Zwischen Guinea und Sierra Leone: Die Kraft der Vergebung

Zwischen Guinea und Sierra Leone: Die Kraft der Vergebung
Adobe Stock - Thomas Reimer

Verpass die Geschichte von Mohamed nicht. Von Fred Coker

Sowohl Matthäus als auch Markus sprechen über Jesu Mustergebet. Beide betonen am Ende zwei unterschiedliche Aspekte (Matthäus 6,5-15 und Markus 11,1-13). Markus betont ausdauerndes Gebet und Gottes Erhörungstreue. Matthäus betont die Vergebung.

Vergebungsbereitschaft oder Versöhnlichkeit ist eine Eigenschaft, die jeder Christ braucht. Wenn wir sie nicht haben, sollten wir darum genauso beten wie um unser täglich Brot. Als Gott sich Mose offenbarte, ließ er ihn nicht sein Angesicht schauen, sondern tat sich durch folgende Eigenschaften kund: »Der HERR, der HERR, der starke Gott, der barmherzig und gnädig ist, langsam zum Zorn und von großer Gnade und Treue; der Tausenden Gnade bewahrt und Schuld, Übertretung und Sünde vergibt …« (2. Mose 34,6)

Beim Evangelium, das wir den Völkern und Stämmen auf der Welt bringen, geht es um Vergebung. Denn im Erlösungsplan hat Gott gezeigt, wie sehr er die Menschheit liebt: Er erlöst uns durch sein eigenes Blut und vergibt unsere Sünden, wenn wir glauben. Wer diese Botschaft weiterträgt, sollte unter allen Umständen in der Lage sein zu vergeben. Denn unsere Sünden werden in dem Maße vergeben, wie wir anderen vergeben (Matthäus 6,12.14-15).

Vergebung wird immer positive geistliche und körperliche Konsequenzen haben, und zwar sowohl für den, der vergibt, als auch für den, dem vergeben wird. Beide Parteien erfahren Heilung durch solche Vergebung: Der vergibt, fühlt sich Gott näher, und der, dem vergeben wurde, wird entschlossener sein, das getane Unrecht wieder gut zu machen. Meiner Meinung nach versteht ein Christ die Heiligtumslehre nicht, wenn er denen nicht vergibt, die ihm Unrecht getan haben. Oder vor allem denen, die in seinen Augen keine Vergebung verdienen. Ja schlimmer noch: Wer nicht vergibt, versteht nicht, was Jesus für ihn auf Golgatha getan hat.

Die Geschichte beginnt

Als wir unseren Kindern erklärten, was Vergebung bedeutet, wurden wir auf diesem Gebiet herausgefordert. Davon möchte ich euch erzählen:

Mohamed war ein junger Moslem, den wir kennen lernten, als wir auf der Suche nach einem Lehrer für unsere Kinder waren. Er ist ein junger Susu aus Guinea, der in Sierra Leone zur Schule gegangen war und einen Bachelor in Englisch und der Landesgeschichte Sierra Leones hatte sowie ein Diplom in Computersoftware. Danach ließ er sich in Guinea nieder. Ein Bekannter stellte ihn uns in der Hauptstadt Conakry vor.

Als Mohamed begann, unsere Kinder zu unterrichten, wollte er mit dem Christentum noch nichts zu tun haben. Doch als er die Kraft Jesu erlebte, gab er ihm sein Leben und wurde vor vier Jahren getauft. Da wollte er meine Meinung wissen, ob er auch seinen Namen ändern sollte. Ich sagte ihm: »Gott ist die Änderung deines Herzens wichtig, nicht deines Namens.«

Der Diebstahl

Im Jahr 2014 flogen wir auf Heimaturlaub in die USA. In dieser Zeit gab Mohamed der Versuchung nach. Er erlag seiner Habgier, obwohl wir ihm auch in unserer Abwesenheit sein monatliches Gehalt weiterzahlten. Die Schulcomputer unserer Kinder, unsere Projektcomputer, unsere Telefone und alles, was wir während unserer Abwesenheit in seiner Wohnung gelagert hatten, stahl er, um beruflich voranzukommen, und brannte damit ins Nachbarland Sierra Leone durch, wo er sich in der Hauptstadt Freetown niederließ.

Nachforschungen

Bruder Joshua rief uns in den USA an und erklärte die Lage. Ich hätte Beziehungen nutzen können, um Mohamed in Sierra Leone festnehmen und inhaftieren zu lassen. Wir haben enge Verwandte in Sierra Leone, die bei der Polizei arbeiten. Als wir aus dem Heimaturlaub zurückkamen, riefen wir den älteren Bruder meiner Frau an, einen Polizeibeamten, und gaben ihm Mohameds Daten und sein Foto. In nur drei Tagen hatte mein Schwager herausgefunden, wo er sich befand. Er hatte einen Computerladen eröffnet, um die gestohlenen Computer zu verkaufen. Als mein Schwager uns dies erzählte, bat ich ihn, Mohamed nicht festzunehmen, sondern seinen Fall Gott zu überlassen. Mein muslimischer Schwager war empört: »Ihr Christen denkt wohl, ihr könntet die Welt verbessern«, höhnte er.

»Ja«, antwortete ich, »wir versuchen Gottes Kinder zu ihm zu rufen, auch dich.«

Er lachte und ich auch. »Sag mir Bescheid, sobald du deine Meinung änderst«, meinte er nur.

»Ich habe noch eine Bitte«, sagte ich. »Könntest du dich mit Mohamed anfreunden, ohne etwas von unserer Verwandtschaft zu verraten?«

»Ein Dieb wird niemals zu meinem Freund«, antwortete er, »aber für dich werde ich es tun.«

Gebete um Mohamed

Meine Frau und ich beteten täglich für Mohamed. Wir beteten, dass der HERR an ihm vollenden würde, was er begonnen hatte, als er sich ihm in seinem Leben auf so besondere Weise offenbarte.

Manchmal interpretieren die Leute es als Schwäche, wenn wir auf den HERRN warten. In unserem Dienst habe ich aber gelernt: Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Wenn wir darum beten, dass Gottes Wille geschieht, geben wir ihm ja damit zu verstehen, dass wir geduldig auf sein Handeln zu unseren Gunsten warten werden. Wir persönlich glauben, dass wir gerufen sind, auch denen zu dienen, die uns verwundet haben.

Inhaftierung

Drei Monate nach dem Gespräch mit meinem Schwager tauchte Mohamed auf wundersame Weise in Conakry auf. Er durchstreifte die Straßen wie ein Geisteskranker. Später erzählte er uns: »Ich wusste nicht, wie ich nach Conakry gekommen war. Ich erinnerte mich nur, dass ich am Donnerstagmorgen aus dem Haus gegangen war zu einem Bewerbungsgespräch für eine Stelle als Programmierer an der Roker Commercial Bank in Freetown-Kissy. Erst als zwei Polizeibeamte auf mich zukamen, merkte ich, dass ich in Conakry war.«

Mohamed wurde von Bruder Deen, einem unsere Gemeindeglieder, gesichtet. Er kannte ihn und wusste von der Geschichte. Sofort rief er mich an. »Mohamed läuft direkt vor mir!«, berichtete er.

»Bist du sicher, dass er es ist?«, fragte ich.

»Ganz sicher!«

Ich bat ihn, die Polizei zu rufen und Mohamed verhaften zu lassen. Dann fuhren meine Frau und ich zur Polizeistation, um mit ihm zu reden. In seiner Zelle erzählte uns Mohamed: »Jetzt weiß ich wieder, warum ich in den Straßen von Conakry herumgeirrt bin.« Er erzählte uns, dass er an Selbstmord gedacht habe. An den Bahngleisen habe er gewartet, wollte vor den nächsten Zug springen, als Bruder Deen und die Polizeibeamten ihn fanden. Ich sagte ihm: »Bruder, wir haben nie aufgehört für dich zu beten.« Wir baten um seine Freilassung und versicherten ihm, dass wir ihm vergeben hatten.

Gott greift ein

Dann gaben wir ihm Geld, damit er nach Sierra Leone zurückkehren konnte. Doch noch auf der Reise fühlte er einen Juckreiz auf seinem rechten Fuß. Er begann zu kratzen. Bald schwoll der Fuß an und brannte fürchterlich. Er wollte sich von einem Arzt untersuchen lassen. Drei Tage später war die Stelle zu einer schmerzhaften Beule geworden. Dann platzte sie auf und wurde zu einer schmerzhaften offenen Wunde.

Eines Nachts erhielten wir gegen Mitternacht einen Anruf von einer Frau aus dem Grenzstädtchen Pamalap. »Bitte helfen Sie diesem jungen Mann«, sagte sie.

»Wer sind Sie?«, fragte meine Frau. Die Dame am anderen Ende stellte sich als Fatmata vor. »Ich habe hier einen jungen Mann namens Mohamed«, sagte sie und erklärte seine missliche Lage. »Bitte helfen Sie. Wir sind hier in einem Dorf und ich habe nicht die finanziellen Mittel, ihm zu helfen.« Jemand mit einem Smartphone machte ein Bild von seinem geschwollenen Fuß und schickte es uns. Der Anblick war erschütternd. Noch in derselben Nacht sandten wir für Mohamed von unserem Mobilkonto Geld auf das Mobilkonto der Dame. Schon am nächsten Morgen kam er bei uns in der Stadt Fria an und wir schickten ihn nach Tanéné an der Küste zur Behandlung. Dort behandelte Viktor, einer unserer Evangelisten, die Wunde. Doch als die Wunde brandig wurde, schickte er ihn wieder zu uns. Ich setzte die Behandlung fort, bis die Wunde völlig verheilt war.

Tränen und eine zweite Chance

Eines Tages, als ich Mohameds Wunde behandelte, liefen ihm plötzlich die Tränen über die Wangen. »Ich weiß nicht, ob ich es irgendwo anders auf die Reihe bekomme«, sagte er. »Ich muss umkehren und von vorne anfangen. Ich glaube der richtige Ort dafür ist hier mit euch zusammen. Würdet ihr mir vielleicht eine zweite Chance geben?« Berührt, aber immer noch vorsichtig, luden wir ihn ein, bei uns zu bleiben und Gottes Willen zu suchen.

Aus irgendeinem Grund zahlte ich immer noch für die Wohnung, in der Mohamed gelebt hatte, als er uns bestahl. Meine Frau und ich entschieden uns, ihm eine zweite Chance zu geben. Wir ließen ihn wieder die Wohnung beziehen, und er bot uns an, unsere Tochter Florence umsonst zu unterrichten. Wir bezahlten ihn trotzdem dafür. Er bereute seine Sünden und gab sein Leben Jesus zurück. Er wurde wiedergetauft und engagiert sich nun stark in der Jugendarbeit. Außerdem gibt er kostenlosen Englischunterricht an unserer adventistischen Schule.

Betet für Mohamed. Er plant zu heiraten und sich ganz in Fria niederzulassen.

Aus: Adventist Frontiers, April 2019, S. 10-12
Adventist Frontiers ist eine Publikation von Adventist Frontier Missions (AFM).
AFM hat es sich zum Ziel gesetzt, einheimische Bewegungen ins Leben zu rufen, die Adventgemeinden in unerreichten Volksgruppen gründen.


 

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