… und einer kaputten Welt. Von Jerald Whitehouse
Morgen, am 11.9.2021, jährt sich Nine Eleven, der Terroranschlag in New York, zum zwanzigsten Mal. Aus diesem Anlass übersetzen wir einen Artikel, der sich wenige Monate später mit dem Hintergrund des islamistischen Terrorismus beschäftigte.
Lesezeit: 20 Minuten
Warum hassen sie uns so? Was haben wir getan? Befiehlt der Koran den Muslimen wirklich, Christen zu töten? Hat der Islam tatsächlich Bekehrungen mit dem Schwert erzwungen? Was wollen sie damit erreichen? Ist Allah derselbe Gott wie der christliche Gott?
Trotz Beteuerungen auf beiden Seiten und wegen der militanten Rhetorik einiger »Muslime« hängen diese Fragen wie dunkle Wolken von Zweifel und Misstrauen in der Luft. Wie können Gotteskinder darauf antworten?
Zunächst einmal wäre es gut, zwei Dinge voneinander zu trennen: das Glaubenssystem selbst und jene Anhänger, die diesen Glauben machtpolitisch oder sogar für ihre religiösen Ziele missbrauchen. Denn damit werfen sie ein falsches Licht auf Gott. Im Laufe der Geschichte waren Terrorismus, Gewalt und Intoleranz nicht auf ein bestimmtes Glaubenssystem begrenzt. Im Grunde genommen treten ja alle Glaubenssysteme für Frieden, Toleranz und Respekt ein. Doch es ist eine geschichtliche Tatsache, dass in »Religionskriegen« mehr Blut vergossen wurde als unter jeder anderen Flagge. Statt eine Kraft für Frieden und Sicherheit zu sein, war Religion oft eine treibende Kraft für Hass, Intoleranz und Blutvergießen.
Die meisten Menschen würden zustimmen, dass Gewalt und Zwang schlimmen Missbrauch von Religion darstellt. Wer von uns in muslimischen Ländern gelebt und gearbeitet hat, der hat in der Regel viele liebe muslimische Freunde, die über die heutigen Spannungen nicht weniger besorgt sind als wir.
Was treibt dann Menschen dazu, die Grundbotschaft eines Glaubens so zu verdrehen, dass sie entsetzliche Gräueltaten rechtfertigt wie die vom 11. September 2001?
Man kann die heutigen Spannungen nicht verstehen, ohne sich die Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen vor Augen zu halten. Der Terrorismus ist eine Reaktion auf wachsende Spannungen, Frustrationen und Missstände – tatsächliche oder eingebildete. Ich will hier versuchen, einen kurzen geschichtlichen Abriss zu geben, der sich auf mehrere angesehene Quellen stützt. Dies soll den Hintergrund der heutigen Spannungen verdeutlichen. Zugegebenermaßen ist eine Verallgemeinerung aufgrund der zahlreichen Faktoren riskant, die hier eine Rolle spielen. Bei so einer Zusammenfassung bleibt uns jedoch nichts anderes übrig. Es gibt also immer Ausnahmen von den allgemeinen Aussagen, die hier gemacht werden.
Grausame Vergangenheit
Nur 400 Jahre nach seinen Anfängen war das Christentum in theologische Streitfragen verstrickt, die den Normalbürger wenig oder gar nicht interessierten, Streitfragen, die eher politische als geistliche Ziele hatten. Die Entscheidungen einiger weniger wollte man für alle Gläubigen durchsetzen. Exkommunikation und Gegenexkommunikation waren an der Tagesordnung. Die Eliminierung von Ketzern wurde zum religiösen Sport. Juden und andersdenkende Christen wurden zur Zielscheibe der »Rechtgläubigen«. Die assyrische Ostkirche (Nestorianer) wurde von der römisch-katholischen Westkirche und der griechisch-orthodoxen Kirche exkommuniziert und schwer verfolgt. Dies führte zu einer tiefen Spaltung der Christenheit.
Diese Spaltungen war nicht nur theologisch mit Exkommunikation und Verfolgung, sondern auch politisch und sozial.1 Die Anwendung politischer Macht bis hin zur Gewalt für religiöse Zwecke hatte sich also schon früh im Christentum durchgesetzt, mit all ihren tragischen Folgen. Eusebius, ein Bischof und führender Historiker des frühen vierten Jahrhunderts, sah den Kaiser als Gottes auserwähltes Gefäß, um die Herrschaft des Christentums auf Erden aufzurichten.2 (Diese Haltung spiegelte sich später in den muslimischen Regierungen wider und zeigt sich in der heutigen Situation, in der man Gewalt und politische Ziele religiös rechtfertigt.)
Diese Verfolgung der Ostchristen führte interessanterweise dazu, dass viele von ihnen die muslimische Herrschaft als Befreiung von den byzantinischen und sassanidischen »Unterdrückern« begrüßten.3 »Unter dem Einfluss des Islam«, so Philip K. Hitti, »erwachte der Osten und behauptete sich nach einem Jahrtausend westlicher Vorherrschaft neu. Außerdem war der von den neuen Eroberern geforderte Tribut geringer als der von den alten. Die Eroberten konnten nun ihre Religion freier und mit weniger Einmischung ausüben.«4
Dies ist zugegebenermaßen ein ganz anderes Bild, als gemeinhin dargestellt wird, und wirft daher ein beachtliches Licht auf die Hintergründe der gegenwärtigen Wahrnehmungen in der muslimischen Welt. Zu den Bedingungen, die später unter der frühen islamischen Herrschaft herrschten, macht Moffet folgende Beobachtung: »Unter den patriarchalischen Kalifen und während der turbulenten Jahre der Bürgerkriege erwies sich die Behandlung der Christen in den eroberten Gebieten Persiens und des byzantinischen Syriens als bemerkenswert großzügig, abgesehen von den in jedem Krieg zu erwartenden Tötungen und Gräueln.«5
Kreuzzüge
Obwohl der Islam die Ostchristen recht »großzügig« behandelte, setzte man ihn bald auf die Liste der »Ketzer« und »Ungläubigen«. Bald darauf erreichte das Christentum seinen Tiefpunkt: Wellen von Kreuzfahrern strömten in den Nahen Osten, um das Christentum von Ketzern zu säubern und die »ungläubigen« Juden und Muslime auszurotten sowie gleichzeitig das Heilige Land zu befreien. Manche behaupten, dass vor allem der erste Kreuzzug eine wahrhaft fromme Bewegung war, um Pilgern freien Zugang zu den heiligen Stätten im Nahen Osten zu verschaffen. Sicher gab es ein frommes Motiv, man betrachtete den Kreuzzug als »gerechten Krieg« und als Pilgerfahrt. Es kursierten schreckliche Geschichten über Gräueltaten an Christen im Nahen Osten. Aber sie entsprachen nicht der Wirklichkeit. Sie sollten Emotionen für den Kreuzzug wecken.
»Das Bild von verfolgten palästinensischen Christen in Not, die auf Befreiung durch Rom warteten, war falsch. Obwohl Muslime damals in Syrien und Palästina leicht in der Mehrheit waren, lebten sie mit den Christen friedlicher zusammen, als die Europäer glauben machen wollten … Die Lage der einheimischen Christen unter muslimischer Herrschaft hatte sich gewiss nicht so weit verschlechtert, dass sie mit Waffengewalt gerettet werden mussten. Die ägyptischen Fatimiden, die zu dieser Zeit über Jerusalem herrschten, waren sogar ›noch toleranter als jede andere Gesellschaft zur damaligen Zeit‹.«6
Kreuzfahrern wurde vollständiger Sündenerlass versprochen.7 Tausende von Kindern wurden auf Kreuzzüge geschickt. Nur wenige kehrten je zurück.8 Als es im ersten Kreuzzug 1099 gelang, Jerusalem unter Kontrolle zu bringen, war kein einziger muslimischer oder jüdischer Zivilist in der Stadt am Leben geblieben.9
Nicht alle Christen unterstützten die Kreuzfahrer: »Viele … Christen waren entsetzt über das, was getan worden war.«10 Dennoch hatte die Gräueltat tiefgreifende Auswirkungen auf die »verworrene Politik der Zeit« und blieb als lebendige Erinnerung in den Köpfen der Muslime. In krassem Gegensatz dazu steht die Reaktion von Saladin (Ṣalāḥ ad-Dīn), dem muslimischen Herrscher, der 1187 die Kontrolle über Jerusalem zurückerlangte. Sobald er die Kontrolle über die Stadt hatte, befahl er, das Töten einzustellen. Kein einziger Jude oder christlicher Zivilist wurde verletzt und kein Eigentum wurde beschädigt.11
Zwar hatte der Islam die Welt schon früh aufgeteilt in Dār al-Islām (»Islamhaus«) und in Dār al-Ḥarb (»Kriegshaus«, also das der Nationen und Völker, die nicht Muslime werden wollten oder die muslimische Herrschaft ablehnten). Auch sah er den Dschihad als latente oder ausdrückliche Haltung allen Ländern des Dār al-Ḥarb gegenüber vor. Aber in den Ländern, in denen die Muslime herrschten, wurden die Rechte der Nicht-Muslime im Allgemeinen geschützt.
»Nach mittelalterlichen Maßstäben«, so Hugh Goddard, »war die muslimische Behandlung von Juden und Christen recht tolerant und liberal, auch wenn sie nach heutigen Maßstäben immer noch teilweise eindeutig diskriminierend war. Doch verglichen mit anderen mittelalterlichen Gesellschaften schneidet die muslimische Welt außerordentlich gut ab.«12
Um es mit den Worten von A. S. Ahmed zu sagen: »Die Erinnerung an die Kreuzzüge hält sich im Nahen Osten hartnäckig und prägt die muslimische Wahrnehmung von Europa. Es ist die Erinnerung an ein aggressives, rückständiges und religiös fanatisches Europa. Diese historische Erinnerung wurde im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert noch verstärkt, als die imperialen Europäer erneut Gebiete im Nahen Osten unterjochten und kolonisierten. Leider wird dieses bittere Erbe von den meisten Europäern übersehen, wenn sie an die Kreuzzüge denken.«13
Diese Geschichte bildet den Hintergrund für die spätere Zunahme von Missständen in der muslimischen Welt, die für das heutige kriegerische Denken verantwortlich ist. Mit der Reformation und der darauf folgenden Renaissance begann der christliche Westen, mehr Macht über den Nahen Osten auszuüben. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg führte dies zur Kolonisierung des Nahen Ostens. Während das Christentum ab 1500 allgemein von der »Aufklärung« erfasst wurde, war der Islam in seine eigenen inneren Spannungen verwickelt. Er fragte nach den Gründen und Heilmitteln für seinen Niedergang und wie er mit der westlichen Kolonisierung seiner Gebiete umgehen sollte.
Innerhalb des Islams verschärfte sich der Kampf zwischen den Befürwortern von zwei verschiedenen Wegen zur Erneuerung des Islam: Der Taqlīd (Nachahmung) sprach sich für eine Rückkehr zum traditionellen Verständnis der muslimischen Gelehrten aus. Der Idschtihād (Anstrengung) für die Suche nach den Prinzipien der heiligen Texte und die anschließende Entscheidung darüber, wie dieser im aktuellen Kontext anzuwenden ist).
Das Ringen im Islam glich also dem Ringen in einigen christlichen Gemeinschaften. Das Ergebnis hatte jedoch erhebliche Auswirkungen auf die aktuelle Entwicklung der extrem fundamentalistischen Segmente des Islam. Im Wesentlichen hat der Taqlīd über das gefürchtete Ergebnis des Idschtihād gesiegt. Denn man wollte nicht, dass persönliche Launen und Exzentrizitäten die Oberhand gewinnen könnten.14
Muslimische Wahrnehmungen
Der Unmut nimmt weiter zu, da die Nahostpolitik des Westens im letzten Jahrhundert, vor allem im letzten halben Jahrhundert, von der Mehrheit der Muslime als Fortsetzung der Kreuzzüge angesehen wird, bei denen der Westen den Islam diskriminiert. Zu den wahrgenommenen Missständen gehören die Situation in Palästina, die Präsenz ausländischer Truppen auf muslimischem »heiligem« Boden (in Saudi-Arabien) und der Tod von Kindern aufgrund von Wirtschaftssanktionen. Die Menschen im Westen mögen diese Themen als rein politische Fragen betrachten. Durchschnittsmuslime betrachten sie jedoch auch als religiöse Fragen, und militante Muslime sehen darin eindeutig fanatisches Christentum, das den muslimischen Glauben dominieren und sogar zerstören will – eine Fortsetzung der Kreuzzüge.
Ein zusätzliches Element in dieser brisanten Mischung ist die Sorge der Muslime um die Bewahrung traditioneller Werte angesichts des Hedonismus und Materialismus, den der Westen durch Fernsehen und Video in ihre Häuser exportiert. Damit wird in ihren Augen der Kern des Glaubens ausgehöhlt. Benjamin Barber liefert in seinem Buch Jihad vs. McWorld eine aufschlussreiche Analyse dieser Fragen. Obwohl seine Analyse in erster Linie säkular ist, vermittelt sie ein Verständnis für die Probleme des aktuellen Konflikts und drängt uns, die Kräfte auf beiden Seiten der wachsenden Kluft objektiver zu bewerten.15
In diesem Zusammenhang möchte man mit kriegerischen Handlungen gegen den Westen einen Teil der Schande beseitigen, den Muslime erlitten haben. Daher hat die muslimische Welt bis zu einem gewissen Grad »eine Wagenburg aufgestellt«. Sie haben sich gegen das, was sie als gemeinsamen Feind wahrnehmen, zusammengeschlossen. Die zunehmende Frustration hat viele auf der Suche nach einer Lösung in den Fundamentalismus getrieben. Da sie nichts zu verlieren haben und ihnen mit dem Märtyrertod das Paradies versprochen wird, hat dies einige zu extremen militanten und terroristischen Aktionen getrieben. Gemäßigte Muslime wiederum befinden sich in einer immer schwierigeren Lage: Sie versuchen zu klären und zu definieren, was der wahre, friedliche Islam ist – und das angesichts gesteigerter Emotionen auf beiden Seiten.
Viele melden sich jedoch zu Wort. Seit der Tragödie vom 11. September 2001 wurde eine Organisation mit dem Namen Muslims Against Terrorism (www.m-a-t.org) gegründet, die ausdrücklich verhindern will, dass Extremisten den Islam definieren.
Diese zusammenfassende Erklärung soll in keiner Weise die jüngsten terroristischen Gräueltaten rechtfertigen. Aber sie bildet den Hintergrund für aktuelle Ereignisse. Terroristische Aktivitäten und Menschenrechtsverletzungen, wo unschuldige Menschen sterben müssen, egal durch wen, sind durch absolut nichts zu rechtfertigen. Das Böse kennt keine religiösen Grenzen und verliert durch keinen Glaubensanstrich seine Boshaftigkeit. Aber die hier behandelten Themen sind von wesentlicher Bedeutung, weil sie Hintergründe beleuchten. Nur wenn wir die Gründe für den Hass der einen und das Misstrauen der anderen in der muslimischen Welt verstehen, können wir beginnen, konstruktiv mit den Muslimen umzugehen, die offen für gegenseitigen Respekt und Verständnis sind. Und das sind viele.
Bisher hat jedes Glaubenssystem, das für politische Zwecke eingesetzt wurde (oder die Politik für die Erreichung seiner Ziele missbrauchte), zu Intoleranz, Unterwerfung und Verfolgung Andersdenkender geführt. Sowohl das Christentum als auch der Islam haben sich in unterschiedlichem Maße und zu unterschiedlichen Zeiten auf die »unheilige Allianz« von Religion und politischer Macht eingelassen.
Die Antwort des Christentums
Während sich das Christentum in den letzten zweihundert Jahren im Allgemeinen von Gewalt und Mittelalter entfernt und der Toleranz zugewandt hat, ist es dem Islam nicht gelungen, die fortschrittlicheren Werte seines »goldenen Zeitalters« wiederzuerlangen. Die militanten Stimmen, die für ein traditionelles und exklusives Verständnis des Islam eintreten, haben vielmehr an Einfluss gewonnen.
Einige Christen behaupten, dass Allah nicht derselbe Gott ist wie der Gott der Bibel. Daher sehen sie keine Grundlage für ein Gespräch mit Muslimen über geistliche Fragen. Dies ist ein unglückliches Verständnis. Das Argument lautet, das muslimische Gottesbild sei grundverschieden und Allah sei der Name des Mondgottes vorislamischer Zeit. Doch erstens ist klar, dass Allah im Koran der Schöpfergott ist (Sure 7,54), der »Herr des Jüngsten Gerichts« (Sure 1,4), der »Herr des Universums« (Sure 1,2). Er ist liebevoll, barmherzig und »oft vergebend« (Sure 3,31). Außerdem wurde das Wort »Allah« auch in vorislamischer Zeit immer für den höchsten Gott aller Götter verwendet (Arabien war vor dem Islam sehr polytheistisch). Mohammed übernahm das allgemein bekannte Wort für Gott und verwendete es für den einzigen, alleinigen Gott. Bei der Übersetzung der Bibel in eine neue Sprache ist es üblich, die in der Sprache vorhandenen Wörter zu verwenden, um die neu vorgestellten Konzepte oder den Schöpfergott zu beschreiben und zu benennen, der ihnen nicht bekannt war. Es ist auch wichtig zu wissen, dass eines der hebräischen Wörter für Gott »El« oder »Eloah« ist, das mit dem arabischen »Allah« verwandt ist. »El« findet sich in frühen ugaritischen Texten als oberster Gott des kanaanitischen Pantheons. Das hinderte Abraham und seine Nachfolger nicht daran, diesen Namen als einen der gebräuchlichen Namen für den HERRN zu übernehmen. Eine letzte Bemerkung: Allah ist das Wort, das von den etwa 17 Millionen arabischsprachigen Christen für Gott verwendet wird. Auch die arabischen Bibelübersetzungen benutzen es für Gott.
Wie sollten Adventisten sich zu den gegenwärtigen Ereignissen stellen?
Zunächst einmal ist es eine demütigende Erkenntnis, dass jedes Glaubenssystem, ob christlich oder nicht, toxische Elemente entwickeln kann, die zu Überlegenheits- und Exklusivitätsgefühlen und zu Intoleranz gegenüber Andersgläubigen führen, bis hin zu deren Isolierung (oder unserer eigenen Isolierung von ihnen). Solche Elemente können Andersgläubige entmenschlichen, was dann zu Diskriminierung und sogar Gewalt im Namen der Wahrheit führen kann. Das ist ein Problem der menschlichen Natur.
Was sind einige der Elemente eines »toxischen Glaubens«?16 Glaubenssysteme, denen es wichtiger ist, das Leben ihrer Mitglieder zu kontrollieren, als ihnen mit Mitgefühl zu begegnen; Einstellungen, die arrogant verkünden: »Wir haben die ganze Wahrheit« und andere haben gar keine Wahrheit (im Gegensatz zu einer Haltung: »Wir können voneinander lernen«); ein gesetzlicher Glaube (dem richtiges Verhalten wichtiger ist als richtige Beziehungen); Glaubenssysteme, die mehr Energie darauf verwenden, die Wahrheit zu verteidigen, als einen von Gnade erfüllten Heilungsdienst zu verkünden und zu leben; Systeme, die sich eher als Club der Gerechten denn als Krankenhaus für Kranke und Zerbrochene sehen, in dem Heilung erlebt wird; ein Verurteilen des Nächsten, bevor man versucht hat, die Gründe für sein Verhalten zu verstehen.
All dies sind Fallstricke für die Heiligen, die die Saat für Intoleranz und Hass und deren unglückliches Ende darstellen können. Es ist eine Sache, sich im Stillen zuversichtlich zu Gottes Volk zugehörig zu wissen, und andere gewinnend in unsere Gemeinschaft zu ziehen. Eine ganz andere Sache ist es, die »Wahrheit« als Mittel zu benutzen, um uns gegen diejenigen abzugrenzen, die »sie« nicht haben, und dadurch zu einer Haltung der Überlegenheit und sogar zur Bereitschaft zu gelangen, verschiedene Formen von Gewalt anzuwenden, um unsere Ziele zu erreichen.
Zusätzliche Vorschläge:
Siebenten-Tags-Adventisten haben einen monotheistischen Glauben, wie er auch im Alten Testament beschrieben wird; einen Glauben, dem Abraham folgte. Auch der Islam führt sein monotheistisches Erbe über Ismael auf Abraham zurück.
Vor allem sollten wir es vermeiden, Muslime in eine Schublade zu stecken, weil Nachrichtenclips dies nahe legen oder manchmal suggeriert wird, Religion sei die einzige Ursache für die aktuellen Konflikte.
Adventisten verstehen ihre einzigartige Rolle in der Endzeit als Aufruf und Warnbotschaft, um Menschen auf das Kommen Jesu vorzubereiten. Wir sind eine weltweite Bewegung, die diese Botschaft allen Völkern verkündet: Christen, Postchristen, Modernen, Postmodernen, Säkularen, Muslimen, Buddhisten, Hindus, Bahais, Shintos, Kommunisten, Gläubigen und Ungläubigen gleichermaßen. Da es sich um »einen Glauben und eine Anbetung handelt, die nichts mit Kaste oder Land zu tun haben, einen Glauben, der sich allen Völkern, allen Nationen, allen Menschenklassen anpasst«17, sollte er sich nicht durch politische Ereignisse oder Katastrophen abschrecken lassen.
Adventisten führen ihr geistliches Erbe direkter auf jene Gruppen von Bibeltreuen zurück, die von den großen christlichen Kirchen verfolgt wurden. Gruppen wie die »Urchristen« in Großbritannien, die Täufer, die Waldenser und andere Christen im Nahen Osten, die von der römischen und byzantinischen Kirche exkommuniziert wurden.18 Diese Gruppen, die die »Kirche in der Wüste« aus Offenbarung 12 bildeten, litten zusammen mit Muslimen und Juden unter den Kreuzzügen (ein Punkt, der in unseren Beziehungen zu Muslimen nicht außer Acht gelassen werden kann).
Adventisten täten gut daran, ihren Glauben von den triumphalistischen Haltungen anderer Gruppen abzugrenzen, die das »Reich Gottes« als »Herrschaft« des Christentums durch irdische Regierungen über andere »Ungläubige« sehen.19
Unser Auftrag ist klar. »So geht nun hin und macht zu Jüngern alle Völker«20 und konzentriert euch dabei besonders auf die »ewige Botschaft der Guten Nachricht«, die für »alle Nationen und Stämme und Sprachen und Völker« bestimmt ist, um »Gott zu fürchten und ihm die Ehre zu geben! Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen! Und betet den an, der Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen gemacht hat«21.
Unsere Aufgabe ist es daher, alle, auch die Muslime, zu einer bestimmten Glaubensqualität, Heilsgewissheit und einem Verständnis der Bedeutung von Gottes Endzeitwarnungen aufzurufen.
Da Gottes Geist und sein allgemeiner Schutz sich allmählich von der Erde zurückziehen und die bösen Mächte ihren wahren Charakter zeigen, ist eine heilsame Kraft vonnöten, eine Kraft der Versöhnung (zwischen den Völkern und zwischen der Menschheit und Gott).22 Wir sind »Botschafter« der Versöhnung, die Gottes Liebe, Heilung und Vergebung einer Welt vermitteln, die an Egoismus, Rache, Hass und Misstrauen zerbricht.
Die gegenwärtige Situation ist durch Rache und Vergeltung gekennzeichnet, die die einzige menschliche Reaktion in Gesellschaften sind, in denen Scham und Ehre herrschen. Dies führt nur zu einer Eskalation tragischer Ereignisse. Das adventistische Verständnis des großen Kampfes und der Art und Weise, wie Gott das Problem der Sünde (Schande) im Universum löst, ist eine Botschaft, die heute dringend gebraucht wird.
Das einzige Heilmittel gegen den gegenwärtigen Kreislauf der Rache besteht darin, zu verstehen, dass nur Gott unsere Ehre wiederherstellen kann, uns selbst diesem Prozess hinzugeben und dann denen das richtige Gottesbild zu verkünden, die mit Scham so umgehen, wie es der Feind tut.
Adventisten sollten bei der Linderung von Leid, der Vermittlung von Konflikten und der Ermöglichung von Versöhnung an vorderster Front stehen. Gottes Fußspuren sind in den Trümmern einer zerbrochenen Welt zu finden. Es ist unser hohes Vorrecht, in seinen Fußstapfen zu wandeln, indem wir seine Gnade austeilen.23
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1 Hugh Goddard, A History of Christian-Muslim Relations (Chicago: New Amsterdam Books, Ivan R. Dee, 2001), S. 37, 38.
2 Eusebius, Historia Ecclesiastica (London: SPCK, 1927), Buch X, S. 9.
3 Siehe Samuel H. Moffett, A History of Christianity in Asia, Vol. 1: Beginnings to 1500 (New York: Orbis Books, 1998).
4 Hitti, History of the Arabs from the Earliest Times to the Present (London: Macmillan, 1958), S. 143.
5 Moffett, S. 338.
6 Youssef Courbage und Philippe Fargues, Christians and Jews Under Islam (New York: I. B. Tauris Publishers, 1998), S. 45.
7 Thomas F. Madden, A Concise History of the Crusades (New York: Rowman & Littlefield Publishers, Inc., 1999), S. 1-20. Dies wird auch erwähnt in Steven Runciman’s A History of the Crusades (Cambridge, Eng.: Cambridge University Press, 1951), Vol. I, S. 108, 109.
8 Runciman, Bd. III, S. 139-144.
9 Ebd., Bd. I, S. 287.
10 Ebd., S. 187.
11 Ebd., Bd. II, S. 466.
12 Goddard, S. 68.
13 A. S. Ahmed, Living Islam (London, 1995), S. 76, zitiert in Carole Hillenbrand, The Crusades: Islamic Perspectives (New York: Routledge, 2000), S. 590.
14 Muneer Fareed, »Against Ijtihad«, The Muslim World 91, Nr. 3 und 4 (Herbst 2001): 355-370.
15 Benjamin R. Barber, Jihad vs. McWorld (New York: Ballantine Books, 1996), S. 5.
16 Steve Arterburn und Jack Felton führten den Begriff »toxischer Glaube« ein in ihrem 1991 erschienenen Buch mit demselben Titel. Zwei neuere Bücher knüpfen an dieses Thema an: More Jesus Less Religion, ebenfalls von Arterburn und Felton, und Soul Survivor: How My Faith Survived the Church, von Philip Yancey.
17 Ellen G. White, The Desire of Ages (Mountain View, Calif.: Pacific Press Pub. Assn., 1940), S. 820.
18 Siehe Ellen G. White, The Great Controversy (Mountain View, Calif.: Pacific Press, 1950), S. 62-64.
19 Siehe White, The Desire of Ages, S. 509.
20 Matthäus 28,19.
21 Offenbarung 14,6.7.
22 Siehe 2. Korinther 5,17-21.
23 Siehe Ellen G. White, The Ministry of Healing (Mountain View, Calif.: Pacific Press Pub. Assn., 1942), S. 106.
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Jerald Whitehouse war von 1995 bis 2009 Direktor des Globalen Zentrums für adventistisch-muslimische Beziehungen mit Sitz in Loma Linda, Kalifornien.
Quelle: Jerald Whitehouse, God’s Footprints in the Rubble. Adventist-Muslim relations during crisis. Erschienen im Jahr 2002 im Adventist Review.
https://www.adventistreview.org/archives/2002-1537/story1.html
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