Ellen White blickt in die Zukunft. Von Kai Mester
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Ellen White, Gründermutter der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, ist noch 33 Jahre alt, als der Amerikanische Bürgerkrieg beginnt. Nord- und Südstaaten der USA haben sich in der Frage der Sklaverei auseinandergelebt. Abraham Lincoln ist erst wenige Monate zuvor zum Präsidenten gewählt worden. Am Ende des Krieges würde die Abschaffung der Sklaverei in den USA stehen. Doch ein Jahr später mitten im Krieg blickt Ellen White in die Zukunft und schreibt:
Englands Rolle beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs
Mir wurde gezeigt: Wenn das Ziel dieses Krieges die Abschaffung der Sklaverei gewesen wäre, dann wäre England den Nordstaaten auf Wunsch zur Hilfe geeilt. Doch England versteht die Motive der Regierung sehr gut. Es weiß, dass es ihr nicht um die Abschaffung der Sklaverei geht, sondern um den Bestand der Union. Dass sie erhalten bleibt, will England allerdings nicht. Unsere Regierung ist sehr stolz auf ihre Unabhängigkeit. Das Volk dieser Nation lobt sich selbst in den Himmel und blickt verächtlich auf Monarchien herab. Es rühmt sich seiner Freiheit, obwohl doch die Institution der Sklaverei geduldet und gehegt wurde, die tausendmal schlimmer ist als die Tyrannei der Monarchen. In diesem Land der Aufklärung wird ein System gehegt und gepflegt, das einen Teil der Menschheitsfamilie einen anderen Teil versklaven lässt und Millionen von Menschen auf die Ebene der Tiere herabwürdigt. Eine solche Sünde ist selbst in heidnischen Ländern nicht zu finden.
Der Engel sagte: »Höre, o Himmel, den Schrei der Unterdrückten, und vergelte den Unterdrückern doppelt nach ihren Taten.« Dieses Volk wird noch in den Staub gedemütigt werden!
England prüft gerade, ob es die gegenwärtige Schwäche unserer Nation am besten ausnutzen und gegen sie in den Krieg ziehen soll. Es wägt das Für und Wider ab und versucht die anderen Nationen einzuschätzen. England fürchtet, Krieg in Übersee zu führen, würde es daheim schwächen [drohender finanzieller Bankrott] und andere Nationen könnten daraus Vorteil ziehen. Andere Nationen bereiten sich still aber aktiv auf einen Krieg vor und hoffen nur darauf, dass England in den Krieg gegen unsere Nation zieht. Denn dann würden sie die Gelegenheit nutzen und sich dafür rächen, dass England sie in der Vergangenheit übervorteilt und ungerecht behandelt hat [Kolonialismus]. Einige Untertanen der Königin warten nur auf eine Gelegenheit, ihr Joch abzustreifen; sollte England aber zu dem Schluss kommen, dass es sich lohnt, wird es keinen Augenblick zögern, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen und seine Macht einzusetzen, um unsere Nation zu demütigen. Sobald England den Krieg erklärt, wird jedes Land [Kolonialmächte] an seine eigenen Interessen [Kolonien] denken, und es kommt zu einem allgemeinen Krieg, zu allgemeinem Chaos [Erster Weltkrieg]. – Testimonies for the Church 1, 259; vgl. Zeugnisse 1, 281
Es ist erstaunlich, wie präzise die weltpolitische Lage von Ellen White hier im Jahr 1862 beschrieben wird. Wie die Geschichte zeigt, hat sich England damals zwar gegen einen Kriegseintritt entschieden. Doch als Großbritannien gut 50 Jahre später am 4. August 1914 in den bereits begonnenen Kontinentalkrieg eintritt, da kommt es dann zu dem vorausgesagten Generalkrieg und Gesamtchaos: dem Ersten Weltkrieg. England ging es dabei um seine weltpolitische Machtposition. Doch es läutete damit eigenhändig das Ende des britischen Weltreichs ein. Genau wie von Ellen White vorausgesagt, nutzten die britischen Kolonien die finanzielle und innenpolitische Schwäche Englands nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre Unabhängigkeitsbestrebungen, und das Britische Weltreich fiel auseinander. Nur ein Kredit der USA rettete England 1946 vor dem Bankrott. Erst am 31. Dezember 2006 hat England übrigens seine letzte Rate an die USA abbezahlt.
Ein paar Seiten später knüpft Ellen White wieder an:
Nach einer kurzen Friedenszeit: der Zweite Weltkrieg
Andere Nationen beobachten aufmerksam unsere Nation. Warum wurde mir nicht gesagt. Aber sie bereiten sich intensiv auf ein Ereignis vor. Die größte Ratlosigkeit und Unruhe herrschen jetzt unter unseren Staatsmännern. Befürworter der Sklaverei und Verräter befinden sich mitten unter ihnen; und obwohl sie sich für die Union aussprechen, haben sie Einfluss auf die Entscheidungen, von denen einige sogar die Südstaaten begünstigen.
Mir wurde die Erdbevölkerung in heillosem Chaos gezeigt: Krieg, Blutvergießen, Entbehrungen, Mangel, Hungersnot und Seuchen herrschten überall im Land [Erster Weltkrieg, Spanische Grippe, Typhus-Epidemie, Weltwirtschaftskrise etc.]. Als Gottes Volk von alledem eingekreist wurde, begann es zusammenzurücken und seine kleinen Probleme hinter sich zu lassen. Die eigene Selbstwürde war nicht mehr die treibende Kraft, tiefe Demut trat an ihre Stelle. Leid, Ratlosigkeit und Entbehrungen brachten die Vernunft wieder auf den Thron, der Heißblütige und Unvernünftige wurde wieder zurechnungsfähig und handelte umsichtig und weise.
Dann wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt. Eine Zeit lang schien Frieden zu herrschen [zwischen den beiden Weltkriegen]. Doch danach wurde mir die Erdbevölkerung wieder gezeigt; und wieder versank alles im Chaos. Streit, Krieg und Blutvergießen mit Hungersnot und Seuchen wüteten überall. Weitere Nationen waren in diesen Krieg und in dieses Chaos verwickelt. Der Krieg führte zur Hungersnot. Not und Blutvergießen lösten Seuchen aus [Zweiter. Weltkrieg, Leningrader Blockade, Hungerwinter, Siebte Cholera-Pandemie etc.]. Und dann versagten die Herzen der Menschen »vor Furcht und Erwartung dessen, was über den Erdkreis kommen soll« (Lukas 21,26) [Atomare Bedrohung, Kalter Krieg]. – Ibid., 267-268; ebd., 289-290
Mit diesem Satz endet das Kapitel »Die Sklaverei und der Krieg«. Ellen White prophezeite also im Jahr 1862 zwei Kriege, von denen die ganze »Erdbevölkerung« betroffen sein würde.
Press together!
Ich war erstaunt, als ich durch das Buch von Bob Pickle A Response to the Video: Seventh-day Adventism, The Spirit Behind the Church auf die Erfüllung dieser Voraussage aufmerksam gemacht wurde. Mir selbst war sie beim Lesen des ersten Bandes der Zeugnisse eigenartigerweise nicht ins Auge gesprungen, wahrscheinlich, weil sie im Zusammenhang mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg zu finden ist. Ich hoffe, dass anderen, denen es ähnlich erging, genauso wie mir die Augen geöffnet werden. Gott hat uns durch Ellen White nicht im Unklaren gelassen. Es reicht aber scheinbar nicht, ihre Schriften alleine zu studieren. Sie sind viel zu umfangreich. Nur wenn wir als Gemeinde zusammenrücken [press together], können wir in den vollen Segen dieser Aufklärung kommen.
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