Martin Luthers Erlebnis in Rom (Reformationsserie Teil 2): Weltbewegende Konsequenzen einer Reise

Martin Luthers Erlebnis in Rom (Reformationsserie Teil 2): Weltbewegende Konsequenzen einer Reise
Marktplatz der Lutherstadt Wittenberg Adobe Stock - travelview

Der Zauber war gebrochen, der Blick wurde frei für das, was die Bibel wirklich meint. Von Ellen White

Priester und Professor

Nach zwei Jahren im Kloster wurde Luther zum Priester geweiht und ein Jahr später an einen Lehrstuhl der Universität Wittenberg berufen. Hier widmete er sich dem Studium der alten Sprachen, vor allem Griechisch und Hebräisch, damit er Gottes Wort in den Originalsprachen lesen konnte. Er begann Vorlesungen über die Bibel zu halten. Das Buch der Psalmen, die Evangelien, die Briefe machte er einem großen Publikum begeisterter Zuhörer verständlich. Aus allen Teilen Deutschlands und auch aus dem Ausland, kamen die Studenten in Scharen an die Universität.

Staupitz, sein Freund und Vorgesetzter, drängte ihn, das Wort Gottes auch von der Kanzel zu predigen. Luther zögerte, weil er sich nicht würdig fühlte, zu den Menschen an Jesu Stelle zu sprechen. Erst nach einem langen Kampf gab er den Bitten seiner Freunde nach. Das Pult, von dem er zuerst predigte, war ein altes Podium in einer baufälligen Kapelle, die von allen Seiten abgestützt wurde, damit sie nicht einstürzte. Hier begannen die reformatorischen Predigten. Als Jesus auf die Erde kam, legte man ihn in eine Krippe. Das Evangelium wurde nicht zuerst in imposanten Kirchen gepredigt, sondern von der schaukelnden Bank eines Fischerboots, von den Berghängen, in den Ebenen und an den Landstraßen.

Luther war bereits ein gewaltiger Ausleger der Schrift und Gottes Gnade ruhte auf ihm. Seine Redegewandtheit faszinierte seine Zuhörer. Er legte die Wahrheit so klar und mächtig dar, dass sie sich von ihm überzeugen ließen. Sein Feuer berührte ihre Herzen. Die kleine Kapelle konnte die Mengen nicht fassen, die Einlass begehrten. So wurde er zum Predigen in die Stadtkirche geladen. Sein Ruf war sogar so weit gedrungen, dass Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, nach Wittenberg kam, um ihn zu hören.

Luthers Reise nach Rom

Luther war immer noch ein echter Sohn der päpstlichen Kirche und dachte gar nicht daran, je etwas anderes zu sein. Gottes Vorsehung führte ihn zu einem Besuch in Rom. Er legte die Strecke zu Fuß zurück, die Nächte verbrachte er in Klöstern. Er überquerte die Alpen und stieg in die italienische Ebene hinab. In einem Konvent in Italien staunte er über den Reichtum, die Pracht und den Luxus. Die Mönche dort erhielten ein fürstliches Gehalt, wohnten in herrlichen Apartments, hüllten sich in prachtvolle, teure Gewänder und speisten an üppig gedeckten Tafeln. Der Vergleich zwischen diesem Anblick und der Selbstverleugnung und Entbehrung seines eigenen Lebens machte Luther schwer zu schaffen. Er konnte es nicht begreifen.

Heiliges Rom?

Schließlich sah er in der Ferne die Stadt auf den sieben Hügeln. Tief bewegt fiel er auf die Erde nieder und rief aus: »Heiliges Rom, ich grüße dich!« Er betrat die Stadt, besuchte die Kirchen, hörte den wundersamen Erzählungen der Priester und Mönche zu und verrichtete alle erforderlichen Riten. Überall sah er Dinge, die ihn mit Staunen und Entsetzen erfüllten. Er sah dieselben Sünden unter allen Schichten des Klerus. Er hörte unanständige Witze von Prälaten und erschrak, dass sie sogar während der Messe vulgäre Ausdrücke benutzten. Als er sich unter die Mönche und Bürger mischte, wurde er Zeuge von Amüsement und Ausschweifung. Wohin er sich auch wendete, statt Heiligung begegnete ihm Entheiligung. »Man kann sich nicht vorstellen«, sagt er, »was für Sünden und niederträchtige Taten in Rom begangen werden; man muss sie sehen und hören, um es zu glauben. Daher sagt man hier: ›Wenn es eine Hölle gibt, dann ist Rom direkt darauf erbaut: Sie ist ein Abgrund, aus dem jede Form von Sünde hervorquillt.‹«

Der Wendepunkt

Die furchtbare Unmoral und der blinde Aberglaube, den er überall antraf, trieben ihn nur umso näher zu Jesus. Auf seinen Knien rutschte Luther eines Tages die Scala Santa (Heilige Treppe) empor, als plötzlich eine Donnerstimme zu ihm zu sagen schien: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.« (Römer 1,17) Er sprang auf und eilte beschämt und entsetzt vom Ort seiner Narrheit hinweg. Dieser Vers ließ ihn nie mehr los. Von da an sah er deutlicher denn je, wie sinnlos es ist, durch menschliche Werke die eigene Rettung bewirken zu wollen. Man braucht dazu vielmehr unerschütterliches Vertrauen auf das, was Jesus geleistet hat. Gottes Wahrheit hatte seinen Verstand erleuchtet. Ein für allemal waren ihm nun die Augen geöffnet für die satanischen Täuschungen des Papsttums.

Innere Ablösung von Rom

Als Luther Rom den Rücken kehrte, hatte er sich auch innerlich von Rom abgewandt. Von dieser Zeit an trennte er sich immer weiter von Rom, bis alle Verbindungen mit der Papstkirche gekappt waren.

Sola Scriptura – allein die Schrift

Im Alter von 29 Jahren verlieh man Luther an der Universität Wittenberg den Doktor der Theologie. Jetzt war er frei wie nie zuvor, sich den Heiligen Schriften zu widmen, die er liebte. Er hatte ein feierliches Gelübde abgelegt, sein restliches Leben lang Gottes Wort sorgfältig zu studieren und treu zu predigen, statt der Aussprüche und Lehren der Päpste. Nun war er nicht mehr nur Mönch oder Professor, sondern bevollmächtigter Bote der Bibel. Er war als Hirte berufen worden, um Gottes Herde auf saftige Weiden zu führen. Denn sie hungerten nach der Wahrheit.

Luthers Füße standen fest gegründet auf dem wahren Fundament, »erbaut auf den Grund der Propheten und Apostel« (Epheser 2,20). Entschlossen erklärte er, dass Christen ausschließlich Lehren annehmen sollten, die auf der Autorität der Heiligen Schrift beruhen. Beim Klang dieser Worte zitterte Rom. Sie trafen die päpstliche Oberherrschaft direkt an der Wurzel und enthielten das Lebensprinzip der Reformation.

Luthers Angriff auf Philosophie und Theologie

Nach Gottes Vorsehung war Luther nun der Reformator der Kirche. Er suchte die Gedanken seiner Studenten von den Theorien der Philosophen und Theologen abzuwenden und sie stattdessen zu den ewigen Wahrheiten der Propheten und Apostel zu lenken. Furchtlos griff er den spekulativen Unglauben der Gelehrten an. Er trat der Philosophie und Theologie entgegen, die so lange die Menschen im Griff gehabt hatten. Wie wir heute, sah er die Gefahr, dass menschliche Theorien und Spekulationen über die geoffenbarten Wahrheiten in Gottes Wort gestellt werden. Er verurteilte solche Studien nicht nur als wertlos, sondern erklärte, dass »die Schriften der Propheten und Apostel sicherer und erhabener sind als alle Spitzfindigkeiten und Theologien der verschiedenen Schulen.« »In meinem Herzen«, fügte er hinzu, »regiert allein, und muss allein regieren, der Glaube an meinen Herrn Jesus Christus, der allein der Anfang, das Zentrum und das Ende der Gedanken ist, die mich Tag und Nacht beschäftigen.

Jesus, der einzige Mittler!

Mit tiefem Ernst bekannte er seinen Glauben an Jesus als Grundlage seiner Hoffnung – als Anfang und Ende, als Fundament und als krönende Herrlichkeit des Heilsplanes. Mit Staunen hörte man ihm zu, wenn er von jenem Glauben zu den Studenten der Universität und zu überfüllten Versammlungen in der Kirche sprach. Ständig und bestimmt lenkte er das Vertrauen der Schüler und Zuhörer von Menschen weg – auch wenn sie sich noch so des Vertrauens für würdig erklärten – weg von der Selbstgerechtigkeit auf Jesus.

Das Anliegen seiner Verkündigung war: »Lernt Jesus kennen als den Gekreuzigten. Lernt an eurem eigenen Werk zu verzweifeln und zu ihm zu schreien: Herr Jesus, du bist meine Gerechtigkeit, und ich bin deine Sünde. Du hast das genommen, was einst mir war und hast mir gegeben, was dein war. Was du nicht warst, bist du geworden, damit ich das werde, was ich nicht war.«

So legte Luther furchtlos und bestimmt die großen Wahrheiten dar, die Jesu Apostel mit großer Macht verkündet hatten. Die Stimme des Paulus, die durch die Jahrhunderte erscholl, sprach nun durch Luther und deckte Aberglauben auf, widerlegte Irrtum und entwurzelte Irrlehre.

Gottes Wort führt vom römischen Glauben weg

Priester und Prälaten, die Berufsausleger göttlicher Wahrheit, verdrehten die Heilige Schrift durch ihre Falschaussagen; sie drehten Gott das Wort im Mund um, um ihre Irrtümer und Traditionen zu stützen. Unermüdlich hielten sie die Bibel vor dem einfachen Volk zurück, wohl wissend, dass es, wenn es selbst darin studierte, seinen Glauben auf Jesus setzen würde und nicht mehr auf den Papst und die Priester. Das Licht, das aus Gottes Wort schien, würde die Gedanken auf geradem Weg weg vom römischen Glauben führen.

Das war Luthers eigene Erfahrung gewesen. Als er den schrecklichen Abfall und die Korruption in der Kirche sah, entschloss er sich, Gottes Wort treu zu sein und anderen seine heiligen Lehren in ihrer Reinheit und Schlichtheit zu bringen. Er wusste: Nur wenn das Volk sich Gottes Wort zur Lebensregel macht, gäbe es Hoffnung auf Reform. Daher präsentierte er seinen Zuhörern die Schriften als Gottes Worte, als göttliche Mitteilungen, die so wirklich an sie gerichtet sind, als würde Gottes Wort direkt aus dem Himmel zu ihnen sprechen. Mit großem Ernst betonte er die Wichtigkeit, sich eine eigene Erkenntnis aus dem Heiligen Wort anzueignen.

Ohne Heiligen Geist keine Bibelerkenntnis

Die Bibel wurde von heiligen Männern unter der Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben. Daher war die Hilfe desselben Geistes unerlässlich, wollte man ihre Lehren verstehen. Sie musste lernbereit und voller Vertrauen studiert werden, ohne an ihrer obersten Autorität zu zweifeln und mit ernstem Gebet um göttlichen Beistand. Nur wenn der Forscher diesen Kurs einschlug, konnte er hoffen, die geistlichen Themen zu verstehen. Würde das Wort Gottes auf diese Weise studiert, würde es einen gestaltenden Einfluss auf Geist und Moral ausüben, den Verstand schärfen und veredeln, das Herz reinigen und so die Unmoral, die die Welt überflutet, in Schranken halten.

Das »Luther-Evangelium«

Luther kam nicht mit menschlichen Zeremonien, Traditionen und Märchen, um die Leichtgläubigkeit des Volkes auszunutzen. Er kam mit der Wahrheit und Macht Gottes, und die erleuchtet den Verstand und befreit die Herzen aus der Knechtschaft des Aberglaubens und der Tyrannei der Sünde. Er erklärte seinen Zuhörern: Nur wenn sie persönlich an Jesus glaubten, könnten sie von ihm gerettet werden; kein Priester oder Papst könne den Platz des göttlichen Mediators einnehmen. Wer zu Jesus als reuiger, gläubiger Sünder käme, würde Gnade und Frieden finden und seine Gerechtigkeit angerechnet bekommen. Heiligung sei die Frucht des Glaubens. Denn dieser Glaube habe erneuernde Kraft und verwandelt die Seele in Jesu Ebenbild. Der Glaube an einen gekreuzigten Erlöser habe schon in den Tagen der Apostel gerettet; nur dieser Glaube könne Seelen auch in den Tagen Luthers retten. Er lehrte das Volk, zu Gott umzukehren, weil sie sein heiliges Gesetz übertreten hätten. Wenn sie an Jesus glaubten, könne sein Blut ihre Sünden sühnen. Er zeigte ihnen, dass alle, die aufrichtig bereuten, ernstlich um Gottes Hilfe im Kampf gegen ihre bösen Neigungen beten würden. Er betonte auch, dass die Aufrichtigkeit ihrer Gebete sich an dem Einsatz messe, den sie brächten, um Gottes Gesetz zu befolgen.

Leuchtturm Wittenberg

Kostbar war die Botschaft, die Luther dem begierigen Publikum brachte. Die Leute hingen an seinen Lippen. Nie zuvor hatten sie so etwas gehört. Die frohe Botschaft von der Liebe eines Retters, die Zusicherung von Vergebung und Frieden durch sein versöhnendes Blut, ließen ihre Herzen höher schlagen und schenkten ihnen Hoffnung auf ewiges Leben. In Wittenberg wurde ein Licht angezündet, dessen Strahlen bis an die äußersten Enden der Erde reichen würden. Ein Licht, das bis zum Ende der Zeit immer heller werden würde.

Signs of the Times, 7. Juni 1883

Lies weiter: Teil 3 der Reformationsserie: Der erste Schlag der Reformation: Erdbeben im Heiligen Römischen Reich

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