Wenn dein Lebenstraum zerbricht: Die große Enttäuschung

Wenn dein Lebenstraum zerbricht: Die große Enttäuschung
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Du hast so viel dafür aufgegeben, so viel investiert. Doch nun stehst du vor den Scherben. Von Kai Mester

Jesus hatte zwölf Jünger in die Nachfolge gerufen und einige Frauen (Lukas 8,1-3). Sie hatten alles zurückgelassen für ihn: Ihren Beruf, ihre finanzielle Sicherheit, ihre Heimat, ihren Komfort, ihre Freunde, ihre Eltern. Doch nicht nur das! Sie saßen zu seinen Füßen und opferten unter seinem Einfluss allmählich auch viele Einstellungen und Vorstellungen. Sie lernten, ihre Feinde zu lieben, barmherzig zu Samaritern, Aussätzigen und Ausländern zu sein. Sie lernten, ihren Blick wegzurichten von den Leuten, die Reichtum, Rang und Namen hatten, und dafür auf Menschen zu achten, die in Armut leben, die in der Gesellschaft wenig gelten oder sogar Ausgestoßene sind.

Jesus stellte ihr ganzes Weltbild auf den Kopf und ihren gesamten Lebensstil. Was hatten sie nicht alles aufgegeben für ihn, weil sie ihn liebten! War das nicht genug? Seinetwegen begaben sie sich in Gefahr. Sie verließen ihn nicht, als alle ihn verließen (Johannes 6,68). Obwohl er sich gegen ihre politischen Vorstellungen sperrte und kein König werden wollte, blieben sie bei ihm. Obwohl man inzwischen seinetwegen aus der Synagoge ausgeschlossen werden konnte, trennten sie sich nicht von ihm (Johannes 9,22). Mussten sie wirklich auch ihre Gemeinde und ihre Glaubensüberzeugungen opfern?

Golgatha vor 2000 Jahren

Doch das Schlimmste stand ihnen noch bevor: Golgatha. Dreimal hatte er ihnen angekündigt, dass man ihn hinrichten würde (Matthäus 16,21; 17,22; 20,17) und beim Abendmahl im Obergemach hatte er seinen Tod mit Brot und Wein erklärt und ihnen seine Bedeutung für alle Sinne zugänglich gemacht. Maria Magdalena war die Einzige im Jüngerkreis, die zuvor verstanden hatte, welchen Weg er gehen würde und die daraus Konsequenzen zog. Sie brachte ihren Dank und ihre Liebe zum Ausdruck, indem sie ihn schon vor seinem Tod salbte (Johannes 12,1-3). Denn als Toter hätte er ja davon nichts mehr gemerkt!

Doch als Jesus in Gethsemane festgenommen wurde, war das für die Jünger der Beginn der größten Enttäuschung, die sie je erlebt hatten. Wie enttäuscht waren sie über sich selbst, über ihre eigene Feigheit, enttäuscht über den Kummer, den sie Jesus immer wieder bereitet hatten, enttäuscht darüber, dass alle ihre Hoffnungen zerbrochen, ihre Pläne gescheitert waren. Golgatha, das war nicht nur der Tod des Menschen, den sie am meisten liebten, sondern auch der Tod ihrer eigenen Identität. Hier starb der, für den sie alles aufgegeben hatten. Und damit begann ein Prozess von 50 Tagen, in denen ihr eigenes Ich in einer beispiellosen Weise ins Grab gelegt wurde.

Unser persönliches Golgatha

Haben wir nicht auch schon viel für Jesus aufgegeben? Hat er nicht auch unser Weltbild und unseren Lebensstil auf den Kopf gestellt? Mit neuen Zielen und Hoffnungen sind wir ihm nachgefolgt.

Sind wir vorbereitet auf die Golgatha-Erfahrung, die auch wir erleben werden, bevor Pfingsten kommt? Was ist, wenn uns gerade das genommen wird, wofür wir meinten, alles aufgegeben zu haben? Was ist, wenn unsere persönliche Mission für Jesus schließlich endgültig und offensichtlich zum Scheitern gekommen ist? Haben nicht alle Glaubenserfahrungen und Zeichen, die wir erhalten haben, uns auf diesen Weg geführt? War nicht sein Wort unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg (Psalm 119,105)? Haben wir nicht im Großen und Ganzen treu seine Gebote befolgt und seine Ratschläge gewissenhaft umgesetzt? Hat er uns nicht ganz persönlich zu einer bestimmten Aufgabe berufen?

Golgatha wird für jeden einzelnen Christen kommen. Die große Enttäuschung wirst auch du erleben. Oder hast du sie schon erlebt? Sie kann viele Formen haben. Sie ist eine wichtige Vorbereitung auf den geisterfüllten, wahrhaft selbstlosen, apostolischen Dienst, zu dem Jesus jeden Einzelnen von uns beauftragt.

Unsere Mission mag scheitern, vielleicht erkennen wir auch, dass wir uns in einer prophetischen Interpretation getäuscht haben, wie damals unsere Geschwister in der Adventbewegung oder die Jünger, die einen politischen Messias erwarteten. Golgatha ist keine angenehme Erfahrung. Wenn wir aber durch dieses finstere Tal gehen, dürfen wir wissen, dass Gott uns nicht allein lässt. Sein Stecken und Stab trösten uns (Psalm 23,4). Wie der Silberschmied am Feuerofen schöpft er die Schlacke aus unserem Wesen ab (Sprüche 17,3; 25,4).

Denn vermischen wir in unserer Mission nicht doch Gottes selbstlose Liebe mit der eigenen unreinen Liebe, mit Liebe, die an die anderen Erwartungen stellt? Spüren wir nicht die Verletzung, wenn unsere Liebe enttäuscht oder missbraucht wird? Solange unser Helfen, unsere Seelsorge und unsere Mission noch mit getrieben sind von unserer eigenen Sehnsucht nach Anerkennung, nach Gegenliebe, nach Dankbarkeit, die uns entgegengebracht wird, getrieben von unserer Sehnsucht nach Erfolg; solange wir unsere Berufung brauchen wie eine Droge, um unseren Liebeshunger zu stillen, solange kann Gott durch uns nicht das tun in dieser Welt, was er gerne tun möchte.

Golgatha bringt die Heilung

Die große Enttäuschung ist heilsam. Zu wissen, dass sie zu erwarten ist, bewahrt uns davor, an ihr zu zerbrechen. Machen wir uns auf alles gefasst! Der Weg mit Jesus wird Biegungen nehmen, die wir nicht erwartet haben. Aber sein Wort wird uns auch in diesen Kurven ein Licht sein. Den Emmausjüngern erklärte Jesus aus der Schrift alles, was geschehen war (Lukas 24,27). Je tiefer wir im Wort verwurzelt sind, desto geringer die Gefahr, dass wir in dieser Krise von Gott abfallen werden.

Es war die traditionelle Sicht der Juden, die es den Jüngern schwer machte, Jesu Leidensankündigungen und seinen apolitischen Ansatz – mein Reich ist nicht von dieser Welt – zu verstehen. Achten auch wir darauf, gängige Meinungen zu hinterfragen, am Wort Gottes zu prüfen und uns im Gebet vom Geist in alle Wahrheit leiten zu lassen!

Golgatha-Varianten

Schon früh habe ich mich von Gott zum Missionar berufen gefühlt, aber mein Traum, Prediger oder Theologe zu werden, scheiterte. Heute sehe ich, dass Gott besser wusste, wo meine Fähigkeiten liegen. Damals aber, als klar wurde, dass sich auf diesem Weg keine Türen auftun würden, war ich enttäuscht und verwirrt.

Wo war deine große Enttäuschung? Hast du dadurch deine erste Liebe verlassen (Offenbarung 2,4)? Diese Enttäuschungen sind wichtig und heilsam, denn sie richten uns wieder auf. Hast du vielleicht zu ganz bestimmten Menschen aufgeschaut und dann haben sie dich enttäuscht? Waren sie deine geistlichen Vorbilder oder Mentoren, bis sie selbst versagten und eine Welt für dich zusammenbrach?

Das wahre Golgatha liegt für viele von uns noch in der Zukunft. Doch wenn wir ganz nah bei Jesus bleiben und ihm wie die Jünger zum Kreuz folgen, wird Golgatha uns auf Pfingsten – auf den Spätregen – vorbereiten.

Nahe bei Jesus

Aus dem Jüngerkreis erreichte nur Judas das Ziel nicht, weil er im Herzen schon lange Jesus entfremdet war und weil er seine eigensinnigen Vorstellungen nicht nur hegte, sondern auch ganz aktiv verfolgte. Alle anderen Jünger fanden trotz Verleugnung (Petrus; Matthäus 26,69 ff), Flucht (Markus 14,51-52) und Zweifel (Thomas; Johannes 20,25) nach der Krise schließlich zum Sieg.

Je größer deine Nähe zu Jesus ist, desto stärker wirst du in der Krise sein. Johannes und Maria Magdalena liebten Jesus am meisten und empfingen auch den größten Segen. Johannes, weil Jesus ihm seine Mutter anvertraute (Johannes 19,26-27) und Maria Magdalena, weil sie die erste war, der er nach der Auferstehung begegnete (Johannes 20,11 ff).

Deshalb: »Sucht den HERRN, solange er zu finden ist, ruft ihn an, während er nahe ist! Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Übeltäter seine Gedanken; und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.« (Jesaja 55,6)

Fortsetzung

Zuerst erschienen in Fundament, 4-2006, S. 8-9.

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