Eine Erfahrung aus der Abteilung »Gynäkologie und Geburtshilfe« Von Mirjam Ullrich
Es ist Mittwochmorgen. Die Ärzte der Abteilung »Gynäkologie und Geburtshilfe« beenden ihre Morgenbesprechung und gehen zur Visite auf Station. Wie jeden Morgen gehe ich als erstes zum Stationsstützpunkt, um die Röhrchen für die Blutentnahmen abzuholen. Ich bin Medizinstudentin im letzten Jahr und genieße es sehr, nach vielen Jahren theoretischen Studiums endlich mehr Kontakt zu Patienten zu haben und praktisch arbeiten zu können. Auch für Frau Huber sind Röhrchen vorbereitet.
Ich klopfe an die Tür und trete ins Zimmer. Frau Huber, eine Frau mittleren Alters, liegt im Bett und sieht noch etwas erschöpft aus, lächelt mich aber an und erwidert freundlich meine Begrüßung. Während der Blutentnahme habe ich Gelegenheit, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und sie versichert, dass sie zwar noch müde sei, es ihr aber insgesamt gut gehe. Kurz darauf stehe ich auch schon wieder auf dem Flur und schließe die Zimmertür hinter mir. Es ist so schön zu sehen, dass unsere Patientin alles gut überstanden hat. Wenn sie wüsste, was sich am letzten Abend abgespielt hatte …
Ein ganz gewöhnlicher Eingriff
Dienstagnachmittag. Der letzte Punkt auf dem OP-Programm ist eine Hysterektomie: die Entfernung der Gebärmutter, indiziert aufgrund von Schmerzen und Blutungen. Eigentlich ein Routineeingriff, der fast täglich durchgeführt wird. Da es zu Änderungen im Ablauf kam, muss die OP nach hinten verschoben werden, worüber sich die beiden für die Operation eingeteilten Oberärzte nicht gerade freuen. Vor dem offiziellen Dienstschluss fertig zu werden, ist kaum mehr möglich. Vor dem OP-Saal meint der eine Oberarzt noch zu mir: »In einer Stunde sind wir hier wieder raus.« Normalerweise hat er mit solchen Aussagen recht. Er gehört zu den besten Operateuren der Abteilung und arbeitet nicht nur sehr präzise, sondern auch sehr zügig.
Während der Anästhesist die Narkose vorbereitet, lesen wir uns noch einmal die Unterlagen der Patientin durch. Sie wurde schon mehrfach im Bauchraum operiert, was eine OP unter Umständen erschweren könnte. Durch wiederholte Eingriffe kann es zu Verwachsungen kommen, die zuerst gelöst werden müssen, und auch die Übersichtlichkeit ist oft eingeschränkt. Der Eingriff soll laparoskopisch assistiert durchgeführt werden, d.h. statt einem großen Bauchschnitt werden mehrere, sehr kleine Schnitte gemacht, über die die Instrumente in die Bauchhöhle eingeführt werden. Der Vorteil ist: Patienten haben nur kleine Wunden und damit postoperativ auch weniger Schmerzen; sie können schneller mobilisiert werden. In seltenen Fällen kann es allerdings nötig werden, die kleinen Schnitte zu erweitern und einen großen Bauchschnitt zu machen – beispielsweise wenn es zu unstillbaren Blutungen kommt.
Die Operation beginnt
Wir stehen zu dritt am Tisch: zwei Oberärzte als Operateure und ich als Assistentin. Zusätzlich haben wir einen sehr erfahrenen OP-Pfleger, der die Instrumente anreicht, und einen Springer, der dem OP-Pfleger assistiert. Wir starten also bestens ausgerüstet in die OP.
Schon nach kurzer Zeit stellt sich jedoch heraus, dass es durch die zahlreichen Vor-Operationen tatsächlich zu starken Verwachsungen gekommen war. Es ist schwierig, die einzelnen Schichten zu identifizieren und wichtige Strukturen darzustellen. Zudem kommt es schon bald zu diffusen Blutungen, die schwer zu stoppen sind. Die beiden Oberärzte tasten sich langsam voran und versuchen von beiden Seiten, die Verwachsungen zu lösen. Die Zeit verstreicht.
Nach ungefähr einer Stunde legt der erfahrenere Oberarzt seine Instrumente beiseite, tritt vom OP-Tisch und sagt kurz angebunden: »Wir machen einen Bauchschnitt.« Jeder weiß, was das bedeutet. Er ist niemand, der schnell aufgibt. Aber hier scheint es keine andere Lösung zu geben.
Die Uhr tickt
Das OP-Gebiet wird neu abgeklebt, die Instrumente ausgetauscht, und dann machen sich die Operateure erneut an die Arbeit. Obwohl die Übersichtlichkeit durch den Bauchschnitt erheblich verbessert wurde, lassen sich die diffusen Blutungen nicht stoppen, sondern scheinen im Gegenteil stärker zu werden. Wenig später muss der Schnitt nochmals vergrößert werden, um die betroffenen Gebiete besser erreichen zu können. Die OP geht nur sehr mühsam voran.
Kein Assistent mehr
Es ist schon einige Zeit nach Dienstschluss. Jemand kommt in den OP-Saal und kündigt an, dass nebenan eine eilige Sectio laufe, also ein Kaiserschnitt, der innerhalb der nächsten 30 Minuten erfolgen muss. Deshalb stünde für unseren Saal in diesem Zeitraum kein Assistent für den OP-Pfleger zur Verfügung. Keine erfreuliche Nachricht! Wir sind gerade an einem kritischen Punkt angekommen, und es ist wichtig, dass das benötigte Instrumentarium immer so schnell wie möglich zur Verfügung steht. Aber es ist kaum Zeit, darüber nachzudenken, da die Blutung nicht mehr unter Kontrolle ist.
Enormer Blutverlust
Ich werfe einen Blick auf den Behälter, in dem das abgesaugte Blut aufgefangen wird. Man kann fast zuschauen, wie der Flüssigkeitsspiegel ansteigt. Bald muss der erste Behälter ausgetauscht werden. Die Stille im Saal wird nur durch die kurzen Anforderungen des nächsten Instruments unterbrochen. Jeder Schnitt scheint die Blutung zu verstärken. Die Operateure arbeiten immer schneller. Zunächst werden die Gefäße koaguliert, dann auch geclippt und ligiert. Es scheint alles nicht zu helfen. Das Blut im Auffangbehälter steigt weiter an.
Später erzählt der jüngere Oberarzt, dass er den erfahrenen Oberarzt zum ersten Mal schwitzen sah. Die beiden sind an ihrem Limit.
Der Bauchraum wird geschlossen
Endlich kommt der ersehnte Moment, an dem die Gebärmutter abgesetzt werden kann. Die Blutung kommt langsam zum Stoppen. Nach sorgfältiger Inspektion und Spülung erfolgt die Adaptation und Naht der einzelnen Schichten, und schließlich die Hautnaht.
Die beiden Oberärzte sind erschöpft. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass seit OP-Beginn fast fünf Stunden vergangen sind. Draußen ist es schon lange dunkel. Einer der beiden Ärzte möchte einen Schluck Wasser trinken, beide müssen seit über einer Stunde auf Toilette. Die eigenen Bedürfnisse waren während der OP völlig unwichtig. Das einzige Ziel war, die OP zu einem guten Ende zu bringen.
Gedanken …
Während ich mir den blutverschmierten Kittel ausziehe, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Wenn ein Arzt so sehr um das Leben einer Frau kämpft, die er selbst nicht einmal kennt, wenn er alle Bedürfnisse und Interessen hintenanstellt, damit sie nicht verblutet – wie viel mehr muss dann erst Gott um das ewige Leben der Menschen kämpfen, die er nicht nur selbst erschaffen hat, sondern die er auch durch und durch kennt und unendlich liebt?
Jesus war bereit, den glanzvollen Himmel zu verlassen – einen Ort voller Freude, Frieden und Harmonie, und in unsere dunkle Welt zu kommen, um uns Gottes Wesen zu zeigen und für uns zu sterben. Er verlor keinen Gedanken an seine eigenen Bedürfnisse und sein eigenes Wohl, sondern gab alles auf, damit wir einmal bei ihm sein können. Es war ein Ringen und ein schwerer Kampf (Matthäus 26,36-46); aber schließlich konnte er sagen: »Es ist vollbracht.« (Johannes 19,30). Was für ein Geschenk!
Zuerst erschienen in hoffnung HEUTE Nr. 4
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