Wie seine Gottesbegegnung das Prophetenamt neu definierte. Komm mit in den historischen Text des Alttestamentlers Paul Volz (1871–1941)
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Am gewaltigsten ist der Gegensatz zwischen Elias Art und der Weltart in der Karmelszene geschildert. Die einsame, überweltliche Gestalt vor den fast tausend Gegnern, sein machtvolles, feierliches Gebet und ihr wildes Toben, sein dem Sieg vorauslaufendes göttliches Triumphbewusstsein und ihre klägliche Ohnmacht, dazu König und Volk in ungeheurer Spannung und in hilflosestem Schweigen! Ein noch stärkerer Machtbeweis für JHWH als das verzehrende Feuer auf dem Opferaltar war die Gotteskraft, die in Elia selbst, dem Bekenner JHWHs, dem Volke sichtbar entgegentrat.
Elia, der Kämpfer
Elias Element war der Kampf. Er hat sich wohl selbst den Prophetennamen »Elia« beigelegt, um mit diesem Namen, »mein Gott ist JHWH!« Losung und Inhalt seines Kampfes in dem damaligen Streit zwischen JHWH und Baal immerfort wie ein Panier voranzutragen. Und wie bei Mose entspricht auch bei Elia das erste Dekalog-Gebot mit seiner Ausschließlichkeit und Totalität ganz dem Charakter des Propheten oder formt den Charakter des Propheten: Gott der Einzige in allem, auf allen Gebieten des öffentlichen und des persönlichen Lebens, und der Prophet, der ihm alles gibt und alles für ihn erobern will. Vor Ahab vorausstürmen, im Sturm die Menge auf die Seite seines Gottes reißen, die Gegner restlos und schonungslos vertilgen, das war Elias Lust. Man spürt es förmlich mit, wie er in der Gewissheit des Sieges über die Gegner lacht, wie er fast trunken den Triumph bis zur Hefe auskosten will.
Wendepunkt am Horeb
Da trifft ihn die göttliche Stimme und ihm wird gesagt, dass Gott noch größer ist, als ein Prophet ihn bisher gekannt hat. Die Erzählung in 1. Könige 19 gehört zu den eindrucksvollsten und religiös bedeutsamsten im Alten Testament. Der gewaltige Kämpfer, der eben noch König und Volk bezwungen und im Hochgefühl prophetischer Vollmacht alle seine Feinde vernichtet hatte, flieht vor Isebel aus Angst um sein Leben und bricht zusammen, des Amtes und des Lebens überdrüssig. Das Werk Gottes, das er vollendet glaubte, liegt ihm zerbrochen am Boden. Da begegnet ihm Gott am Horeb. Nicht im Sturm, Erdbeben und Feuer, sondern im sanften Wehen.
Diese Erscheinung bedeutet eine Wende in der Prophetie. Nicht eine Wende im Wesen Gottes, als wäre Gott bisher ein Gott der stürmischen Gewalten gewesen und wolle von nun an ein Gott geistiger Art sein; es ist vielmehr eine Wende in der prophetischen Erkenntnis Gottes und vor allem eine Wende im Wirken und Eifern für Gott. Elia, der den Mord an Nabot aufs schärfste verdammte, hatte kein Bedenken getragen, die religiösen Gegner zu erwürgen, hatte geglaubt, religiöser Mord, Hinschlachten der Gegner in Gottes Namen sei nicht wider Gottes Gebot und sei Gott wohlgefällig. Auch Mose und Samuel hatten ihren Eifer für Gott mit dem Schwert betätigt. Die Offenbarung Gottes am Horeb bedeutet den Einschnitt im prophetischen Wirken und bringt die Erkenntnis, dass der Kampf für Gott nicht mit äußerer Gewalt, sondern mit innerlichen Waffen geführt werden soll. Gott ist Geist, und die für ihn wirken, müssen im Geist für ihn wirken.
Das Zeitalter der schwertlosen Propheten
Die neue Erkenntnis war groß und schwer, vollends für solche Feuer-Kämpfer wie Elia. Es gelingt nicht sofort, die neue Erkenntnis in der Tat zu bewältigen (2. Könige 1). Aber es ist doch eine merkwürdige Tatsache, dass die Prophetie der nächsten Jahrhunderte von Amos an nicht mehr mit dem Schwert arbeitet. Nicht weil die Propheten die äußerliche Gewalt nicht mehr besessen hätten — Jesaja 7,11 zeigt uns genau, welche Macht und Vollmacht der Prophet nach wie vor besaß — nein, die großen Propheten nach Elia gebrauchen das Schwert nicht mehr, weil die göttlichen Botschafter eine neue Weisung über ihr Wirken bekommen hatten. Diesen Wendepunkt in der Prophetie stellt die Horebszene dar, und es ist denkwürdig, dass die neue Weisung gerade an den Propheten erging, dem der Kampf allezeit das Element seines Lebens war.
Verschiedene Auslegungen der Horebbegegnung Elias
Wenn Elia sein Angesicht verhüllte, als er das sanfte Wehen vernahm, so ist damit gesagt, dass er jetzt die Nähe Gottes empfand, dass also Gott erst im sanften Wehen erschien, nachdem er zuvor im Sturm, Erdbeben und Feuer noch nicht erschienen war. Der Sinn dieser Erscheinung Gottes am Horeb wird verschieden gedeutet.
Gott ändert sich?
Man meint, die Erscheinung wolle sagen, JHWH offenbart sich nicht in bloßen Naturgewalten wie einst am Sinai zur Zeit Moses, sondern in der geheimnisvollen Weise des Geistes. Die Erzählung würde dann eine Wende in JHWHs Wesen und Erscheinen darstellen. Aber dass JHWH sich in bloßen Naturgewalten bezeuge, war nie die Meinung des Alten Testamentes, und namentlich in 2. Mose 19 bedeuten die äußeren Naturvorgänge doch nur das machtvolle Nahen des zur Stiftung des Heilswerkes kommenden Gottes.
Mutmacher für den Verzagten?
Oder denkt man, es solle Elias Kleinglaube und Verzagtheit (also nicht sein leidenschaftliches Wüten) abgewehrt werden, dadurch, dass ihm gezeigt werde, dass JHWH solche Gewalten wie Sturm, Erdbeben und Feuer zur Verfügung habe. Aber warum wäre dann ausdrücklich gesagt, dass JHWH nicht in diesen Gewalten gewesen sei?
Gerichte als Bahnbrecher für Sanftheit?
Meist möchte man die Horebszene in Einklang bringen mit dem in 19,15-17 folgenden göttlichen Schwertbefehl. Man deutet dann den Sinn der aufeinander folgenden Erscheinungen so: Gerichte müssen sein, zermalmende, erschütternde, verzehrende Offenbarungen des göttlichen Zorns, und sie werden kommen, die Werkzeuge sind schon von Gott bestimmt (V. 15-17); aber Gerichte sind nicht das Letzte, sie sind nur Vorbereitung für das stille, sanfte Wirken der Gnade, in dem erst Gottes wahres Wesen sich enthüllt. Vgl. z. B. Nestle im Biblischen Handwörterbuch, 4. Auflage, Seite 152: »Elia erlebt die großartige Offenbarung, dass Gott zwar auch der zerstörenden Mächte sich bediene, aber nur als Bahnbrecher für das seinem Wesen allein entsprechende Wirken des milden Geistes.« Auch bei solcher Auslegung wird das Schwergewicht der Szene in einer Offenbarung über das Wesen und Wirken Gottes gefunden, weniger in einer Offenbarung über das Wirken für Gott, wie es dem wahren Wesen Gottes entsprechen sollte. Und auch bei dieser Auslegung müsste man fragen, warum denn dann ausdrücklich gesagt sei, dass JHWH nicht im Sturm, Erdbeben und Feuer war; es müsste dann doch heißen, JHWH sei zwar auch in diesen Sturmgewalten, aber noch nicht in der vollen Nähe.
»Denkzettel« für den Eiferer!
Dem genauen Wortlaut von V. 11-13 und der engen Verbindung der Verse mit dem seelischen Zusammenbruch des Propheten entspricht allein die Auslegung, dass die leidenschaftliche Glut des Propheten korrigiert werden soll, und dass der Prophet aus der Art der Erscheinung Gottes und der eigenen inneren Niederlage ersehen muss, wie Gott in Wahrheit ist und wie der Kämpfer in Wahrheit für ihn kämpfen soll. Dass bei dieser Auslegung die folgenden Verse 15-17 eine gewisse Schwierigkeit machen, ist zuzugeben. Aber wir haben schon bemerkt, dass der gewaltige Umschwung nur langsam in Elias Feuerseele durchbrechen konnte. Wir werden weiter sagen dürfen, dass ein Unterschied ist zwischen dem wilden Morden im religiösen Fanatismus, das am Bach Kischon geschah, und dem verordneten göttlichen Strafgericht, das durch das Schwert Hasaels, Jehus und Elisas vollzogen werden sollte. Dass die Prophetie auch darüber noch hinauswuchs zum völligen Erfassen der göttlichen Art, zeigt uns Hosea 1,4: [»Denn nur ein Weilchen noch, dann suche ich die Blutschuld von Jesreel am Haus Jehu heim und mache dem Königtum des Hauses Israel ein Ende.«] […]
Abkehr vom Schwert
Auf alle Fälle besteht die Tatsache, dass nach Elia von Amos ab die Prophetie den Schwert-Weg ablehnte und die Propheten von Amos ab den religiösen Eifer nicht mehr in der Weise des Mose, Samuel und Elia betätigten. Dass die Propheten eine solche Wendung nicht von sich aus, sondern allein nach göttlicher Weisung vollzogen, ist bei dem Wesen des alttestamentlichen Prophetismus selbstverständlich. Wenn nun der Text von 1. Könige 18,11-13 eine solche Auslegung nahelegt, ist es das Gegebene, den geschichtlichen Ort der göttlichen Weisung und der prophetischen Wende in dieser Szene zu erblicken.
Jesus und das Schwert
Die Weisung Gottes an Elia am Horeb hat zeitlose Bedeutung. Denn die Gefahr, mit äußeren Machtmitteln für Gott zu wirken, begleitet die Kämpfer Gottes durch alle Jahrhunderte. Jesus muss seine Jünger daran erinnern, wes Geistes Kinder sie seien (Lukas 9,54.55), und er rügt den Jünger in Gethsemane, der das Schwert gezogen hat. Die Begründung lautet in Matthäus 26,52 ganz allgemein: »Stecke dein Schwert in die Scheide, denn alle, die zum Schwert greifen, müssen durchs Schwert umkommen«, und die Allgemeinheit der Begründung macht deutlich, dass Blutvergießen immer dasselbe ist, gleichviel ob es in Gottes Namen geschieht oder nicht. Aber trotz Jesu Wort und Beispiel ist die Gefahr des falschen Eifers bis heute geblieben. Die ganze Geschichte der christlichen Kirche bis auf unsere Tage gibt ungezählte Beispiele dafür, dass man die Sache Gottes mit dem Schwert oder mit äußeren Machtmitteln ausbreiten wollte. Umso wichtiger ist auch für das heutige Ohr jenes sanfte Wehen am Horeb, in dem Gott dem Elia erschienen ist.
Jesus und das geistliche Schwert
Und doch heißt es auch von Jesus: Der Eifer um das Haus Gottes hat ihn gefressen, und sagt Jesus selbst: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert« (Matthäus 10,34), und: »Wer Vater und Mutter nicht hasst um meinetwillen, der ist mein nicht wert.« (Vers 37) Und auch der Knecht Gottes im Alten Testament, der zum Heilswerk gesendet ist, vergleicht sich mit dem scharfen Schwert und dem spitzen Pfeil in der Hand Gottes (Jesaja 49,2). Wir sehen: die Zeugen Gottes müssen Eiferer sein und Gott selbst bleibt der Eifersüchtige, auch im Neuen Testament, aber es muss eine Glut göttlichen Geistes sein, nicht ein Eifer, der Hände und Herzen befleckt. Jesus lehnt von der ersten bis zur letzten Versuchung Schwert, Legionen, äußere Gewalt und Herrschaft ab und zeigt damit seiner Kirche und seinen Mitstreitern, wie er sein Wort vom Schwert verstanden wissen will. Für den Kämpfer Gottes heißt es am allermeisten: wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren (Matthäus 10,39), wer äußeren Sieg und Triumph feiern will, der zerbricht und der hindert den Sieg Gottes. Der Kämpfer aber, der religiöse Leidenschaft mit der Zucht des göttlichen Gehorsams verbindet, der entspricht dem Wesen des heiligen Gottes.
Der Eifer bleibt
Die neue Offenbarung an Elia geschah am Berg der uralten, ursprünglichen Gottesstiftung; das will sagen: der Eifer Gottes um seine Sache bleibt, aber der Eifergott vom Sinai erlässt eine neue Weisung, wie dieser Eifer geschehen soll.
Auch Propheten müssen lernen
Elia musste erkennen, dass sein Eifer verkehrt war, trotzdem er aus der hellen Begeisterung für Gott kam und aus der heißen Liebe zu seinem Volk, das er von dem Giftgeschwür des Baal befreien wollte. Es ist überaus fein, aus 1. Könige 18 und 19 zu ersehen, wie Gott seinen Helden für die tiefverborgene neue Erkenntnis vorbereitet hat. Elia muss innewerden, dass die durch Glut entfachte Begeisterung der Menge ebenso rasch zerfließt, wie sie kommt, dass Gewalt nur wieder Gewalt weckt, und dass dem Hochflug wilden Triumphes tiefste Niederlage der Seele folgt. Unter dem Ginsterbusch in der Wüste wurde er sich seiner Ohnmacht bewusst, auf dem langen Weg zum Horeb löste sich seine Seele von allem Eigenen, dass sie mit der göttlichen Weisung gefüllt werden konnte. Es war in der Tat ein weiter Weg vom Bach Kischon bis zum Horeb, es war ein weiter Weg, bis eine solche Sturm- und Feuerseele wie Elia zugerichtet war, den leisen Hauch des göttlichen Wehens zu vernehmen. Auch Jeremia und Paulus haben Stunden bitterer Not erfahren und sind darin von Gott nicht bloß gestärkt, sondern zu neuer Erkenntnis Gottes und zu neuer Zucht Gottes geführt worden. Stunden der Verzagtheit sind notwendig im Leben der Gottesmenschen, damit sie im Bewusstsein des Werkzeugs bleiben und ständig über das eigene Wesen hinaus in Gottes Art hineinwachsen.
Tadel und Trost
Wie Jeremia in 15,19 bekommt auch Elia am Horeb in seiner seelischen Not nicht das geringste Wort tröstender Anerkennung. Er erfährt den Tadel Gottes: »Was tust du hier, Elia?« Der Prophet muss den Vorwurf hören, dass er aus Angst um sein Leben dem Dienst Gottes entwichen ist und fahnenflüchtig das Schlachtfeld Gottes verlassen hat. Und Gott weist ihn sofort wieder zurück an die Arbeit. Aber der große Trost Gottes bestand in jener Stunde darin, dass Gott sich seinem Knecht bekundet hat, und dass der Knecht einer so hohen, ewiggültigen Offenbarung über Gottes Wesen und über seinen prophetischen Beruf teilhaftig geworden ist.
So steht Elia in der Geschichte des Reiches Gottes zwischen Mose und Amos.
Auszug aus: Paul Volz, Prophetengestalten des Alten Testaments, Seite 118–122. Stuttgart: 1938. Public Domain.
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