Corona reißt Gräben auf. Von Sylvain Romain
Eine Kirche ist die Summe einzelner Menschen, die unter der Woche mit ihrer Familie zu Hause oder am Arbeitsplatz mit Jesus leben und dann am Tag des HERRN als Leib Christi Gottes Güte feiern. Deshalb gilt Gottes Aufforderung uns allen: »Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker« werden (Jesaja 56,7). Die Einladung an »alle Völker« setzt Offenheit und Herzlichkeit voraus.
Stell dir vor, du betrittst einen Elektroladen. Die Auswahl ist zwar verlockend, aber die Räume sind muffig und der Verkaufsberater vermittelt einen desinteressierten Eindruck, als würdest du ihn stören. Deine Lust, aus dem Geschäft zu gehen, ist größer als die, dich im Geschäft länger aufzuhalten. Dabei hätten dich Wertschätzung und ein ehrliches Lächeln mehr motiviert als die besten Argumente.
Wie empfinden wir, wenn jemand uns von der Wahrhaftigkeit seiner Ansichten oder von seiner Religion überzeugen will? Und wenn wir es bei anderen versuchen: Wie steht es um unsere Ausstrahlung?
Auf der Durchreise besuchte ich neulich einen Gottesdienst. Niemand sprach mich an, geschweige denn, dass ich begrüßt wurde. War ich zu gut angezogen, um als Kandidat für einen Bekehrungsversuch zu gelten? Jedenfalls werde ich mich schwertun, dort wieder reinzuschauen.
Ein kleines Mädchen klopfte an die Tür des gerade eingezogenen weißen Mannes: »Haben Sie eine Putzstelle für mich? Ich kann auch kochen.« Der Missionar sagte zu. Nach einem Jahr sagte die Afrikanerin: »Jetzt werde ich kündigen, denn ich habe eine andere Stelle angenommen, dieses Mal beim Imam. Mein Vater ist Stammesführer und sagte mir, ich solle ein Jahr bei den Christen leben und ein Jahr bei den Muslimen; und dann würde er entscheiden, welche Religion die richtige für unser Volk ist.«
Kann es sein, dass Menschen auf den »falschen Weg« geführt werden, weil es mit unserem Service hapert?
Tatsächlich suchen die wenigsten Menschen nach Wahrheit, erst recht nicht im Christentum. Aber wenn wir echtes Interesse signalisieren, öffnen wir die Tür dafür, dass andere sich wiederum für unsere Hoffnung interessieren und ihr Herz öffnen.
Deshalb schrieb meine Lieblingsautorin: »Wenn wir uns vor Gott demütigten und freundlich, höflich, weichherzig und voller Mitgefühl wären, gäbe es hundert Bekehrungen zur Wahrheit, wo es jetzt nur eine gibt.« (Testimonies for the Church, Bd. 9, S. 189, von 1909).
Das Hundertfache durch Freundlichkeit statt durch Theologie! Das bringt meine Vorstellung von Methoden und Trainingsprogrammen ganz schön durcheinander!
In der Tat: Bevor der Regen den Boden bewässern kann, muss er weich werden. Sonst nimmt er den Regen nicht auf und wird sogar weggespült.
Genauso ist es mit Gottes zweitem Pfingsten: Während wir warten und beten, dass der Heilige Geist in Strömen herabfällt, frage ich mich, ob ich wirklich bereit dazu bin, ihn zu empfangen.
Ganz praktisch am Beispiel der jetzigen Coronakrise:
Wenn »Verschwörungstheoretiker« komisch angeschaut werden, während »Übervorsichtige« sich nicht in den Gottesdienst trauen – nicht so sehr aus Angst vor ansteckenden Viren, sondern vor verächtlichen Blicken –, wie soll das Haus Gottes zum Bethaus für alle Völker werden?
Wenn wir es nicht schaffen, dass ein Besucher im »Taucheranzug« neben einem »Coronaleugner« betet, wie wollen wir dann unseren Auftrag erfüllen, dass auch anders Riechende, anders Gepolte, Tätowierte und bärtige Dunkelhäutige sich willkommen fühlen?
Oder ganz praktisch: Bin ich bereit, auf meinen reservierten Platz im Gemeindesaal zu verzichten, wenn ein unerwarteter Besucher kommt?
Wir beten um den Spätregen, und dabei wäre Gott längst bereit, ihn herabzusenden. Allerdings: Ob er es tut, liegt an uns.
Noch einmal dieselbe Autorin: »Wir müssen uns ernsthaft darum bemühen, die Segnungen Gottes zu empfangen. Nicht etwa, weil Gott nicht bereit wäre, seinen Segen über uns auszugießen, sondern weil wir noch nicht bereit sind, ihn zu empfangen. Unser himmlischer Vater gibt denen, die ihn darum bitten, den Heiligen Geist bereitwilliger als Eltern ihren Kindern Gutes geben. Aber es ist unsere Aufgabe, durch Demut, Bekenntnis, Reue und ernsthaftes Gebet die Voraussetzungen zu schaffen, die es Gott möglich machen, uns seinen Segen zu geben.« (Review and Herald, 22. März 1887)
Weil ich »ein Brief Christi, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben« sein möchte (2. Korinther 3,3), bete ich, dass die Menschen in mir Jesus sehen, dass Gottes Barmherzigkeit offenbart wird und nicht Rechthaberei, dass das Wunder der Veränderung meines Charakters der beste Beweis für die Wahrheit ist und dass mein Blick nicht mehr auf mich, sondern auf den anderen gerichtet bleibt.
Das sind die Schlüssel für unseren Auftrag an Muslimen – und nicht nur an ihnen, sondern an »allen Nationen, Stämmen, Sprachen und Völkern« (Offenbarung 14,6).
Ich wünsche uns, dass wir erleben, wie die Saat, die wir oft mit Mühe gesät haben, auf einmal durch unsere Wärme zum Wachsen kommt.
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