Herbert Douglass‘ größter Beitrag zur adventistischen Theologie: Douglass brachte durch Ellen Whites Schriften Klarheit während der schwierigsten Jahrzehnte der Gemeinde

Herbert Douglass‘ größter Beitrag zur adventistischen Theologie: Douglass brachte durch Ellen Whites Schriften Klarheit während der schwierigsten Jahrzehnte der Gemeinde
Herbert E. Douglass in 1980. Photo: Adventist Archives

Ein Gottesmann wurde zur Ruhe gelegt. Von Jerry Moon, Dekan für Kirchengeschichte, Andrews Universität

Als Doktorand in den frühen 60er Jahren teilte man Herbert E. Douglass eine Hausarbeit zu, in der er und seine Kommilitonen an der Pacific School of Theology im kalifornischen Berkeley moderne Theologen lesen und diskutieren sollten.

Mehrmals zerbrach sich die Klasse den Kopf über anscheinend unvereinbare Widersprüche zwischen führenden Theologen. Doch Douglass brachte immer wieder ein Argument, das von der ganzen Klasse als Lösung des Problems erkannt wurde.

Zuerst dachten die Kommilitonen, Douglass sei einfach nur theologisch begabt. Doch als sich das Muster wiederholte, kamen einige auf ihn zu und sagten: »Du musst deine Einsichten irgendwoher haben. Was für Literatur liest du außer dem, was uns empfohlen wird?«

Als Antwort wies Douglass auf die Schriften der Mitgründerin der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten Ellen G. White hin. Einer seiner Kommilitonen las daraufhin Whites Buch Desire of Agesund sagte: »Jetzt verstehe ich dich. Denn diese Autorin stellt sich ihr eigenes Urteil aus.«

Douglass, der mir gegenüber dieses Erlebnis persönlich und in E-Mails erwähnte, machte Ellen White zum Zentrum des theologischen Systems, das er in seinem Leben aufbaute. Er folgerte, dass Whites Schriften die nötigen Einsichten für jedes Problem enthalten mussten, wenn der Adventismus wirklich die Wahrheit ist und White von Gott gebraucht wurde, um dabei zu helfen, eine echte biblische Theologie zu entwickeln. Ihre Schriften in ihrer Tiefe zu verstehen, war das Ziel seines Lebens, welches erst bei seinem Tod nach einer langen Krankheit am 15. Dezember im Alter von 87 Jahren endete.

Wer die Leidenschaft würdigen möchte, die Douglass, ein führender Theologe des 20. Jahrhunderts in der Adventgemeinde, für Ellen White hatte, kommt nicht umhin, erst die turbulente Welt des Adventismus zu verstehen, die jener als junger Pastor in den 50er Jahren erlebt hatte.

Was meine ich damit?

Wie Adventisten die Reform vergaßen

Einer der zentralen Werte, die Adventisten von der protestantischen Reformation geerbt haben, war die Vorstellung, dass eine Kirche, die reformiert bleiben möchte, aufgrund menschlicher Bequemlichkeiten und Rückschritte nur einen einzigen Weg beschreiten kann: Sie muss sich ständig reformieren. Der Schwachpunkt jeder religiösen Bewegung war das Selbstverständnis »reformiert« zu sein und daher schließlich den andauernden Prozess der Reformation einzustellen. White wiederholte mehrmals: »Wir sind Reformatoren«, und die frühen Adventisten verstanden ihren Auftrag als Erben der protestantischen Reformation, die sie vorbereitend auf Jesu Wiederkunft fortsetzen sollten.

Ein Haupteinwand gegen Gemeindeorganisation in den 1850er Jahren war, dass diese die andauernde Reformation zum Stillstand bringen würde. Der Adventpionier und Ehemann von Ellen White konterte: Der Geist der Weissagung sei das von Gott geschenkte Werkzeug für die beständige Reformation der Gemeinde.

Tatsächlich kann die Adventgeschichte als eine Geschichte des Konflikts zwischen der sündigen menschlichen Natur und Gottes Aufruf zur vollständigen Reformation verstanden werden, einer Reformation, die im Spätregen des Heiligen Geistes gipfeln würde, der das Evangeliumswerk in dieser Welt zum Abschluss bringt.

Leider konzentrierten sich einige führende Evangelisten in den 1860er und 1870er Jahren auf Lehrstreitigkeiten und vernachlässigten die persönliche Beziehung zu Jesus. So gab es immer mehr Gemeindeglieder, die zwar genau wie sie von der richtigen Lehre überzeugt waren, denen aber eine Bekehrung zu einer engen täglichen Verbindung mit Jesus fehlte.

In den 1880er Jahren war der Adventismus endgültig reif für die Wiederentdeckung der lebendigen Erfahrung der Gerechtigkeit durch den Glauben an Jesus Christus allein. Die Konferenz von 1888 brachte die nötige Korrektur, doch persönliche Feindseligkeiten und theologische Rivalitäten verhinderten, dass Gottes Werk so vollendet wurde, wie er es geplant hatte. 1892 schrieb Ellen White: »Der laute Ruf des dritten Engels hat mit der Offenbarung der Gerechtigkeit Jesu schon begonnen«, doch 1896 kam sie zu dem Schluss, dass Satan weitgehend »erfolgreich« die Botschaft daran gehindert hatte, ihr von Gott verordnetes Ziel zu erreichen.

So gingen die Adventisten ins 20. Jahrhundert hinein, ohne die Gerechtigkeit Jesu ausreichend zu verstehen. Ihre mangelnde Erkenntnis war ihnen aber meist gar nicht bewusst. Die meisten anderen Protestanten betrachteten sie als gesetzliche Glaubensgemeinschaft, wenn nicht sogar als ausgesprochene Sekte.

Ein polarisierendes Buch erscheint auf der Bildfläche

Eine Generalkonferenzsitzung im Jahr 1950 versuchte dem Aufruf nach Erweckung und Reformation zu folgen. Doch das präsentierte Verständnis fußte auf einer bloßen juristischen Sicht der Rechtfertigung und nicht auf der ganzen »neuen Kreatur«, die Paulus in 2. Korinther 5,15-17 vor Augen hatte und die auch Ellen White unterstützte.

Zwei junge adventistische Missionare in Afrika protestierten gegen diese Abweichung, doch die Gemeindeleitung fühlte sich angegriffen. Dann, 1955 fühlte sich die adventistische Gemeindeleitung auch von außen unter Druck gesetzt, als einige Evangelikale die Adventisten zur Rede stellten, weil sie sich nicht ganz auf dem Niveau christlicher Rechtgläubigkeit befänden. Dies führte zur Veröffentlichung eines neuen Buches im Jahr 1957, Seventh-day Adventists Answer Questions on Doctrine, im Review and Herald Verlag.

Questions on Doctrine sagt gleich zu Beginn, es sei nicht sein Ziel »ein neues Glaubensbekenntnis zu sein«, sondern adventistische »Glaubensüberzeugungen in einer Fachsprache« zu erklären, »die zurzeit in theologischen Kreisen verwendet wird«.

Doch die Fragen, die in dem Buch aufgeworfen wurden, polarisierten die Glaubensgemeinschaft. Le Roy Edwin Froom, der einen Großteil des Buches verfasste, schrieb 1971 in seinem Buch Movement of Destiny, dass er Questions on Doctrine als Gelegenheit der »Vorsehung« gesehen habe, »die verzerrte Karrikatur unseres Glaubens« zu korrigieren und »das angekratzte Image des Adventismus« aufzupolieren.

Auf der anderen Seite brandmarkte Milian Lauritz Andreasen, ein Theologieprofessor des Adventist Seminary, der gerade in den Ruhestand getreten war, als Questions on Doctrine erschien, dieses Buch als »Abfall« in einer Reihe offener Briefe an die ganze Glaubensgemeinschaft.

Vor 1957 waren Laiendienste innerhalb des Adventismus privat finanzierte lokale Organisationen, die sich auf Gesundheits- oder Bildungsmission konzentrierten. Doch die Auseinandersetzung um Questions on Doctrine ließ eine neue Gattung von unabhängigen Diensten entstehen, die sich nicht primär um Mission, sondern um theologische Streitfragen drehten.

Douglass betritt die Bühne

In diese explosive Situation hinein kam der junge adventistische Prediger Herbert E. Douglass. Sein Dienst umspannte mehr als 60 der turbulentesten und kontroversesten Jahre in der Adventgeschichte.

Im Jahr 1953 – Douglass hatte bereits sechs Jahre Erfahrung als Pastor – berief ihn das Pacific Union College als Lehrer und finanzierte im dann noch ein Studium am Seventh-day Adventist Theological Seminary.

In jenen Tagen stand das Seminar, die Zentrale der Generalkonferenz und das Verlagshaus des Review and Herald Seite an Seite in Takoma Park, Washington, D.C. Als man entdeckte, dass Douglass ein ungewöhnlich begabter Wissenschaftler war, lud ihn der Review and Herald ein, Teil des Herausgeberteams für Band 6 und 7 des Seventh-day Adventist Bible Commentaryzu werden. So erhielt er einen Ringplatz, von dem er aus die sich entwickelnde Kontroverse gut verfolgen konnte.

Im Jahr 1957, als Questions on Doctrine erschien, machte Douglass seinen Abschluss am Seminar und kehrte als Lehrer für Theologie ans Pacific Union College zurück.

Eine der Lehren, um die sich die Buchdebatte drehte, betraf die Beziehung zwischen Jesu Opfer am Kreuz und seinem Dienst im himmlischen Heiligtum. Questions on Doctrine grenzte Jesu Versöhnung als etwas ab, das »am Kreuz vollendet« wurde. Der Hohepriesterdienst Jesu sei lediglich das »Anwenden der Verdienste« dieser am Kreuz abgeschlossenen Versöhnung. Die praktische Auswirkung dieser Lehre war jedoch, dass man die gegenwärtige Rettung und Heilsgewissheit betonte, aber die Heiligtumslehre herunterspielte, die besagt: Zur letzten und völligen Versöhnung gehöre auch, dass jede Spur der Sünde aus dem Universum ausgelöscht wird.

Auf der anderen Seite schienen die Gegner von Questions on Doctrine den Eindruck zu machen, dass Gläubige keinerlei Heilsgewissheit im Hier und Jetzt erwarten dürfen, da Jesu Hohepriesterdienst noch andauere. (Das wäre natürlich ein direkter Widerspruch zu Hebräer 7,25, wo Heilsgewissheit ja nur davon abgeleitet wird, dass Jesus weiterhin diesen Dienst tut.)

Die Wahrheit ist, dass sowohl Jesu Opfer am Kreuz als auch sein anschließender Hohepriesterdienst absolut entscheidend im Heilsplan sind. Betont man eines auf Kosten des anderen, lehrt man ein falsches Evangelium.

Ein anderer Lehrstreit, den Questions on Doctrine entfachte, drehte sich um die Art menschliche Natur, die Jesus bei seiner Fleischwerdung annahm. In Jesus, the Benchmark of Humanity (1977), sprachen sich Douglass und sein Co-Autor Leo Van Dolson dafür aus, dass Jesus nicht nur Gott, sondern auch ganz und gar Mensch war, obwohl er nie sündigte.

Douglass erkannte früh, dass allein Argumente über die Versöhnung und die Natur Jesu das echte Problem nicht lösen konnten. Das größere Problem war der eigentliche Konflikt zwischen den Grundannahmen des evangelikalen Calvinismus und der adventistischen Ausprägung des Arminianismus. Douglass verglich diesen Konflikt mit dem tektonischen Zusammenstoß zweier Erdplatten, die, wenn sie sich reiben, ein Erdbeben auslösen. Doch diese Einsicht allein konnte das Problem ebenso wenig lösen. Denn die kalvinistisch-arminianische Debatte ist 400 Jahre alt und wird von vielen als hoffnungslose Sackgasse empfunden.

Douglass fand Antworten bei Ellen White

Douglass wandte sich an Ellen White, um Lösungen für die immer tiefer werdenden Spaltungen im Adventismus zu finden. Er forschte auch in ihren Schriften weiter, als er 1960 zum Dekan der theologischen Fakultät am Atlantic_Union_College wurde, als Doktorand an der Pacific School of Theology, wo er 1964 seinen Doktortitel erwarb und als er ans Atlantic Union College als Dekan und späterer Präsident zurückkehrte.

An diesem College war er als 1970 Kenneth Wood, Herausgeber des Review and Herald (jetzt Adventist Review) ihn einlud Co-Redakteur des allgemeinen Gemeindeblattes zu werden. Dies bot Douglass die Zeit und Gelegenheit, Artikel und Bücher über sein Verständnis zu verschiedenen Themen zu veröffentlichen, das er über die Jahre seiner Lehrtätigkeit entwickelt hatte. Neben hunderten von Artikel, schrieb er schließlich 30 Bücher über Endzeit, Heiligtum, Glaube, Leben und Wirken von Ellen White und die adventistische Gesundheitsbotschaft. Sein Lehrbuch Messenger of the Lord(1998) war das umfassendste Buch über White vor der Herausgabe der Ellen G. White Ecyclopedia (2013), bei dem er auch einer der Hauptautoren war.

Douglass fand den Ausgangspunkt für seine Theologie in den biblischen Erzählungen vom Konflikt zwischen Gut und Böse und in Whites Kommentaren zu diesen Erzählungen. Der Ursprung der Sünde, Satans Anklagen gegen Gottes Charakter und die Entfaltung von Gottes Heilsplan als umfassende Antwort auf alle Anklagen Satans stellten die Schwächen in den meisten modernen Theologien bloß.

Whites Augenmerk auf Gottes Charakter als der Grundfrage im großen Konflikt wurde zum Fundament für Douglass‘ theologisches System. Er war nicht der einzige adventistische Theologe, der zu dieser Entwicklung beitrug, noch war er der Einzige, der Whites Thema des großen Konflikts auf diese Weise gebrauchte. Doch 40 Jahre lang veröffentlichte er einen fast ununterbrochenen Strom an Publikationen, die dieses theologische System auf- und ausbauten.

Das Thema des großen Konflikts enthüllte und löste das falsche Dilemma zwischen Jesu Opfer am Kreuz und seinem Dienst im himmlischen Heiligtum. Der Zweck der Versöhnung bestand darin, die Entfremdung zu heilen, die die Sünde in Gottes Universum verursacht hatte. Daher war das Kreuz offensichtlich das Zentrum, aber nicht das Ende der Versöhnung. Jesu Opfer am Kreuz war vollkommen, vollständig, ausreichend und ein für allemal. Doch am Auferstehungsmorgen gab es für Jesus immer noch ein Werk im Universum zu vollenden, das nur er tun konnte.

Die umfassendsten Darlegungen von Douglass‘ theologischem System sind in drei* Büchern zu finden, die er recht spät in seinem Leben veröffentlichte: God at Risk: The Cost of Freedom in the Great Controversy (2004), The Fork in the Road (2007)* und The Heartbeat of Adventism: The Great Controversy Theme in the Writings of Ellen G. White (2011).

Kurzum, Douglass war schon zu Lebzeiten für Tausende Adventisten, die seine Schriften lasen und seine Einsichten im täglichen Leben anwendeten, ein Hüne, eine Legende. Ob er Recht hatte wird weiter debattiert werden. Doch selbst jene, die mit ihm nicht einverstanden sind, können kaum bestreiten, dass er durch seine Schriften einer der einflussreichsten adventistischen Theologen des 20. Jahrhunderts bleiben wird.

Übersetzung und Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

*Abweichung von der Erstveröffentlichung im Englischen vom Autor gewünscht

Aus: Adventist Review, 22. Dezember 2014

http://www.adventistreview.org/church-news/herbert-e.-douglass’-greatest-contribution-to-adventist-theology

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