Manchmal erscheint die Bibel wie eine lose Ansammlung von Gedanken – doch was, wenn wir den roten Faden mitnehmen, sodass ein Vers den nächsten ergänzt? Welche Weisheit liegt im Zusammenhang? Von Kai Mester
Lesezeit: 8 Minuten
Hast du schon mal beim Bibelstudium versucht, die Erkenntnisse aus einem gelesenen Vers mit in den nächsten zu nehmen? So wird in einem Abschnitt dein Einblick immer tiefer.
Manchmal lesen wir die Bibel so, als würden ihre Schreiber von Höckschen auf Stöckschen kommen oder hochdeutscher: vom Hundertsten ins Tausendste, als würden sie die Gedanken unzusammenhängend oder doch mindestens sehr lose aneinanderreihen. Dann gelingt es leider auch gut, einzelne Verse rauszugreifen und im luftleeren Raum unseren Deutungen zu unterwerfen.
Am Beispiel von Galater 6,1–10 möchte ich nun das Gegenteil versuchen. Ich lade dich ein mitzukommen.
Helfen statt richten
Brüder, wenn auch ein Mensch von einer Übertretung übereilt würde, so helft ihr, die ihr geistlich seid, einem solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht.
Was für ein Auftrag! Statt zu richten, zu verurteilen, zu verdammen, dürfen wir helfen, zurechthelfen. Statt streng und aggressiv, können wir sanft sein wie der Regen, der das Land benetzt (Hosea 6,3). Dann sind wir geistlich. Dann sind wir mit dem Heiligen Geist erfüllt. Die Ermutigung lautet: Begegnen wir dem Sünder als wohltuender Freund und Bruder, bringen wir ihm Leben, dass die Pflanze wieder saftig werden kann nach der Erfahrung der Dürre. Sein Herz soll durch den Kontakt mit uns wieder heil werden nach der Krankheit. Die Furcht darf wieder der Hoffnung weichen auf Vergebung und Geborgenheit beim Vater.
Um die eigene Schwäche wissen und mitfühlen
Und gib dabei acht auf dich selbst, dass du nicht auch versucht wirst!
Genau deshalb macht es keinen Sinn zu richten, sich besser zu fühlen oder auf den anderen herabzusehen. Das ist auch der Geist der Sanftmut: den Blick für die eigene Schwäche und Abhängigkeit von Gott zu haben, und deshalb Empathie und Mitgefühl für meinen strauchelnden Nächsten. Statt dass dieser mir dann zurechthelfen muss, darf ich der Versuchung aus dem Weg gehen, indem ich auf dem »rechten« Weg bleibe.
Probleme und Schuld tragen helfen
Einer trage des anderen Lasten, und so sollt ihr das Gesetz des Christus erfüllen!
Des anderen Lasten sind, wenn wir die bisherigen Erkenntnisse mitnehmen, seine Probleme (Versuchungen) und Übertretungen (Sünden). Ich kann ihm durch meine Gegenwart und Sanftmut tragen helfen. Unaufdringlich biete ich meine Unterstützung an. Der Geist schreibt mir Gottes Gebote in Herz und Sinn, durch Jesu Liebe erfülle ich sein Gesetz: Ein neues Gebot gebe ich euch …
Vorsicht vor falschem Selbstbewusstsein
Denn wenn jemand meint, etwas zu sein, da er doch nichts ist, so betrügt er sich selbst.
Wenn wir die Lasten des anderen nicht tragen, dann liegt es oft daran, dass wir uns etwas auf uns selbst einbilden, uns selbst überschätzen. Auch wenn wir uns in Versuchung begeben, liegt es meistens an übertriebenem Selbstbewusstsein. Und wenn wir von einer Verfehlung übereilt werden, dann kann es genauso an falschem Selbstbewusstsein gelegen haben. Deshalb ist es wichtig, sich nicht selbst zu betrügen, sich selbst nicht falsch einzuschätzen.
Frei vom Urteil anderer
Jeder aber prüfe sein eigenes Werk, und dann wird er für sich selbst den Ruhm haben und nicht für einen anderen.
Der erste Schritt ist also: Selbstprüfung. Darauf achtgeben, dass man nicht selbst versucht wird. Wir brauchen uns nicht mit anderen Menschen zu vergleichen oder unsere Qualitäten im Kontrast zu den Schwächen und Fehlern anderer zu definieren. Wir dürfen uns frei machen von dem, was andere über uns denken. Dann können wir anderen helfen, sanfter und einfühlsamer mit ihnen sein. Dann erfüllt uns der Geist und gibt uns die Kraft, die Probleme anderer mitzutragen und ihre Verfehlungen und Sünden zu ertragen.
Jeder hat sein Päckchen
Denn jeder Einzelne wird seine eigene Bürde zu tragen haben.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Deshalb lohnt es sich nicht, den anderen zu richten. Daher empfiehlt uns Gott auch, Geduld zu haben. Mit dieser Erkenntnis fällt uns Mitgefühl leichter, und über das Mitgefühl schließlich bekommen wir vom Geist die Kraft mitzutragen und sanft zurechtzuhelfen.
Mitgefühl mit strauchelnden Lehrern
Wer im Wort unterrichtet wird, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allem Guten!
Ist das ein neues Thema? Nein! Es geht, um Menschen, die von einer Übertretung übereilt werden, und wie wir darauf reagieren sollen. Was also, wenn einer unserer erfahreneren Glaubensbrüder in eine solche Situation gerät. Auch er verdient unser Mitgefühl und unser sanftes Zurechthelfen. Wie schnell fallen Lehrer, die sich versündigen, in Ungnade und ihre Schäfchen wenden sich ärgerlich oder angewidert ab. Nur der Geist Gottes kann hier einen positiven Unterschied machen.
Das Potenzial für Versuchungen und Verfehlungen ist automatisch größer, wenn man besonders verantwortungsvolle Positionen hat. Wie leicht fällt man über solche Verantwortlichen ein abfälliges Urteil. Möglicherweise hätte man aber in derselben Situation mit gleicher Verantwortung noch schlimmer versagt. Deshalb sieh auf dich selbst und prüfe dein eigenes Werk! Einer trage des anderen Last, auch der Schüler die Last des Lehrers. Er ist ja auch nur ein Mensch und braucht moralische Unterstützung.
Funktionsweise der Psyche
Irrt euch nicht: Gott lässt sich nicht spotten! Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten.
Wer andere richtet, der wird gerichtet werden. Wer andere verdammt, der wird verdammt. Wer nicht vergibt, dem wird auch nicht vergeben. Wer nicht gibt, dem wird auch nicht gegeben. (vgl. Lukas 6,36.37)
Sich gehen oder inspirieren lassen?
Denn wer auf sein Fleisch sät, der wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist ewiges Leben ernten.
Auf sein Fleisch säen heißt demnach: sich überschätzen, sich überheben, auf andere herabsehen, andere verletzen, sie ausnutzen, ablehnen, im Stich lassen oder über sie Gewalt ausüben, die Werke des Fleisches tun, die im Kapitel vorher aufgezählt wurden: huren, sich suhlen, prassen, zaubern, hassen, zanken, streiten, neiden, saufen, fressen … Auf den Geist säen heißt, die Frucht des Geistes hervorbringen: lieben, sich freuen, Frieden stiften, geduldig, freundlich sein, Gutes tun, treu, sanft und rein leben.
Gesetz von Ursache und Wirkung
Lasst uns aber im Gutestun nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht ermatten.
Hier zeigt Paulus ein mentales Grundgesetz auf: Eines führt zum anderen. Wer sät, wird automatisch ernten. Es braucht nur Zeit, dann wird das Ergebnis sichtbar, die Frucht reif, das Produkt auslieferungsfertig. Diese Art von Lohn ist im Samen bereits verborgen. Gutestun heißt hier: dem Irrenden zurechthelfen und Anteil am Guten geben.
Stütze deinen Bruder
So lasst uns nun, wo wir Gelegenheit haben, Gutes tun an jedermann, vor allem aber an des Glaubens Genossen.
Das Gesagte legt uns jedermann ans Herz, jeden Menschen, der von einer Übertretung übereilt wird, aber auch für jeden, der dich im Wort und im Glauben unterrichtet und an den du möglicherweise übertriebene Erwartungen hast. »Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.« (Psalm 133,1)
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