Ursachen und Lösungen für radikalen Glaubenswechsel: Das Traumapendel

Ursachen und Lösungen für radikalen Glaubenswechsel: Das Traumapendel
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Wie wir unsere Kinder stark machen für den Glauben. Von Kai Mester

Lesezeit: 11 Minuten

Kennst du religiöse Menschen, die plötzlich ihrem Glauben den Rücken gekehrt haben? Oder solche, die von einem sehr stark in eine Richtung ausgeprägten Lebensstil in einen ganz anderen wechselten?

Oder ganz anders: Kennst du Personen, die dem Sumpf eines gottlosen Lebens entkommen sind, und nun ein besonders frommes Leben führen?

Vielleicht hast du selbst schon die Erfahrung eines solchen Pendelschwungs gemacht und dabei vielleicht das Kind mit dem Bad ausgeschüttet?

Oder im Bereich Erziehung: Welche Jugendlichen vollziehen einen radikalen Paradigmenwechsel (Pendelschwung), wenn sie von zu Hause ausziehen? Welche halten an den vermittelten Lehren und Werten fest? Kann man überhaupt als Eltern etwas tun, um seine Kinder auf den richtigen Weg zu führen?

Zu viele Aussteiger

Ich bin in der Adventgemeinde aufgewachsen und habe beobachtet, wie die meisten meiner Altersgenossen, mit denen ich als Teenager zum Gottesdienst ging, die Gemeinde nach und nach verließen. Das hatte bei mir zur Folge, dass ich die lokale Ortsgemeinde nicht als Lösung für die oben gestellten Fragen ansah. Denn ich spürte, dass auch ich mehr brauchte als die geistliche Nahrung und Gemeinschaft, die ich dort erhielt.

So suchte ich für mich und meine Familie nach Input in überregionalen Bibeltreffen, wo wir auch andere Familien mit derselben Sehnsucht trafen – einer Sehnsucht nach mehr von Gott im praktischen Leben. Vegane Ernährung, Homeschooling, Kleidungsreform, Landleben, Gartenbau, heilige Musik und eine Reform der ganzen Freizeitgestaltung, kurzum der Lebensstil adventistischer Laienmissionswerke versprach viel mehr authentisches Adventistsein, viel mehr Schutz vor weltlich-zersetzenden Einflüssen und viel mehr Erfolg bei dem Bemühen, den eigenen Kindern Gott, die Bibel, die Adventbotschaft und adventistischen Lebensstil dauerhaft näher zu bringen.

Doch mit Erschrecken mussten wir mit den Jahren feststellen, dass auch in diesem Bereich die Aussteigerquote bedrohlich hoch ist und viele ganz plötzlich einen atemberaubenden Pendelschwung vollziehen, obwohl dieser sich oft innerlich langsam schleichend angebahnt hat.

Ein Grund ist der, dass der Glaube einer Person dem Ehepartner oder den Kindern oft unfreiwillige Opfer abverlangt, sodass Gott oder die Gemeinde als böser Rivale empfunden werden. Gepaart mit persönlichem, seelischem Leid kann das schnell zum Triggerpunkt für den Pendelschwung werden.

Was macht den Unterschied?

Gegen den Strom (auch Mainstream genannt) zu schwimmen, erfordert Kraft, hohe Motivation und Opferbereitschaft. Um das als Familie gemeinsam zu tun, braucht es einen engen familiären Zusammenhalt und Begeisterung. Das alles lässt sich aber menschlich nur über einen gewissen Zeitraum produzieren. Traumen und Schicksalsschläge setzen dieser heilen und teils faszinierenden Welt oft ein jähes Ende. Oder der Betroffene ringt sich eben nach langem innerem Leidensweg dazu durch, die vermeintlich (mit)schuldigen Fesseln abzustreifen.

Gezwungen oder freiwillig?

Egal, ob man sich selbst oder seinen Kindern einen gewissen Lebensstil vorschreibt, solange die Motivation nicht Liebe zu Gott, ein tiefes Überzeugtsein von der Schönheit seiner Gebote und eine Begeisterung an seinem Gesetz ist, kann solch erzwungener Glaube schnell wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Meistens schon dann, wenn man sich aus dem Autoritätsbereich der Eltern entfernt, spätestens aber, wenn man selbst in eine Krise kommt. Deshalb ist Freiwilligkeit ein wichtiger Schlüssel. Was aus eigener Entscheidung und tiefer Überzeugung getan wird, hält Stürmen viel eher stand.

Das richtige Umfeld

Freiwilligkeit macht natürlich auch Angst; denn wer weiß, in welche ungute Richtung die freiwillige Entscheidung führen könnte. Schon allein deshalb unterwerfen viele Menschen sich und ihre Kinder einem strengen Regelwerk, das die Gefahren abwenden soll.

Es geht aber auch anders: Man kann auch an den Rädern drehen, die eine freiwillige Entscheidung möglich machen: das richtige Bildungsmaterial, die richtigen Freunde, das richtige Umfeld und auch die Gelegenheit, diese Privilegien zuweilen mit anderen unguten Einflüssen vergleichen zu können. Wer Gott besonders um Führung in dieser Frage bittet, wird manchmal überraschende Wege geführt, die sich hinterher als genial heraustellen.

Vorsicht vor Karrieredenken

Sich selbst mit anderen Familien oder Gottesmännern oder -frauen zu vergleichen, kann tückisch sein. Wer, um andere oder gar sich selbst zu beeindrucken, einen frömmeren, heiligeren oder radikaleren Lebensstil führt, baut nämlich auf Sand. Wind und Wasser können dann das Haus zum Einstürzen bringen. Auf Fels baut nur, wer hört und tut, was Jesus sagt, ohne sich dabei von sündig-menschlichen Erwägungen leiten zu lassen (Matthäus 7,24-29).

Und hier liegt oft das nächste Problem begraben:

Abschied von schizophrenen Glaubensweisen

Wo Außenwirkung und Innenwirkung in der Familie nicht in Harmonie sind, entstehen ebenfalls Risse im Fundament. Es macht wenig Sinn, nach außen als Familie etwas scheinen zu wollen, was man innen gar nicht ist. Genauso wenig Sinn macht es aber auch, etwas zu verkündigen und zu glauben, wo die Praxis nicht hinterherkommt. Solche Verwerfungen sind riskant für den Bestand des Glaubens und sogar der Familie. Daher empfiehlt es sich, klein anzufangen (wie ein Samenkorn) und sich im geistlichen Wachstum ganz nach Gottes individuellem Bauplan für die eigene Familie zu richten.

Lust oder Last?

Wenn der Glaube Last und Schmerz ist und keine Entlastung und Freude bringt, ist irgendwann auch die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Um das zu vermeiden, dürfen wir von vornherein einen freudvollen Umgang mit Gottes Gesetz pflegen. Wir können uns dem Gesetz positiv nähern. Anstatt es als Einschränkung zu empfinden, können wir auf den Genuss schauen, der durch seine Leitpfosten, Leitplanken und Schutzmauern erst möglich wird. Noch wichtiger aber ist die Freude am HERRN. Sie zu finden und zu vermitteln, macht praktisch immun gegen die Verlockungen der Welt und der Finsternis. Der Funke der Begeisterung darf überspringen. Das Feuer der leidenschaftlichen Gottesliebe soll auflodern. Dann werden auch Konflikte und Krisen das Traumapendel nicht in Bewegung setzen.

Die gesunde Mitte

Ein Grund für das Traumapendel ist aber auch die Unausgewogenheit vieler Adventisten, Christen und gläubigen Menschen. Gottes Feind ist natürlich daran interessiert, dass Gläubige ein völlig falsches Licht auf Gottes Charakter werfen. Die einen drängt er in Gesetzlichkeit und Strenge meist mit einem Hang zu Gewalt in der Erziehung und einem aggressiven Missionsstil. Hier ist die Atmosphäre in den Herzen eher düster und depressiv. Die anderen verkörpern ein weichgespültes Wohlfühl-Evangelium mit wenig Regeln und Grenzen. Dazu gehören oft viel Menschlichkeit und Emotion.

Während diese beiden Modelle noch in sich konsistent sein mögen, wühlt ein weiteres Modell wesentlich mehr auf: Wo Herzlichkeit zu dominieren scheint, aber in gewissen Situationen doch unbarmherzige Härte oder Selbstsucht zum Vorschein kommt. Opfer von sexuellem Missbrauch könnten hier viel dazu sagen, wie in all diesen unausgewogenen Welten das Christsein ein Mäntelchen für schreckliches Leid werden kann.

Nur Jesus hat uns wahre Spiritualität vorgelebt. Er war selbstlos, selbstvergessen und dennoch achtsam und wertschätzend im Umgang mit sich selbst. Er lebte ernst, radikal, entschlossen, geradlinig mit sich selbst und trotzdem barm- und warmherzig, fröhlich, humorvoll, großzügig und tolerant mit dem Nächsten. Jesus schwankte nicht zwischen zwei Charakteren hin und her. Denn bei seinem Vater, den er uns offenbarte, »ist keine Veränderung noch Wechsel von Licht und Finsternis« (Jakobus 1,17).

So dürfen auch in der Erziehung Freundlichkeit, Warmherzigkeit und eine entschlossene, engagierte Führung völlig miteinander verschmelzen, statt sich verstörend abzuwechseln. Jesu Charakter war aus einem Guss, und diesen Charakter möchte er uns übertragen.

Das weiße Gewand darf jeder anziehen

»Auf der Himmelswaage wird Charakter gewogen … Preist Gott, den HERRN der Heerscharen, dass er uns Jesus als Gerechtigkeit geschenkt hat, dass er für uns sein Kleid im Himmelswebstuhl anfertigt, damit wir nicht nackt, sondern mit Jesu Gerechtigkeit bekleidet dastehen.« (Ellen White, Review and Herald, 15.03.1892)

»Niemand kann Vergebung erhalten, ohne die charakterliche Reinheit zu leben, die Jesus verkörperte. Niemand sollte damit rechnen, Glück zu erleben, während ihm Gottes Heiligkeit fehlt. Man kann am Fest nicht ohne das Kleid von Jesu Gerechtigkeit teilnehmen, das im Himmelswebstuhl angefertigt wurde. Genutzte Vorrechte und Gelegenheiten werden jeden Menschen befähigen, die Gesetze seines Königreichs zu beherzigen. (Ellen White, The Home Missionary, 01.11.1897)

»Erklärt den Kindern, dass sie sich mit seinem schönen Charaktergewand bekleiden, wenn sie ihre Herzen den reinen, liebevollen Gedanken öffnen und liebevolle und helfende Werke tun.« (Ellen White, Education, 249)

Trost und Hoffnung

Auch wenn das Traumapendel in deinem Leben und deiner Familie für Aufregung und Schmerzen gesorgt hat, vielleicht sogar für Zerbruch: Es ist noch nicht zu spät. Am Ende siegt die Liebe. Jesu selbstlose, gewaltfreie, aufopfernde und dennoch zielstrebige Liebe kann auch in dir und durch dich die Scherben wieder zu einem volltauglichen Gefäß zusammenfügen, das nun gleichzeitig ein richtiges Kunstwerk ist – wie in der japanischen Kintsugi-Kunst.

Bild: Adobe Stock – Garnar

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