Wie geht das? Von Mark Sandoval
Stellen wir uns vor, ein Mensch, den wir sehr gern haben, hat Geburtstag und wir wollen ihm ein Geschenk machen, das ihm wirklich gefällt. Wir investieren viel Zeit und Mühe, um genau das Richtige zu finden. Wir geben unser hart verdientes Geld aus und verpacken das Geschenk wunderschön. An seinem Geburtstag bringen wir es ihm nach Hause, klopfen an die Tür; er öffnet, kommt heraus, nimmt das Geschenk, wirft es auf den Boden, trampelt darauf herum, geht wieder ins Haus und schlägt die Tür zu. Wie fühlen wir uns? Und warum?
Szenenwechsel: Wir brauchen etwas mehr Geld und nehmen einen Teilzeitjob bei DHL an. Bei der Auslieferung einer bestimmten Sendung, schnappen wir uns das Paket, bringen es zum Haus und klingeln. Die Person kommt an die Tür, unterschreibt den Empfang, nimmt das Paket, wirft es auf den Boden, trampelt darauf herum, geht wieder hinein und schlägt die Tür zu. Wie fühlen wir uns? Und warum? Was ist der Unterschied zwischen Szene eins und zwei?
In der ersten Szene bin ich verletzt, denn ich denke: »Das gehörte mir; es war mein Geschenk, mein Geld, meine Liebe, mein Partner/Freund/Elternteil/Kind/etc.« In der zweiten Szene gehörten weder Geschenk noch Geld mir. Es war kein Ausdruck meiner Liebe und auch keine Person, die mir nahestand.
Wenn ich denke: »Das gehört mir!«, bin ich persönlich verletzt (ich bemitleide mich), wenn es abgelehnt wird. Wenn ich es aber nicht als mein Eigen betrachte, bin ich auch nicht verletzt, wenn es abgelehnt wird. Wie ist meine Erwartung, wenn ich etwas gebe? Gebe ich, um dafür etwas zurückzubekommen? Im ersten Fall bin ich verletzt, weil ich nicht bekam, was ich erwartete.
Menschliche Liebe gibt, um zu empfangen. Sie ist eine Investition. Man investiert etwas Wertvolles in der Erwartung, eine größere Rendite zu erzielen. Die berühmte Frage: »Und wo ist der Haken an der Sache?« Bei Menschen gibt es immer irgendeinen Haken. Es sind immer Bedingungen an eine Sache geknüpft. Als Menschen geben wir, weil wir eine Rendite erwarten. Unsere Erwartungen bestimmen, wie viel dabei herausspringen muss, damit wir mit unserer Investition zufrieden sind.
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Geben ist ein Kreislauf
Kann ich Liebe geben, bevor ich sie empfangen habe? Kann man geben, was man nicht hat? Nein. Ich muss erst nehmen, damit ich geben kann. Sonst wäre ich Gott, der das, was er gibt, selbst hervorbringt und besitzt. Dieses Gesetz gilt in der gesamten Schöpfung.
Gibt ein Samenkorn erst dem Boden etwas, damit es wachsen kann, oder nimmt es zuerst vom Boden für sein Wachstum? Es nimmt zuerst: Feuchtigkeit, Temperatur, Nährstoffe. Dann kommt es aus der Erde, nimmt von der Sonne, nimmt und wächst und nimmt und wächst.
Wenn daraus ein Orangenbaum wird, für wen bringt der Baum Frucht? Für sich? Nein. Selbst hat er von der Frucht erst mal nichts. Profitieren andere Orangenbäume von seinen Früchten (außer denen, die aus seinem Samen wachsen)? Nein. Er nimmt von der Erde, damit er ganz anderen Arten geben kann. Sogar die Orangen, die auf den Boden fallen, nützen dem Baum nicht direkt. Diese Orangen müssen erst Bakterien oder Pilzen oder anderen Lebewesen etwas »geben«, bevor diese wieder dem Boden geben, der dann dem Baum gibt.
Der Samen nimmt vom Boden, um Blüten zu treiben, die ihre Pollen den Bienen geben. Die Bienen nehmen den Pollen, dann geben sie den Bären den Honig. Der Bär nimmt den Honig, dann gibt er dem Mistkäfer. Der Mistkäfer nimmt den Mist, dann gibt er dem Wurm. Der Wurm nimmt erst, dann gibt er dem Boden zurück.
Wir sehen dieses Lebensgesetz – diesen Gebezyklus – auch in Jesu Leben veranschaulicht. »Wenn wir auf Jesus schauen, erkennen wir, dass die schönste Eigenschaft unseres Gottes das Geben ist. ›Ich tue nichts von mir aus.‹ (Johannes 8,28) ›Ich suche nicht meine Ehre‹ (Vers 50), sondern die Ehre dessen, der mich gesandt hat … Diese Worte beschreiben das große Prinzip, das universale Lebensgesetz. Jesus hat alles von Gott empfangen; aber er nahm, um zu geben. So ist es auch in den himmlischen Höfen, in seinem Dienst für alle Geschöpfe: Durch den geliebten Sohn fließt das Leben des Vaters zu allen; durch den Sohn kehrt es in Lobpreis und freudigem Dienst als Liebesflut zur großen Urquelle zurück. So schließt sich durch Jesus der Kreislauf des Gebens, der das Wesen des großen Gebers – das Lebensgesetz – ausmacht.« (Desire of Ages, 21)
Genau wie beim Lebenszyklus besteht auch bei diesem Gebezyklus das Lebensgesetz darin zu nehmen, um zu geben.
Zwei grundverschiedene Ansätze
Gott möchte uns ein neues Herz schenken. Er möchte uns das alte Herz der menschlichen Liebe wegnehmen. Göttliche Liebe soll uns treiben. Göttliche Liebe aber gibt nicht, um zu bekommen, sondern (großer Unterschied!) nimmt, um zu geben. Statt in andere zu investieren und auf ein lohnendes Feedback zu warten, schenkt göttliche Liebe, ohne etwas für sich zu erwarten. Nicht, dass sie gar keine Erwartungen hätte, aber das sind Erwartungen für den anderen, nicht für sich.
Mit diesem neuen Herzen erwarte ich auch Liebe von meiner Frau, denn ich weiß, wenn sie mich liebt, ist sie mit Gott verbunden. Er ist der Herr ihres Lebens, von dem sie Leben, Liebe, Freude und Frieden erhält. Deshalb erwarte ich um ihretwillen, dass sie mich liebt, nicht um meinetwillen. Denn sie ist nicht meine Quelle. Gott ist meine Quelle. Von ihm nehme ich alles, was ich brauche, und kann dann meiner Frau und anderen weitergeben.
Wenn ich mit der nie versiegenden Quelle verbunden bin, geht mir die Liebe nie aus. So nehme ich diese Liebe, bin erfüllt von ihr und habe alles, was ich brauche, um anderen zu geben, ohne jemals leer zu werden.
Und wenn ich von Gott nehme, um zu geben, dann ist Geben mein Gewinn. Wenn aber Geben für mich Gewinn bedeutet, dann bedeutet es Verlust, wenn ich etwas für mich behalte.
Dieses göttliche Gesetz wird in Johannes 12,25 beschrieben: »Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben.« Jesus zeigt uns hier, dass man in Wirklichkeit alles, was man behalten möchte, weggeben muss. Denn sobald man es festhält, weil man es für sich behalten will, verliert man es.
Wenn ich mich also nach Annahme sehne, gehe ich zu Gott und hole sie mir bei ihm. Er schenkt sie mir, denn er ist die Quelle aller Annahme. Doch kann ich sie nur behalten, wenn ich sie auch anderen schenke – wenn ich andere annehme.
Sehne ich mich nach Zugehörigkeit, gehe ich zu Gott und hole mir meine Zugehörigkeit bei ihm. Er besitzt alle Zugehörigkeit, die ich brauche, denn er ist die Quelle aller Zugehörigkeit. Aber ich werde mich nur weiter zu ihm gehörig fühlen, wenn ich auch anderen das Gefühl der Zugehörigkeit schenke – wenn ich sie dazugehören lasse.
Brauche ich Vergebung, gehe ich zu Gott und empfange Vergebung von ihm. Er hat alle Vergebung, die ich brauche, denn er ist die Quelle der Vergebung. Aber ich kann die Vergebung nur behalten, wenn ich sie anderen weitergebe – ihnen vergebe.
Gott, den Geber, verstehen
Was ist nun mit Gott? Kann er seine Liebe für sich behalten? Oder muss er sie verschenken? Er muss sie verschenken! Es liegt in seiner Natur zu geben. Würde er sie für sich behalten, würde er verlieren; doch Gott verliert nicht. Er gewinnt immer, also gibt er immer. »Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Matthäus 5,45) Er gibt nicht berechnend, sondern weil es seinem Wesen entspricht. Sein Geben ist Ausdruck seines Herzens.
Wenn Jesus durch den Glauben in unserem Herzen lebt, gilt dasselbe auch für uns. Geben ist unser Lohn. »Das Gesetz der Selbstaufopferung ist das Gesetz der Selbsterhaltung. Der Gutsherr behält sein Getreide, indem er es wegwirft. So ist es auch im Leben eines Menschen: Geben bedeutet leben. Nur das Leben kann fortbestehen, das sich freiwillig in den Dienst Gottes und der Menschen stellt. Wer um Jesu willen sein Leben in dieser Welt opfert, wird sein ewiges Leben behalten.« (Desire of Ages, 623)
Das Herz, das von göttlicher Liebe überfließt, weiß: »Es gehört mir nichts.«. Ich habe, besitze nichts. Alles gehört Gott. Ich kann nichts produzieren, bin kein Schöpfer. Nur Gott ist der Schöpfer. Also kommt alles, was ich habe, von ihm – sogar meine schöpferische Fähigkeit, meine Kreativität.
Auch ich selbst gehöre mir nicht, sodass ich tun könnte, was ich will. Ich gehöre mir nicht; denn ich bin teuer erkauft (1. Korinther 6,19.20). Ich gehöre Gott und schulde ihm Rechenschaft. Genau wie den DHL-Zusteller, trifft es mich nicht persönlich, wenn das Geschenk nicht gewürdigt, abgelehnt oder zerstört wird. Es gehört mir weder, noch ist es Ausdruck meiner Liebe. Die Reaktion anderer auf meine Liebe verletzt mich nicht persönlich, weil ich nicht von ihnen abhängig bin, sondern von Gott. Was sie mit dem Geschenk machen, ist ihr Problem (ein Ausdruck ihres eigenen Herzens), nicht meines. Es war ja sowieso nicht mein Geschenk. Es kam von Gott.
Jesus machte es vor!
Nehmen wir uns Jesus zum Vorbild. Beanspruchte er eigenen Besitz? Nein. Er sagte: »Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.« (Matthäus 8,20) Er bekannte, dass alles, was er hatte, von seinem Vater stammte. Er selbst besaß gar nichts.
Beanspruchte Jesus Macht, vieles allein tun zu können? Nein. Er sagte: »Ich kann nichts von mir aus tun.« (Johannes 5,30) Er bekannte, dass alle seine Macht und Fähigkeiten von seinem Vater kamen.
Glaubte Jesus, dass er sich selbst gehörte, dass er das Recht hatte zu tun, was er wollte? Nein. Er erkannte, genau wie Paulus, dass wir uns nicht selbst gehören. »Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlicht Gott in eurem Leib und in eurem Geist, die Gott gehören!« (1. Korinther 6,19.20)
Jesus besaß also nichts, brachte auch nichts hervor und gehörte sich nicht mal selbst. Jesus war der ultimative DHL-Zusteller. War er selbstsüchtig? Dachte er an sich selbst oder war er auf andere fokussiert? »Nicht für sich selbst, sondern für andere lebte und dachte und betete er.« (Christ’s Object Lessons, 139)
Wenn Jesus sich nur als Lieferant verstand, dem nichts gehörte, der nur tun konnte, was von seinem Vater kam und der nicht einmal sich selbst gehörte, was konnte ihn dann persönlich verletzen? Nichts! Persönlich verletzt zu sein heißt, sich zu bemitleiden, sich auf das zu konzentrieren, was man getan hat , was es für einen bedeutete oder was einem angetan wurde. Jesus dachte nicht an sich selbst. Seine Sorge galt den anderen.
Als Jesus sich als Lebensbrot bezeichnete (Johannes 6), verließen ihn viele seiner Nachfolger endgültig. War er da verletzt? Oder schmerzte es ihn um ihretwillen? Er litt, weil er wusste, was ihre Entscheidung für sie bedeutete. War Jesus gekränkt, als Judas ihn mit einem Kuss verriet? Immerhin war es sein Freund, der ihn verriet. Nein. Es schmerzte ihn wegen Judas, weil er wusste, was dieser Verrat für Judas bedeutete. Tat es Jesus weh, als Petrus ihn vor der Magd mit einem Fluch verleugnete? Ja. Aber nicht aus persönlicher Verletzung, sondern wegen Petrus und dem, was die Verleugnung mit ihm machte. Jesus fühlte mit Petrus, statt sich selbst zu bemitleiden.
Ich hoffe, ich werde nicht missverstanden. Jesus litt. Er war »ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut« (Jesaja 53,3). Aber sein Schmerz galt nicht ihm selbst, sondern anderen. Sein Schmerz um uns war so stark wie seine Liebe zu uns. Da er unendlich mehr liebte, als wir lieben können, litt er unendlich viel mehr, als wir leiden können.
In seiner Kindheit »hat Jesus nicht für seine Rechte gekämpft. Oft wurde seine Arbeit unnötig schwer gemacht, weil er hilfsbereit war und sich nie beklagte. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen und gab nicht auf. Er stand über diesen Schwierigkeiten, weil er wusste, dass Gottes Blick auf ihm ruhte. Er übte keine Vergeltung, wenn man ihn grob anfasste, sondern ertrug alle Beleidigungen geduldig.« (Desire of Ages, 89)
Als er erwachsen war und seinen Dienst antrat, lesen wir: »Im Herzen Jesu herrschte völlige Harmonie mit Gott und völliger Frieden. Nie verursachte Beifall bei ihm Glücksgefühle, noch ließ er sich durch Tadel oder Enttäuschung herunterziehen. Inmitten des größten Widerstands und der grausamsten Behandlung war er immer noch guten Mutes.« (Desire of Ages, 330)
»Das Leben des Erlösers auf Erden war, auch inmitten von Konflikten, ein Leben im Frieden. Während zornige Feinde ihn ständig verfolgten, sagte er: ›Der mich gesandt hat, ist mit mir: Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.‹ (Johannes 8,29) Kein Sturm menschlichen oder satanischen Zorns konnte die Ruhe dieser völligen Gemeinschaft mit Gott stören.« (Thoughts from the Mount of Blessing, 15)
Auch als er am Ende seines Lebens angelangt war und das Gewicht der Sünde auf seinen Schultern lastete, galt seine Sorge nicht sich selbst. »Er stand nun im Schatten des Kreuzes, der Schmerz quälte sein Herz. Er wusste, er würde in der Stunde seines Verrats im Stich gelassen und durch den demütigendsten Kriminalprozess in der Geschichte hingerichtet werden. Er kannte die Undankbarkeit und Grausamkeit derer, die er retten wollte – wusste, wie groß das von ihm verlangte Opfer sein musste und für wie viele es vergeblich sein würde. Da er sah, was auf ihn zu kam, hätte ihn der Gedanke an seine Erniedrigung und sein Leiden natürlich überwältigen können. Aber er schaute auf die Zwölf, die ihm so nahe standen und sich alleine durch die Welt kämpfen müssten, wenn seine Beschämung, sein Leid und seine Folterung vorüber waren. Er dachte nur im Zusammenhang mit seinen Jüngern an sein eigenes Leid. An sich dachte er dabei gar nicht. Seine Fürsorge für sie stand für ihn im Vordergrund.« (Desire of Ages, 643)
Wie ging er mit Problemen um? »Nie murrte Jesus, äußerte Unzufriedenheit, Missfallen oder Groll. Nie war er entmutigt, verzweifelt, verärgert oder beunruhigt. Unter den anstrengendsten und schwierigsten Umständen war er geduldig, ruhig und selbstbeherrscht. Alles, was er tat, führte er mit einer ruhigen Würde und Gelassenheit aus, wie turbulent alles auch um ihn sein mochte. Beifall begeisterte ihn nicht. Drohungen seiner Feinde fürchtete er nicht. Wie die Sonne über den Wolken dahinzieht, so zog er mitten durch eine Welt von Spannungen, Gewalt und Verbrechen. Er stand über menschlichen Leidenschaften, Erregungen und Prüfungen. Wie die Sonne glitt er über allen dahin. Doch das Leid der Menschen war ihm nicht gleich. Sein Herz war stets berührt von den Leiden und Nöten seiner Brüder, als litte er selbst darunter. Im Kern war er ruhig und freudig, gelassen und voller Frieden. Sein Wille ging ständig im Willen seines Vaters auf. Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe, hörte man von seinen bleichen und zitternden Lippen.« (Manuscript Releases 3, 427)
Selbst während seines Verhörs vertraute er weiter seinem Vater. »Einer der Beamten war voller Zorn, als er sah, dass Hannas die Worte fehlten. So schlug er Jesus ins Gesicht und sagte: ›Sollst du dem Hohenpriester so antworten?‹ Jesus antwortete ruhig: ›Habe ich übel geredet, so beweise, dass es übel ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?‹ Seine ruhige Antwort kam von einem sündlosen, geduldigen und sanften Herzen, das sich nicht provozieren ließ.« (Desire of Ages, 700)
Warum litt Jesus, als Petrus ihn fluchend verleugnete? »Gerade erst waren schändliche Flüche dem Petrus über die Lippen gekommen. Immer noch hallte das kreischende Krähen des Hahns in seinen Ohren nach. Da wandte sich der Erlöser von den finsteren Richtern ab und richtete seine Augen ganz auf seinen armen Jünger. Gleichzeitig zog der Meister dessen Blick auf sich. In seinem sanften Antlitz stand tiefes Mitgefühl und große Trauer geschrieben, aber keinerlei Zorn. – Dieses blasse, leidende Gesicht, die zitternden Lippen, der mitfühlende und vergebende Blick ging Petrus mitten durchs Herz.« (Desire of Ages, 712-713)
Wie reagierte Jesus unter den stärksten körperlichen Leiden? »Während die Soldaten ihren furchtbaren Dienst taten, betete Jesus für seine Feinde: ›Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun. Seine Gedanken wanderten von seinem eigenen Leiden zur Sünde seiner Verfolger und den schrecklichen Konsequenzen, die auf ihn warteten. Er fluchte nicht über die Soldaten, die so grob mit ihm umgingen. Er schwor keine Rache an den Priestern und Machthabern, die stolz waren, ihr Ziel erreicht zu haben. Jesus hatte Mitleid mit ihnen in ihrer Unwissenheit und Schuld. Er hauchte nur eine Bitte um Vergebung für sie, ›denn sie wissen nicht, was sie tun.‹« (Desire of Ages, 744)
Welch erstaunliche Liebe zu denen, die ihn hassten! Nie hegte er ihnen gegenüber einen negativen Gedanken oder eine negative Emotion!
Die Tiefe seiner Liebe erstaunt nicht nur uns, sondern auch die Engel. »Mit Erstaunen betrachteten die Engel die unendliche Liebe Jesu, der unter schwersten seelischen und körperlichen Qualen nur an andere dachte und die reuige Seele zum Glauben ermutigte.« (Desire of Ages, 752)
»Obwohl er von der Wiege bis zum Grab mit Verleumdung und Verfolgung überschüttet wurde, rief dies bei ihm nur verzeihende Liebe hervor.« (Thoughts from the Mount of Blessing, 71). So sieht ein neues Herz aus, das von göttlicher Liebe getrieben ist.
Auf welche erstaunliche Weise hat Jesus gelitten?
Ging Jesus ohne Leiden durchs Leben? Nein! Er hat gelitten. »Denn Gott, für den alles erschaffen wurde und der alles erschuf, will seine Herrlichkeit mit vielen Kindern teilen. Doch damit Jesus ihre Rettung bewirken konnte, musste Gott ihn durch sein Leiden vollkommen machen.« (Hebräer 2,10 NL) Jesus wurde durch Leiden vollendet. Aber für wen hat er gelitten? »Es durchbohrte seine Seele, dass die, zu deren Rettung er gekommen war, die er so sehr liebte, sich mit Satan zusammentaten.« (Desire of Ages, 687) Es tat ihm für sie weh, nicht für sich selbst.
Jesus war Mensch wie wir, und als Mensch sehnte er sich nach Zugehörigkeit, Verständnis und Kameradschaft. »Das menschliche Herz sehnt sich im Leiden nach Mitgefühl. Diese Sehnsucht spürte Jesus bis in die Tiefe seines Seins.« (Desire of Ages, 687)
»Eine stärkere Angst zerriss Jesu Herz; ein Schlag verursachte den tiefsten Schmerz, den kein Feind ihm hätte versetzen können. Während er sich der Farce eines Verhörs durch Kaiphas unterzog, war Jesus von einem seiner eigenen Jünger verleugnet worden.« (Desire of Ages, 710)
Jesus verlor zwar keinen Gedanken an sich selber, und er bemitleidete sich auch nicht. Aber wie wir litt Jesus mehr bei denen, die ihm am nächsten standen. Seine Leidensfähigkeit war viel größer als unsere. Seine Liebesfähigkeit genau so viel stärker. Wenn wir lernen, wie er zu lieben, wird auch unsere Fähigkeit wachsen, so zu leiden wie er.
»Verachtet war er und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut; wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt, so verachtet war er, und wir achteten ihn nicht. Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen.« (Jesaja 53,3.4)
Er war ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, aber nicht über sich selbst, sondern über andere!
Klappt das auch bei mir?
Nun ja, Jesus war schließlich vollkommen. Aber was ist mit mir? Wie soll ich unter ähnlichen Umständen reagieren? »Jesus war weder verzweifelt noch entmutigt. Auch seine Nachfolger dürfen Gott genauso beständig vertrauen … Sie brauchen an nichts zu verzweifeln und dürfen auf alles hoffen.« (Desire of Ages, 679)
»Wenn Jesu Botschafter alle ihre Werke durch Gott vollbringen, wird menschliches Lob weder ihren Tag retten, noch mangelnde Würdigung ihre Stimmung drücken.« (Review and Herald, 4. September 1888)
»Hätten wir Jesu Geist, würden wir Kränkungen weder bemerken noch aus eingebildeten Verletzungen einen Elefanten machen.« (Review and Herald, 14. Mai 1895)
»Selbstliebe raubt uns den Herzensfrieden. Solange unser Ich quicklebendig ist, sind wir ständig bereit, es vor Demütigung und Beleidigung zu schützen; wenn wir aber tot sind und unser Leben durch Jesus in Gott verborgen ist, werden wir uns keine Vernachlässigungen oder Kränkungen mehr zu Herzen nehmen. Wir werden für Vorwürfe taub und für Verachtung und Beleidigung blind sein.« (Thoughts from the Mount of Blessings, 16)
»Ein Mann, dessen Herz an Gott hängt, ist in der Stunde seiner größten Anfechtungen und inmitten der entmutigendsten Umstände genau so gelassen, wie zur Zeit des Wohlstands, wenn das Licht und die Gunst Gottes auf ihm zu ruhen scheinen. Seine Worte, Motive, Taten mögen falsch dargestellt werden. Doch das macht ihm nichts aus, weil für ihn Größeres auf dem Spiel steht. Wie Mose hält er durch, als ›sähe er den Unsichtbaren‹ (Hebräer 11,27); er schaut ›nicht auf das, was man sieht, sondern auf das, was man nicht sieht‹ (2. Korinther 4,18). Jesus weiß in jeder Hinsicht, wie es ist, von Menschen missverstanden und falsch dargestellt zu werden. Seine Kinder können es sich leisten, in ruhiger Geduld und voller Vertrauen zu warten, wie sehr man sie auch verleumdet und verachtet; denn nichts ist verborgen, was nicht offenbar würde, und wer Gott ehrt, wird von ihm vor Menschen und Engeln geehrt werden.« (Thoughts from the Mount of Blessing, 32).
Wenn Gottes Liebe in uns lebt, führt Jesus sein Leben durch uns.
Gottes Ressourcenverwalter
Die göttliche Liebe, die nimmt, um zu geben, schenkt uns den Schlüssel zum Eintritt in Jesu Leben. Dann bekennen wir genau wie Jesus, dass wir nur Gottes Ressourcenverwalter sind. Erst gehen wir zu Gott und nehmen von ihm, dann haben wir Liebe, um andere zu lieben. Diese Liebe ist ein Geschenk, keine Investition. Sie ist bedingungslos. Es schadet mir persönlich nicht, wenn jemand auf dem Geschenk herumtrampelt und sich abwendet. Denn ich denke nicht an mich. Es tut mir nur weh für diese Person. Ich mache mir Sorgen um sie.
Jedes Herz, das versteht, dass es ein Geschöpf ist und nicht Gott, ist frei! Es ist nicht mehr von anderen abhängig, von ihren Worten und Taten. Es sucht nicht mehr den Gewinn. Mein Gewinn besteht einfach im Geben. Weil ich darüber frei entscheide, habe ich Gewinn und Verlust unter Kontrolle. Ich brauche andere nicht zu kontrollieren, denn sie sind nicht meine Quelle. Gott ist meine Quelle! Aber auch Gott brauche ich nicht zu kontrollieren, weil ich ihm vertrauen kann. Er ist eine treue Quelle!
Die anderen Gewinne und Verluste des gefallenen Herzens – empfangen, nicht empfangen, nicht genug empfangen oder etwas geraubt bekommen – gehen im neuen Herzen nicht einmal in die Gleichung der göttlichen Liebe ein. Meine Freude, mein Gewinn, mein Gewinnen ist einfach nur Geben. Das ist göttliche Liebe, und diese Liebe können wir unmöglich selbst produzieren. Sie ist ein Gottesgeschenk, von dem wir völlig abhängig sind. Gehen wir also zu Gott und nehmen von seiner Liebe – seinem Liebesbuffet, das für jeden bereitsteht – damit sie uns gehört! Das Maß, in dem wir uns von dieser Liebe füllen lassen, ist das Maß, in dem wir diese Liebe mit anderen teilen können.
Hier weiterlesen: Teil 6
Mit freundlicher Genehmigung aus: Dr. med. Mark Sandoval: The Law of Life, Uchee Pines Institute, Alabama: Seite 43-44, 59-71
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