Der erste Schlag der Reformation (Reformationsserie Teil 3): Erdbeben im Heiligen Römischen Reich

Der erste Schlag der Reformation (Reformationsserie Teil 3): Erdbeben im Heiligen Römischen Reich
Adobe Stock - ArTo

Tetzels Ablassbriefe, Luthers Thesen und die unmittelbaren Folgen. Von Ellen White

Das Jahr 1517 markierte den Beginn einer neuen Ära für die Kirche und die Welt. Es war eine Zeit großer Begeisterung in Deutschland. Um die Schatztruhen neu zu füllen, hatte die Römische Kirche einen Riesenmarkt auf Erden eröffnet und Gottes Gnade zur Handelsware gemacht. Ablassbriefe nannte man diese Produkte. Wenn der Händler in eine Stadt kam, lief ihm ein Bote voran, der verkündete: »Die Gnade Gottes und des Heiligen Vaters ist vor euren Toren.« Dann hießen die Leute den unglaublichen Hochstapler willkommen, als wäre Gott persönlich vom Himmel zu ihnen herabgestiegen.

Johann Tetzel

Tetzel, der Leiter dieses berüchtigten Handelswesens war wegen der gemeinsten Verstöße gegen die Gesellschaft und Gottes Gesetz abgeurteilt worden; doch er war der Bestrafung seiner Verbrechen entronnen und war nun beauftragt, die gewinnorientierten und hemmungslosen Projekte der Römischen Kirche zu fördern. Mit schamloser Dreistigkeit formulierte er die eklatantesten Irrtümer und erzählte allerlei faszinierende Märchen, um die Unwissenden, Leichtgläubigen und Abergläubischen zu täuschen. Hätten sie Gottes Wort besessen, den unfehlbaren Sündendetektor und Melder satanischer Täuschungen, hätte man sie nicht derart hinters Licht führen können. Eben um sie unter der Kontrolle des Papsttums zu halten und die Macht und den Reichtum seiner hochstrebenden Führer zu mehren, war ihnen ja die Bibel vorenthalten worden. Tetzel baute seinen Verkaufsstand in der Kirche auf, bestieg die Kanzel und pries die Ablassbriefe als köstlichstes Geschenk von Gott. »Kommt her!«, rief er, »dann gebe ich euch offiziell gesiegelte Briefe, durch die euch die Sünden, die ihr ab jetzt zu begehen wünscht, alle vergeben werden … Sogar Buße ist nicht unverzichtbar … Außerdem retten die Ablassbriefe nicht nur die Lebenden sondern auch die Toten … Die Münze in dem Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!« Solche Gotteslästerung verkündete dieser satanische Agent dem Himmel zum Trotz.

Kann man sich Rettung kaufen?

Als der Zauberer Simon von den Aposteln die Macht kaufen wollte, Wunder zu wirken, antwortete Petrus ihm: »Dass du verdammt werdest mitsamt deinem Geld, weil du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt.« (Apostelgeschichte 8,20) Doch Tetzels Angebot wurde von Tausenden begierig in Anspruch genommen. Gold und Silber flossen in seine Kasse. Eine Rettung, die mit Geld gekauft werden konnte, war schließlich leichter zu haben, als eine, die Umkehr, Glauben und großen Einsatz fordert, um der Sünde zu widerstehen und sie zu überwinden. So konnten sie nun nach Lust und Laune sündigen und sich ihre Begnadigung mit Geld erkaufen. Schon fromme und gelehrte Männer innerhalb der Römischen Kirche hatten der Ablasslehre widersprochen. Auch gab es viele, die nicht an Behauptungen glaubten, die derart gegen den Verstand und die Offenbarung gingen. Von den Bischöfen wagte es niemand, seine Stimme gegen den Betrug und die Korruption dieses Sündenhandels zu erheben, doch die Menschen wurden zunehmend unsicher und unruhig. Viele fragten sich, ob Gott nicht jemanden finden könne, durch den er seine Gemeinde reinigen würde.

Keine Kooperation mit der Sünde

Der Ablasshandel musste geradezu den entschlossenen Widerstand Luthers erregen. Denn er untergrub die Grundprinzipien des Evangeliums. Luther war zwar immer noch ein Katholik der strengsten Sorte. Doch die gotteslästerlichen Behauptungen von Tetzel und seinen Kollegen jagten ihm Entsetzen ein. Viele aus seiner eigenen Gemeinde hatten Ablassbriefe käuflich erworben und begannen schon bald, zu Luther zu kommen, ihre verschiedenen Sünden zu bekennen und zu erwarten, dass er ihnen die Absolution erteilte. Doch nicht etwa, weil sie bereuten und sich ändern wollten, sondern aufgrund des Ablasses. Luther verweigerte ihnen die Absolution und warnte sie, dass sie ohne Reue und Lebensänderung in ihren Sünden verloren gehen würden. Äußerst verwirrt suchten sie dann Tetzel auf und beklagten sich, dass der Augustinermönch Luther seine Ablassbriefe mit Verachtung strafe. Der Ordensbruder schäumte vor Wut. Er stieß die schlimmsten Flüche aus, ließ Feuer auf den öffentlichen Plätzen anzünden und erklärte, dass er Anordnung vom Papst empfangen habe, alle Ketzer zu verbrennen, die sich gegen seine allerheiligsten Ablassbriefe stellen würden.

Warnung und Aufklärung

Jetzt schritt Luther als Verfechter der Wahrheit mutig zur Tat. Er kämpfte nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten und Gewalten, gegen die geistliche Bosheit in hohen Positionen. Seine Stimme erscholl von der Kanzel mit ernsten, feierlichen Warnungen. Er malte den Leuten die Anstößigkeit der Sünde deutlich vor Augen und lehrte sie, dass der Mensch durch eigene Werke weder seine Schuld mindern, noch seine Strafe umgehen könne. Nichts außer Reue vor Gott und Glaube an Jesus könne den Sünder retten. Die Gnade Jesu sei nicht käuflich, sondern ein freies Geschenk. Er riet den Leuten, keine Ablässe zu kaufen, sondern im Glauben auf den gekreuzigten Erlöser zu schauen. Er erzählte aus eigener schmerzlicher Erfahrung, wie vergeblich er durch Demütigungen und Bußübungen sich das Heil hatte kaufen wollen. Er versicherte seinen Zuhörern, er habe unsagbaren Frieden und unvorstellbare Freude nur gefunden, indem er von sich weggeschaut und an Jesus geglaubt habe. Er forderte sie auf, sich wenn möglich, eine Abschrift der Bibel zu besorgen und sie gründlich zu studieren. Wer ihre heiligen Wahrheiten nicht studiere und befolge, werde von Satan hinters Licht geführt und komme in seiner eigenen Sünde um.

Ein mutiger Schlag war für die Reformation geführt worden. Doch Satan und seine Scharen fingen sich wieder, um das Gewissen der Menschen weiter zu beherrschen und den Handel mit der Gnade Gottes aufrechtzuerhalten. Er schürte solchen Hass gegen Luther, dass viele bereit waren, ihn zum Schweigen zu bringen, und sollte es sein Leben kosten. So ging der große Kampf zwischen dem Licht- und dem Dunkelfürsten ungebremst weiter.

Der Traum des Kurfürsten Friedrichs des Weisen

Um diese Zeit hatte Kurfürst Friedrich einen Traum, der ihn stark beeindruckte und in bemerkenswerter Weise die Reformation voraussagte:

»Allerheiligen stand vor der Tür, der Kurfürst hatte sich schon zur Ruhe begeben und lag gedankenversunken auf dem Bett. Wie sollte er den Feiertag begehen? Er betete für die armen Seelen im Fegefeuer und flehte um göttliche Leitung für sich, seine Räte und sein Volk. So schlief er denn ein und träumte, dass ein Mönch, ein wahrer Sohn des Apostels Paulus zu ihm geschickt wurde. Alle Heiligen hätten ihn begleitet, um seine göttliche Sendung zu bestätigen. Sie baten den Kurfürsten, dass der Mönch etwas an die Kirchentür von Wittenberg schreiben dürfe. Als der Mönch zu schreiben begann, waren die Buchstaben so groß und glänzend, dass man sie aus großer Entfernung lesen konnte. Seine Feder war jedoch so lang, dass ihre Spitze bis nach Rom reichte und die Ohren eines Löwen verletzte, der dort kauerte. Ja sie brachte die dreifache Krone auf dem Haupt des Papstes zum Wanken. Alle Kardinäle und Fürsten eilten herbei, um sie zu stützen. Als der Träumer sich selbst darum bemühte die Krone des Papstes vor dem Fallen zu bewahren, wachte er entsetzt auf. Er war zornig auf den Mönch, der seine Feder so ungeschickt geführt hatte. Dann schlief er wieder ein und der merkwürdige Traum ging weiter: Der in seiner Ruhe gestörte Löwe begann zu brüllen, und Rom und alle Nachbarstaaten erkundigten sich nach dem Grund. Der Papst forderte, dass der Mönch in seine Schranken gewiesen werde und erwartete dies vor allem vom Kurfürsten. Denn der Mönch lebte in seinem Herrschaftsgebiet.

Wieder wachte der Kurfürst aus seinem Traum auf, flehte 1zu Gott, er möge den ›Heiligen Vater‹, den Papst, beschützen und schlief wieder ein. Wieder ging der Traum weiter. Alle Fürsten des Reiches strömten nach Rom und versuchten die rätselhafte Feder zu zerbrechen. Doch je mehr sie es versuchten, desto steifer wurde die Feder. Als sie den Mönch fragten, woher er diese Feder habe und warum sie so stark sei, antwortete er, dass er sie von seinem alten Schulmeister habe. Sie gehöre der böhmischen hundertjährigen Gans [Der Nachname von Jan Hus bedeutet auf Böhmisch (Tschechisch) Gans. Hus hatte ein Jahrhundert vor Luther die Wahrheit verkündet und seinen Verfolgern gesagt: »Die Gottlosen haben begonnen, der Gans eine tückische Falle zu stellen. Die Gans ist nur ein Haustier, ein friedlicher Vogel. Sie fliegt nicht sehr hoch am Himmel. Dennoch hat sie den Frevlern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie viel mehr werden da andere Vögel, die sich mutiger in den Himmel aufschwingen, ihnen noch einen viel dickeren Strich durch die Rechnung machen. Statt einer schwachen Gans wird die Wahrheit Adler und Geier mit scharfen Augen aussenden.«]; die Feder sei so stark, weil niemand das Mark aus ihr entfernen könne. Plötzlich hörte der Träumer einen Aufschrei. Da gingen eine große Anzahl Federn aus der langen Feder des Mönchs hervor!«

Die 95 Thesen

Allerheiligen war ein wichtiger Tag in Wittenberg. Die kostbaren Reliquien der Kirche wurden öffentlich ausgestellt und völlige Sündenvergebung wurde allen gewährt, die die Kirche besuchten und zur Beichte gingen. So strömten an diesem Tag große Scharen nach Wittenberg.

Am 31. Oktober, dem Vortag des Festes, ging ein Mönch mutig zur Kirche, zu der eine Schar Gottesdienstbesucher bereits auf dem Weg waren, und nagelte 95 Thesen gegen die Ablasslehre an die Tür. Dieser Mönch war Martin Luther. Er ging allein; keiner seiner engsten Freunde wusste etwas von seinem Plan. Als er seine Thesen an die Kirchentür nagelte, erklärte er sich bereit, sie am nächsten Tag in der Universität gegen alle Opponenten zu verteidigen.

Seine Thesen fanden allgemeine Beachtung. Sie wurden immer wieder gelesen und verbreiteten sich in alle Richtungen. Groß war die Aufregung an der Universität und in der ganzen Stadt. Durch diese Thesen wurde der Ablasslehre furchtlos widerstanden. Es wurde gezeigt, dass die Macht der Sündenvergebung und der Strafaufhebung nie einem Papst oder einem anderen Menschen übertragen worden war. Das ganze Programm war eine Farce – eine List, um durch den Aberglauben des Volkes an Geld zu kommen – ein satanisches Mittel, um die Seelen aller zu zerstören, die diesen falschen Behauptungen Glauben schenkten. Es wurde auch deutlich gemacht, dass das Evangelium Jesu der kostbarste Schatz der Kirche ist und dass Gottes darin geoffenbarte Gnade allen gratis geschenkt wird, die sie reumütig und gläubig suchen.

Gott lenkte die Anstrengungen dieses furchtlosen Baumeisters. Das Gebäude, das er entstehen ließ, war solide und sicher. Er hatte die Lehre von der Gnade gewissenhaft dargelegt. Sie würde dem Mittleranspruch des Papstes den Boden entziehen. Die Menschen würden vielmehr zu Jesus als alleinigem Sündopfer und Fürsprecher für die Sünder geführt. So begann sich der Traum des Kurfürsten bereits zu erfüllen. Die Feder, die an die Kirchentür geschrieben hatte, reichte bis nach Rom, störte den Löwen in seiner Höhle auf und stieß gegen die Tiara des Papstes.

Die sündenliebenden und abergläubischen Massen waren wie vom Donner gerührt, als die Theologien, die ihre Ängste beruhigt hatten, unsanft weggerissen wurden. Schlaue Geistliche, die in ihrer höllischen Verbrechensbewilligungspraxis unterbrochen wurden und ihre Felle dahinschwinden sahen, strömten zusammen, um die Macht des Papstes zu stützen.

Verbreitung

Luthers Thesen lösten Diskussionen aus. Doch niemand wagte es, den Fehdehandschuh aufzuheben. Durch Gottes Gnade erschütterte der Mönch von Wittenberg die Grundfesten des Papsttums, verblüffte und erschreckte seine Unterstützer und erweckte Tausende aus dem Schlummer des Irrtums und Aberglaubens. Die Zweifel, die er in seinen Thesen aufwarf, verbreiteten sich in Windeseile durch ganz Deutschland. In wenigen Wochen hatten sie die ganze Christenheit durchdrungen. Viele fromme Katholiken hatten die schreckliche Bosheit in der Kirche gesehen und beklagt, aber nicht gewusst, wie man sie aufhalten solle. Jetzt lasen sie die Thesen mit großer Freude und erkannten in ihnen Gottes Stimme. Sie waren der Meinung, dass der HERR voller Gnade eingegriffen hatte, um der schnell anschwellenden Flut des Verderbens Einhalt zu gebieten, die vom Heiligen Stuhl in Rom ausging. Fürsten und Richter jubelten insgeheim, dass die überhebliche Macht in Schranken gewiesen wurde, die keiner Instanz erlaubte, ihre Entscheidungen in Frage zu stellen.

Gegenreaktion

Aber manche zweifelten und hatten Angst. Der Prior von Luthers Orden fürchtete sich vor Tetzel, kam bestürzt zum Reformator und sagte: »Bitte bring über unseren Orden keine Schande!« Luther hatte großen Respekt vor diesem Mann und war tief getroffen von seinen Worten. Doch er fasste sich und sagte; »Lieber Vater, wenn die Sache nicht von Gott ist, wird sie zunichtewerden, ist sie aber von Gott, lass sie gewähren.«

Der Reformator musste sich bitteren Anklagen stellen. Einige warfen ihm vor, er handle überstürzt und unbesonnen. Andere beschuldigten ihn der Anmaßung und erklärten, er sei nicht von Gott geleitet, sondern von Stolz und Dreistigkeit. »Wer wüsste nicht«, antwortete er, »dass ein Mensch selten irgendeine neue Idee äußert, ohne dass man dahinter Stolz vermutet und sie als Streitquelle geißelt? Warum wurden Jesus und alle Märtyrer umgebracht? Weil sie angeblich voller Stolz die Weisheit ihrer Zeit verwarfen und Neuheiten vertraten, ohne zuerst demütig den Rat der Gelehrten eingeholt zu haben, die sich mit dem Wissen der Alten auskannten.« Weiter erklärte er: »Was ich tue, tue ich nicht, weil ich die Klugheit von Menschen befragt habe, sondern weil ich mir Gottes Rat eingeholt habe. Ist das Werk von Gott, wer kann es aufhalten? Wenn nicht, wer kann es fördern? Nicht mein Wille, nicht ihr Wille, nicht unser Wille, sondern dein Wille geschehe, o Heiliger Vater, der du bist im Himmel.«

Zwischen Zweifel und Vertrauen

Obwohl Luther von Gottes Geist bewogen wurde, sein Werk zu beginnen, sollte er es nicht ohne schwere Auseinandersetzungen voranbringen. Die Vorwürfe seiner Feinde, ihre Falschdarstellungen seiner Absichten und ihre unrechte und boshafte Kritik an seinem Charakter und seinen Motiven überrollten ihn wie eine Flutwelle und blieben nicht ohne Wirkung. Er war sich sicher gewesen, dass Leiter in der Kirche und die Philosophen der Nation sich gerne seinen Reformationsbestrebungen anschließen würden. Ermutigende Worte von Männern in hohen Positionen hatten ihn gefreut und hoffen lassen. Er hatte schon einen helleren Tag für die Kirche anbrechen sehen. Doch aus Ermutigung war Tadel und Verurteilung geworden.

Am eigenen Stuhl sägen?

Viele kirchliche und staatliche Würdenträger waren von der Wahrheit seiner Thesen überzeugt; doch sie sahen bald, dass mit ihrer Umsetzung große Veränderungen einhergehen würden. Das Volk aufzuklären und zu reformieren, hieße praktisch, die Autorität Roms zu untergraben und tausende Geldströme abzudrehen, die gegenwärtig in ihre Schatzkammern flossen. Dadurch würde die Extravaganz und der Luxus der katholischen Bischöfe beschnitten. Wenn man dem Volk beibrächte, als verantwortliche Wesen selbst zu denken und zu handeln und Errettung allein von Jesus zu erwarten, würde der Stuhl des Papstes gestürzt und schließlich ihre eigene Autorität zunichte werden. Aus diesem Grund lehnten sie die Erkenntnis ab, die Gott ihnen anbot, und stellten sich gegen Jesus und die Wahrheit, indem sie dem Mann widerstanden, den er gesandt hatte, um sie zu erleuchten.

Signs of the Times, 14. Juni 1883

Lies weiter: Reformationsserie Teil 4: Luthers Kraftquelle: Bibel oder Tradition

Zurück zu Teil 1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Ich stimme der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten nach EU-DSGVO zu und akzeptiere die Datenschutzbedingungen.