Wie falsch man auf Gottes Empfehlungen doch reagieren kann, wenn man zu ungeduldig oder zu träge ist. Von James White
Ellen White braucht von allen Unterstützung, die bei der Förderung der Wahrheit und der Reform mithelfen können. Die meisten lassen sich schwer zu irgendetwas bewegen, ein paar machen bedachte und gute Schritte, einige gehen aber auch zu schnell voran. Reformen kann man nicht von jetzt auf gleich durchführen. Die Menschen brauchen erst einmal dort Hilfe, wo sie sich befinden.
Am besten können die helfen, die ihnen in der Erkenntnis der Wahrheit am nächsten stehen und nicht solche, die sich am weitesten von ihnen entfernt befinden. Es ist besser, wenn sie von Menschen in allen Lehrpunkten und Lebensstilfragen unterrichtet werden, die ein scharfes Urteilsvermögen haben und bedacht vorgehen in dem Tempo, das Gott in seiner Vorsehung seinem Volk offenbart. Wer sein Leben erst zum Teil reformiert hat und Menschen unterrichtet, kann schon einiges an Gutem bewirken. Wer jedoch die Notwendigkeit der Reform erkennt und in jeder Situation mit der gleichen Strenge verfährt, keine Ausnahmen macht und das Ganze erzwingen will, wird die Reform garantiert in den Untergang treiben, seiner eigenen Seele schaden und andere verletzen. Solche Menschen sind für Ellen White keine Hilfe, sondern eine große Belastung in ihrer schweren Aufgabe. Wir rufen diese Personen auf, ja wir flehen sie an, zur Seite zu treten und Ellen White zu den Menschen zu lassen …
Ellen White formuliert ernste Aufrufe, die sich ein paar Leute sehr zu Herzen nehmen. Sie nehmen daraufhin eine solch krasse Position ein, dass sie es damit bis zum Äußersten treiben. Um die Sache dann vor dem Untergang durch diese Extreme zu schützen, ist sie verpflichtet, die Extremisten öffentlich zurechtzuweisen. Das ist besser, als alles zu Bruch gehen zu lassen. Doch der Einfluss beider Extreme und die Zurechtweisungen sind ein schreckliches Hindernis für die Sache und eine dreifache Belastung für Ellen White. Sie hat folgendes Problem: Was sie sagt, um die Langsamen aufzuwecken, wird von den Schnellen so aufgenommen, dass sie übers Ziel hinausschießen. Was sie sagt, um die Schnellen, Eifrigen und Unvorsichtigen zu mäßigen, wird von den Langsamen als Ausrede verwendet, um sich weiter Zeit zu lassen.
Wer Ellen White bei der Arbeit helfen möchte, der wird sie nicht vorne bei ein paar Extremisten finden, sondern eher hinten bei den Leuten, die sich bemühen, das Rad der Reform vorwärts zu bewegen. Ihre Arbeit wird durch die vorauseilenden Extremisten nur erschwert. Kommt zurück, ihr lieben, eifrigen Seelen und steht ihr zur Seite! Packt dort zu, wo sie zupackt! Was könnt ihr so weit entfernt vom Volk denn ausrichten? – Kommt zurück! Es gilt, den Menschen dort zu begegnen, wo sie sind.
Damit meinen wir nicht, dass jemand zu den falschen Gewohnheiten der Menschen zurückkehren soll. Keinesfalls. Behaltet die guten Gewohnheiten bei! Was das betrifft, rufen wir sogar dazu auf, voranzugehen. Doch wer dem Werk vorausgeeilt ist, soll von seinem feurigen Eifer und seiner mangelnden Christengeduld zurückkehren und so für seine Geschwister im Werk der Reform arbeiten, wie sie es ertragen können. Auf diese Weise können sie Ellen White helfen, die sich unter einer doppelten Last abmüht. Es gibt Menschen, die von anderen nicht erreicht werden können, dafür aber von ihr, wenn die Voreiligkeit anderer diese Menschen nicht aus ihrer Reichweite treibt. Wer eine Vase nicht mehr reparieren kann, muss sie deshalb nicht in Stücke hauen. Vielleicht vermag ein anderer sie zu reparieren.
Wir protestieren gegen den Lebensentwurf, der bei denen zum Ausdruck kommt, die sagen: »Friss oder stirb!« Manche Wunden brauchen Hilfe, um zu heilen, andere heilen am besten, wenn man sie in Ruhe lässt. Es braucht Zeit, um einen armen, sündigen, unmäßigen, blinden und sturen Menschen zu verändern. Es ist eine große Aufgabe. Wem ein gutes Stück vom Glaube Abrahams und von der Geduld Hiobs fehlt, der verwende lieber mehr Zeit und Mühe auf sich selbst, bevor er für andere arbeitet. Wer beruflich mit Menschen arbeitet, der arbeitet in dem sensibelsten Geschäft, das Menschen je in Angriff genommen haben. Je größer und stärker die Reform, desto schwieriger ist sie und desto mehr Verantwortung erfordert sie.
Einige Personen bekehren sich innerhalb eines Tages, andere in einer Woche, wieder andere brauchen einen Monat, manche benötigen für eine gründliche Reform jedoch ein bis zwei Jahre. Wer sich für andere einsetzt, wird den Menschen eindeutige Prinzipien und klare Fakten bringen und ihnen die Freiheit lassen, was sie daraus machen. Wer Unterricht gibt, ist für seinen Unterricht verantwortlich und dafür, dass er seine eigenen Lehren auslebt. Es sollte ihm aber ein Stein vom Herzen fallen, dass er nicht dafür verantwortlich ist, wie die Menschen seine Lehren aufnehmen, wenn er seine Aufgabe nach der göttlichen Unterweisung und dem biblischen Vorbild erfüllt. Wer lehrt, sollte schnell sein in der Pflichterfüllung, aber geduldig im Warten auf die Ergebnisse. Drängen ist nicht gut. »Meine Schafe hören meine Stimme … und sie folgen mir.« (Johannes 10,27)
Gott hat einige zum Lehren der Wahrheit berufen und alle – einschließlich der Lehrer – zum Ausleben der Wahrheit. Einige versäumen das Ausleben der schönen Prinzipien, kämpfen aber eifrig für sie. Wenn sie zu beidem nicht in der Lage sind, wäre es besser, sie konzentrierten sich aufs Ausleben. Das Lehren können sie dann getrost denen überlassen, die die Wahrheit geduldig ausleben und predigen können. Wer nicht speziell von Gott berufen und fürs Lehren ausgebildet wurde, ist in der Position des Schülers am besten aufgehoben.
Satan wartet nur darauf, ungeheiligte Menschen in Versuchung zu bringen und sie gegen die Wahrheit voreingenommen zu machen …
Lassen wir das Werk auf allen Gebieten voranschreiten. Konzentrieren wir uns nicht auf einen Zweig, sonst geht noch alles zu Bruch. Das Werk soll als Ganzes Fortschritte machen, nicht zitternd und flatternd im Wind, sondern wie ein großes Schiff … Jesu Freunde, die ihr euch auf sein Kommen und auf die kommende Herrlichkeit in seinem Reich freut, tut euch alle geduldig und fröhlich zusammen und helft euch gegenseitig bei der Vorbereitung!
Aus: Review and Herald, 17. März 1868, Originaltitel: »The Spirit of Prophecy and the Cause of Reform«
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