Nicht alles, was wahr ist, muss gleich zum Richtmaß erhoben werden. Manche Wahrheit leuchtet erst mal im Stillen. Von Ellen White
Den folgenden Brief schrieb Ellen White 1858, als sie selbst noch Schweinefleisch aß. Manchmal wird er angeführt, um zu zeigen, dass auch Ellen Whites Erkenntnisse sich wandelten. Das wäre ja sicher weitergegangen, wenn sie heute noch leben würde, so sagt man. Daher sei es nicht fair, wenn man neue Erkenntnisse, die ihren Aussagen widersprechen, ablehne.
Wenn man nun aber diesen Brief genau liest, so stellt man fest, dass er keine Aussage enthält, die sie später in irgendeiner Form hätte widerrufen müssen. Auch auf diesen Brief trifft also zu, was sie 47 Jahre später an ihre Enkelin Mabel schrieb:
»Ich schaue gerade meine Tagebücher und die Kopien meiner Briefe durch, die ich vor vielen Jahren geschrieben habe, angefangen von der Zeit, bevor ich nach Europa fuhr, also noch vor deiner Geburt. Ich habe äußerst wertvolles Material zum Veröffentlichen. Es kann der Gemeinde als Zeugnis vorgelegt werden. Solange ich das noch tun kann, gilt es, die Gemeinde damit zu versorgen. Dann kann die Vergangenheit wieder aufleben und deutlich werden, dass sich ein gerader Wahrheitsstrang durch alles zieht, was ich geschrieben habe, ohne einen einzigen irrgläubigen Satz. Dies, so wurde ich angewiesen, soll mein lebendiger Glaubensbrief an alle sein.« (Brief 329a 1905)
Lieber Bruder A, liebe Schwester A,
Der HERR hielt es in seiner Güte für gut, mir an diesem Ort eine Vision zu geben. Unter den vielen Dingen, die ich sah, bezog sich manches auf euch. So zeigte er mir, dass bei euch leider nicht alles in Ordnung ist. Der Feind versuche euch zu vernichten und andere durch euch zu beeinflussen. Ihr würdet beide eine herausgehobene Stellung einnehmen, die Gott euch nie zugewiesen hat. Ihr haltet euch für besonders weit fortgeschritten gegenüber Gottes Volk. Eifersüchtig und misstrauisch schaut ihr nach Battle Creek. Am liebsten würdet ihr dort eingreifen und das, was dort geschieht, nach euren Vorstellungen verändern. Ihr achtet auf Kleinigkeiten, die ihr nicht versteht, mit denen ihr gar nichts zu tun habt und die euch in keiner Weise betreffen. Gott hat sein Werk in Battle Creek ausgewählten Dienern anvertraut. Er hat ihnen die Verantwortung für seine Arbeit auferlegt. Gottes Engel sind mit der Aufsicht über das Werk beauftragt; und wenn etwas falsch läuft, wird er die Leiter der Arbeit korrigieren und alles wird nach seinem Plan verlaufen, ohne dass diese oder jene Einzelperson eingreifen muss.
Ich sah, dass Gott euren Blick auf euch zurücklenken möchte, damit ihr eure Motive hinterfragt. Ihr täuscht euch über euch selbst. Eure scheinbare Demut verschafft euch Einfluss. Man könnte meinen, ihr seid in eurem Glaubensleben weit voraus; doch wenn es um eure Sondervorstellungen geht, seid ihr sofort hellwach, sehr zielstrebig und unnachgiebig. Das beweise ganz klar, dass ihr nicht wirklich lernwillig seid.
Ich sah, dass ihr fälschlicherweise meint, ihr müsstet euren Leib kasteien und euch selbst nahrhafter Speise berauben. Das veranlasse einige in der Gemeinde zu der Annahme, Gott sei ganz sicher auf eurer Seite, sonst würdet ihr euch nicht so verleugnen und aufopfern. Doch ich sah, dass euch nichts dergleichen heiliger macht. Auch die Heiden tun dies, ohne einen Lohn dafür zu bekommen. Nur ein gebrochener und reuevoller Geist vor Gott ist in seinen Augen von wahrem Wert. Eure Ansichten darüber sind falsch. Ihr beobachtet die Gemeinde und achtet auf Kleinigkeiten, wo ihr doch um euer eigenes Seelenheil besorgt sein solltet. Gott hat euch nicht die Verantwortung für sein Volk übertragen. Ihr glaubt, die Gemeinde sei ins Hintertreffen geraten, weil sie nicht alles so sieht wie ihr und weil sie nicht denselben strengen Kurs fährt. Ihr täuscht euch jedoch, was eure Pflicht und die anderer betrifft. Einige sind bei der Ernährung zu weit gegangen. Sie verfolgen einen so strengen Kurs und leben so einfach, dass ihre Gesundheit darunter gelitten, die Krankheit sich in ihrem Organismus festgesetzt hat und Gottes Tempel geschwächt worden ist.
Ich wurde an unsere Erfahrungen in Rochester, New York erinnert. Wir haben dort nicht genug nahrhaftes Essen zu uns genommen. Die Krankheit brachte uns fast ins Grab. Gott gibt seinen geliebten Kindern nicht nur Schlaf, sondern auch geeignete Nahrung, um sie zu stärken. Unser Motiv war zwar gut gewesen. Wir wollten Geld sparen, damit wir die Zeitung unterhalten konnten. Wir waren ja arm gewesen. Der Fehler habe aber bei der Gemeinde gelegen. Diejenigen, die über Mittel verfügten, seien habgierig und egoistisch gewesen. Hätten sie ihren Teil getan, wäre das eine Erleichterung für uns gewesen; aber da einige ihrer Aufgabe nicht nachgekommen sind, sei es uns schlecht und anderen gut gegangen. Gott verlange von niemandem, so sparsam zu sein, dass er Gottes Tempel schwächt oder schädigt. Es gibt Aufgaben und Erfordernisse in seinem Wort, bei denen die Gemeinde sich demütigen und ihre Seelen kasteien soll. Doch es besteht keine Notwendigkeit, sich selbst Kreuze zu zimmern und Aufgaben zu erfinden, mit denen man den Leib kasteit, um demütig zu werden. Das ist Gottes Wort fremd.
Die Trübsalszeit steht kurz bevor. Dann wird es die Notwendigkeit verlangen, dass Gottes Volk sich selbst verleugnet und nur so viel isst, dass man gerade so überleben kann. Doch Gott wird uns auf diese Zeit vorbereiten. In dieser schrecklichen Stunde wird unsere Not, Gottes Gelegenheit sein, uns seine stärkende Kraft zu verleihen und sein Volk zu bewahren. Aber jetzt erwartet Gott von uns, dass wir mit unseren Händen Gutes wirken und den Segen sorgsam bewahren, damit wir unseren Teil zur Unterstützung seines Anliegens tun können, nämlich die Wahrheit voranzubringen. Das ist die Aufgabe, die alle haben, die nicht speziell dazu berufen sind, in Wort und Lehre zu dienen und ihre ganze Zeit dafür einzusetzen, anderen den Weg des Lebens und des Heils zu verkündigen.
Wer mit den Händen arbeitet, braucht Kraftreserven, um diese Arbeit zu tun. Aber auch wer in Wort und Lehre dient, muss mit seinen Kräften haushalten; denn Satan und seine bösen Engel kämpfen gegen sie, um ihre Kraft zu zerstören. Ihr Körper und ihr Geist braucht sooft wie möglich Ruhe von der ermüdenden Arbeit sowie nahrhafte, stärkende Speise, die ihnen Kraft gibt. Denn alle ihre Kraft wird gebraucht. Ich sah, dass es Gott in keinster Weise verherrlicht, wenn jemand aus seinem Volk sich selber in Not bringt. Die Zeit der Not stehe dem Volk Gottes zwar kurz bevor, aber er wird sie auf diesen schrecklichen Konflikt vorbereiten.
Ich habe gesehen, dass eure Ansichten über Schweinefleisch keine Gefahr darstellen, wenn ihr sie für euch praktiziert. Aber ihr hättet daraus einen Prüfstein gemacht und auch so gehandelt. Wenn Gott möchte, dass seine Gemeinde kein Schweinefleisch mehr isst, dann wird er sie davon überzeugen. Warum sollte er nur Einzelnen, die nicht die Verantwortung für sein Werk tragen, seinen Willen offenbaren und nicht auch seinen aufrichtigen Verantwortungsträgern? Wenn die Gemeinde kein Schweinefleisch mehr essen soll, wird Gott dies nicht nur zwei oder drei Leuten enthüllen. Er wird seine Gemeinde darüber informieren.
Gott führt ein Volk aus Ägypten, nicht ein paar einzelne Individuen hier und da, wo der eine dies glaubt und der andere das. Gottes Engel sind dabei ihren Auftrag zu erfüllen. Der dritte Engel führt heraus und reinigt ein Volk, das gemeinsam mit ihm voranziehen soll. Einige laufen jedoch den Engeln voraus, die diese Gemeinde führen; aber es ist notwendig, dass sie alle Schritte wieder zurückgehen und sanftmütig und demütig in dem Tempo mitziehen, das der Engel vorgibt. Ich sah, dass Gottes Engel seine Gemeinde nicht schneller führen würde, als diese es verkraften und die wichtigen Wahrheiten umsetzen kann, die ihr mitgeteilt werden. Doch einige ruhelose Geister würden diese Arbeit zur Hälfte wieder zunichte machen. Während der Engel sie führt, lassen sie sich für etwas Neues begeistern, eilen ohne göttliche Führung weiter und bringen so Verwirrung und Zwietracht in die Reihen. Sie sprechen oder handeln nicht im Einklang mit dem Ganzen. Ich habe gesehen, dass ihr beide schnell an den Punkt kommen müsst, wo ihr bereit seid, euch führen zu lassen, statt führen zu wollen. Sonst würde Satan übernehmen und euch auf seinen Weg führen, wo ihr seinem Rat folgen werdet. Einige halten eure Anschauungen für einen Beweis der Demut. Sie täuschen sich. Ihr beide macht eine Arbeit, die ihr einmal bereuen werdet.
Bruder A, du seist von Natur aus geizig und habgierig. Du würdest Minze und Dill verzehnten, aber die wichtigeren Dinge vergessen. Als der junge Mann zu Jesus kam und fragte, was er tun solle, um das ewige Leben zu haben, sagte Jesus ihm, er solle die Gebote halten. Er erklärte, dass er dies ja getan habe. Jesus sagte: »Doch fehlt dir eines. Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben.« Das Ergebnis war, dass der junge Mann traurig wegging, denn er hatte große Besitztümer. Ich habe gesehen, dass ihr falsche Vorstellungen habt. Es stimmt zwar, dass Gott von seinem Volk Sparsamkeit verlangt, aber ihr hättet eure Sparsamkeit bis zum Geiz getrieben. Ich wünschte, ihr könntet euren Fall so sehen, wie er ist. Der wahre Opfergeist, der Gott wohlgefällig ist, fehlt euch. Ihr vergleicht euch mit anderen. Wenn jemand nicht den gleichen strengen Kurs fährt wie ihr, meint ihr, nichts für sie tun zu können. Eure Seelen welken unter dem verheerenden Einfluss eurer eigenen Irrtümer dahin. Ein fanatischer Geist beseelt euch, den ihr für Gottes Geist haltet. Ihr täuscht euch. Ihr könnt die schlichte und scharfe Beurteilung nicht ertragen. Ein angenehmes Zeugnis hört ihr gerne. Weist euch aber jemand zurecht, braust ihr schnell auf. Euer Geist ist nicht lernwillig. Hier ist Handlungsbedarf für euch … Das ist das Resultat und die Atmosphäre eurer Irrtümer, weil ihr euer Urteil und eure Vorstellungen zur Regel für andere macht und gegen die anwendet, die Gott ins Feld gerufen hat. Ihr seid übers Ziel hinausgeschossen.
Ich sah, dass ihr meint, dieser oder jener sei zur Arbeit im Feld berufen, obwohl ihr keinen Einblick habt. Ihr könnt nicht ins Herz schauen. Hättet ihr tief aus der Wahrheit der dritten Engelsbotschaft getrunken, würdet ihr nicht so leicht darüber urteilen, wer von Gott berufen ist und wer nicht. Dass jemand schön beten und reden kann, ist noch kein Beweis, dass Gott ihn berufen hat. Jeder hat einen Einfluss, und dieser muss für Gott sprechen; aber die Frage, ob dieser oder jener seine Zeit ganz der Seelenrettung widmen soll, ist von größter Bedeutung. Niemand außer Gott kann entscheiden, wer sich an diesem feierlichen Werk beteiligen soll. In den Tagen der Apostel hat es gute Menschen gegeben, Männer, die mit Macht beteten und auf den Punkt kamen; doch die Apostel, die Macht über unreine Geister hatten und die Kranken heilen konnten, wagten es nicht, rein aus ihrer Weisheit heraus jemand auszuerwählen für das heilige Werk, Sprachrohr für Gott zu sein. Sie warteten auf unmissverständliche Beweise dafür, dass der Heilige Geist durch ihn wirkte. Ich sah, dass Gott seinen auserwählten Dienern die Verantwortung dafür auferlegt hat, zu entscheiden, wer für das heilige Werk geeignet sei. Gemeinsam mit der Gemeinde und den offensichtlichen Zeichen des Heiligen Geistes sollten sie entscheiden, wer gehen soll und wer nicht gehen kann. Würde diese Entscheidung einigen wenigen Personen hier und da überlassen, dann würde Verwirrung und Ablenkung überall die Frucht sein.
Gott hat immer wieder gezeigt, dass wir Menschen nicht einreden sollen, er habe sie berufen, solange wir dafür keine eindeutigen Beweise haben. Der HERR wird die Verantwortung für seine Herde nicht unqualifizierten Personen überlassen. Gott beruft nur Menschen mit tiefer Erfahrung, die erprobt sind und sich bewährt haben, Menschen mit gesundem Urteil, Menschen, die sich trauen, Sünde im Geiste der Sanftmut zu tadeln, Menschen, die es verstehen, die Herde zu ernähren. Gott kennt das Herz und er weiß, wen er auserwählen muss. Bruder und Schwester Haskell mögen in dieser Sache entscheiden und doch völlig falsch liegen. Euer Urteilsvermögen ist unvollkommen und kann nicht als Beweis in dieser Sache gelten. Ihr habt euch von der Gemeinde zurückgezogen. Tut ihr das weiter, werdet ihr ihrer überdrüssig werden. Dann wird Gott euch euren eigenen schmerzhaften Weg ziehen lassen. Jetzt lädt Gott euch ein, alles in Ordnung zu bringen, eure Motive zu hinterfragen und euch mit seinem Volk zu versöhnen.
Aus: Testimonies for the Church 1, 206-209; Brief geschrieben am 21. Oktober 1858 in Mannsvillle, New York
Schreibe einen Kommentar