Die olympische Religion im christlichen Gewand: Fremdes Feuer

Die olympische Religion im christlichen Gewand: Fremdes Feuer
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Wie das hellenistische Weltbild die Christen in den Synkretismus geführt und den Heiligen Geist neutralisiert hat. Von Barry Harker

Der berühmte Athlet Arrhichion aus Phigaleia in Südgriechenland starb 564 v. Chr. bei den olympischen Spielen im Würgegriff seines Gegners. Dennoch gewann er den Ringkampf. Es war ihm im letzten Moment gelungen, dessen Fußgelenk auszurenken. Als sein Gegner vor Schmerz den Würgegriff lockerte und aufgab, war es für das Leben Arrhichions aber schon zu spät.

Der Geist von Olymp: Bereit, für den eigenen Sieg zu sterben?

Bei einer 1980 veröffentlichten Umfrage wurden über hundert Läufer gefragt: »Würden Sie eine Pille nehmen, wenn Sie dadurch Olympiasieger werden könnten, aber ein Jahr später daran sterben müssten?« Über die Hälfte der Athleten beantwortete die Frage mit Ja. Eine ähnliche Umfrage 1993 unter Spitzensportlern verschiedener Disziplinen ergab dasselbe (Goldman and Klatz, Death in the Locker Room II. Chicago, Elite Sports Medicine Publications, 1992, Seite 1-6, 23-24, 29-39).

Die Doping-Skandale beweisen, dass diese Antworten nicht völlig von der Hand zu weisen sind. Im Wettkampfsport sind viele Athleten bereit, für den Sieg ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Warum genießen die Olympischen Spiele dann den Ruf, eine positive, moralische Kraft in dieser Welt zu sein?

Baron Pierre de Coubertin (1863–1937), der Vater der modernen Olympischen Spiele sagte: »Sowohl die Olympischen Spiele der Antike als auch die der heutigen Zeit haben ein wichtiges gemeinsames Merkmal: Sie sind eine Religion. Wenn der Athlet durch sportliches Training seinen Körper formte wie der Bildhauer die Statue, dann ehrte er damit die Götter. Der moderne Athlet ehrt damit sein Heimatland, sein Volk und seine Flagge. Ich denke daher, dass ich die Wiedereinführung der Olympischen Spiele zu Recht von Anfang an mit religiösem Gefühl verbunden habe. Sie werden zwar durch den Internationalismus und die Demokratie – den Merkmalen unserer heutigen Zeit – modifiziert und sogar veredelt, ist aber immer noch dieselbe Religion, die schon damals junge Griechen ermutigte, mit ganzer Kraft den höchsten Triumph zu Füßen der Zeusstatue zu erringen … Die Religion im Sport, die Religio Athletae, dringt nun allmählich ins Bewusstsein der Athleten, viele von ihnen lassen sich jedoch davon unbewusst leiten.« (Krüger, A.: »The Origins of Pierre de Coubertin’s Religion Athletae«, Olympika: The International Journal of Olympic Studies, Bd. 2, 1993, S. 91)

Sport war für Pierre de Coubertin »eine Religion mit Kirche, Dogmen und Ritualen … vor allem aber mit religiösen Gefühlen.« (Ebenda)

Die Eröffnungs- und Abschlussfeiern der Olympischen Spiele beweisen diese Tatsache unzweifelhaft. Farbe, Prunk, Musik, die Olympische Hymne, der Olympische Eid, das Olympische Feuer rufen Gefühle religiöser Ekstase hervor, die das kritische Auge blenden.

Die aufwändigen Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die Adolf Hitler für seine Propaganda missbrauchte, standen Pate für die Gigashows späterer Olympiaden.

Was sagt die Bibel dazu?

Der Geist von Olympia ist das genaue Gegenteil dessen, was Paulus allen Christen rät: »Tut nichts aus Selbstsucht oder nichtigem Ehrgeiz, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst.« (Philipper 2,3-5) »In der Bruderliebe seid herzlich gegeneinander; in der Ehrerbietung komme einer dem anderen zuvor!« (Römer 12,10)

Und Jesus selbst sagte: »Wenn jemand der Erste sein will, so sei er von allen der Letzte und aller Diener!« (Markus 9,35) »Wer der Geringste ist unter euch allen, der wird groß sein!« (Lukas 9,48)

»Geht ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der ins Verderben führt; und viele sind es, die da hineingehen. Denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind es, die ihn finden.« (Matthäus 7,13-14)

Der breite Weg ist der Weg des Egoismus, der schmale Weg der Weg der Selbstverleugnung: »Wer sein Leben findet, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.« (Matthäus 10,39)

In der Bergpredigt wird Jesus noch genauer: »Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, so biete ihm auch die andere dar.« (Matthäus 5,39)

Dieser starke Kontrast zwischen dem olympischen und dem christlichen Geist wirft die Frage auf:

Warum setzen sich viele Christen für die Olympiade ein?

1976 hatte die Fellowship of Christian Athletes (Gemeinschaft christlicher Athleten) in den USA über 55 000 Mitglieder. Auch die Organisation Athletes in Action, ein Dienst von Campus für Christus, hat allein 500 Mitarbeiter. Ihr Gedankengut geht auf die Muscular Christianity (das Muskelchristentum) im England des späten 19. Jahrhunderts zurück und wäre von den meisten Christen vorher als undenkbar abgelehnt worden. Die Ansicht, dass Leistungs- und Wettkampfsport hohen geistlichen Bildungswert haben, wurde besonders vom Leiter der Rugby School im englischen Warwickshire, Thomas Arnold (1795–1842), vertreten. Er war der geistliche Vater des bereits genannten Pierre de Coubertins, des Begründers der modernen Olympischen Spiele. Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit fanden dann im Jahr 1896 in Athen statt.

Schauen wir uns einmal die Argumente an, die Christen oft für Wettkampfsport nennen:

»Wettkampfsport ist freundschaftlich und spielerisch.« Leider ist das Gegenteil der Fall: Er ist im Kern kämpferisch und oft eine todernste Angelegenheit, auch wenn er im Zeichen der Freundschaft ausgetragen wird. Das oberste Ziel im Sport ist, andere auszustechen.

»Wettkampfsport fördert Fairness.« Man hat festgestellt: Je höher ein Athlet aufsteigt, desto leistungsorientierter wird er, desto wichtiger ist es ihm zu gewinnen und desto weniger Wert legt er auf Fairness. Ein weiterer Beweis gegen die Fairness-Theorie: Schon in der Schule, wo Wettkampfsportarten für alle Schüler Pflicht sind, geraten Kinder, die unsportlich sind, dadurch schnell auch insgesamt in der Klasse in die Außenseiterrolle.

Aber was ist mit den tollen Beispielen für faires Verhalten, die man unter Sportlern immer wieder antrifft? Dafür gibt es nur eine Erklärung: Wettkampfsportarten bilden nicht Charakter, sondern offenbaren ihn. Für moralisches Verhalten bietet der Wettkampf keinen Anreiz. Manche Athleten bleiben aber trotz der Hitze des Gefechts instinktiv den Werten treu, die sie schon vorher hatten. Das spricht allerdings nicht für den Wettkampfsport, sondern erklärt nur, warum der Sport sich noch nicht völlig selbst zerstört hat. Wir nähern uns aber diesem Zeitpunkt. Denn die traditionellen Werte sind im Westen auf dem Rückzug.

Gottes Plan für den Menschen war Kooperation, nicht Wettbewerb. Denn ein Wettkampf bringt immer Gewinner und Verlierer hervor.

»Mannschaftssport fördert Kooperation.« Das gemeinsame Ausrauben einer Bank auch. Wenn das Grundmotiv widergöttlich ist, hilft auch alle Kooperation nichts.

»Wir brauchen Wettkämpfe, damit wir lernen, gute Verlierer zu sein.« Gott hat jeden von uns mit einer anderen Kombination von Fähigkeiten geschaffen. Es macht daher überhaupt keinen Sinn, dass wir uns untereinander vergleichen. Wir sollten unsere Fähigkeiten verbessern, damit wir Gott besser dienen können, aber nicht, um uns hervorzutun.

»Dem Wettkampf kann man nicht aus dem Weg gehen.« Doch: Sportlichem Wettkampf auf jeden Fall. Wettbewerb im Wirtschaftsleben dagegen muss kein Wettkampf sein. Wenn ich meine Firma nach ethischen Prinzipien führe, ohne den Wunsch, andere auszustechen, ist das kein Wettkampf. Wohlstand ist nicht eine Medaille, die nur ein Athlet oder eine Mannschaft erringen kann. Wettkampf findet erst dann statt, wenn zwei oder mehr Personen oder Mannschaften versuchen, alleinige Gewinner zu werden.

»Wettkampf ist etwas völlig Natürliches.« Das ist selbstverständlich, doch nur für den unbekehrten Menschen.

»Wettkampfspiele sind oft freiwillig, aus Freude am Spiel und an der Bewegung.« Für einige ist ein Spielverderber noch schlimmer als ein schlechter Verlierer. Daher ist die Entscheidung mitzuspielen oft gar nicht so freiwillig, wie wir meinen. Solche Spiele unter Freunden werden häufig noch verbissener geführt als organisierte Wettkämpfe.

Natürlich hält Bewegung fit. Doch das lässt sich auch ohne Wettkampf erreichen. Das Risiko für Körperverletzungen, geistliche und psychische Schädigungen ist dann auch um ein Vielfaches geringer.

Wettkampf entzweit. Der Gewinner ist stolz, der Verlierer niedergeschlagen. Wettkampf ist intensiv, aufregend und produziert viel Adrenalin. Das sollte aber nicht mit Freude verwechselt werden. An echter Freude können alle teilhaben.

»Der Apostel Paulus benutzt den Wettkampf als Bild fürs Christsein.« In 1. Korinther 9,27; 2. Timotheus 2,5; 4,7-8 und Hebräer 12,1 spricht Paulus von dem Wettkampf des Christen. Er vergleicht ihn mit einem Läufer, auf den ein Siegeskranz wartet. Der Vergleich bezieht sich jedoch nur auf den Einsatz und die Ausdauer, die Athleten bringen, um ein Ziel zu erreichen. Im christlichen Glaubenskampf gibt es jedoch keinen, der auf Kosten eines anderen gewinnt. Alle können gewinnen, wenn sie sich dafür entscheiden und bei ihrer Entscheidung bleiben. Und hier helfen sich die Läufer tatsächlich gegenseitig nach dem Prinzip: »Einer trage des anderen Lasten.« (Galater 6,2-3)

Der olympische Geist in der Geschichte

Während in der Religion der Griechen religiöse Spiele und Sportarten eine große Rolle spielten, finden wir bei den Hebräern oder Juden nichts dergleichen. Die religiöse und moralische Erziehung geschah größtenteils in der Familie.

Die tägliche Arbeit war etwas Veredelndes, für die Griechen dagegen war sie etwas Erniedrigendes. In der hebräischen Kultur gab es keinen Sport und keine organisierten Spiele. In ihr stand körperliche Bewegung immer mit dem praktischen Leben in Verbindung. Für Griechen war Schönheit heilig, deshalb wurden die Olympischen Spiele von den Athleten nackt ausgetragen. Für Hebräer hingegen war Heiligkeit schön und wurde durch Kleidung geschützt. Zwei völlig verschiedene Weltanschauungen.

Menschlich gesehen brachte das griechische Bildungssystem eine blühende Zivilisation hervor. Doch der griechische Kampfgeist, der das eigene Ich stärkte, brachte Griechenland schließlich zu Fall. Die Römer hatten schon im 2. Jahrhundert v. Chr. angefangen, an den Olympischen Spielen teilzunehmen und führten nun von diesem Geist beseelt die öffentlichen Kampfspiele fort. Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen in der römischen Arena sind uns ja allen bekannt. Die schlimmsten Formen wurden erst unter dem Einfluss des Christentums verboten.

Im finsteren Mittelalter finden wir aber den Kampfgeist in der Askese der Mönche und im Rittertum wieder. Die verfolgten Christen starben nun nicht mehr in den römischen Spielen der Arena, sondern von Ritterhand. Bei den Rittern taucht auch wieder das Kampfspiel in Form des Turniers auf.

In der Reformation finden wir eine breite Front gegen Askese, Mönchstum und Wettkampfsport. Jetzt wurde die Würde der Arbeit wieder neu betont. Doch Luther befürwortete Ringen, Fechten und Turnen als Schutzmaßnahmen vor Müßiggang, Ausschweifung und Glücksspiel. Selbst Melanchthon sprach sich für Sport und Spiele aus, wenn auch außerhalb der Bildungseinrichtungen.

Der 1540 von Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden förderte den Kampfgeist mit zahlreichen öffentlichen Wettbewerben. Orden, Noten, Preise und Auszeichnungen spielen im katholischen Schulwesen seither eine große Rolle. Die Fackel des hellenistischen Kampfgeistes war vom Ritter auf den Jesuiten übergegangen.

Ein kurzes Aufwachen

Erst die großen Erweckungen in Nordamerika brachten ab 1790 Schulen hervor, in deren Bildungsplänen Sport und Spiele keinen Platz mehr fanden. Als körperlicher Ausgleich zu den theoretischen Fächern wurden vielmehr Gartenarbeit, Wandern, Reiten, Schwimmen und verschiedene Handwerke angeboten. Doch die Erweckung war nur von kurzer Dauer.

Die Abwärtsspirale

1844 kehrte auch das so vorbildliche Oberlin College dieser Bildungsphilosophie den Rücken und führte stattdessen Turnen, Sport und Spiele wieder ein. Das schon oben erwähnte Muskelchristentum begann nun alle protestantischen Schulen zu durchsetzen. Unter dem Einfluss des Sozialdarwinismus – »Survival of the Fittest (der Stärkere überlebt)« – entstanden Sportarten wie American Football, bei dem es Anfang des 20. Jahrhunderts sogar mehrere Tote gab. Die Eugenik schließlich hatte zum Ziel, das Erbgut der Menschen durch Auslese zu veredeln. Schönheit und Stärke wurden ganz im olympischen Sinne wieder Religion. Wohin das führen kann, hat man im Dritten Reich gesehen. Der arische Mensch war die Inkarnation dieses Geistes. Das Schwache, Behinderte und Jüdische sollte nach und nach beseitigt werden durch Vernichtungslager und Euthanasie.

Das körperliche Training der Athleten und auch der Schulkinder war übrigens immer schon mit militärischen Hintergedanken verbunden.

Dieser Geist lebt in den Olympischen Spielen, im Fußball, im Boxring, in der Formel 1, in Schönheits-, Musikwettbewerben, im Stierkampf, in der Tour de France und anderen Wettkämpfen weiter und ist leicht zu erkennen.

Der olympische Kampfgeist lockt weiterhin mit seinem Sirenenlied viele Christen in gefährliche Gewässer, damit ihr Glaube Schiffbruch erleidet. Denn im Wettkampf üben sie genau das Gegenteil von dem ein, wozu ein Christ berufen ist: »Wer mir nachfolgen will, muss sich und seine Wünsche aufgeben, sein Kreuz auf sich nehmen und auf meinem Weg hinter mir hergehen.« (Matthäus 16,24 Gute Nachricht) Jesus ging den Weg der Selbstverleugnung, der Selbstaufopferung, der Sanftmut und Demut, der Gewaltlosigkeit und des Dienens. Diese Geisteshaltung war ausnahmslos immer in seinen Worten, Taten und in seiner Ausstrahlung zu spüren. Nur so konnte er uns Gottes Liebe glaubwürdig machen. Wir sind dazu gerufen, nicht länger auf beiden Seiten zu hinken, weder warm noch kalt zu sein, sondern uns völlig von Gottes Geist erfüllen zu lassen.

Dieser Artikel fasst mit freundlicher Genehmigung des Autors Barry R. Harker wichtige Gedanken aus seinem Buch Strange Fire, Christianity and the Rise of Modern Olympism zusammen und wurde von der Redaktion um weitere Gedanken ergänzt. Das 209 Seiten starke Buch erschien 1996 und ist im Buchhandel erhältlich.

Zuerst im Deutschen erschienen in Fundament für ein befreites Leben, 2-2009

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