Was sagt die Bibel dazu? Sind die Juden heute noch Abrahams Kinder, oder handelt es sich nur um Konvertiten? Ein Blick auf die biblische Geschichte und die jüdische Identität des Messias. Eine fesselnde Auseinandersetzung mit einer komplexen Thematik. Von Kai Mester
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Für viele kommt das Fortbestehen des jüdischen Volks und die Wiedergeburt Israels nach fast 2000 Jahren einem beispiellosen Wunder gleich. Andere treten diesem Eindruck mit der Aussage von Jesus entgegen: »Wenn ihr Abrahams Kinder wärt, so tätet ihr Abrahams Werke.« (Johannes 8,39) Auch der Apostel Paulus sagte: »Die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder.«
Dennoch schreibt derselbe Paulus über die Juden, die Jesus auch nach Pfingsten weiter ablehnten: »Ich wünschte, selbst verflucht und vom Messias getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch. Sie sind Israeliten, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören und aus denen der Messias herkommt nach dem Fleisch.« (Römer 9,3-5) Er nennt sie »Geliebte um der Väter willen« (Römer 11,28).
Manche zweifeln überhaupt die Rechtmäßigkeit an, mit der sich viele Juden heute Abrahams Nachkommen nennen und meinen, dass vor allem die aschkenasischen Juden in Wirklichkeit auf ein Turkvolk zurückgehen, die Chasaren, die möglicherweise aus politischen Gründen zum Judentum übertraten. Daher seien sie gar keine leiblichen Nachkommen Abrahams.
Selbst wenn das wahr sein sollte, wird dabei vergessen, dass schon zu Zeiten des Apostels Paulus nicht wenige Juden Konvertiten waren, die nicht genetisch von Abraham abstammten; noch mehr waren Nachkommen von solchen Konvertiten. Schon seit dem Auszug aus Ägypten haben sich viele Nicht-Juden dem Volk Israel angeschlossen. Kaleb, Rahab und Ruth sind hier nur die bekanntesten Beispiele. Dennoch wurden sie alle als vollwertige Juden anerkannt.
Als weiteres Argument gegen die Staatsgründung Israels als göttliches Wunder ist die Gewalt gegenüber Palästinensern und der militärische Charakter des Staates, außerdem die heute in Israel anzutreffende Unmoral. Tatsächlich waren aber die Könige des Alten Testaments moralisch auch oft zwielichtig. David hat zum Beispiel mehr Menschen getötet und mehr Frauen gehabt als derjenige, der von Christen oft stark dafür kritisiert wird: Mohammed. Dennoch zeigt die biblische Geschichte, dass Gott aufgrund einiger weniger aufrichtiger Herzen sein Volk immer mit viel Geduld behandelt, zu bessern und zu retten versucht hat. Viele Juden, die es nicht besser wussten und denen wir als Christen und besonders deutsche Christen ein so abschreckendes Bild vom Christentum vermittelt haben, haben sich von Herzen aufrichtig im Gebet auf die biblischen Sammlungsverheißungen berufen. Würde Gott sich da taub stellen?
»Doch trotz des furchtbaren Geschicks, das über das Volk der Juden von der Zeit an hereinbrach, da sie Jesus von Nazareth verwarfen, lebten unter ihnen ehrbare, gottesfürchtige Männer und Frauen, die schweigend gelitten haben. Gott hat in der Trübsal ihre Herzen getröstet und mit Erbarmen auf ihre schreckliche Lage geschaut. Er hat das leidvolle Flehen derer gehört, die ihn von ganzem Herzen suchten, um zum rechten Verständnis seines Wortes zu gelangen. Einige haben gelernt, in dem einfachen Nazarener, den ihre Vorfahren verworfen und gekreuzigt haben, den wahren Messias Israels zu sehen. Wenn sie dann die Bedeutung der wohlvertrauten Weissagungen erfasst hatten, die durch Überlieferung und falsche Auslegung so lange verdunkelt waren, wurden ihre Herzen mit Dankbarkeit gegenüber Gott erfüllt für die unaussprechliche Gabe, die er jedem Menschenkind verleiht, das den Messias als seinen persönlichen Heiland annimmt.« (Ellen White, Wirken der Apostel, 376.1; vgl. Acts of the Apostles, 379.3)
»Den Apostel Paulus beseelte kein gewöhnliches Verlangen. Beständig bat er Gott, für die Israeliten zu wirken, die versäumt hatten, in Jesus von Nazareth den verheißenen Messias zu erkennen … Er versicherte den Gläubigen zu Rom, ›Ich selber möchte verflucht und vom Messias geschieden sein meinen Brüdern zugut, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch; die da sind von Israel, welchen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen; welcher auch sind die Väter, und aus welchen der Messias herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit.‹ Die Juden waren Gottes auserwähltes Volk, durch das er das ganze Menschengeschlecht segnen wollte … Obwohl Israel den Sohn Gottes verwarf wurde es doch von Gott nicht verworfen … ›Hat denn Gott sein Volk verstoßen? Das sei ferne! Denn ich bin auch ein Israelit, von dem Geschlecht Abrahams, aus dem Stamme Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches er sich zuvor ersehen hat‹ … Israel war zwar gestrauchelt und gefallen; doch das sollte ein Wiederaufstehen nicht unmöglich machen … Es war Gottes Absicht, dass seine Gnade unter den Nichtjuden ebenso wie unter den Israeliten offenbart werden sollte.« (Wirken der Apostel, 371–372; vgl. Acts of the Apostles, 375–376)
Auch wenn die besondere göttliche Erwählung den Juden nicht nur unbedingt Vorteile bringt, sondern auch mehr Verantwortung und unter Umständen großes Leid, glaube ich trotzdem: Gott bleibt seinem Volk treu, auch über den Tod Jesu hinaus.
Das Überleben der Juden bis heute als Volk und das Wiedererstehen des Staates Israel ist ein Wunder und den finsteren Mächten ein Dorn im Auge. Denn durch Israel, das bereits viele Menschen als Touristen besucht haben, sind die alttestamentlichen Wurzeln des Evangeliums so bekannt geworden, dass der Sabbat und die jüdische Identität des Messias heute etwas ganz Selbstverständliches sind. Ein empfindlicher Schlag gegen die römische Propaganda. Das haben sabbathaltende Christen oder Muslime bisher nicht geschafft. Dazu bekommen sie von der Welt kaum Aufmerksamkeit im Vergleich zu Israel.
Warum betonen so viele Christen, dass die Juden als Volk verworfen sind? Warum halten sie sich für den einzigen Weg zum Vater, wo doch Jesus, der bis heute Jude ist und nie zu irgendeinem anderen Glauben konvertierte, der einzige Weg zum Vater ist? Warum fehlt uns die Feindesliebe, die es uns ermöglicht hätte, Juden und Muslimen ihren Messias zu zeigen? Statt unsere Evangelisationsstrategie an ihnen zu versuchen und zu scheitern und aufzugeben, weil sie ja so verblendet sind?
Zwar haben sich mit dem gewaltsamen Wiederaufstehen Israels 1948 die biblischen Sammlungsverheißungen nicht völlig erfüllt. Aber auch die gewaltsame Eroberung des gelobten Landes durch Josua und fortgeführt durch David erfüllte Gottes Verheißungen letztlich nicht. Beides war eine Teilerfüllung, ein Anfang und bahnte dem Messias nur den Weg, seinem ersten und seinem zweiten Kommen. So erkannten die Übrigen ihn damals und werden ihn heute erkennen.
Die Wiederauferweckung der hebräischen Sprache durch Ben Jehuda und die Klagemauer in Jerusalem haben heute gravierende Bedeutung für das Heil vieler Juden. Es ist ihr Berührungspunkt mit Gottes Verheißungen und zeigt ihre Sehnsucht nach Rettung.
Passen wir auf, dass wir uns als Christen hier nicht überheben. Vielleicht wird Gott uns einmal zeigen, dass wir nicht besser gewesen sind als sie.
Könnte es vielleicht eine Form von geistlichem Stolz sein, wenn wir in dem Weg, den die Juden als Volk heute gehen, so absolut gar kein ordnendes Eingreifen Gottes sehen wollen? Sind wir überheblich, weil es in unseren Augen einfach nicht sein darf? Nicht sein darf, weil Gott uns ja dann bei seiner Rettungsaktion umgehen könnte, bei der er die Übrigen aus dem leiblichen Israel auf die Rückkehr des Messias vorbereitet. Nicht dass, wir dann mürrisch wie der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn dastehen, weil Gott die ursprünglichen Ölzweige wieder einpfropft, und zudem auf eine Weise, die wir für bedenklich halten. Für bedenklich, weil Kontext und Politik ziemlich unschön sind im Nahen Osten, dazu die ganzen Strippenzieher im Hintergrund. Vielleicht ist das ja eine Überheblichkeit, die uns noch gar nicht bewusst ist.
Ich bin gespannt, was in Israel passieren wird, wenn das weltweite Sonntagsgesetz erlassen wird, das in der Bibel unter dem Bild des Malzeichens prophezeit ist.
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