Karl V. gegen Luther (Reformationsserie Teil 14): Die gefährlichsten Tage

Karl V. gegen Luther (Reformationsserie Teil 14): Die gefährlichsten Tage
Bild von Andreas Breitling auf Pixabay

Hier hätte es schiefgehen können. Von Ellen White

Aleander, dem päpstlichen Legat, war die Wirkung von Luthers Rede nur allzu bewusst. Er fürchtete, wie nie zuvor, um die Sicherheit Roms und beschloss, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um den Reformator zu Fall zu bringen. Mit seiner hervorragenden Redegewandtheit und all seinem diplomatischen Geschick, für das er bekannt war, wies er den jungen Kaiser darauf hin, wie töricht und gefährlich es sei, für die Sache eines unbedeutenden Mönchs die Freundschaft und Unterstützung des mächtigen römischen Reiches zu opfern.

Seine Worte blieben nicht ohne Wirkung: Am Tag nach Luthers Antwort ließ Karl V. dem Reichstag eine Botschaft verlesen, in der er seine Entschlossenheit verkündete, die Politik seiner Vorgänger zur Erhaltung und zum Schutz der katholischen Religion umzusetzen. Da Luther sich geweigert hatte, seinen Irrtümern abzuschwören, sollten gegen ihn und die von ihm gelehrten Ketzereien die energischsten Maßnahmen ergriffen werden. Nichtsdestotrotz sei das ihm gewährte freie Geleit zu respektieren. Bevor ein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden könne, müsse ihm gestattet werden, sein Haus gefahrlos zu erreichen.

»Ich bin fest entschlossen, in die Fußstapfen meiner Vorfahren zu treten«, schrieb der Monarch. So bezog er Position. Keine Erkenntnis die seinen Vätern fremd war, wollte er annehmen, keine Pflicht erfüllen, die seine Väter nicht erfüllt hatten.

Er schien zu glauben, dass ein Wechsel der religiösen Ansichten mit der Würde eines großen Königs unvereinbar wäre. Heutzutage gibt es viele, die an den Sitten und Gebräuchen ihrer Väter festhalten. Wenn der HERR ihnen zusätzliche Erkenntnis sendet, lehnen sie diese ab, weil ihre Väter sie nicht hatten oder ablehnten. Wir stehen nicht am selben Platz wie unsere Väter. Daher sind auch unsere Aufgaben und Verantwortlichkeiten nicht die gleichen. Gott heißt es nicht gut, wenn wir uns nach unseren Vätern richten statt selbst im Wort der Wahrheit zu forschen, um unsere Aufgabe zu erkennen.

Engagierten sich unsere Väter für eine falsche Sache? Dann dürfen wir kein Unrecht tun, nur weil sie es getan haben. Lebten sie für eine gute Sache? Dann können wir ihnen nur nacheifern, indem wir unsere Aufgabe so treu erfüllen wie sie; indem wir so treu nach unserer Erkenntnis leben, wie sie es taten; kurz: indem wir tun, was sie getan hätten, wenn sie heute lebten und unsere Chancen hätten. Unsere Verantwortung ist größer als die unserer Vorfahren. Wir sind verantwortlich für das Licht, das sie empfingen und uns als Erbe hinterließen, und gleichzeitig für das zusätzliche Licht, das jetzt aus dem sicheren Wort der Prophezeiung auf uns scheint. Die Wahrheit, die in welcher Form auch immer den Verstand überzeugt oder das Herz überführt, wird uns am letzten großen Tag richten. Niemand wird verurteilt, der nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Der Messias sagte von den ungläubigen Juden: »Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es ihnen nicht gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen.« (Johannes 15,22)

Dieselbe göttliche Macht hatte durch Luther zum Kaiser und zu den Fürsten von Deutschland gesprochen. Als das Licht aus Gottes Wort hervorschien, flehte sein Geist zum letzten Mal zu vielen in dieser Versammlung. Hätte er nicht an ihr Verständnis appelliert, wäre ihre Sünde nicht so groß gewesen. Aber die Wahrheit hatte in direktem und unmissverständlichem Kontrast zum Irrtum gestanden; deshalb besiegelten sie mit ihrer Ablehnung ihr Schicksal.

Der Kaiser beschließt, den königlichen Pfad der Sitte nicht zu verlassen, auch nicht, um auf den Weg der Wahrheit und Gerechtigkeit einzuschwenken. Weil seine Väter es taten, wird er das Papsttum mit all seiner Grausamkeit und Korruption weiter stützen. Mit dieser Entscheidung endete für ihn die Gnadenzeit unwiederbringlich.

Wie Pilatus Jahrhunderte zuvor aus Stolz und Menschenfurcht sein Herz vor dem Erlöser der Welt verschloss; wie der zitternde Felix dem Wahrheitsboten gebot: »Für diesmal geht! Zu gelegener Zeit will ich dich wieder rufen lassen.« (Apostelgeschichte 24,25); wie der stolze Agrippa gestand: »Es fehlt nicht viel, so wirst du mich noch überreden und einen Christen aus mir machen.« (Apostelgeschichte 26,28), dann aber der Himmelsbotschaft den Rücken kehrte, so wies Karl V. Gottes letzte Einladung zurück, indem er sich dem Diktat des weltlichen Stolzes und der Politik beugte.

Karl V. hatte sein Urteil im Fall Luther ohne vorherige Rücksprache mit dem Reichstag verkündet. Diese übereilte und unabhängige Handlung des jungen Kaisers erregte den Unmut dieses erlauchten Gremiums. Sofort bildeten sich zwei Parteien. Mehrere Anhänger des Papstes forderten, Luthers freies Geleit nicht zu respektieren.»Der Rhein«, so sagten sie, »soll seine Asche aufnehmen wie vor einem Jahrhundert die von Jan Hus.« Jahre später bedauerte Karl, dass er diesem niederträchtigen Vorschlag nicht gefolgt war. »Ich gestehe«, sagte er gegen Ende seines Lebens, »dass ich einen großen Fehler begangen habe, als ich Luther leben ließ. Ich war nicht verpflichtet, mein Versprechen zu halten; dieser Ketzer hatte einen Herrn beleidigt, der größer war als ich: Gott selbst. Ich hätte mein Wort brechen können und Rache für die Beleidigung üben müssen, die er gegen Gott begangen hatte. Weil ich ihn nicht getötet habe, hat sich die Ketzerei ausgebreitet. Sein Tod hätte sie im Keim erstickt.« So groß war die Finsternis, die seinen Verstand schließlich umnachtete, weil er das Licht der Wahrheit vorsätzlich zurückgewiesen hatte.

Der Vorschlag der Anhänger Roms versetzte die Freunde des Reformators in höchste Alarmbereitschaft. Sogar einer seiner eingefleischten Feinde, ein Herzog von Sachsen, prangerte den berüchtigten Vorschlag an und erklärte, dass die deutschen Fürsten die Verletzung eines freien Geleits nicht tolerieren würden. »Eine solche Niedertracht«, sagte er, »entspricht nicht dem alten guten Glauben der Deutschen.« Auch andere Fürsten, die der römischen Kirche verbunden waren, unterstützten diesen Protest, und die Gefahr, die das Leben Luthers bedrohte, schwand allmählich.

Zwei Tage beriet der Reichstag über den Vorschlag des Kaisers. Die Gerüchte über die Pläne gegen Luther verbreiteten sich überall und sorgten in der ganzen Stadt für große Aufregung. Der Reformator hatte viele Freunde gewonnen. Da sie wussten, mit welch verräterischer Grausamkeit Rom gegen alle vorging, die es wagten, ihre Korruption aufzudecken, beschlossen sie, dass er nicht geopfert werden dürfe. Mehr als vierhundert Adelige verpflichteten sich, ihn zu beschützen. Nicht wenige prangerten öffentlich die königliche Botschaft an, da ihre Unterwerfung unter die Herrschaft Roms in ihren Augen von Schwäche zeugte. An den Toren der Häuser und auf öffentlichen Plätzen waren Plakate angebracht, auf denen Luther teils verurteilt, teils unterstützt wurde. Auf einem von ihnen standen nur die bedeutsamen Worte des weisen Mannes: »Weh dir, Land, dessen König ein Kind ist.« (Prediger 10,16) Die Volksbegeisterung zu Luthers Gunsten in ganz Deutschland überzeugte sowohl den Kaiser als auch den Reichstag, dass jedes Unrecht, das ihm angetan würde, den Reichsfrieden gefährden und sogar den Thron ins Wanken bringen könnte.

Viele liebten und verehrten den Reformator und wollten für seine Sicherheit sorgen. Gleichzeitig wollten sie aber auch nicht mit Rom brechen. In der Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen, kamen die deutschen Fürsten gemeinsam zum Kaiser, um sich Zeit zu erbitten für weitere Bemühungen um eine Versöhnung. »Was ich beschlossen habe, habe ich beschlossen!«, sagte er; »Ich beauftrage niemanden, offiziell mit Luther zu reden. Aber«, so fügte er hinzu, »ich werde dem Mann drei Tage Bedenkzeit einräumen, in denen ihn jeder privat ermahnen kann, wie er es für richtig hält.«

Viele Freunde des Reformers hofften, dass sich eine private Zusammenkunft als erfolgreich erweisen würde. Aber der Kurfürst von Sachsen, der Luther besser kannte, war sich sicher, dass er standhaft bleiben würde. In einem Brief an seinen Bruder, Herzog Johann [den Beständigen] von Sachsen, äußerte Friedrich seine Sorge um Luthers Sicherheit und seine eigene Bereitschaft, ihn zu verteidigen. »Du kannst dir kaum vorstellen«, fuhr er fort, »wie ich von den Anhängern Roms bedrängt werde. Wenn ich dir alles erzählen würde, würdest du seltsame Dinge hören. Sie haben seinen Untergang beschlossen; wenn jemand auch nur das geringste Interesse an seiner Sicherheit zeigt, wird er sofort als Ketzer niedergeschrien. Möge Gott, der die Sache der Rechtschaffenen nicht im Stich lässt, den Kampf zu einem glücklichen Ende führen.«

Friedrich bewahrte dem Reformator gegenüber sorgfältige Zurückhaltung. Er verbarg seine wahren Gefühle und bewachte ihn und seine Feinde gleichzeitig unermüdlich auf Schritt und Tritt. Aber es gab viele, die keinen Versuch unternahmen, ihre Sympathie zu verbergen. Fürsten, Barone, Ritter, Herren, Geistliche und einfache Leute umringten Luthers Unterkunft und behandelten ihn, als wäre er mehr als nur ein Mensch. Sogar diejenigen, die glaubten, er habe sich geirrt, konnten nicht umhin, den Seelenadel zu bewundern, der ihn dazu brachte, lieber sein Leben zu gefährden, als gegen sein Gewissen zu handeln.

Aus Signs of the Times, 6. September 1883

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