Über Jahrhunderte hinweg wurden die Waldenser verfolgt, verleumdet und unterdrückt – doch sie hielten an der Bibel als einziger Richtschnur fest. Ihr Widerstand gegen die Traditionen der römischen Kirche hatte seinen Preis: Verfolgung, Entbehrung und schließlich eine folgenschwere Anpassung. Was können wir heute aus ihrer Geschichte lernen? Von Jim Hohnberger
Lesezeit: 7 Minuten
Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus. (1. Timotheus 2,5)
Dieser Bibelvers prangt über der Tür einer Waldenserkirche aus dem 16. Jahrhundert, die ich in den italienischen Alpen besuchte. Seit jeher gab es Männer und Frauen, die extreme Not und Entbehrungen auf sich nahmen, um den reinen, einfachen Glauben der Bibel zu bewahren.
Die »Straftat« der Waldenser bestand darin, dass sie Gott nicht nach den Vorgaben der römischen Kirche verehren wollten. Sie hielten sich an ein »So spricht der HERR« statt an ein »So spricht die Kirche«. Dafür wurden sie als Ketzer gebrandmarkt, verleumdet, verfolgt und ihre Schriften vernichtet. Jahrhunderte lang fanden sie in den italienischen Alpen Zuflucht, wo sie trotz Gefahren und Entbehrungen am apostolischen Glauben festhielten. Hier bewahrten sie ihre Unabhängigkeit, Gott nach ihrem Gewissen zu dienen – frei von der Kontrolle der römischen Kirche.
Was trennte die Waldenser von Rom?
Die römische Kirche beanspruchte die Rolle des Mittlers zwischen Gott und den Menschen. Sie wollte herrschen und ihre eigenen Regeln durchsetzen. Doch die Waldenser erkannten allein die Bibel als höchste Autorität an und lehnten die Ansprüche der Kirche ab. Ihre Treue zu Gott führte zwangsläufig zur Trennung von Rom.
Wer verursachte also diese Spaltung? Die Waldenser, die Gott weiterhin im Geist und in der Wahrheit anbeteten? Oder die Kirche, die menschliche Traditionen über Gottes Wort stellte? Die Wahrheit ist: Die römische Kirche entfernte sich von Gott und seinem Wort und wurde damit unabhängiger von ihm als so manche andere Glaubensgemeinschaft.
Mein eigener römischer Hintergrund
Ich wuchs in der römischen Kirche auf und lernte mehr aus dem Katechismus als aus der Bibel. Meine Sünden beichtete ich dem Priester statt Gott, betete häufiger zu Maria als zu Christus und besuchte die Kirche am Sonntag statt am Sabbat. Ich benutzte Weihwasser, zahlte für Ablässe und empfing Absolution vom Priester, der mir erlaubte, Regeln zu brechen, die ich für göttliche Gebote hielt.
Kurz gesagt: Mein Glaube bestand aus Traditionen und äußeren Ritualen. Eine echte Herzensbekehrung und ein vertrauensvolles Leben mit Jesus als meinem Mittler kannte ich nicht.
Der Glaube der Bibel
Die Kirche hatte in meinem Leben den Platz Jesu eingenommen. Ihre Regeln waren mein Maßstab, nicht die Bibel. Doch dann schickte Gott Paul und Ethel in unser Leben, die uns mit seinem Wort bekannt machten. Nach 18 Monaten intensiven Studiums entschieden meine Frau Sally und ich, uns der »Gemeinde der Übrigen« anzuschließen, den Siebenten-Tags Adventisten.
Von nun an wollten wir nicht mehr blind den Anweisungen von Menschen folgen. Allein die Schrift – Sola Scriptura – sollte unser Maßstab sein. In unserem Glaubensbekenntnis bekannten wir: »Wir glauben, dass die Bibel Gottes inspiriertes Wort ist und die alleinige Grundlage für unseren Glauben und unser Handeln bildet.« Wir anerkannten Jesu Gerechtigkeit durch den Glauben und ihn als unseren einzigen Mittler.
Die Waldenser heute
Warum traten wir nicht einfach der Waldenserkirche bei? Weil diese einst mutige Gemeinde sich im Laufe der Zeit dem Einfluss Roms beugte. Um einen trügerischen Frieden zu wahren, akzeptierten sie menschliche Lehren und gaben ihr Recht auf Gewissensfreiheit auf.
Immer wenn Gläubige oder ganze Gemeinden die Autorität der Bibel aufgeben, geraten sie ins Wanken. Die Waldenser verloren ihre ursprüngliche Identität, weil sie sich von den Prinzipien entfernten, die sie einst stark machten.
Die Kirche der Waldenser fiel an dem Tag, als sie die Kirche von Rom als Mittler akzeptierte und von Menschen gemachte Regeln annahm – im Tausch gegen einen trügerischen Frieden. Ein Jahrtausend lang waren sie bereit, Hab und Gut, ja sogar ihr Leben und das ihrer Kinder zu opfern, um göttliche Gebote nicht mit menschlichen Forderungen zu vermischen. Doch schließlich wurden sie müde. Die römische Kirche gewährte ihnen eine Gunst, die in Wahrheit ihr göttliches Recht war: die Freiheit des protestantischen Gottesdienstes in ihren Gebieten.
Doch dieser scheinbare Frieden hatte seinen Preis. Die Waldenser mussten ihren treuen Führer Henri Arnaud und andere standhafte Hirten ins Exil schicken. Ihnen wurde untersagt, zu evangelisieren, Menschen zu bekehren, eine Druckerpresse zu besitzen oder ihre Bücher Katholiken zu verkaufen oder zu verleihen.
Viele Rechte und Pflichten, die das christliche Leben ausmachen, wurden ihnen verweigert. Ihre geistliche Blüte begann zu welken. Zwar war die Zeit blutiger Verfolgung vorbei, doch nun waren sie gefangener als je zuvor. Sie tauschten die Grundsätze der Gewissensfreiheit – die Wurzel aller Freiheit – gegen einen Scheinfrieden ein. Sie gaben ihre von Gott verliehenen Rechte auf und beugten sich Forderungen, die in seinem Wort nicht zu finden waren.
Wann immer eine Einzelperson oder eine Glaubensgemeinschaft diesen Weg geht, führt er unausweichlich zum Niedergang. Entscheiden wir uns dafür, Gottes besonderes Volk zu sein – ungeachtet der Kosten und der Meinung anderer?
Wahrer Protestantismus
Seit ich nicht mehr der römischen Kirche angehöre, habe ich mich von der blinden Unterwerfung unter menschliche Autorität gelöst – zumindest dort, wo sie nicht vom Wort Gottes gestützt wird. Denn solche Autorität führt unweigerlich in die Knechtschaft. Ich habe erkannt: Die Bibel allein genügt als Richtschnur. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind haben das unveräußerliche Recht, sich in allem vom Wort Gottes leiten zu lassen.
Schon Jesus handelte unabhängig von den Regeln der Rabbiner. Sie drängten ihn, sich den Lehren und Traditionen des Altertums zu beugen, doch er fragte nach einem Beleg in der Heiligen Schrift. Jedes Wort aus Gottes Mund nahm er an – doch menschlichen Überlieferungen gehorchte er nicht. Ebenso hielten es die Apostel. Als man ihnen verbot, Christus zu predigen, entgegneten sie den Führern der jüdischen Gemeinde: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.« (Apostelgeschichte 5,29)
Zurecht wird gesagt: »Der Protestantismus stellt das Gewissen über den Staat und die Autorität von Gottes Wort über die sichtbare Kirche.« (The Great Controversy, 204; vgl. Der große Kampf, 203). Zwei große Themen durchziehen alle Zeitalter – Autorität und Freiheit. Beide sind notwendig und müssen in der Gemeinde wieder in ihrem rechten Verhältnis stehen: die Autorität des unfehlbaren Königs und die Freiheit, diesem König zu folgen. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Freiheit ohne Autorität ist Anarchie, Autorität ohne Freiheit ist Sklaverei. Doch zusammen sind sie untrennbar verbunden.
Den Waldensern verdanken wir viel: Sie säten den Samen der Reformation, die mit Wiclif begann, sich in Luthers Tagen ausbreitete und bis zum Ende der Zeit von allen weitergetragen wird, die bereit sind, für das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi alles zu erdulden (Offenbarung 1,9).
Diese Waldenser des 21. Jahrhunderts heißen 144.000. Sie bestehen aus Menschen aller Nationen, Geschlechter, Sprachen und Völker – sie erkennen Jesus als ihren einzigen Mittler an und Gottes Wort als einzige Richtschnur für Leben und Glauben. Möchtest du zu ihnen gehören? Oder wirst du dich wie so viele in Vergangenheit und Gegenwart vor einem anderen Herrn beugen?
Gekürzt und bearbeitet aus: Unser festes Fundament, 8/2001
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