Leidtragender oder Peiniger? Gott im Erdbeben

Leidtragender oder Peiniger? Gott im Erdbeben
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Was bewirkt die Katastrophe in der Osttürkei in dir? Von Kai Mester

Lesezeit: 8 Minuten

Das jüngste Erdbeben in der Türkei erschüttert jeden, der sich auch nur ansatzweise damit befasst. So viele Tote! So viel Leid!

Katastrophen machen nachdenklich, haben schon immer in der Geschichte ein Aufwachen ausgelöst. Je nach Schweregrad des Unglücks, werden mehr und tiefere Fragen gestellt bzw. der eigene Lebensstil hinterfragt, evtl. korrigiert.

Ursachen eines Erdbebens

Für Atheisten ist ein Erdbeben einfach das Resultat tektonischer Plattenbewegungen. Religiöse Menschen glauben jedoch auch an spirituelle Gründe, zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen dem habgierigen Lebensstil der Bewohner dieses Planeten, der sich auf sein gesamtes Ökosystem auswirkt.

Wer in biblischen Kategorien denkt, fragt sich, welche Rolle Gott bei solchen Katastrophen spielt? Schickt er sie? Bewirkt er sie? Genehmigt er sie? Lässt er sie zu? Oder hat er sich desinteressiert zurückgezogen?

Die Bibel spricht auch von Gottes Feind, seinem Widersacher als Teufel (Durcheinanderbringer) und Satan (Ankläger). Er wird als Urlügner und Urmörder dargestellt (Johannes 8,44), als Verderber und Katastrophenbringer.

Erdbeben im Weltbild der Siebenten-Tags-Adventisten

Auch Siebenten-Tags-Adventisten sehen einen Zusammenhang zwischen Katastrophen, Gott und Satan. Hier einige Aussagen von ihrer Mitgründerin und Bibelkommentatorin Ellen White als Beispiele:

»Satan hat Kontrolle über alle, die Gott nicht besonders behütet. Einige begünstigt er, um seine Pläne zu fördern, andere bringt er in Not und lässt sie glauben, es sei Gott, der sie heimsucht. Während er sich den Menschen als großer Arzt präsentiert, der all ihre Krankheiten heilen kann, bringt er tatsächlich Krankheiten und Unheil, bis ganze Städte in Schutt und Asche gelegt sind. Schon jetzt ist er am Werk. In Tragödien und Katastrophen zu Wasser und zu Lande, in Großbränden, in Tornados und Hagelunglücken, in Orkanen, Überschwemmungen, Hurrikanen, Taifunen, Tsunamis und Erdbeben, an jedem Ort und in tausend Formen übt Satan seine Macht aus. Er fegt die reifende Ernte weg, worauf Hungersnot und Elend folgen. Er verpestet die Luft, und Tausende kommen um. Diese Heimsuchungen werden immer häufiger und katastrophaler. Die Zerstörung wird Mensch und Tier treffen.« (Great Controversy, 590)

»Vier mächtige Engel halten noch immer die vier Winde der Erde. Schrecken und Zerstörung darf noch nicht in vollem Umfang kommen. Die Unglücke zu Lande und zu Wasser, der ständig zunehmende Verlust von Menschenleben durch Stürme, Unwetter, Verkehrsunglücke und Großbrände, die furchtbaren Überschwemmungen, Erdbeben und Winde werden die Völker zu einem tödlichen Kampf vereinen. Doch schon die ganze Zeit halten die Engel die vier Winde und verbieten der entsetzlichen Macht Satans, sich in ihrem vollen Zorn zu entladen. Erst müssen Gottes Diener an ihren Stirnen versiegelt sein.« (Review and Herald, 7. Juni 1887)

»Die Elemente der Naturgewalten – Erdbeben, Stürme und politische Unruhen – werden von vier Engeln im Zaum gehalten. Diese Winde sind unter Kontrolle, bis Gott die Freigabe zu ihrer Entfesselung erteilt.« (Testimonies to Ministers, 444)

»Satan führte das Verderben unserer Ureltern herbei, brachte Sünde und Tod in die Welt und stürzte Scharen von Menschen aller Zeitalter, Länder und Kulturen ins Verderben. Er beherrschte mit seiner Macht Städte und Völker, bis ihre Sünde den Zorn Gottes entfachte, der sie durch Feuer, Wasser, Erdbeben, Schwert, Hunger und Pestilenz vernichtete.« (Review and Herald, 28. Juli 1874)

Traditionell christlicher Dualismus

Nun könnte man prompt den Eindruck erhalten, dass die Erdbeben mal von Satan, mal von Gott kommen wie in einem Krieg zwischen zwei griechischen Göttern. Tatsächlich hat sich in der Christenheit diese dualistische Vorstellung eingeschlichen. So wird in der traditionellen christlichen Sprache teils vom Teufel geredet, als sei er fast genauso allgegenwärtig, allwissend und allmächtig wie Gott, natürlich nur eingeschränkt, aber doch. Viele Christen reden zum Beispiel so, als hätten sie tagtäglich mit Satan zu kämpfen.

Das Böse ist nicht göttlich

Dabei vergessen sie, dass die Bibel Satan als geschaffenen, in Sünde gefallenen Engel vorstellt, der an Zeit und Ort gebunden ist. Nur durch ein riesiges Heer von Engeln, die ihm nachfolgen und als Dämonen bezeichnet werden, kann er bis in alle Winkel der Erde wirken.

Satan ist demnach von Gott abhängig. Ohne ihn könnte er nicht eine Sekunde leben. Ohne ihn würde ihm – so grausam das klingt – die Kraft zum Töten fehlen, die Intelligenz zum Lügen.

Gottes verschlungenes Zusammenwirken mit dem Bösen

Es wundert daher nicht, wenn die Bibel Katastrophen von zwei Seiten beleuchtet: Von der Seite Satans aus, der als Kopf und Drahtzieher alles Bösen gelten muss, und von der Seite Gottes aus, der die Verantwortung auf sich nimmt, weil er Satan als dessen Schöpfer und Erhalter diesen Freiraum gibt, was die biblischen Schreiber dann als Zorn Gottes bezeichnen.

Denn wenn der Mensch sich solange gegen Gottes Liebeswerben wehrt und sich so deutlich auf die Seite des Bösen schlägt, dann respektiert Gott diese Entscheidung. Allerdings erst, nachdem er alles versucht hat, was er ohne Gewalt und Manipulation tun kann, um das Menschenherz zu erreichen. Auch greift Gott dabei nicht zu Maßnahmen, bei denen seine um ein Vielfaches überlegenen Fähigkeiten gegenüber seinem gegnerischen Engelsgeschöpf zum Zuge kämen. Denn es soll ja die Natur des Bösen sich selbst entlarven und zugrunde richten, um nie mehr ihre hässliche Fratze im Universum zu erheben.

Liebeszorn, was ist das?

Zorn Gottes beschreibt, wie grausam es für Gottes Geschöpfe ist, wenn sein Geist und sein Leben von ihnen weichen. Zorn Gottes beschreibt, wie tiefgreifend emotional, schmerzhaft und traurig der Moment für Gott ist, wenn er dem Bösen mit allen seinen Folgen Raum gibt. Zorn Gottes beschreibt, dass Gott nicht in der Lage ist, den Blick abzuwenden oder seine Geschöpfe loszulassen, während die Sünde sie auffrisst und die Katastrophe über sie hereinbricht. Er ist mit ihnen als Schöpfer aufs Allerengste verbunden und muss jeden Schmerz ganz bewusst zulassen, erlauben, genehmigen. Der Koran lässt Gott sagen, dass er dem Menschen näher sei, als seine Halsschlagader (Qaf 50,16). Ein treffendes Bild! Denn jeder Atemzug, jede Körperfunktion wird durch Gott permanent am Leben erhalten (Psalm 54,6; 1. Timotheus 6,13).

Das Bild des Vaters in der Türkei, der die Hand seiner verschütteten Tochter auch nach ihrem Tod nicht loslassen will, ging um die ganze Welt. Das beschreibt Gottes Empfinden. So nah ist er jedem seiner Geschöpfe, den Lebenden und den Toten, denen, die einmal ewig mit ihm leben wollen und werden und denen, die er für immer verlieren wird, bis sie nur noch Erinnerung für ihn sind.

In mir löst dieses Nachdenken drei Formen der Sehnsucht aus:
Die Sehnsucht, in jeder Lebenslage mir Gottes Nähe bewusst zu sein, damit ich seine allerbeste Absicht mit mir und meinen Mitmenschen (Freund und Feind) nie missdeute, mich nie von ihm distanziere, keinen Zentimeter.
Die Sehnsucht, als Trost für Gott und meinen Nächsten zu leben; auch wenn ich vergleichsweise wenig tun kann, dann doch das maximal Mögliche, auch für die vielen Unglücksopfer.
Die Sehnsucht, anderen Menschen Gottes wahre Motive zu zeigen, ihnen zu helfen, einen Blick in sein Herz zu erhaschen.

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