Auf den Spuren der Heilsgeschichte. Von Sylvain Romain
Lesezeit: 4½ Minuten
Einer der Hauptgründe, warum viele Christen Muslime als Gesprächspartner ablehnen, ist, dass der Koran angeblich den Begriff der Erlösung nicht kennt:
»Weil (…) der Stellvertretungsgedanke in Muhammads Gotteserfahrung nicht aufleuchtete, blieb seine Botschaft der Heilstat Gottes in Jesus Christus verschlossen. An dieser Stelle endet die Vergleichbarkeit der koranischen Verkündigung mit dem biblischen Zeugnis.« (S. Riedel, Sünde und Versöhnung in Koran und Bibel, S. 78)
Doch Vorsicht: Wenn wir etwas nicht finden, heißt es nicht unbedingt, dass es nicht da ist! Dass ich am Flughafen Kairo oder Nairobi keine Elefanten gesehen habe, heißt noch lange nicht, dass es gar keine Elefanten in Afrika gibt!
Tatsächlich erscheint das Wort fidā فدى (Lösegeld) an mehreren Stellen des Korans und in verschiedenen Zusammenhängen:
• für die Befreiung von Gefangenen (Al-Baqara 2:85b, Muhammad 47:4b)
• als Ersatz für religiöse Pflichten (Al-Baqara 2:184,196b)
• im Falle einer Scheidung (Al-Baqara 2:229)
• und vor allem im Endzeitgericht (am Tag der Auferstehung):
• Am Jüngsten Tag würden die Menschen, die Unrecht getan haben, gerne alles, was sie besitzen (»was auf der Erde ist«) als Lösegeld geben wollen (Yūnus 10:54, Ar-Ra’d 13:18).
• Sie wünschten, dies könnte sie retten (Al-Ma’ārij 70:11–14).
• Dennoch wird von ihnen »kein Lösegeld angenommen« (Al-Hadīd 57:15).
• Allerdings wird ihnen von Allah her etwas kommen, womit sie nicht gerechnet haben (Az-Zumar 39:47).
Die arabische Sprache gebraucht das Wort fidja فدية (Erlösung), für den Freikauf aus einer finanziellen Schuld, einer bösen Macht oder einer schändlichen Situation. Fidja bezieht sich auch auf die Beschaffung des notwendigen Betrages für die Verteidigung vor einem Gericht oder auf die Zahlung einer Kaution mit dem Ziel, Freiheit zu erlangen. Auch wenn diese Praxis von Kultur zu Kultur variiert, ist der Bedarf nach Befreiung offensichtlich überall vorhanden.
Das transitive Verb fadā فدى (»erlösen«), drückt die Bereitschaft zur Wiedergutmachung eines Verlusts aus. Die gute Tat oder die Zahlung, die es beinhaltet, sind mehr als ein Geschäftsvorgang im Sinne eines Tauschs. Sie zeigen einen Geist der Selbstaufopferung aus Liebe oder Mitgefühl. Oft ist fadā mit der Bereitschaft verbunden, sein eigenes Leben für eine Person oder einen guten Zweck freiwillig zu opfern.
Das Wort ist übrigens das gleiche wie das hebräische pādāh פדה, das wir 70 Male in der hebräischen Bibel für »Erlösung« finden.
Und dann erscheint im Koran das Verb fadā فدى im Zusammenhang mit dem größten Fest des Islams (Eid-ul-Adha, oder einfach Eid). Es ist auch der zentrale Punkt der Pilgerfahrt in Mekka, die mit diesem Fest beginnt; denn wenn Gott nicht eingegriffen hätte, wäre der Sohn Abrahams geopfert worden. Am Ende der Erzählung (Șāfāt 37:101-107), die der Bibel (2. Mose 22) sehr ähnelt, lesen wir:
»Und Wir erlösten ihn durch ein gigantisches Schlachtopfer.«
Ein Studium des koranischen Zusammenhanges ergibt folgende Entdeckungen:
1. Das Opfer musste von gigantischem Wert sein, das heißt: mehr wert sein als ein gewöhnliches Tier. Es war qualitativ höher als alles, was die Welt bisher gesehen hat.
2. Das Opfer war rein und vollkommen – mehr als zum Beispiel die Kuh, die Moses opferte (Al-Baqara 2:67–71).
3. Das Opfer kam von Gott, denn es heißt: »Wir (Gott) erlösten ihn«.
4. Das Opfer erschien auf eine wundersame Weise, denn es erschien auf der Spitze des Berges und weit weg von einer Herde.
6. Das Opfer starb, weil Abraham es schlachtete.
7. Das Blut des Opfers wurde in der gleichen Art und Weise vergossen wie während des Opferfestes.
8. Das Opfer wurde auf dem Berg Marwa (Morija) geopfert, später ein Teil von Jerusalem.
9. Die Erlösung durch das Opfer war der Höhepunkt eines Rettungsaktes.
10. Durch den Tod des Opfers wurde das Leben von Abrahams Sohn verschont.
Der Koran warnt ausdrücklich vor dem Versuch, sich selbst zu erlösen. Gleichzeitig lesen wir (Az-Zumar 39:47):
»Von Allah her wird etwas kommen, womit sie nicht gerechnet haben.«
Was kann es wohl sein? Deutet das größte Fest des Islams auf einen Erlösungsweg hin? Der Koran antwortet nicht direkt, was (oder wen) dieses Opfer versinnbildlicht. Aber er sagt, dass der einzige Ausweg aus der Verdammnis die »Barmherzigkeit Gottes« (seine Vergebungsbereitschaft) ist:
»Da retteten Wir ihn und diejenigen, die mit ihm waren, durch Barmherzigkeit von Uns.« (Al-A’rāf 7:72)
»Die Barmherzigkeit von Uns« wird in einem anderen Text vorgestellt (Maryam 19:21): Das ist der Messias Jesus Sohn Marias. Tatsächlich ist Jesus der Einzige, der alle Kriterien erfüllt, die das Opfer auf dem Berg Morija versinnbildlicht:
- Er ist »angesehen in dieser Welt und in der anderen« (Āl-i-‚Imrān 3:45).
- Er ist der Einzige, der »rein« ist (Maryam 19:19).
- Er kam von Gott als Wort, Geist und Barmherzigkeit »von Ihm« (Āl-i-‚Imrān 3:45, An-Nisā‘ 4:171, Maryam 19:21).
- Er erschien durch das Einhauchen des Geistes Gottes auf Maria, das heißt: auf eine wundersame Weise (Al-Anbiyā‘ 21:9).
- Er starb (auch, wenn ein Text des Koran dies zu verneinen scheint, gibt es drei andere Texte, die von seinem Tod reden).
- Sein Blut wurde vergossen.
- Er wurde in Jerusalem geopfert.
- Die Erlösung durch das Opfer war der Höhepunkt von Gottes Rettungsakt.
- Durch seinen Tod werden wir vom ewigen Tod verschont und kommen ins Paradies.
Deshalb ist Jesus Christus die Konkretisierung der Guten Nachricht (Āl-i-‘Imrān 3:45), die gerade in diesen Tagen des größten islamischen Fests Gesprächsthema sein darf. Diese Botschaft schenkt Frieden, Hoffnung und Freude.
Dieser Beitrag ist eine kurze Zusammenfassung aus dem Buch Das Opferfest von Suleyman Romain.
Das Opferfest
Das größte Fest des Islams, Eid al-Kebir, ist ein Gedenken an das Opfer von Ibrāhīms Sohn. Was bedeutet dieses Fest? Und warum ist es das größte Ereignis des muslimischen Kalenders?
Mit über 600 Zitaten aus dem erhabenen Koran zeigt der Autor einen tieferen Sinn als nur ein schönes Familienfest auf.
Dieses Buch wurde in folgende Sprachen übersetzt: Arabisch, Aseri, Bengalisch, Englisch, Französisch, Hausa, Indonesisch, Kasachisch, Kirgisisch, Russisch und Usbekisch.
Deutsche Ausgabe (253 Seiten).
Zu Bestellen unter:
https://www.adventistbookcenter.de/das-opferfest-die-entdeckung.html
Schreibe einen Kommentar