Vom Schatten zum Licht. Von Mark Sandoval, leitender Arzt am Uchee Pines Institute, Alabama
Vielleicht bist du in der Vergangenheit vernachlässigt, missbraucht, zurückgewiesen, verlassen und misshandelt worden? Vermutlich fällt es dir schwer, mit dem Täter zurechtzukommen – geschweige denn ihn gern zu haben. Vermutlich bist du verletzt, verbittert, beschämt und/oder hasserfüllt. Vergeblich hast du versucht, dich davon freizumachen. Die Erinnerung weckt die Gefühle immer wieder neu.
Dann hörst du von Golgatha und erfährst, dass Gott Befreiung davon ermöglicht hat. Jesus bietet an, in dein Leben zu treten und Schmerz, Bitterkeit, Beschämung, Hass, einfach alles, was dir angetan wurde, komplett auf sich zu nehmen. Dadurch nimmt er dich behutsam in sein Leben hinein, damit du allen Segen erhältst, den sein Leben verdient hat, inklusive reiner Weste und ewigem Leben. Du wunderst dich: »Das ist doch unfair! Wie kann das sein?« Jesus erwidert: »Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.« (Matthäus 25,40)
Dir wird klar: Was ich andern zufüge, füge ich Jesus zu. Also muss auch das, was andere mir antun, Jesus angetan worden sein. Jesus nimmt also deinen Platz ein. Für die, die ihn misshandelten, hat er gebetet: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« (Lukas 23,34) Das gilt also auch denen, die ihn dadurch misshandelten, dass sie dich misshandelten.
Wenn ich mich als Opfer betrachte, schleppe ich ganz schön viel Ballast mit mir herum. Selbst wenn ich versuche zu vergeben, ist doch die bittere Wurzel in meinem Herzen immer noch lebendig. An den Täter zu denken schmerzt. Ich kann nur versuchen, das zu verdrängen. Wenn es mir gelingt, ist alles in Ordnung, oder? Falsch! Freiheit kommt nicht durch ein Vakuum. Genau das aber schafft der Akt der Verdrängung.
Würdest du in der Gefängnisseelsorge arbeiten, hättest du es mit Sexualstraftätern, Drogenabhängigen, Dieben und Mördern zu tun. Aber es würde dir nichts ausmachen, du könntest sie sogar gern haben. Warum? Weil du oder deine Lieben nicht ihre Opfer waren.
Ich kenne eine Familie, deren elf Jahre alte Tochter eines Tages verschwand. Damals gab es noch keine Handys. Damals gingen die Eltern noch nach der Uhr, um zu wissen, ob mit ihren Kindern alles in Ordnung war. Wenn sie zu einer bestimmten Zeit nicht zu Hause waren, läuteten bei ihnen die Alarmglocken.
Als das Mädchen nicht zur erwarteten Zeit nach Hause kam, rief die Mutter in der Schule an und erfuhr, dass ihre Tochter schon nach Schulschluss Richtung Zuhause aufgebrochen war. Ein Anruf bei Freundinnen bestätigte diese Auskunft. Dann rief sie den Vater an. Der kam frühzeitig von der Arbeit, um nach der Tochter zu suchen.
Er fuhr die Straße ab, während die Mutter zu Hause wartete. Aber seine Tochter war nicht aufzufinden. Als es dunkel wurde, riefen sie die Polizei an und gaben eine Vermisstenanzeige auf.
Erst wurde ein Beamter geschickt, später mehrere. Gegen Morgen wurde der Suchtrupp noch größer. Doch am Abend schwand die Hoffnung weiter und mit jedem Abend ein bisschen mehr. Zwei Wochen später fand ein Suchtrupp ihre Überreste im Wald. Der Albtraum, den sie nie haben wollten, wurde zum Albtraum, von dem es kein Erwachen mehr gab. Die Hoffnung starb zuletzt. Ihre Tochter würde nie mehr nach Hause kommen.
Als die Untersuchung weiterging, kam die entsetzliche Wahrheit ans Tageslicht: Ein Nachbar mit einer kriminellen Vergangenheit hatte die Tochter entführt und sie so behandelt, wie böse Menschen junge Mädchen behandeln. Schließlich tat er das Unaussprechliche und verscharrte ihre Überreste im Wald, wo Suchhunde sie schließlich fanden. Man kann sich vorstellen, was im Herzen der Mutter und des Vaters vor sich ging.
Wenn sie nun in der Gefängnisseelsorge gearbeitet hätten und sie ihm dort eines Tages begegnet wären, wie leicht wäre es ihnen dann gefallen, ihn gern zu haben und ihm zu helfen? Es wäre für sie unmöglich gewesen. Warum? Weil seine Tat sie und ihre Lieben betraf.
So ist es auch bei dir und bei mir. Andere haben uns und unseren Lieben Unrecht getan. Wir können sie nicht lieben, weil wir Opfer sind. Am Kreuz hat Jesus nun einen Ausweg aus unserer Vergangenheit geschaffen. Er tritt in unser Leben und nimmt alle Folgen auf sich. Er stellt uns behutsam in sein Leben und schenkt uns alles, was er verdient hat. Wir brauchen nicht mehr persönlich verletzt zu sein, weil Jesus unseren Platz einnimmt, sobald wir in die Erfahrung von Golgatha eintreten. Und plötzlich können wir die Täter lieben, für sie wirken und ihnen dienen, weil sie das alles Jesus angetan haben, und er sie dennoch liebt und ihnen Vergebung anbietet.
Weil ich in diese Kreuzeserfahrung eingetreten bin, liebe ich Jesus, und weil ich Jesus liebe, liebe ich auch diese Menschen. Wenn er bereit ist, sich für sie zu opfern, bin auch ich dazu bereit. Denn ich habe seine Liebe und Vergebung am eigenen Leibe erfahren. Deshalb kann ich sie weitergeben.
Gott möchte unsere Verletzungen heilen. Deshalb schenkt er uns ein neues Herz, wenn wir seiner Gnadenkraft vertrauen. Gott möchte uns vom Ballast der Vergangenheit befreien, und dazu gehört dieser göttliche »Austausch«, den das Kreuz ermöglicht.
Das Kreuz erklärt uns aber noch etwas: Vor dem Kreuz reagierte ich als Opfer negativ auf das, was mir angetan wurde. Nach dem Kreuz aber nicht mehr. Meine Geschichte, Schuld und Verantwortung hat Jesus, unser himmlischer Hoher Priester, durch das Blut, das er am Kreuz vergoss, aufs himmlische Heiligtum übertragen, von wo alles schließlich auf Satan zurückfällt, der die Folgen von allem tragen wird, was er ausgelöst hat. Golgatha gewinnt mein Herz. Alle negativen Gefühle und Gedanken, die ich als Opfer habe, lösen sich auf. Kein Hass, keine Bitterkeit, keine Wut, keine Scham mehr. Alles nimmt Jesus mir weg. Ich bin frei!
Wenn wir uns immer noch als Opfer fühlen, dann leben wir noch vor dem Kreuz. Wer zum Kreuz kommt, bleibt kein Opfer. Jesus am Kreuz befreit uns von unserer Vergangenheit. Sind wir bereit, uns von Gott den Ballast nehmen zu lassen und seine Gnade zu empfangen? Oder wollen wir den Ballast und die Schuld weiter tragen?
Vor dem Kreuz bin ich auch Täter. Doch nach dem Kreuz ist mir die Schuld und Verantwortung genommen. Jesus trägt sie und alle negativen Gefühle und Gedanken meiner Tat können mich nicht länger fesseln. Ich bin frei!
Wenn wir noch unter der Schuld leiden, dann leben wir vor dem Kreuz. Wer zum Kreuz kommt, bleibt kein Täter. Jesus am Kreuz befreit uns von unserer Vergangenheit.
Hier weiterlesen: Teil 9
Leicht gekürzt, mit freundlicher Genehmigung aus: Dr. med. Mark Sandoval: The Law of Life, Uchee Pines Institute, Alabama: Seite 107-111
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