Martin Luthers Charakter und Frühzeit (Reformationsserie Teil 1): Durch die Hölle in den Himmel?

Martin Luthers Charakter und Frühzeit (Reformationsserie Teil 1): Durch die Hölle in den Himmel?
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Alle Menschen sind auf der Suche nach Befreiung. Nur wo und wie ist sie zu finden? Von Ellen White

In all den Jahrhunderten der päpstlichen Finsternis und Unterdrückung sorgte Gott für sein Werk und seine Kinder. Inmitten von Widerstand, Konflikt und Verfolgung war eine allweise Vorsehung nach wie vor am Wirken, um Jesus Reich auszubauen. Satan übte seine Macht aus, um Gottes Wirken zu behindern und seine Mitarbeiter zu vernichten; doch sobald einer seiner Leute ins Gefängnis kam oder erschlagen wurde, trat ein anderer an seinen Platz. Trotz allem Widerstand der bösen Mächte, taten Gottes Engel ihre Arbeit, und himmlische Boten machten Männer ausfindig, die standhaft inmitten der Finsternis Licht spendeten. Ungeachtet des weit verbreiteten Abfalls gab es aufrichtige Seelen, die alles Licht, das ihnen schien, beachteten. In ihrer Unkenntnis von Gottes Wort hatten sie menschliche Lehren und Traditionen angenommen. Doch als das Wort ihnen zugänglich gemacht wurde, studierten sie aufrichtig seine Seiten. Von Herzen demütig weinten und beteten sie, Gott möge ihnen seinen Willen zeigen. Mit großer Freude nahmen sie das Licht der Wahrheit an und versuchten begeistert ihren Mitmenschen das Licht weiterzugeben.

Durch das Wirken von Wyclif, Hus und geistesverwandten Reformatoren hatten Tausende edle Zeugen die Wahrheit bezeugt. Doch am Beginn des 16. Jahrhunderts lag die Finsternis der Unkenntnis und des Aberglaubens immer noch wie ein Leichentuch auf Kirche und Welt. Die Religion hatte man zu einem Ablauf von Riten degradiert. Viele davon kamen aus dem Heidentum. Alle aber waren von Satan erfunden worden, um die Gedanken der Menschen von Gott und der Wahrheit abzulenken. Die Anbetung von Bildern und Reliquien behielt man immer noch bei. Der biblische Ritus des Abendmahls wurde durchs abgöttische Messopfer ersetzt. Päpste und Priester beanspruchten die Befugnis, Sünden zu vergeben und der ganzen Menschheit die Himmelstore auf- und zuzuschließen. Sinnloser Aberglaube und strenge Forderungen hatten den wahren Gottesdienst verdrängt. Das Leben der Päpste und Kleriker war so verdorben, ihre stolzen Anmaßungen so lästerlich, dass gute Menschen um die Moral der jungen Generation fürchteten. Da die Bosheit sich auf höchster Kirchenebene durchgesetzt hatte, schien es unvermeidlich zu sein, dass die Welt bald genauso böse sein würde wie die Menschen vor der Sintflut oder die Einwohner Sodoms.

Das Evangelium wurde dem Volk vorenthalten. Es galt als Verbrechen, wenn man die Bibel besaß oder las. Selbst in höheren Schichten war es schwierig einen Blick auf die Seiten von Gottes Wort zu erhaschen. Satan wusste sehr wohl, dass seine Täuschungen schnell auffliegen würden, wenn die Menschen die Bibel selbst lesen und auslegen durften. Daher bemühte er sich sehr darum, die Menschen von der Bibel fernzuhalten und zu verhindern, dass ihre Gedanken von den Lehren des Evangeliums erleuchtet würden. Doch der Welt sollte bald ein Tag religiöser Erkenntnis und Freiheit dämmern. Diesen Tagesanbruch würde aller Einsatz Satans und seiner Heerscharen nicht verhindern können.

Luthers Kindheit und Jugend

Unter denen, die berufen waren, die Kirche aus der Dunkelheit des päpstlichen Systems in das Licht eines reineren Glaubens zu führen, stand Martin Luther an erster Stelle. Obwohl er wie andere seiner Zeit nicht jeden Glaubenspunkt so klar sah wie wir heute, hatte er doch das aufrichtige Verlangen, Gottes Willen zu tun. Voller Freude nahm er die Wahrheit an, die sich seinem Verstand erschloss. Voller Eifer, Feuer und Hingabe kannte Luther keine Furcht als allein Gottesfurcht. Als einzige Grundlage für Religion und Glauben akzeptierte er die Heilige Schrift. Er war der Mann für seine Zeit. Durch ihn tat Gott ein großes Werk für die Befreiung der Kirche und die Erleuchtung der Welt.

Elternhaus

Wie schon die ersten Boten der Guten Nachricht stammte auch Luther aus armen Verhältnissen. Durch tägliche Arbeit als Bergmann verdiente sich sein Vater das Geld für seine Ausbildung. Er hatte für seinen Sohn eine Karriere als Anwalt geplant. Doch Gott wollte ihn als Baumeister in dem großen Tempel einsetzen, der schon seit Jahrhunderten am Wachsen war.

Luthers Vater war ein Mann mit starkem und aktivem Geist. Er hatte eine hohe Moral, war ehrlich, entschlossen, geradlinig und äußerst vertrauenswürdig. Wenn er etwas als seine Aufgabe betrachtete, hatte er keine Angst vor den Folgen. Durch nichts ließ er sich davon abbringen. Dank seiner guten Menschenkenntnis begegnete er dem Klosterwesen mit Misstrauen. Er war äußerst verärgert, als Luther später ohne sein Einverständnis in ein Kloster eintrat. Erst zwei Jahre später versöhnte er sich mit seinem Sohn. An seiner Meinung änderte sich jedoch nichts.

Luthers Eltern waren sehr gewissenhaft, ernst und engagiert in der Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder. Sie waren bestrebt, ihnen alles über Gott und über praktische, christliche Tugenden zu vermitteln. Mit ihrer Bestimmtheit und ihrer Charakterstärke waren sie manchmal zu streng; sie führten ein Regiment von Recht und Ordnung. Besonders die Mutter zeigte zu wenig Liebe, bei der Erziehung ihres sensiblen Sohns. Sie unterwies ihn zwar treu in christlichen Aufgaben, so wie sie es verstand, aber der Ernst und manchmal auch die Härte ihrer Erziehung vermittelten ihm ein falsches Bild vom Glaubensleben. Es war der Einfluss dieser frühen Eindrücke, der ihn Jahre später, das Leben eines Mönchs wählen ließ. Denn er meinte, dass dies ein Leben der Selbstverleugnung, Demütigung und Reinheit sei und deshalb Gott gefalle.

Das Leben Luthers war von seinen frühesten Jahren gekennzeichnet von Entbehrung, Mühsal und strenger Disziplin. Die Auswirkung dieser Erziehung zeigte sich sein ganzes Leben lang in seiner Religiosität. Luther selbst war sich zwar bewusst, dass seine Eltern in mancherlei Hinsicht Fehler gemacht hatten, aber er fand ihre Erziehung eher gut als schlecht.

Der verbreitetste Fehler in der heutigen Erziehung ist Nachgiebigkeit den Kindern gegenüber. Die jungen Leute sind schwach und ineffizient, haben wenig körperliche Ausdauer und moralische Kraft, weil die Eltern sie nicht von Kindheit an dazu erziehen, aus Gewohnheit gewissenhaft und arbeitsam zu sein. Die Grundlage des Charakters wird daheim gelegt: Kein späterer Einfluss aus egal welcher Quelle kann die Folgen der elterlichen Erziehung völlig ausgleichen. Wenn Festigkeit und Entschlossenheit mit Liebe und Freundlichkeit in der Kindererziehung einhergehen, würden wir junge Leute heranwachsen sehen, die sich dadurch einen Namen machen, dass sie wie Luther der Welt zum Segen werden.

Schule und Universität

In der Schule, die er schon früh besuchen musste, wurde Luther mit größerer Härte als daheim angefasst – sogar mit Gewalt. Die Armut seiner Eltern war so groß, dass er auf dem Nachhauseweg von dem Nachbarstädtchen, in dem sich die Schule befand, zeitweise sogar an den Haustüren singen musste, um sein Essen zu verdienen. Oft blieb auch der Magen leer. Die düsteren, abergläubischen Züge des Glaubens jener Zeit machten ihm Angst. Abends ging er mit bedrücktem Herzen zu Bett. Die dunkle Zukunft ließ ihn zittern. Er lebte in ständiger Furcht vor einem Gott, den er sich als strengen, unerbittlichen Richter vorstellte, als grausamen Tyrannen, statt als freundlichen himmlischen Vater. Die meisten Jugendlichen von heute hätten unter so vielen und großen Entmutigungen schon aufgegeben; doch Luther kämpfte sich entschlossen vorwärts zu dem hohen moralischen Ziel und dem intellektuellen Leistungsniveau, das er unbedingt erreichen wollte.

Er war sehr wissensdurstig. Sein ernster und praktischer Geist sehnte sich mehr nach Solidem und Nützlichem als nach Aufsehenerregendem und Oberflächlichem. Als er mit achtzehn an die Universität von Erfurt ging, war seine Lage günstiger und seine Aussichten besser als in seinen früheren Jahren. Seine Eltern hatten sich durch Sparsamkeit und Arbeit so viele Fähigkeiten angeeignet, dass sie ihm helfen konnten, wo es nötig war. Der Einfluss besonnener Freunde hatte die düstere Wirkung seiner vorigen Ausbildung etwas gemindert. Nun widmete er sich dem Studium der besten Autoren, sammelte eifrig ihre bedeutsamsten Gedanken und machte sich die Weisheit der Weisen zu eigen. Ein ausgezeichnetes Gedächtnis, eine lebhafte Fantasie, großer Scharfsinn und begeisterter Studieneifer katapultierten ihn bald unter die Besten seines Jahrgangs.

Sein Geheimnis

»Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit.« (Sprüche 9,10) Diese Furcht erfüllte Luthers Herz. Dadurch konnte er zielstrebig bleiben und sich Gott immer mehr hingeben. Ihm war ständig bewusst, dass er von göttlicher Hilfe abhängig war. Deshalb begann er keinen Tag ohne Gebet. Dennoch betete er auch den ganzen Tag über im Stillen um Führung und Unterstützung. »Fleißig Gebet«, sagte er oft, »ist über die Hälfte studiert.«

Luthers Weg nach Rom

Als er sich eines Tages die Bücher in der Universitätsbibliothek näher anschaute, entdeckte Luther eine lateinische Bibel. Er hatte wohl Teile der Evangelien und der Briefe gehört, denn daraus wurde in öffentlichen Gottesdiensten gelesen. Aber er dachte, dies sei schon die ganze Bibel. Jetzt hatte er zum ersten Mal das gesamte Wort Gottes in der Hand. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Staunen blätterte er in den heiligen Seiten. Sein Puls ging schneller, sein Herz pochte, als er zum ersten Mal selbst die Lebensworte las. Immer wieder rief er aus: »Wenn Gott mir doch so ein Buch schenken würde! Ich wollte mich glücklich schätzen, wenn ich ein solches Buch einmal besitzen könnte.« Himmlische Engel waren neben ihm und Lichtstrahlen von Gottes Thron erleuchteten die heiligen Seiten und schlossen die Schätze der Wahrheit seinem Verständnis auf. Er hatte schon immer in der Angst gelebt, gegen Gott zu sündigen. Doch jetzt wurde er sich wie nie zuvor bewusst, was für ein Sünder er war.

Eintritt ins Kloster

Der ernste Wunsch, von Sünden frei zu sein und Frieden mit Gott zu finden, führte ihn schließlich ins Kloster, wo er sich dem Mönchsleben hingab. Hier musste er die niedrigsten Arbeiten als Türsteher und Putzkraft verrichten und als Bettler von Haus zu Haus ziehen. Er war in einem Alter, wo man sich besonders nach Achtung und Anerkennung sehnt. Diese Arbeit empfand er daher als äußerst beschämend. Doch er ertrug diese Demütigung geduldig, denn er glaubte, dass sie aufgrund seiner Sünden nötig sei. Diese Erziehung bereitete ihn darauf vor, ein gewaltiger Bauarbeiter an Gottes Bauwerk zu werden.

Askese als Mittel der Heiligung?

Jeden Moment, den er von seinen täglichen Pflichten erübrigen konnte, widmete er dem Studium. Er gönnte sich kaum Schlaf oder Zeit, um seine kargen Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Vor allem aber machte es ihm Freude, Gottes Wort zu studieren. Er hatte eine Bibel gefunden, die an die Klostermauer angekettet war. Dorthin zog er sich oft zurück. Als er sich seiner Sünde durchs Bibelstudium immer bewusster wurde, versuchte er durch seine eigenen Werke Begnadigung und Frieden zu finden. Durch ein äußerst rigoroses Leben mit Fasten, Nachtwachen und Geißelungen suchte er sein böses Fleisch zu kreuzigen. Er scheute kein Opfer, um heilig zu werden und den Himmel zu erlangen. Das Ergebnis dieser selbstauferlegten schmerzhaften Disziplin war ein ausgezehrter Körper und Ohnmachtsanfälle. Von den Folgen erholte er sich später nie wieder ganz. Doch alle Anstrengungen brachten seiner geplagten Seele keine Erleichterung. Schließlich trieb es ihn an den Rand der Verzweiflung.

Eine neue Blickrichtung

Als Luther schon alles verloren erschien, erweckte Gott ihm einen Freund und Helfer. Der fromme Staupitz half Luther, Gottes Wort zu verstehen und bat ihn, von sich selbst wegzuschauen, sich nicht mehr weiter mit der ewigen Strafe für seine Übertretung von Gottes Gesetz zu beschäftigen, sondern auf Jesus, seinen Sünden vergebenden Heiland, zu schauen. »Quäle dich nicht länger mit deinem Sündenkatalog, sondern wirf dich in die Arme des Erlösers! Vertraue ihm, seinem gerechten Leben, der Versöhnung durch seinen Tod! … Hör auf den Gottessohn! Er wurde Mensch, um dir das Wohlwollen Gottes zuzusichern. Liebe den, der dich zuerst geliebt hat!« So sprach der Bote der Barmherzigkeit. Seine Worte beeindruckten Luther tief. Nach vielen Kämpfen mit lang gehegten Irrtümern war er nun in der Lage, die Wahrheit zu begreifen. Da zog Friede in sein aufgewühltes Herz ein.

Damals und heute

Wenn man nur heutzutage so eine tiefe Selbstabscheu sehen würde wie damals bei Martin Luther – so eine große Demütigung vor Gott und so einen ernsten Glauben, sobald Erkenntnis geschenkt wird! Echte Sündenerkenntnis gibt es heute nur noch selten; oberflächliche Bekehrungen sieht man in Hülle und Fülle. Das Glaubensleben ist verkümmert und geistlos. Warum? Weil Eltern ihre Kinder falsch und unheilbringend erziehen und die Geistlichen ihre Gemeinden ebenso. Man tut alles, um die Vergnügungsliebe der Jugend zu befriedigen und hindert sie nicht daran einen sündigen Kurs zu verfolgen. Daher verlieren sie ihre familiären Verpflichtungen aus den Augen und lernen, die Autorität ihrer Eltern mit Füßen zu treten. Kein Wunder, dass sie auch bereit sind, Gottes Autorität zu missachten. Selbst die Gemeinden warnt man nicht, wenn sie sich mit der Welt und ihren Sünden und Freuden verbinden. Sie verlieren ihre Verantwortung vor Gott und seinen Plan mit ihnen aus den Augen. Dennoch sichert man ihnen Gottes Barmherzigkeit zu. Die göttliche Gerechtigkeit sollen sie ruhig vergessen. Sie könnten durch Jesu Opfer errettet werden, ohne Gottes Gesetz zu befolgen. Ihrer Sünden sind sie sich nicht wirklich bewusst. Daher können sie keine echte Bekehrung erleben.

Der Weg zum Leben

Luther durchforschte die Bibel mit unermüdlichem Interesse und Eifer. Schließlich fand er darin den Weg des Lebens deutlich offenbart. Er erfuhr, dass die Menschen nicht vom Papst, sondern von Jesus Begnadigung und Rechtfertigung erwarten durften. »Es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden sollen!« (Apostelgeschichte 4,12) Jesus ist die einzige Versöhnung für die Sünde; er ist das vollständige und ausreichende Opfer für die Sünden der ganzen Welt. Er erwirkt Begnadigung für alle, die an ihn als den von Gott Bestimmten glauben. Jesus selbst erklärt: »Ich bin die Tür. Wenn jemand durch mich hineingeht, wird er gerettet werden.« (Johannes 10,9) Luther sieht, dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist, um sein Volk nicht in seinen Sünden, sondern von seinen Sünden zu erretten. Der einzige Weg, wie der Sünder gerettet werden kann, wenn er sein Gesetz übertreten hat, ist Umkehr zu Gott. Indem er darauf vertraut, dass der Herr Jesus Christus ihm seine Sünde vergibt und dass er ihm die Gnade schenkt ein Leben des Gehorsams zu führen.

Durch die Hölle in den Himmel?

Die trügerische päpstliche Lehre hatte ihn Glauben gemacht, dass man durch Strafen und Bußübungen Rettung finden kann und dass Menschen durch die Hölle in den Himmel kommen. Nun erfuhr er aus der kostbaren Bibel: Wer nicht durch Jesu versöhnendes Blut von Sünden rein gewaschen wird, wird auch nicht im Höllenfeuer rein. Die Lehre vom Fegefeuer ist nur eine List, die der Vater der Lüge erfunden hat. Das gegenwärtige Leben ist der einzige Zeitraum der Bewährung, in der der Mensch sich auf die reine und heilige Gesellschaft vorbereiten kann.

Signs of the Times, 31. Mai 1883

Lies weiter: Teil 2 der Reformationsserie: Martin Luthers Erlebnis in Rom: Weltbewegende Konsequenzen einer Reise

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