Was geht gerade im Himmel vor sich? Von Kai Mester
Wer sich die Thronszenen in der Offenbarung des Johannes oberflächlich durchliest, erhält vielleicht einen falschen Eindruck: Als ob die Zukunft der erlösten und gerechten Menschen darin bestünde, dass sie vor dem Thron Gottes rund um die Uhr sitzen, stehen, niederfallen, reden, singen, Harfe spielen und mit Palmzweigen wedeln.
Wer hingegen die chronologische Abfolge der prophetischen Ereignisse genauer studiert und sich dazu auch mit dem Buch des Propheten Daniel beschäftigt, kommt zu einer ganz anderen Schlussfolgerung:
Bei den Thronszenen in Daniel und Offenbarung geht es um das einmalige Ereignis der Rechtfertigung von Gottes Herrschaft über das Universum, die in der Aussage gipfelt: »Halleluja! Denn der HERR, unser Gott, der Allmächtige, hat seine Herrschaft angetreten!« (Offenbarung 19,6)
Was Johannes und auch Daniel sehen, ist ein kosmischer Supreme Court. Der Oberste Gerichtshof im Universum beschäftigt sich mit der Frage: Ist Gott wirklich gerecht und der Herrschaft würdig? Und das vor allem im Umgang mit der Sünde und dem Menschen?
Dieses Tribunal der 24 Ältesten verkündet seine Urteile singend und mit Harfenmusik. Sie fallen auf ihr Angesicht, legen ihre Kronen nieder und räuchern Gott mit den Gebeten der Heiligen.
Die Schlüsselfigur, die zu diesem Urteil führt, ist in Daniel und Offenbarung Jesus, das Lamm. Er wird dort als Menschensohn beschrieben, als Messiasfürst, starker Engel, Reiter, der den Namen des Vaters auf seinem Gewand trägt und selbst verkörpert: »König aller Könige und Herr aller Herren.« Er selbst heißt auch: »Das Wort Gottes« (Offenbarung 19,13.16; 1. Timotheus 6,15).
Um die Verbindung zwischen Daniel und Offenbarung ganz unmissverständlich klar zu machen, endet das Buch Daniel damit, dass er einen Mann in leinenen Kleidern beschreibt (Daniel 12,6.7). Johannes sieht in der Offenbarung genau diesen Mann gleich als allererstes im himmlischen Heiligtum zwischen den Leuchtern dienen. Beim Lesen der beiden Stellen wird der Zusammenhang deutlich:
Der Mann in leinenen Kleidern
Daniel: »Siehe, da stand ein Mann, der hatte leinene Kleider an und einen goldenen Gürtel um seine Lenden. Sein … Antlitz sah aus wie ein Blitz, seine Augen wie feurige Fackeln, seine … Füße wie helle, blanke Bronze, und seine Rede war wie ein großes Brausen … Ich … sah dies große Gesicht … und ich hörte seine Rede; und während ich sie hörte, sank ich ohnmächtig auf mein Angesicht zur Erde.« (Daniel 10,5-9)
Johannes: »Und als ich mich umwandte, sah ich … einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel … Seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen … Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot.« (Offenbarung 1,12-17)
Ohne Frage: Die Offenbarung knüpft da an, wo das Buch Daniel aufhört.
Die Thronszene im Buch Daniel
Die Offenbarung vertieft und erweitert nicht nur die Visionen aus dem Buch Daniel. Sie tut das vor allem auch mit der Thron- und Gerichtsszene, die Daniel dort beschrieben hat. Hier ist sie:
»Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und einer, der alt war an Tagen, sich setzte. Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. Ein Feuerstrom floss und ging von ihm aus. Tausend mal Tausende dienten ihm, und zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet … Und den … Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen … Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.« (Daniel 7,9-14 ELB)
Wiederum eindeutig: Die Offenbarung beschreibt dieselbe Thron- und Gerichtsszene, nur ihn viel größerer Ausführlichkeit.
Parallelen zwischen den beiden Thronszenen
In beiden Visionen steht Gottes Thron auf Feuer und ist von weiteren Thronen umgeben (Daniel 7,9.10; Offenbarung 4,4.6; 15,2). In beiden Visionen wird Gericht gehalten und zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend Engel sind Zeugen dieser Szene (Daniel 7,9.10; Offenbarung 5,11; 20,4; Psalm 9,8; 122,5). Eine Schriftrolle oder Bücher werden geöffnet und studiert und eine Person im Universum wird gefunden, die die Herrschaftsprobleme im Universum löst (Daniel 7,10.13.14; Offenbarung 5,1-9.12; 6,1; 8,1; 20,12). Johannes hört das Ältestentribunal seine Urteile fällen: »HERR, unser Gott, du bist würdig … denn du hast alle Dinge geschaffen.« (Offenbarung 4,11) Das Lamm ist »würdig … denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft.« (Offenbarung 5,9) Und auch Daniel beschreibt die Machtübergabe an Jesus, was ein Beweis dafür ist, dass das Gericht sein Urteil gefällt hat: »Seine Macht ist ewig und vergeht nicht und sein Reich hat kein Ende.« (Daniel 7,14)
Hier sehen wir, dass die Detailbeschreibungen der Geschehnisse am Thron in der Offenbarung sich bis ins 20. Kapitel erstrecken. Die Gerichtsverhandlung geht über viele Jahre.
Die Verbindung zum Heiligtumsdienst
Bei diesem Gericht geht es um die Reinigung oder Rechtfertigung des Heiligtums, so wird es in der nächsten parallelen Vision erklärt, die Daniel erhält (Daniel 8,14). Und später wird ergänzt: »Viele werden gereinigt, geläutert und geprüft werden.« (Daniel 12,10).
Das ganze Buch Daniel ist ja eine Antwort auf die Frage, warum Gott die Zerstörung des Tempels in Jerusalem zugelassen hat. Ist er wirklich gerecht und würdig? Ist er tatsächlich imstande sein Volk aus Babylon zu retten? Wird er wirklich mit seinem Plan zum Ziel kommen, Jerusalem wiederherzustellen? Kann er sich von dem Schmutz der Sünde wieder befreien, die ihm durch sein Bemühen anklebt, den Menschen zu retten?
Mit unserer Sünde verunreinigen wir ja nicht nur uns selbst. Wir tragen diesen Schmutz mit seinem ganzen Leid automatisch in Gottes Herz hinein. Denn er trägt uns, er erträgt die Sünde, den Schmerz und auch die jahrtausendealten bösen Anschuldigung: Er sei eigentlich an allem schuld.
Dieser Schmutz und Schmerz, so die hoffnungsfrohe Verheißung, wird aus dem Universum wieder verschwinden, aus den Herzen aller, die sich davon reinigen lassen, aus dieser Welt und zuletzt auch aus dem Herzen Gottes.
Die Thronszene in der Offenbarung wird durch die Bilder des Heiligtumsdienstes verständlicher, die wir in der hebräischen Bibel finden.
Das Modell des salomonischen Tempels
- Der salomonische Tempel hatte eine Tür aus Olivenholz vor dem Allerheiligsten. Die musste am Versöhnungstag geöffnet werden. Deshalb sieht Johannes auch das Öffnen der Tür zum himmlischen Allerheiligsten: »Und siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel.« (Offenbarung 4,1; 15,5; 11,19; 1. Könige 6,31; 1. Chronik 28,19)
- Im salomonischen Tempel befanden sich im Heiligen sogar zehn siebenarmige Leuchter. Wenn man die angegebenen Maße des Tempels studiert, kann man davon ausgehen, dass man zum Allerheiligsten vom Heiligen aus, ein paar Stufen hinaufsteigen musste. Daher wird Johannes aufgefordert, nachdem er Jesus im Heiligen zwischen den Leuchtern gesehen hat: »Steig herauf!« (Offenbarung 4,1; 1. Könige 7,49; 1. Könige 6,2.20; Jesaja 6,1)
- Die Bundeslade in der Stiftshütte wird auch Gnadenthron genannt. Wenn Johannes nun einen Thron mit Regenbogen sieht, müssen wir darunter auch wie in der Bundeslade die Zehn Gebote vermuten (Offenbarung 4,2.3; 11,19; 4. Mose 7,89).
- Im Allerheiligsten des salomonischen Tempels befanden sich vier Cherubim: zwei goldene auf der Bundeslade und zwei 5 Meter hohe, vergoldete aus Ölbaumholz. Auch Johannes sieht vier Gestalten um den Thron. Ein Vergleich mit den Aussagen Hesekiels identifiziert sie als Cherubim, nur die Anzahl ihrer Flügel entspricht den Seraphim von Jesajas Vision (Offenbarung 4,6-8; Hesekiel 14,15; Jesaja 6,2-3; 1. Könige 6,23-26).
- Im salomonischen Tempel dienten die Priester und Sänger in jeweils 24 Abteilungen. Und hier in der Offenbarung stehen 24 Throne um den Thron von Geschöpfen, die räuchern und singen (Offenbarung 4,4.8.9; 1. Chronik 24; 25).
- Neben der Bundeslade lag eine Schriftrolle: das Buch des Gesetzes. Und auch Johannes sieht am Thron Gottes diese wichtige Schriftrolle (Offenbarung 5,1; 5. Mose 31,24; 2. Könige 22,8; Nehemia 8,1).
Kein Zweifel: Wir befinden uns im Allerheiligsten des himmlischen Tempels. Ebenso ist deutlich, dass hier ein sehr Hoher Rat tagt – der höchste Rat, von dem wir wissen.
Der himmlische Hohe Rat
Zur Zeit Jesu bestand der Hohe Rat in seiner kleinsten Ausführung aus 23 Ältesten oder Senatoren und in seiner größten aus 71. Das sind 24 oder 3×24 minus 1, um Pattsituationen zu vermeiden. Leider hat der irdische Sanhedrin mit seinen unrühmlichen Urteilen gegen Jesus, Petrus, Stephanus und andere Gottesmänner von sich reden gemacht. Der himmlische Hohe Rat aber wird die Gerechtigkeit wiederherstellen.
Wenn man die Zeitkette in Daniel 8,14 anhand des Datums ausrechnet, das in der erklärenden Vision in Daniel 9,25 genannt wird, erfährt man, dass der kosmische Supreme Court seit 1844 tagt. Dort wird nun laut Offenbarung 6 bis 8 das Buch entrollt, das nur das Lamm öffnen kann. Es enthält nicht nur die Bibel, sondern alle Worte, Gesetze und Verheißungen Gottes. Es beschreibt seinen Umgang mit dem Menschen in der Weltgeschichte, zeigt also seinen wahren Charakter. Dieses Buch enthält auch die Namen aller Geretteten. Es ist das Lebensbuch des Lammes (Offenbarung 13,8; 21,27).
Während es geöffnet wird, sieht das Tribunal Filmszenen aus der Kirchen- und Weltgeschichte (die 7 Siegel und die 7 Posaunen). Hier wird so spannenden Fragen nachgegangen wie:
- »Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?« (Offenbarung 6,10)
- »Es ist gekommen der große Tag [des] Zorns und wer kann bestehen?« (Offenbarung 6,17)
- »Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen?« (Offenbarung 7,13)
Alles dient dazu, die Ehre Gottes und des Lammes im ganzen Universum wiederherzustellen.
Da soll noch einer sagen, dass die Offenbarung ein Buch mit sieben Siegeln ist! Die Offenbarung fasziniert nicht nur wegen ihrer Bildersprache, sondern auch weil sie Antworten auf die Urfragen der Menschheit gibt und weil sie ein entsiegeltes Buch ist. Denn: »Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.« (Offenbarung 1,3)
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