Vers 4). Sie alle glaubten, dass der Leichnam gestohlen worden sei (Vers 2 und 9). Nach der großen Enttäuschung jetzt auch noch das!

Gibt es denn gar nichts, wofür ich gut bin? Darf ich nicht einmal meinen gescheiterten Traum, meine gescheiterte Mission angemessen beerdigen? Darf ich nicht einmal wissen, wo mein Ein und Alles begraben liegt?

Enttäuschungen in deinem Leben?

Vielleicht möchte jemand viele Menschenseelen für Gott retten. Doch dann geht sein Missionswerk in die Brüche. So hält er sich wenigstens daran fest, einen einzigen Menschen zu Christus zu führen. Aber jetzt scheitert auch diese Mission.

Ein anderer möchte mit vielen Missionswerken gemeinsam für den HERRN wirken. Doch sein Plan schlägt fehl. Am Schluss setzt er seine Hoffnung nur noch auf ein einziges Missionswerk, das ihm jetzt allein vertrauenswürdig erscheint. Doch dann erkennt er, dass es auch dort massiv menschelt.

Weitere Szenarien könnten erfunden werden und ich glaube jeder kann das auf sein Leben zuschneiden und auf den GAU [Abkürzung für Größter anzunehmender Unfall], den er bereits durchlebt oder vielleicht noch durchleben könnte. Sehen wir das Prinzip? Erst die große Enttäuschung. Mein Lebensinhalt zerbricht. Dann der edle Strohhalm. Der letzte Akt, um vor mir selbst zu bestehen, mein Gesicht zu wahren, nicht völligen Identitätsverlust zu erleiden. Doch plötzlich schmilzt auch diese Hoffnung dahin.

Und dann die Wende

Aber die gute Nachricht lautet: »Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus, den Nazarener, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, er ist nicht hier. Seht den Ort, wo sie ihn hingelegt hatten! Aber geht hin, sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch nach Galiläa vorangeht. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat! « (Markus 16,5-6)

Nach der großen und der kleinen Enttäuschung schenkt er sich uns zurück. Die Enttäuschungen haben alle Hindernisse entfernt. Jetzt hat er endlich völligen Zugang zu allen Räumen in unserem Herzen. Jetzt kann er mit der letzten Vorbereitung auf unseren apostolischen Dienst beginnen.

Zu den Frauen sagt er: »Fürchtet euch nicht!« (Matthäus 28,10) und nimmt uns die letzte Angst. Zu Thomas sagt er: »Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite!« (Johannes 20,27) und nimmt uns den letzten Zweifel. Zu den Jüngern sagt er: »Friede sei mit euch!« (Lukas 24,36) und schenkt uns völlige innere Ruhe.

Und dann sendet er uns erneut aus:

Zu Maria sagt er: »Geh zu meinen Brüdern!« (Johannes 20,17), zu Petrus: »Liebst du mich? … Weide meine Lämmer!« (21,15). Aha! Jetzt ist selbstlose Liebe das Motiv. »Bleibt in der Stadt Jerusalem, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe!« (Lukas 24,49). Also nicht mehr einfach drauf los, sondern in allmählich größer werdenden Kreisen, so wie der Geist führt und Kraft schenkt. »Geht hin in alle Welt!« (Markus 16,15), »Macht zu Jüngern alle Völker!« (Matthäus 28,19), »Ich bin bei euch alle Tage!« (28,20). Jetzt ist ER dabei.

Gott nimmt, um zu schenken

Gott hat uns alles genommen, nur um es uns wieder gereinigt und geheiligt zu schenken. Wir klammern nicht mehr ängstlich, sondern genießen an seiner Hand vertrauensvoll seine Segnungen.

Gott hat mir meine Leidenschaft, die Musik, genommen. Es war ein Opfergang. Ich mache gerne Musik, doch meine Musik war durchdrungen von sinnlichen Rhythmen und vom falschen Geist. Aber es dauerte nur wenige Monate, da schenkte er mir allmählich die Musik wieder, gereinigt und geheiligt, als selbstloses Werkzeug zu seiner Ehre. Jetzt habe ich mehr Freude daran als früher.

Gott hat mir meine Leidenschaft, Fremdsprachen zu lernen, genommen. Dieses Opfer war schwerer. Doch es war nötig, weil diese Leidenschaft einer Sucht glich, die ich zu meiner Befriedigung einsetzte und die keinerlei praktischen Wert in meinem Beruf oder meiner Familie hatte. Erst Jahre später forderte Gott mich auf, die alten Sprachbücher wieder hervorzukramen, weil er diese Begabung für seine Zwecke nutzen wollte. Jetzt ist die Sucht gewichen und ich darf mich an einem selbstlosen Einsatz dieser Sprachen zu seiner Ehre freuen.

Gott hat mir meine Leidenschaft, neue Freunde zu finden, genommen. Dieses Opfer war am schwersten. Denn diese Leidenschaft verdrängte immer wieder Gott vom Thron meines Herzens. Erst nach einigen Jahren der relativen Zurückgezogenheit wendete Gott das Blatt. Jetzt zeigt er mir, wo ich Menschenherzen für IHN gewinnen kann. Mit seiner Hilfe kann ich diese Fähigkeit nun selbstlos für ihn einsetzen, ohne ein egoistischer Freund zu werden.

Und so könnte ich fortfahren mit Beispielen, wo der HERR alles nimmt, um hinterher nur noch reichlicher zu schenken. Und sicherlich wird er das immer wieder tun, bis er mit seinem Werk an mir fertig ist.

Mein Leben ist geprägt von dem dicken roten Strich, den Gott regelmäßig durch meine Pläne gemacht hat, um schließlich SEINE Pläne an ihre Stelle zu setzen. Sie waren immer viel, viel genialer und ich war jedes Mal so froh, dass ich gescheitert bin. Es wäre sonst nur schlimmer gekommen.

Vertraue!

Deshalb kann ich aus Erfahrung und voller Überzeugung sagen: Vertraue dich unserem Vater völlig an! Niemand im Universum liebt dich so wie er. Er wird dich besser führen, als du dich selbst führen kannst, weil er dich besser kennt als du selbst. »Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.« (Johannes 21,18) Haben wir dieses Vertrauen? … dass wir freiwillig unsere Hände ausstrecken und sagen: »Ja, mein Herr Jesus. Führe mich! Egal wohin. Ich folge dir!«?

Dann wird Gott uns mit Segen überschütten, schon »jetzt in dieser Zeit … unter Verfolgungen und in der zukünftigen Weltzeit [schenkt er uns] ewiges [erfülltes] Leben« (Markus 10,30).

Link zum Teil 1

Zuerst erschienen in Fundament, Zeitschrift für ein befreites Leben, 7-2006, Seite 10-11.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Ich stimme der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten nach EU-DSGVO zu und akzeptiere die Datenschutzbedingungen.