Eine Frage der Wesensart. Von Ellen White
Die Werte, die das Evangelium in uns hineinlegt, orientieren sich allein an Gottes vollkommenem Denken und Wollen. Gott erwartet von seinen Geschöpfen, dass sie mit seinem Willen übereinstimmen. Unvollkommenheit des Charakters ist Sünde, und Sünde ist Übertretung des Gesetzes. Alle gerechten Charaktereigenschaften sind als vollkommenes, harmonisches Ganzes in Gott zu finden. Jeder, der Jesus als seinen persönlichen Erretter annimmt, hat das Vorrecht, diese Eigenschaften zu besitzen. Das ist die Wissenschaft der Heiligkeit.
Welch herrliches Potenzial für die gefallene Menschheit! Durch seinen Sohn hat Gott uns offenbart, welche Gipfel der Mensch erreichen kann. Durch das, was Jesus getan hat, wird der Mensch aus seinem verdorbenen Zustand herausgehoben, gereinigt und kostbarer gemacht als das Gold von Ophir (Jesaja 13,12). Nun kann er in die Gesellschaft der Engel in Herrlichkeit eintreten, das Bild Jesu Christi widerspiegeln und sogar im Glanz des ewigen Thrones erstrahlen. Er darf darauf vertrauen, dass Jesu Kraft ihn unsterblich machen wird. Doch leider erkennt der Mensch viel zu selten, welche Höhen er erreichen könnte, wenn er sich nur von Gott bei jedem Schritt leiten ließe!
Gott lässt jeden Menschen seine individuelle Persönlichkeit entfalten. Er möchte nicht, dass sich jemand im Denken eines sterblichen Mitmenschen verliert. Wer sich nach gedanklicher und charakterlicher Umwandlung sehnt, darf nicht auf Menschen schauen, sondern auf das göttliche Vorbild. Gott lädt ein: »Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war.« (Philipper 2,5) Durch Bekehrung und Umwandlung erhalten Menschen die Gesinnung Christi. Jeder braucht vor Gott einen persönlichen Glauben und eine persönliche Erfahrung. Er darf für sich selbst wissen, dass Christus, die Hoffnung der Herrlichkeit, im Innern Gestalt gewinnt (Kolosser 1,27). Irgendeinen Menschen nachzuahmen, sogar einen Menschen, den wir für nahezu vollkommen halten, würde bedeuten, unser Vertrauen auf ein fehlerhaftes Wesen zu setzen, auf jemand, der zur Vollkommenheit kein Jota oder Strichlein hinzufügen kann (Matthäus 5,18).
Als großes Vorbild haben wir aber jemand, der alles und in allem ist, den Hervorragendsten unter Zehntausend (Hoheslied 5,10), den Unübertroffenen. Aus Güte wurde er uns gleich, dass jeder sein Leben nachahmen kann. Im Messias waren Reichtum und Armut, Majestät und Erniedrigung, unbegrenzte Macht und sanftmütige Bescheidenheit vereint. Dies wird sich in jedem Herzen widerspiegeln, das ihn aufnimmt. In ihm offenbarte sich die Weisheit des größten Lehrers, den die Welt jemals kannte, durch die Fähigkeiten und Kräfte des menschlichen Geistes.
Vor der Welt macht Gott uns zu lebendigen Zeugen dafür, was Männer und Frauen durch Jesu Gnade werden können. Wir sind dazu aufgefordert, nach Charaktervollkommenheit zu streben. Der göttliche Lehrer sagt: »Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist!« (Matthäus 5,48) Will Jesus uns quälen, indem er etwas Unmögliches von uns verlangt? – Niemals! Es ist vielmehr eine große Ehre, dass er uns auffordert, in unserem Bereich heilig zu sein wie der Vater in seinem Bereich! Er kann uns dazu befähigen, denn er erklärt: »Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.« (Matthäus 28,28) Es ist unser Vorrecht, diese unbegrenzte Macht zu beanspruchen.
Gottes Herrlichkeit ist sein Charakter. Während Mose auf dem Berg war und ernstlich bei Gott Fürsprache einlegte, bat er: »Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen!« (2. Mose 33,18) Als Antwort verkündete Gott: »Ich will alle meine Güte vor deinem Angesicht vorüberziehen lassen und will den Namen des HERRN vor dir ausrufen. Und wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und über wen ich mich erbarme, über den erbarme ich mich.« (Vers 19)
Die Herrlichkeit Gottes, seine Wesensart, wurde daraufhin offenbart: »Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue; der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand.« (2. Mose 34,6-7)
Diese Wesensart wurde im Leben des Messias offenbart. Um durch sein eigenes Beispiel die Sünde im Fleisch zu verdammen, nahm er die Gestalt des sündigen Fleisches auf sich (Römer 8,3). Beständig schaute er auf Gottes Charakter; beständig offenbarte er diesen Charakter der Welt.
Jesus wünscht, dass seine Nachfolger in ihrem Leben dieselbe Wesensart offenbaren. In seinem Bittgebet für seine Jünger bekundete er: »Und die Herrlichkeit [Wesensart], die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, dass sie eins seien, wie wir eins sind – ich in ihnen und du in mir – dass sie in eins vollendet seien, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.« (Johannes 17,22-23)
Auch heute noch ist es seine Absicht, seine Gemeinde zu heiligen und zu reinigen »durch das Wasserbad im Wort, damit er sie sich selbst darstelle als eine Gemeinde, die herrlich sei, sodass sie weder Flecken noch Runzeln noch etwas Ähnliches habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.« (Epheser 5,26-27) Um kein größeres Geschenk als den von ihm offenbarten Charakter kann Christus seinen Vater bitten, damit er denen gegeben werde, die an ihn glauben. Welche Größe ist in seiner Bitte! Mit welcher Fülle der Gnade soll jeder überschüttet werden, der Jesus nachfolgt! Was für ein Vorrecht!
Gott wirkt mit denen zusammen, die seine Wesensart würdig repräsentieren. Durch sie geschieht sein Wille so auf Erden wie im Himmel. Wer heilig ist, bringt Frucht und tut viele gute Werke. Wer Jesu Gesinnung hat, wird im Gutestun nie müde. Statt in diesem Leben Beförderung zu erwarten, freut er sich auf die Zeit, wenn die Majestät des Himmels die Geheiligten zu seinem Thron erheben und ihnen sagen wird: »Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, und erbt das Reich, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt!« (Matthäus 25,34)
Würden wir doch die Ehre, die der Messias uns zuteil werden lässt, mehr zu schätzen wissen! Indem wir sein Joch tragen und von ihm lernen, werden wir wie er im Streben, in Sanftmut und Demut, in der Atmosphäre unserer Wesensart. Wir schließen uns ihm an, um mit ihm gemeinsam Gott – als dem Höchsten – Lob, Ehre und Herrlichkeit zu bringen. Wer gemäß seinen hohen Vorrechten in diesem Leben lebt, wird ewigen Lohn im kommenden Leben erhalten. Wenn wir treu sind, werden wir gemeinsam mit den himmlischen Musikern in lieblicher Harmonie Gott und dem Lamm Loblieder singen.
Es ist unsere Lebensaufgabe, nach christlicher Charakterreife zu streben und uns stets darum zu bemühen, mit Gottes Willen übereinzustimmen. Tag für Tag dürfen wir aufwärts drängen, immer weiter aufwärts, bis von uns gesagt werden kann: »Ihr seid zur Fülle gebracht in ihm.« (Kolosser 2,10)
Ellen Gould White: The Signs of the Times, 3. September 1902
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