Wie schillernde Persönlichkeiten die Adventgemeinde fast zum Entgleisen brachten. Von Russell Standish (1933–2008)
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Viele Siebenten-Tags-Adventisten glauben, dass die neue Theologie ein Phänomen der 70er Jahre ist. Aber die Studenten der Adventgeschichte haben entdeckt, dass sie ihre Ursprünge sogar in der Frühzeit der STA-Gemeinde hat.
Schon bald nach 1844 kamen verschiedene fanatische und abweichende Lehrmeinungen auf. Nur ein Wunder Gottes konnte eine Handvoll von Gläubigen durch die schrecklichen Wirrnisse zwischen 1840 und 1860 führen. Von denen, die die Enttäuschung von 1844 erlebt hatten, waren nur wenige zum aufrichtigen Studium bereit, um die Fehlinterpretation der 2300-Tage-Weissagung aus Daniel 8 von William Miller aufzudecken. Viele kehrten in die Sterilität (Leere) ihrer früheren Kirchen zurück. Einige gaben ihr Christentum sogar ganz auf. Andere gründeten die Gemeinschaft der Adventchristen, eine kleine Gruppe von Christen, die es immer noch gibt. Sie treten für die Sonntagsheiligung ein und haben keine besonders missionarische Ausrichtung.
Sabbat, Seelenschlaf, Gesundheits- und Bildungsreform
Einige aber, die die Heiligtumslehre studierten, erkannten, dass Reinigung des Heiligtums nicht die Zerstörung der Erde durch Feuer meinte, sondern den Beginn von Jesu Dienst in der zweiten Abteilung des himmlischen Heiligtums. Bald wurde die kleine Gruppe, die die 2300-Tage-Weissagung richtig verstand, untereinander darin eins, dass der Tod ein Schlaf ist. Sie akzeptierten die Offenbarung der Sabbatwahrheit und die Verbindung von Gottes Gesetz mit dem Evangelium. Später nahmen sie die offenbarte Wahrheit über Gesundheit und Bildung an.
Ablehnung des Geistes der Weissagung
Dennoch gab es Abspaltungen. In den frühen 50er Jahren des 18. Jahrhunderts trennte sich eine Gemeinschaft, nun als »Gemeinde Gottes des siebenten Tages« bekannt, aus der Verbindung mit Gottes Volk vor allem wegen ihrer Ablehnung der prophetischen Gabe von Ellen White. Auch sie existiert heute noch als kleine Gemeinde. Weitere Zwistigkeiten gab es, als sich 1863 die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten bildete. Doch wie durch ein Wunder hat Gott sein Volk trotz all dieser Probleme zusammengeführt.
Diskussionen der Frühzeit
Meinungsverschiedenheiten gab es auch weiter. Über die Göttlichkeit Jesu Christi wurde heiß diskutiert. Weiteren Stoff für theologische Konflikte lieferten folgende Fragen: Von welchem Gesetz spricht der Galaterbrief? Stellt der Nordkönig das Osmanische Reich oder das Papsttum dar? Ist in Daniel 8,11 das heidnische oder das päpstliche Rom gemeint? Doch trotz dieser oft heißen Auseinandersetzungen gründete Gott eine starke und zielstrebige Gemeinde, vereint auf den Pfeilern und Fundamenten des adventistischen Glaubens.
Dudley Canright: Freund von Augustinus
Leider wurde die adventistische Einheit ständig von innen heraus angegriffen. Die neue Theologie findet ihre Entsprechung, als sich Dudley Canright, einer der fähigsten Sprecher und Leiter der Frühzeit, begann, von der Gemeinde zu distanzieren. Geschwister White mochten Canright sehr, und doch war er sich in seiner Bindung an die Botschaft ziemlich unschlüssig. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts kehrte er sich schließlich völlig ab, um nie mehr auf dem Weg des Lichts zu gehen. Er wurde ein großer Gegner der Adventgemeinde. Wiederholt schrieb er gegen die Heiligtumslehre und nahm eine Menge augustinischer Prinzipien in seine Theologie auf. Sogar heute empfiehlt man seine Bücher gegen die Adventbotschaft den Schülern in vielen protestantischen theologischen Seminaren auf der ganzen Welt als Lektüre.
Albion Ballenger: Gegner der Heiligtumslehre
Um die Jahrhundertwende forderten andere die Einheit des Glaubens heraus. Mit am bekanntesten war Albion F. Ballenger. Er war Missionar in Großbritannien, doch als er um 1905 in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, leugnete er die Heiligtumslehre aufs Stärkste. Er präsentierte ein Evangelium, das sich allein auf Rechtfertigung gründete. Ohne Frage war er ein Vorläufer der falschen Lehre, die gerade heute in dramatischer Weise die Glaubensfundamente der Adventgemeinde unterhöhlt.
Ludwig Richard Conradi: von der Bekehrung bis zum Austritt
Ein Zeitgenosse von Ballenger war Ludwig Richard Conradi, einer der einflussreichsten frühen Befürworter der Neuen Theologie in der Adventgemeinde. Conradi, der als junger Deutscher in den Vereinigten Staaten lebte, wurde in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts Adventist. Allerdings verlor er nachweislich sein Vertrauen in den Geist der Weissagung, als Ellen White 1888 die Botschaft von Waggoner und Jones unterstützte. Seitdem kritisierte er ständig den Geist der Weissagung. Trotz seiner weitreichenden, verantwortungsvollen Führungsposition im Werk der Gemeinde unterstützte er die Lehren der Gemeinde jedoch nie völlig.
Eine Zeitlang war Conradi als Missionar in den großen deutschen Gemeinden der Ukraine tätig. Später wurde er Vorsteher der Europäischen Division, wo er die Botschaften des Geistes der Weissagung fast auf eigene Faust unterdrückte. Er wehrte sich dagegen, dass die Manuskripte des Geistes der Weissagung ins Deutsche übersetzt würden und ist wahrscheinlich mehr als jede andere Person dafür verantwortlich, dass viele Siebenten-Tags-Adventisten in den europäischen Gebieten dem Geist der Weissagung mit einer solchen Gleichgültigkeit und negativen Einstellung begegnen. Conradi glaubte weder an die Heiligtumslehre, noch an den Sieg über die Sünde. Dafür glaubte er an die Theologie, die sagt: »Rechtfertigung allein.«
Es war Conradi, der viele europäische Glieder der Adventgemeinde im Ersten Weltkrieg in den Kriegsdienst führte. Auch ist er dafür verantwortlich, dass die STA-Reformgemeinde entstand. Als sein Einfluss in Europa immer fragwürdiger wurde, rief man ihn in den 20er Jahren als Feldsekretär zur Generalkonferenz. Dort wurden dann seine theologischen Ansichten so offensichtlich, dass er unter der Führerschaft des GK-Präsidenten William Spicer von der Generalkonferenz entlassen wurde. 1932 trat er im Alter von 76 Jahren selber aus der Gemeinde aus und wurde Prediger bei den Siebenten-Tags-Baptisten.
William Fletcher verbreitet Conradis Theologie
Nach seinem Austritt reiste Conradi weit umher. Er versuchte, der Gemeinde viele bedeutende Leiter zu entfremden. Bei einer Gelegenheit sprach mein Zwillingsbruder Colin mit Roy Allan Anderson, dem ehemaligen Predigtamtssekretär der Generalkonferenz. Dieser erzählte ihm, dass er in den 30ern als Evangelist in England war. Dort habe Conradi versucht, ihn auf seine Seite zu ziehen. In den 20er Jahren hatte Conradi bereits Erfolg bei dem australischen Prediger William W. Fletcher gehabt. Dieser war damals der Vorsteher der Südasien-Division.
Als Fletcher nach Australien zurückkehrte wurde er Vorsitzender der Bibelabteilung am Australasian Missionary College, dem heutigen Avondale College. Hier begann er eine neue Theologie zu lehren, die nur wenig von der Lehre von Dr. Desmond Ford abweicht, die vier bis fünf Jahrzehnte später auftauchte. Der damalige Vorsteher der Australasian Interunion Conference Charles H. Watson war beunruhigt und schickte Pastor Fletcher zur Generalkonferenz. Dort sprach eine Gruppe von leitenden Brüdern einschließlich des GK-Präsidenten W. A. Spicer zwei Wochen lang mit Fletcher. Diese Gespräche zeigten aber keine Wirkung und so entließ man Fletcher aus seiner konfessionellen Tätigkeit.
Die Lehre der Plymouth-Brüder
Laut einem Bericht aus erster Hand von Dr. Athol Piper, waren die Schreibtischschubladen von Fletcher voller Literatur der Plymouth-Brüder. Dr. Piper ist der Sohn von Prediger Albert H. Piper, der die schwierige Verantwortung hatte, vorübergehend den Zweig für Religion auf dem Australasian Missionary College zu leiten, als Pastor Fletcher entlassen wurde. Die Lehre der Plymouth-Brüder hat viel Gemeinsamkeit mit der neuen Theologie.
Vorläufer von Desmond Ford
Vor ein paar Jahren hatte mein Bruder Colin die Gelegenheit, das Buch von William Fletcher zu lesen, das dieser nach seiner Trennung von der Gemeinde geschrieben hat. Der Titel lautete The Reason for My Faith (Der Grund für meinen Glauben). Die auffallende Parallele zwischen seiner Theologie und der von Desmond Ford ist nicht zu übersehen. Wie zu erwarten, blieb der Einfluss von Fletcher auch nach seinem Austritt weiterhin erhalten.
Robert Greive und Augustinus
Seinen Einfluss spürte man wieder in den 50ern. Zu dieser Zeit war Robert Greive ein bekannter Vereinigungsvorsteher erst in South-Queensland und zu jener Zeit in Nord-Neuseeland. Er beeinflusste eine Menge aus unserem Jahrgang. Einige von ihnen gehörten zu den besten Studenten des Avondale Colleges Anfang der 50er. Sie verließen zusammen die Adventgemeinde, denn sie hatten viele theologische Prinzipien von Augustinus übernommen.
Schlüsselthema: ungefallene Natur Jesu
Es wäre an dieser Stelle unfair, den Weggang von Desmond Ford gänzlich von diesen früheren Trennungen abzuleiten, dennoch haben sie zweifellos eine einflussreiche Rolle gespielt. Mittlerweile ist nicht mehr zu übersehen, dass einige der augustinischen Irrlehren an unserem Seminar gelehrt wurden, das sich damals in Washington, D.C. befand. Schon 1947 z. B. kam ans Licht, dass mindestens ein Lehrer die ungefallene Natur Jesu unterrichtete und gerade diese Lehre ist ein Schlüsselthema der Neuen Theologie.
Großer Personalwechsel bei den Lehrern in Washington
In den 50er Jahren war man dort sehr besorgt wegen einiger Lehrer am Seminar. Diese Besorgnis galt aber nicht den Ideen der Neuen Theologie, sondern eher der Bibelkritik. Damals tauschte man eine große Anzahl dieser Lehrer aus, die von der augustinischen Theologie beeinflusst waren. Die neuen Lehrer nahm man herzlich auf, da sie scheinbar ein christozentrisches Verständnis hatten und die biblische Theologie betonten. Schließlich hatten ihre Vorgänger gefährliche Irrtümer gelehrt.
Desmond Ford als Verteidiger der Gemeinde gegen Robert Brinsmead
Ende der 50er Jahre schrieb sich Dr. Desmond Ford ins Seminar in Washington, D.C. ein und machte dort seinen Masterabschluss, bevor er an der Universität in Michigan promovierte. Anfang der 60er kam er dann nach Australien zurück, um den Zweig Bibelkunde am Avondale College zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt spürte man in Australien sehr schmerzhaft den Einfluss von Robert Brinsmead. Die Gemeinschaftsleitung tat alles Mögliche, um seinen rasch wachsenden Einfluss in konservativen Kreisen zu verhindern. Sie fanden bald in Desmond Ford eine charismatische Persönlichkeit, die der Theologie Brinsmeads entgegentreten konnte. Zu jener Zeit war Brinsmead noch der grundlegenden, ausgewogenen Adventbotschaft in vielen seiner Ansichten treu. Doch seine zunehmende Betonung des augustinischen Konzepts der Ursünde und seine Ansicht von der Auslöschung unbewusster Sünde bei der Versiegelung, machten ihn später sehr leicht verwundbar durch die evangelikal-protestantische Theologie. Diese Tatsache erklärte die drastische Wandlung seiner Ansichten in den frühen 70ern.
Es ist zu bezweifeln, dass sich Dr. Ford in seiner Rolle als Verteidiger der Gemeinschaft sehr wohlfühlte, da Brinsmead nicht nur sein Kommilitone auf dem Avondale College, sondern auch sein Freund war. Weil Dr. Ford die Gemeinde verteidigte, sorgten sich nur wenige um die verführerische Theologie, die er öffentlich predigte und auch seinen Studenten am Avondale College beibrachte.
Ford führte zum Protest gegen die Heiligtumslehre
Um 1965 kam es dann allerdings zu einer alarmierenden Situation. Fünf Praktikanten vom Avondale College standen auf dem Camp-Meeting der Victoria-Vereinigung gegen die Präsentation der Heiligtumslehre auf. Bruder George Burnside, einer der hervorragendsten und erfolgreichsten Evangelisten in der Geschichte der Gemeinde Australiens und Neuseelands, war der Referent. Alarmiert teilten Burnside zusammen mit dem Vereinigungsvorsteher Leo Rose und Bruder John Keith, dem Vereinigungsvorsteher der Trans-Commonwealth (jetzt Trans-Australien-Verband) ihre Sorgen der Division mit. Doch zu dieser Zeit waren weder die Division, noch das College darauf vorbereitet, die Probleme in der Theologie von Ford zu sehen, auf den sich die Praktikanten in ihrer Ablehnung gegen die Heiligtumslehre beriefen. […]
Ford studierte Lehren des Augustinus mittels schottischem Calvinismus
Nach unsrer Beurteilung haben die Predigten angesehener schottischer Prediger, mit denen sich Dr. Ford intensiv beschäftigte, einen großen Einfluss auf ihn ausgeübt. Er benutzte sie sehr oft als Grundlage für seine eigenen Predigten. Da die Verfasser aber Mitglieder der schottischen Kirche waren, zeugten ihre Predigten von der augustinischen Theologie, die in die calvinistischen Lehren eingebettet ist. Diese augustinischen Prinzipien nahm Dr. Ford zweifellos in seine Lehre auf.
In den frühen 70ern reiste Dr. Ford nach England zur Manchester-Universität, wo er unter F. F. Bruce studierte, einem berühmten Professor und Mitglied der Plymouth-Brüder. (Die Plymouth-Brüdergemeinde wurde im 19. Jahrhundert von John Darby gegründet. Sie wurzelte tief in der Theologie des Augustinus und in der jesuitisch-futuristischen Auslegung der Prophetie.)
Ford prägte eine ganze Generation von Pastoren
Für einen Zeitraum von sechzehn Jahren formte Dr. Ford die Theologie der Predigerschaft in der Australasien-Division (jetzt Südpazifik-Division). Nur eine Handvoll seiner Theologiestudenten waren in der Lage, die Irrtümer in seinen Lehren zu erkennen. Seine charismatische Persönlichkeit, sein brillantes Auftreten und sein fotografisches Gedächtnis machten es für die Studenten sehr schwierig, nicht blindlings auf sein theologisches Konzept hereinzufallen. Doch die Probleme wurden größer. Schon bald beeinflussten die Predigten von Dr. Ford und später auch die von seinen Studenten die Lehrer an den Akademien und Colleges in der Südpazifik-Division. Kaum später lernten die Kinder die neuen Ansichten an ihren Schulen und die Glieder hörten sie im wöchentlichen Gottesdienst. In derselben Zeit ließ das Bibelstudium nach und eine große Anzahl wurde zu Lämmern, die sich von der einleuchtenden Darstellung der falschen Schafhirten zur Schlachtbank führen ließen.
Um die ganze Welt
Aber an dieser Stelle beeile ich mich hinzuzufügen, dass die neue Theologie nicht nur auf einen bestimmten Kontinent beschränkt war. Gewiss war der Einfluss Conradis auf ganz Europa so durchdringend, dass seine Trennung vom Adventglauben wahrscheinlich nicht nur die Europäer infiziert hat. Gleichermaßen wurde die neue Theologie in Afrika und Asien verbreitet von amerikanischen Missionaren und Einheimischen, die an den westlichen adventistischen Colleges studiert hatten. Obwohl in Lateinamerika noch nicht so stark präsent, hat die neue Theologie ihren Weg auch schon in diese Gebiete gefunden. Wir sagen das, um den treuen Lehrern Achtung zu zollen, die an unseren Schulen und Colleges ständig gekämpft haben und die noch immer heldenhaft in Gottes Gemeinde gegen die Einbrüche der neuen Theologie kämpfen.
Vertrauen auf Prophezeiungen
Die neue Theologie ist ein weltweites Problem. Satan hat sie benutzt in dem Versuch, Gottes Gemeinde der Übrigen entgleisen zu lassen. Wir vertrauen dem Zeugnis von Ellen White, dass er keinen Erfolg haben wird. Leider werden jedoch viele von Gottes Volk durch diese falsche Theologie verlorengehen.
Aus: Our Firm Foundation, Juni 1988
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