Christus – des Gesetzes Ende: Anarchie oder Heiligkeit?

Christus – des Gesetzes Ende: Anarchie oder Heiligkeit?
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Bringt nun alles Leben? Freie Liebe, religiöse Willkür, gerechter Krieg, Kommunikation mit den Toten, legalisierter Diebstahl usw.? Oder macht Jesus uns frei davon, das Recht brechen zu müssen? Von Ellet Waggoner

Lesezeit: 8 Minuten

In Römer 10,4 lesen wir: »Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.«

Bevor wir die Bedeutung dieses Bibelverses erklären, ist es vielleicht nicht schlecht, kurz zu zeigen, was er nicht bedeutet. Er meint nicht, dass Jesus dem Gesetz ein Ende bereitet hat; denn:

1. Jesus selbst sagt über das Gesetz: »Ich bin nicht gekommen es aufzulösen.« (Matthäus 5,17)

2. Der Prophet sagt, dass der HERR, anstatt es zunichte zu machen, »das Gesetz herrlich und groß« machen würde (Jesaja 42,21).

3. Das Gesetz war in Jesu Herzen: »Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch ist von mir geschrieben. Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.« (Psalm 40,8.9)

4. Da das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes, das Fundament ist, auf dem seine Regierung steht, ist es völlig unmöglich, es abzuschaffen (Lukas 16,17).

Der Leser wird aufhorchen, wenn er erfährt, dass das Wort »Ende« (griechisch telos) in der Bibel nicht unbedingt »Schluss« meinen muss. Es wird oft im Sinne von Bestimmung, Zweck oder Absicht gebraucht. In 1. Timotheus 1,5 sagt derselbe Schreiber, der den Römerbrief geschrieben hat: »Das Ziel (wörtlich: telos) der Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben«. In 1. Johannes 5,3 lesen wir: »Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten«; und Paulus selbst sagt: »So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.« (Römer 13,10)

Die Bestimmung von Geboten (oder Gesetzen) besteht ja normalerweise darin, dass sie gehalten werden. Jeder wird dies als selbstverständliche Tatsache anerkennen. Das ist aber nicht die endgültige Bestimmung des Gesetzes der Bibel.

In dem Vers, der auf unseren Studientext folgt, zitiert Paulus Mose, und dieser sagt von den Geboten, dass »der Mensch, der sie tut, durch sie leben wird.« (Römer 10,4) Auch Jesus sagte in seinem Gespräch mit dem Reichen Jüngling: »Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.« (Matthäus 19,17)

Da die Bestimmung des Gesetzes darin bestand, gehalten zu werden, oder anders ausgedrückt: einen gerechten Charakter hervorzubringen, und da wir die Zusage haben, dass alle, die Gottes Gebote beherzigen, leben werden, dürfen wir auch sagen, dass die endgültige Bestimmung des Gesetzes darin besteht, Leben zu spenden. Und genau mit diesem Gedanken stimmen die Worte des Paulus überein, dass das Gesetz »mir doch zum Leben gegeben war.« (Römer 7,10)

Leider haben »alle gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten«, und »der Sünde Sold ist der Tod.« Daher kann das Gesetz seiner Bestimmung gar nicht richtig nachkommen. Oder anders gesagt: Es gelingt ihm nicht, Charaktere vollkommen zu machen und folglich Leben zu spenden.

Hat ein Mensch erst einmal das Gesetz gebrochen, dann kann auch seine nachträgliche Hinwendung zum Gesetz seinen Charakter nicht mehr vollkommen machen. Deshalb brachte das Gebot, das doch zum Leben gegeben war, in Wirklichkeit den Tod (Römer 7,10).

Müssten wir an dieser Stelle aufhören, dann wäre die ganze Welt zum Tode verdammt und hoffnungslos verloren. Denn dem Gesetz fehlt die Fähigkeit, seinen eigenen Zweck zu erfüllen.

Jesus selbst ist es aber, der den Menschen befähigt, sowohl gerecht zu werden als auch das Leben anzuzapfen. Wir lesen, dass wir alle »ohne Verdienst gerecht werden aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist« (Römer 3,24). »Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.« (Römer 5,1) Mehr noch: Er befähigt uns, das Gesetz zu halten. »Denn er (Gott) hat den (Christus), der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir wurden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.« (2. Korinther 5,21) Durch Jesus ist es deshalb für uns möglich, vollkommen zu werden – Gottes Gerechtigkeit zu erfüllen – also ständig das Gesetz zu beherzigen.

»So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist … Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt wurde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.« (Römer 8,1-4)

Was war dem Gesetz unmöglich? Es konnte keine einzige schuldige Seele von der Verurteilung befreien. Warum nicht? Weil es »durch das Fleisch geschwächt war.« Das Gesetz an sich ist nicht schwach; wer schwach ist, das ist das Fleisch. Ein gutes Werkzeug ist nicht schuld daran, wenn es aus einem verdorbenen Ast keinen brauchbaren Pfosten machen kann. Das Gesetz kann nicht die Vergangenheit eines Menschen reinigen und ihn sündlos machen; und der arme, gefallene Mensch hatte keine Kraft mehr in seinem Fleisch, die ihn befähigt hatte, das Gesetz zu halten. Deshalb rechnet Gott den Gläubigen die Gerechtigkeit Jesu zu. Er kam in der Gestalt des sündigen Fleisches zur Welt, damit »die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert«, im Leben des gefallenen Menschen erfüllt würde. Genau in diesem Sinne ist Jesus des Gesetzes Ende bzw. Ziel.

Zusammenfassend können wir also sagen, dass die Bestimmung des Gesetzes zwar darin bestand, Leben zu spenden, indem Menschen seine Gebote beherzigen. Doch alle Menschen haben gesündigt und sind zum Tode verdammt. Erst als Jesus die menschliche Natur auf sich nahm, gelang es ihm, seine eigene Gerechtigkeit denen zuzurechnen, die sein Opfer anerkennen, sodass er sie dadurch sogar zu »Tätern des Gesetzes« macht. Dadurch kommt er mit ihnen schließlich ans Ziel: Er krönt sie mit ewigem Leben.

Es lässt sich gar nicht oft genug betonen: Jesus ist uns »zur Weisheit und Gerechtigkeit und Heiligung und Erlösung gemacht.«

Aus: Bible Echo, 15. Februar 1892

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