Gelten seit Jesus neue Regeln? Oder was meint Paulus, wenn er vom Ende des Gesetzes spricht? Von Ellet Waggoner.
In Römer 10,4 lesen wir: »Denn Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt.«
Bevor wir diesen Text erklären, ist es vielleicht gut, kurz zu zeigen, was er nicht bedeutet. Dieser Bibelvers meint nicht, dass Jesus dem Gesetz ein Ende bereitet hat.
Denn erstens sagt Jesus selbst über das Gesetz: »Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen.« (Matthäus 5,17)
Zweitens sagt der Prophet, dass der HERR, anstatt es aufzulösen, »das Gesetz groß und herrlich« machen würde (Jesaja 42,21).
Drittens war das Gesetz in Jesu Herzen: »Da sprach ich: Siehe, ich komme, in der Buchrolle steht von mir geschrieben; deinen Willen zu tun, mein Gott, begehre ich, und dein Gesetz ist in meinem Herzen.« (Psalm 40,8.9)
Viertens kann das Gesetz nicht abgeschafft werden, weil es die Gerechtigkeit Gottes, das Fundament seiner Regierung ist (Lukas 16,17).
Das griechische Wort für »Ende« (telos) muss nicht unbedingt »Schluss« bedeuten. Es wird oft im Sinne von »Bestimmung«, »Zweck« oder »Ziel« verwendet. »Das Endziel [telos] des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.« (1. Timotheus 1,5) »Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten« (1. Johannes 5,3); »So ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.« (Römer 13,10) In allen drei Texten wird dasselbe Wort für Liebe verwendet: Agape.
Wir glauben, dass unser Eingangstext sagen will, das Ziel des Gebotes (oder Gesetzes) sei, dass es gehalten wird. Das ist eigentlich selbstverständlich. Aber es ist nicht das endgültige Ziel des Gesetzes. In dem Vers, der darauf folgt, zitiert Paulus Mose, wie er über das Gesetz sagt: »Der Mensch der diese Dinge tut, wird durch sie leben.« (Römer 10,5) Jesus sagte zum reichen Jüngling: »Willst du aber in das Leben eingehen, so halte die Gebote!« (Matthäus 19,17)
Das Ziel des Gesetzes war es, gehalten zu werden, oder anders gesagt, einen gerechten Charakter hervorzubringen. Gleichzeitig ist die Verheißung gegeben, dass alle, die es befolgen, leben werden. Die endgültige Bestimmung des Gesetzes bestand also darin, Leben zu schenken. Dazu passen die Worte des Paulus, wo er sagt, das Gesetz war »mir doch zum Leben gegeben« (Römer 7,10).
Aber »alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten«, und »der Lohn der Sünde ist der Tod« (Römer 3,23; 6,23). Daher kann das Gesetz, seine Bestimmung nicht erfüllen. Es kann keine Charaktere vollkommen machen und deshalb auch kein Leben geben.
Hat ein Mensch einmal das Gesetz gebrochen, kann kein nachträglicher Gehorsam seinen Charakter je vollkommen machen. Deshalb brachte das Gesetz den Tod, obwohl es doch zum Leben gegeben war (Römer 7,10). Müssten wir beim Gesetz stehen bleiben, das seinen Zweck nicht erfüllen kann, wäre die ganze Welt zum Tode verdammt und verurteilt.
Doch jetzt werden wir sehen, dass es Jesus ist, der dem Menschen sowohl Gerechtigkeit als auch Leben anbietet. Wir lesen, dass wir alle »ohne Verdienst gerecht [werden] aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.« (Römer 3,24 Luther 84) »Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.« (Römer 5,1 Luther 84) Mehr noch: Er befähigt uns, das Gesetz zu halten. »Denn er (Gott) hat den (Christus), der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden.« (2. Korinther 5,21)
In Jesus können wir deshalb vollkommen werden und Gottes Gerechtigkeit erfüllen, als hätten wir das Gesetz ständig und kontinuierlich befolgt. »So gibt es jetzt keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind, die nicht gemäß dem Fleisch wandeln, sondern gemäß dem Geist … Denn was dem Gesetz unmöglich war – weil es durch das Fleisch kraftlos war – das tat Gott, indem er seinen Sohn sandte in der gleichen Gestalt wie das Fleisch der Sünde und um der Sünde willen und die Sünde im Fleisch verurteilte, damit die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt würde, die wir nicht gemäß dem Fleisch wandeln, sondern gemäß dem Geist.« (Römer 8,1-4)
Was war dem Gesetz unmöglich? Es konnte keine einzige schuldige Seele von der Verdammung befreien. Warum nicht? Weil es »durch das Fleisch kraftlos war.« Nicht das Gesetz war kraftlos, sondern das Fleisch. Es ist nicht die Schuld eines guten Werkzeugs, wenn es aus einem verrotteten Baumstamm keinen brauchbaren Stützpfeiler machen kann.
Das Gesetz kann die Vergangenheit eines Menschen nicht reinigen. Es kann ihn nicht sündlos machen. Auch der arme, gefallene Mensch hat keine Kraft in seinem Fleisch, das Gesetz zu halten. Deshalb rechnet Gott dem Gläubigen die Gerechtigkeit Jesu zu. Denn er wurde zur Gestalt des sündigen Fleisches gemacht, damit »die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit« in unserem Leben erfüllt werde. Auf diese Weise ist Jesus das Ende [das Ziel, die Erfüllung] des Gesetzes.
Abschließend können wir also sagen: Das Ziel des Gesetzes bestand darin, Leben zu schenken aufgrund des Gehorsams. Doch alle Menschen haben gesündigt und sind zum Tode verdammt. Nun nahm Jesus die menschliche Natur auf sich und wird seine eigene Gerechtigkeit denen schenken, die sein Opfer annehmen. Wenn sie dann durch ihn Täter des Gesetzes geworden sind, erfüllt er an ihnen sein höchstes Ziel: Er krönt sie mit ewigem Leben. In anderen Worten, die gar nicht genug geschätzt werden können: Jesus ist »uns von Gott gemacht … zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung« (1. Korinther 1,30)
Aus: Bible Echo and Australasian Signs of the Times, »Christ the End of the Law«, 7,4; 15. Februar 1892
Zuerst erschienen in Unser festes Fundament, 1-1998
www.hoffnung-weltweit.de/UfF1998
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