Komfortzone verlassen und Gott finden: Glaube im Feuer

Komfortzone verlassen und Gott finden: Glaube im Feuer
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Vom Segen des Leides: Glauben besser verstehen. Von Klaus Reinprecht

Lesezeit: 10 Minuten

Wie schön lebt es sich doch in unserem polierten Glaubensgebäude, wie sicher scheint uns unsere fein argumentierbare Theologie. Wie malerisch schmeichelt jenes Selbstbild der Übrigen, im stabilen Boot zu sitzen und Ausschau zu halten nach den vielen zu rettenden Seelen. Vielleicht predigen wir sogar selber eindrücklich über die Erkenntnis, wie wir in der Endzeit einzelne Erfahrungen Hiobs durchleben müssen, über die Notwendigkeit der Erfüllung mit dem heiligen Geist, und die wunderbaren Gaben, die Gott für uns vorbereitet hat.

Und doch: Ist unser Glaube nicht allzu oft dogmatisch geworden, fehlt ihm nicht das Feuer des Geistes, treibt uns noch die Begeisterung der nahen Wiederkunft?

Wie sehnen wir uns nach den tiefgründigen Erfahrungen der großen Glaubensmänner und wissen gleichzeitig nur allzu gut, dass uns jene niemals zu eigen werden, solange wir uns noch innerhalb unserer Komfortzone bewegen. Doch diese zu verlassen, fällt uns ungemein schwer.

Aber was, wenn ich plötzlich selber nicht mehr im Rettungsboot sitze, sondern in den Wellen zu ersticken drohe? Wenn ich keine Hilfe mehr gewähren kann, sondern selber Hilfe brauche? Wenn mein Glaubensgebäude im Feuerofen erprobt wird, und ich aus meiner Komfortzone geschleudert werde?

Plötzlich: Diagnose Krebs

Dezember 2021. Als ich mit knapp 54 Jahren die Diagnose „Multiples Myelom“ (Knochenmarkkrebs) erhalte, ist dies fast eine erlösende Nachricht. Endlich weiß ich, wo meine schier unerträglichen Zustände der letzten drei Monate herrühren. Die Krankheit fesselt mich ans Bett, katapultiert mich regelrecht aus meinem Berufsleben, aus den Verpflichtungen für TGM und dem Gesundheitszentrum und vielem anderen. Mein Fokus richtet sich auf die wesentlichen Grundfunktionen des Lebens.

Massiv reduziert in Mobilität, Aktivität, Kommunikation und sozialen Aktivitäten wird mein Tag plötzlich von einem sehr selten gewordenen Gast eingenommen: Der Zeit. Sie drängt sich scheinbar auf, ihre Fülle wird aufgrund von Schmerzen, quälenden Gedanken und der Ohnmacht des Seins als bedrohlich wahrgenommen.

Langsam jedoch gewöhne ich mich an meine Einschränkungen, aus meinen anfänglichen Hilfeschreien zu Gott um Klarheit und Führung wird ein systematisches, fast interaktiv scheinendes Kommunizieren mit ihm; ich beginne, meine Gedanken und Gottes Antworten niederzuschreiben und entdecke dabei einen klaren roten Faden der Führung. Gott erinnert mich an Situationen, Zitate, Bibeltexte. Er spricht auf unglaublich eindrückliche Weise, lenkt durch unerwartete Ereignisse, schafft Zusammenhänge, verschließt wunderbar anmutende Möglichkeiten und führt durch das »Dickicht des Jordans«, obwohl unweit davon ein einfacher Weg zu verlaufen scheint.

Langsam, sehr langsam gewöhne ich mich an die Zusammenarbeit. Ich versuche, ihm nicht vorauszueilen, und nicht hintennachzutrödeln, sondern einfach seine Hand zu nehmen und zu gehen. Manchmal gelingt dies sogar wohlgemut, und es mehren sich die Tage, an denen ich mit keinem Menschen der Welt tauschen möchte.

Die Süße am Boden des bitteren Kelchs

Die existentielle Not lehrt auch radikal zu sein. In Todesnähe bleibt kein Raum zur Deutung des Wortes Gottes. Wer das Wort nicht einfach stehen lässt und dessen zweischneidiges Schwert zulässt, wird Gott den Rücken kehren. Wer es aber annimmt, wird seine Kraft erleben. Die Tränen der Betrübnis sind notwendig, um das Auge des Glaubens hell zu halten, und das Wort zu erleuchten. Bibeltexte, die in angenehmen Zeiten keine Aussagekraft zu beinhalten scheinen, sprechen plötzlich mit Donnergewalt.

»Der bittere Schmerz wirkt wie eine stärkende Arznei auf unser ganzes Wesen. Der angenehme Trank des Wohlergehens hinterlässt oft einen bitteren Nachgeschmack. Aber der bittere Trank der Trübsal hinterlässt, wenn er geheiligt war, einen süßen Wohlgeschmack. Es gibt Freude auch im Leid.« (Charles Spurgeon, Ich bin der Herr, dein Arzt)

Diese Freude ist tiefer und befreiender als jegliche andere. In jedem Kelch der Trübsal, den Gott dem Menschen reicht, befindet sich ein Tropfen Honig. Aber man schmeckt ihn oft erst, wenn man den Kelch bis auf den Grund geleert hat. Wehre ich mich jedoch dagegen, hadere ich mit Gott, trinke ich den bitteren Trank nie zu Ende, dann verpasse ich den Honig, den Segen, die Lehre. Ist es deshalb notwendig, dass Gott manche Dinge immer und immer wieder in unserem Leben zulassen muss, weil wir so schwer von Begriff sind?

Selig der Leidtragende, denn der Trost ist von nie geahnter Qualität.

Das Leid ist es also, das uns im Leben vorwärtsbringt, nicht der Erfolg, der Aktivismus, unser Einsatz. Das Leid birgt auch die Sehnsucht nach dem Wahren, nach dem Himmel, nach dem Blick über den Horizont. Den Adler stören die kleinen Kieselsteine nicht, zwischen denen das Huhn seinen Wurm sucht. Er ist dem Himmel näher als der Erde, und seiner Wohnung über den Wolken näher als dem Stall. Wir Gläubige dürfen im Gedanken an unsere himmlischen Wohnungen weilen, und nicht in unserem billigen Erdenstall – das Leid verhilft uns dazu.

Es ist auch das Leid, in dem ich ganz besonders die Sehnsucht nach der totalen Erfüllung durch den heiligen Geist verspüren, und alle Wünsche diesem einen unterordnen darf. Plötzlich ist der Wunsch nach Gesundheit, nach Kraft, nach (Über)leben zweitrangig.

Melodie des Leides

Spurgeon beschreibt all dies treffend: »Das Klagelied hat eine weiche Melodie, die ein Freudenlied nicht haben kann. Erklärt sich das nicht aus der Tatsache, dass wir im Leiden Gott näher sind? Unsere Freuden sind wie die Wellen des Ufers, die uns aufs Trockene werfen, aber unsere Leiden gleichen der zurückflutenden Woge, die uns mit hinausnimmt in das unendliche Meer der Gnade Gottes. Wir wären gestrandet und lägen verschmachtend am Ufer, wenn nicht diese zurückströmende Woge gewesen wäre, die uns zu unserem Vater und zu unserem Gott trug. Gesegnet sei die Trübsal, sie hat uns zu Gott gebracht, sie hat unser Gebet belebt, sie hat unsere Liebe entzündet, unseren Glauben gestärkt; sie hat Christus zu uns in den Schmelzofen gebracht, und uns auch wieder aus dem Schmelzofen geholt, damit wir freudiger als zuvor mit Christus leben mögen.« (Charles Spurgeon, Ich bin der Herr, dein Arzt)

Dem Ende zu

Wenn die Stürme mit aller Bedrohlichkeit hervorbrechen, steuern wir mit aller Macht dem sicheren Hafen zu. Hoffnung auf die kommende Welt treibt uns zu Eifer, Fleiß und Selbstverleugnung an. Geht es uns gut, erschweren uns oft die Freuden dieser Welt, an die Zukünftige zu denken, und überlassen uns einer trägen Bequemlichkeit. Leiden halten uns (auch geistlich) wach.

Wundern wir uns nicht, dass Gottes Endzeitgemeinde gerade jetzt immer größeren Schwierigkeiten gegenübersteht. Ja, es sind Angriffe des Satans, aber es wäre nicht unser Gott, würde er diese nicht in den größten Segen verwandeln, den er uns zuteilwerden lassen kann: uns bereit zu machen, ihm zu begegnen.

Sind wir also wachsam, mutig zu sein, unsere Komfortzone zu verlassen. Suchen wir Gott jetzt, sodass uns das Leid, das mit Sicherheit kommt, nicht von ihm forttreibt, weil uns das Öl fehlt. Und machen wir uns bewusst, dass wir auf dieser Welt nichts haben außer unsere Lieben, und wir diese mit nach Hause nehmen wollen: denn dort befinden sich unser Vater, unser Bruder und unsere wahre Wohnung.

Ellen White warnt uns, Leid gering zu achten: »Manche sogenannte Diener Gottes kennen nicht den Wert läuternder Prüfungen. Sie haben die Leidenstaufe nicht erfahren … Der dritte Engel führt sein Volk schrittweise aufwärts, höher und höher. Jeder Schritt wird eine neue Prüfung sein.« (Schatzkammer der Zeugnisse 1, 31-32, 59)

Der Feuerofen wartet also auf jeden von uns. Doch dort – in der Hitze – fallen die Fesseln von den Händen, und wir begegnen Jesus. In der Krankheit werden wir gesund. In der Armut reich. Der Feuerofen auch als Vorbereitung auf die Erfüllung mit dem heiligen Geist? Im Feuerofen hat keine Theorie bestand, nur die reine Wahrheit, das reine Gold.

Drei gewagte Gebete

Irgendwann im intensiven Prozess meiner Erkrankung erinnert mich Gott an drei Gebete, die ich einige Zeit vor meinem 50. Geburtstag gesprochen habe:

-Lieber Vater, ich werde bald 50 Jahre alt. Lass meinen (letzten)
Lebensabschnitt zum effektivsten und segensreichsten werden.

-Mache mich bereit, Dir zu begegnen.
-Bitte sprich laut zu mir.

Solche Gebete sind gefährlich, weil sie Gott anders erhört, als wir es erwarten. Er möchte uns den Honig reichen, der sich am Boden des bitteren Trankes findet. Wie gerne würde uns Gott das Süße einfach so anbieten, aber wir könnten es nicht identifizieren, nicht schätzen, nicht schmecken.

»Die schwierigsten Erfahrungen im Leben eines Christen können die gesegnetsten sein. Die besonderen Vorsehungen der dunklen Stunden können die Seele bei zukünftigen Angriffen Satans ermutigen und den Diener Gottes für feurige Prüfungen wappnen. Die Prüfung deines Glaubens ist kostbarer als Gold. Du musst dieses dauerhafte Vertrauen in Gott haben, das nicht durch die Versuchungen und Argumente des Betrügers gestört wird. Nimm Gott bei seinem Wort. Du musst die Verheißungen studieren und sie nach Bedarf anwenden. ›Glaube kommt durch Hören und Hören durch das Wort Gottes.‹« (Our High Calling 324.4)

Wohl dem Menschen, dessen Stärke in dir liegt.
Wohl denen, in deren Herzen gebahnte Wege sind!
Wenn solche durch das Tal der Tränen gehen,
machen sie es zu lauter Quellen
und der Frühregen bedeckt es mit Segen.
(Psalm 84,6-7)

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