… und endlich macht es Sinn. Von Kai Mester
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Zahlreiche Bücher sind schon über die Offenbarung geschrieben worden. Doch es gibt immer noch mysteriöse Kapitel. Selbst Prophetie-Begeisterte haben bei ihnen den Eindruck, dass etwas dran ist an der Aussage: Die Offenbarung ist ein Buch mit sieben Siegeln. Zu diesen Kapiteln kursierten schon so viele verschiedene Auslegungsversuche, dass ich es für meinen Teil zeitweise sogar aufgegeben hatte, nach dem richtigen Verständnis zu suchen. Keiner davon erschien mir wirklich schlüssig. Zu den schwierigen Kapiteln in der Offenbarung gehörten für mich zum Beispiel die Posaunen in Kapitel 8 bis 11.
Doch Gott erhörte mein sporadisches Gebet und – ich bin mir sicher – die Gebete von vielen anderen durch die Erkenntnis: Der Schlüssel zum Verständnis der Posaunen findet sich in der Adventgeschichte, in den zwei Prophetie-Tafeln der Adventbewegung.
Vier Tafeln und zwei Völker
Dem Volk Israel hatte Gott zwei Tafeln gegeben. Es waren die Zehn Gebote, Grundlage für die Theokratie Israels. In ihnen wurzelte der besondere Auftrag Israels. Doch es entfernte sich immer wieder von seiner Bestimmung. Seine Auftragserfüllung hing davon ab, dass sie zum eigentlichen Sinn des Gesetzes zurückkehrten: »›Zum Gesetz und zum Zeugnis!‹ – wenn sie nicht so sprechen, gibt es für sie kein Morgenrot.« (Jesaja 8,20). Als schließlich der Messias kam, zeigte er dem Volk den einzigen Weg, wie das Gesetz in der Tiefe erfüllt werden kann. Bis heute rettet er die Übrigen, die wenigen Treuen, aus ihren Sünden.
Auch das Adventvolk erhielt zwei Tafeln. Da der besondere Auftrag der Adventbewegung in der Prophetie verankert ist, haben diese Tafeln mit Prophetie zu tun. Die Pioniere und der Geist der Weissagung erkannten in den beiden Prophetietafeln von 1843 und 1850 die Erfüllung der Prophezeiung: »Schreib die Vision auf und erkläre sie auf Tafeln, dass loslaufe, wer es liest.« (Habakuk 2,2 Hebräisch, vgl. King James und Vulgata)
Wir Siebenten-Tags-Adventisten können unseren Auftrag nur erfüllen, wenn wir zu der prophetischen Auslegungsgrundlage der beiden uns gegebenen Tafeln zurückkehren. Die Tafeln sind unten abgebildet.
Ellen White über die Prophetietafeln
»Ich sah, dass die Erstellung der Karte von 1843 von der Hand des HERRN geleitet war, und dass sie unverändert bleiben sollte; die Zahlen darauf waren so, wie er sie haben wollte. Seine Hand hatte vor den Augen aller bewusst einen Fehler in einigen Zahlen verborgen[1843 statt 1844] – bis er seine Hand dann wegzog.« (Early Writings, 74; 1882; vgl. Frühe Schriften, Kap. 18, Abs. 1)
»Ich sah, dass Gott hinter der Veröffentlichung der Karte [von 1850] durch Bruder Nichols stand. Ich sah, dass es über diese Karte in der Bibel eine Weissagung gibt.« (Manuskript 1; 1853 in: Manuscript Releases 13, 359)
»Alle alten Wahrheiten legen den Grund; neue Wahrheit ist nicht unabhängig von der alten, sondern eine Entfaltung derselben.« (Christ‘s Object Lessons, 127; 1900; vgl. Bilder vom Reich Gottes, Kap. 11, Abs. 12)
»Gott gibt uns keine neue Botschaft. Unser Auftrag ist die Verkündigung der Botschaft, die uns 1843 und 1844 aus den anderen Kirchen herausgeführt hat.« (Review and Herald, 19.01.1905, Abs. 22)
»Alle Botschaften, die von 1840–1844 gegeben wurden, gilt es nun mit Nachdruck zu verkündigen, denn viele haben die Orientierung verloren.« (Brief 54; 1906 in: Manuscript Releases 21, 437)
Die Posaunen in der Kirchengeschichte?
Wenn wir die beiden Prophetietafeln zur Grundlage unseres Prophetieverständnisses machen, dann brauchen wir bei den Posaunen aus der Offenbarung nicht zu rätseln. Denn Beginn und Ende der Ereignisse in der fünften und sechsten Posaune sind auf diesen Karten eindeutig festgelegt (606–1449–1840 n.Chr.). Auch in ihrem Buch The Great Controversy bestätigt Ellen White, dass die Zeitkette aus der sechsten Posaune am 11. August 1840 zu Ende ging (Great Controversy, 334, 335; vgl. Der große Kampf, 337, 338).
Oder doch in der Zukunft?
Durch folgende Aussage scheint sich Ellen White aber in den Augen vieler zu widersprechen: »Ernste Ereignisse werden noch geschehen. Eine Posaune nach der anderen wird erschallen, eine Schale nach der anderen wird über die Bewohner der Erde ausgegossen.« (Selected Messages 3, 426; 1890) Werden die Posaunen also doch erst in der Zukunft geblasen?
Wo finden wir das Untersuchungsgericht im Buch Offenbarung?
Wer die biblischen Bücher Daniel und Offenbarung studiert hat, weiß, dass die dort gezeigten Visionen einen parallelen Aufbau haben. Das Königreich Rom aus Daniel 2 zum Beispiel finden wir in jeder nachfolgenden Vision vom jeweiligen Aufbau her genau an der zu erwartenden Stelle. Jede Vision enthüllt mehr Details. In der großen Offenbarungsvision schließlich bekommen wir dann die ausführlichsten Informationen über Rom.
Genauso müsste man doch nun auch erwarten, das Gericht aus Daniel 7,9-14 in der Folgevision zu finden und die meisten Informationen darüber der Offenbarung entnehmen zu können. Die Parallele zu Daniel 8,14 und Daniel 12,1.12 sehen viele. Doch wo stehen die entsprechenden Infos in der Offenbarung?
Die geöffnete Tür
In Offenbarung 3,8 ist von einer geöffneten Tür die Rede: der Tür zum Allerheiligsten des himmlischen Heiligtums. Darin sind sich die adventistischen Ausleger einig. Doch warum sollte die geöffnete Tür einige Verse weiter, wie viele meinen, in Offenbarung 4,1 eine andere Tür sein? Man betrachtet die sieben Siegel halt gerne unabhängig von den sieben Gemeinden. Könnte es sein, dass gerade diese Sichtweise der Stolperstein ist, der das Verständnis der Offenbarung so schwierig macht?
Ellen White sieht einen eindeutigen Zusammenhang zwischen diesen beiden geöffneten Türen: »Da ist einer, der alles sieht und sagt: ›Ich habe vor dir eine geöffnete Tür gegeben.‹ (Offenbarung 3,8) Durch diese Tür wurde Gottes Thron sichtbar, über ihm der Bogen der Verheißung, das Zeichen des ewigen Bundes (4,1-3).« (Manuskript 27; 1891 in Sermons and Talks 2, 97 Hervorhebung hinzugefügt) Johannes hatte bis dahin nur ins Heilige geblickt, die sieben Leuchter gesehen (Offenbarung 1,12). Die Tür zum Allerheiligsten war da noch verschlossen. Jetzt wird das Eingangsportal zum Tempel verschlossen und die Tür zum Allerheiligsten aufgerissen (3,7-8). Somit befinden wir uns in Offenbarung 4,1 am Beginn des Untersuchungsgerichts und aus dem Heiligen und Allerheiligsten ist ein großer Raum geworden.
Die 24 Ältesten
Mit der Thronszene in den Kapiteln 4 und 5 beginnt also der ausführliche Einblick ins Untersuchungsgericht, den viele in der Offenbarung nirgendwo erkennen. Tatsächlich werden eigens für das Gericht neben Gottes Thron andere Throne aufgestellt: »Da sah ich: Throne wurden aufgestellt … Das Gericht wurde gehalten und die Bücher wurden aufgetan.« (Daniel 7,9-10). »Und um den Thron waren vierundzwanzig Throne und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste.« (Offenbarung 4,4) Es sind die 24 Ältesten des Neuen Jerusalems. Wie die Ältesten einer Stadt im Alten Israel haben auch sie die Aufgabe zu bestimmen, wer ihre Bewohner sein werden und wer ihr König (1. Chronik 11,3; Josua 20,4). Doch bevor das Gericht zu seinem Urteil kommen kann, soll eine große Gesetzessammlung, eine himmlische heilige Schrift, entrollt, ein Buch aufgetan werden. Dazu sind sieben Siegel zu brechen.
Die sieben Siegel, filmische Rückschau im Untersuchungsgericht
Betrachten wir die einzelnen Siegel, so stellen wir fest, dass sie die Geschichte der Evangeliumsverbreitung wiedergeben, und zwar seit der Zeit, als Johannes auf Patmos weilte. Tatsächlich sehen die 24 Ältesten immer, wenn ein Siegel gebrochen wird, eine Art filmische Rückschau. So werden im Untersuchungsgericht auch die Bücher vergangener Zeiten aufgetan.
Erst, wenn das siebte Siegel gebrochen wird, kann das Lamm das große Buch entrollen und seine Königsherrschaft antreten (5. Mose 17,18-19).
Die sieben Posaunen, Teil des siebten Siegels
Auf das Brechen des siebten Siegels folgt nicht einfach nur ein weiterer Film über die Vergangenheit. Jetzt folgt ein ganzer Siebenteiler. Wie die Israeliten um Jericho sechs Tage hintereinander einmal und am siebten Tage siebenmal zogen, bevor die Stadt endgültig fiel, so bringen diese Filme das Urteil des Universums über Babylon: sechs Filme über den Siegeszug des Evangeliums und zum Abschluss ein Siebenteiler. Dieser Siebenteiler behandelt Gottes Eingreifen in der Geschichte, wie er der Macht des Drachen und seines Stellvertreters entgegentrat. Dafür gibt es einen besonderen Grund: Im fünften Film hatten alle im Untersuchungsgericht das unfassbar schaurige Martyrium von Gottes Gemeinde gesehen und die Frage der Märtyrer wurde laut: »Wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?« (Offenbarung 6,10)
In sieben Sequenzen wird nun also ein Film über die Vergangenheit gezeigt: Jeder Teil beginnt mit dem Intro einer Posaune. So wird dem himmlischen Untersuchungsgericht gezeigt, dass die Menschen trotz dieser mit so viel Barmherzigkeit gemischten sieben Gottesgerichte keine Buße getan haben. Deshalb kann niemand Gott verurteilen, wenn dieser nun seinen Geist zurückzieht. Er hält die Katastrophen- und Kriegswinde nicht länger in Schach und sieben letzte große Plagen ergießen sich über die Erde.
In der Vergangenheit haben Gottes Gerichte Rom nur teilweise Schaden zugefügt. Doch jetzt, wo Gott dem Wunsch der finsteren Mächte und Gottlosen widerwillig nachgibt, und seinen Geist noch viel weiter zurückzieht, richten die sieben Plagen umfassenden Schaden an, und zwar inhaltlich genau in der Reihenfolge wie der Teilschaden, den die Posaunen gezeigt haben.
Widerspruch gelöst
Hier löst sich der scheinbare Widerspruch in Ellen Whites Aussagen auf: Tatsächlich sind die Ereignisse, die in den ersten sechs Posaunen gezeigt werden, schon längst geschehen. Doch sie laufen hier im Gericht noch einmal wie im Film ab, damit kein Zweifel an Gottes Liebe besteht, wenn die sieben Zornschalen unmittelbar im Anschluss ausgegossen werden: »Eine Posaune nach der anderen wird erschallen, eine Schale nach der anderen wird über die Bewohner der Erde ausgegossen.« (siehe oben)
Wann endet das Untersuchungsgericht?
Erst als der siebte Engel seine Posaune im Untersuchungsgericht bläst (Offenbarung 11,15), beginnt schließlich der Film über Gottes Gericht in unserer heutigen Zeit. Zwar wurde schon nach dem Brechen des sechsten Siegels die Geschichte des Evangeliums seit Anbruch des Untersuchungsgerichts bis hin zur Versiegelung und Wiederkunft gezeigt (Offenbarung 6,12–7,17). Doch alles andere beschrieb bis dahin, womit sich das Untersuchungsgericht sonst noch in seiner ersten Phase beschäftigte, also hauptsächlich mit der Vergangenheit. Der letzte Film holt zeitlich nun die Realität ein, allerdings nicht ohne ausführlich geschichtliche Hintergründe für gegenwärtige Ereignisse zu bringen (Offenbarung 12–14).
Die Untersuchung und Versiegelung der Heiligen ist spätestens dann zu Ende, wenn sich das Eingangsportal zum himmlischen Heiligtum wieder öffnet (15,5). Diese Tür war ja wie im Alten Israel am Versöhnungstag geschlossen worden, bevor die innere Tür zum Allerheiligsten zu Beginn des Untersuchungsgerichtes aufgetan wurde (3,7.8; 4,1). Nun kommen die Engel mit den sieben Plagen aus dem Tempel und die allerletzten Ereignisse beginnen (15,6).
Letzter Auftritt der 24 Ältesten
Die 24 Ältesten treten zum letzten Mal auf, wenn sie ihr endgültiges Amen zur Königsherrschaft geben (Offenbarung 19,4). Dann erst kommt Jesus als König wieder. Ihre Throne werden später den gerechten Menschen übergeben (20,4). Erst nach weiteren 1000 Jahren, dem Millennium, schließt das Gericht endgültig ab.
Wenn das keine erweiterte Sicht der Gerichtsszene aus Daniel 7 ist! Die Offenbarung enthält zahlreiche Details über die Zeit, in der wir seit 1844 leben. Sicher studieren wir die Offenbarung nun mit anderer Brille und werden noch reicher gesegnet.
Wer Englisch kann und tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem empfehlen wir folgende Bücher von Alberto Treiyer: The Final Crisis in Revelation 4–5 (Die letzte Krise in Offenbarung 4–5); Seals and Trumpets (Siegel und Posaunen); The Apocalyptic Expectations of the Sanctuary (Die apokalyptischen Erwartungen ans Heiligtum).
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