Märtyrer Hieronymus: Augenzeugenbericht

Märtyrer Hieronymus: Augenzeugenbericht
Illustrationen: Tulio Barrios del Carpio

Poggio Bracciolini erlebte das Verhör und die Hinrichtung von Hieronymus mit und berichtet seinem Freund Leonardo davon. Von Poggio Bracciolini

Einleitung

Der packende Roman Jan Hus, der Ketzer gehört zur pietistischen Erbauungsliteratur und ist Fiktion. Das war uns damals nicht bewusst, als wir ihn 1998 im hoffnung-weltweit-verlag veröffentlichten.

Natürlich: Historische Quellen haben oft nicht den Spannungsbogen, der ein breites Publikum dazu bewegt, einen Text gründlich zu lesen. So hat Johann Gottfried Munder, Verleger der Stuttgarter Stadt-Glocke, die von 1844-1848 erschien, und wahrscheinlich der wahre Autor des Romans, den Tod von Jan Hus literarisch aufbereitet und seinen Text eben dem Poggio Bracciolini zugeschrieben, der für den folgenden Brief bekannt war. Diesen vergleichsweise kurzen Brief über den Tod des nahen Freundes von Jan Hus stellen wir den Lesern hier vor.

Poggio grüßt seinen Leonardo d’Arezzo!

Als ich einige Tage in der Kur verweilt hatte, schrieb ich von eben diesem Kuraufenthalt einen Brief an unseren Nikolaus, den du, wie ich annehme, lesen wirst. Als ich daraufhin nach Konstanz zurückgekehrt war, begann wenige Tage später der Prozess gegen Hieronymus, den man der Ketzerei bezichtigte, und zwar öffentlich. Diesen Prozess möchte ich dir aber nun schildern, zum einen wegen der Bedeutung des Vorgangs, zum anderen aber besonders wegen der Redegabe und Bildung des Mannes.

Ein faszinierender Mann

Ich gestehe, nie einen Mann erlebt zu haben, der bei seiner Verteidigung noch dazu, wo es um Leben und Tod ging, der Beredsamkeit der Alten näher gekommen ist, die wir so sehr bewundern. Es ist erstaunlich, mit welchen Worten, welcher Redegewandtheit, mit welchen Argumenten, mit welchem Mienenspiel und mit welchem Selbstbewusstsein er seinen Gegnern antwortete und schließlich seine Verteidigungsrede vortrug, sodass man bedauern muss, dass eine so großartige und herausragende Begabung sich zu jenen ketzerischen Umtrieben verstiegen hat; falls es überhaupt wahr ist, was ihm vorgeworfen wird. Es steht mir nämlich nicht an, in einer so bedeutenden Angelegenheit ein Urteil zu fällen; und so pflichte ich denen bei, die als weiser gelten. Und du sollst auch nicht glauben, dass ich nach Art eines Berichterstatters den Prozess in allen Einzelheiten schildere; das würde zu weit führen und dazu bräuchte man viele Tage. Ich werde nur einige bedeutsamere Punkte streifen, an denen du die Bildung dieses Mannes erkennen kannst.

Mutig

Obwohl vieles gegen Hieronymus gesammelt worden war, aufgrund dessen er der Ketzerei bezichtigt wurde, beschloss man doch, dass er öffentlich auf die einzelnen Vorwürfe antworten solle. Als er dann also in die Versammlung geführt worden war und als man ihn aufforderte, auf jene Vorwürfe zu antworten, weigerte er sich längere Zeit und erklärte, er müsse sich zuerst selbst rechtfertigen dürfen, bevor er auf die Verleumdungen seiner Gegner antworte. Und so solle man zuerst ihm bei seiner Verteidigungsrede zuhören und dann erst zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen kommen.

Doch als ihm dieser Antrag abgelehnt worden war, stand er auf, trat in die Mitte der Versammlung und sprach: »Was ist das denn für eine Ungerechtigkeit, dass ihr in den dreihundertfünfzig Tagen, die ich in härtester Kerkerhaft, im übelsten Dreck, im Kot, in Fesseln, in vollständiger Entbehrung verbracht habe, ständig meinen Gegnern und Widersachern zugehört habt, mich jetzt aber nicht eine einzige Stunde anhören wollt? Und so kommt es, dass ihr mich in euren Gedanken bereits als schändlichen Menschen eingestuft habt, noch bevor ihr erkennen konntet, wer ich wirklich bin, weil jene bei jedem einzelnen Gehör fanden und euch in dieser so langen Zeitspanne davon überzeugen konnten, dass ich ein Ketzer, ein Feind des Glaubens an Gott, ein erklärter Gegner von Kirchenleuten sei, mir aber nun keine Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben wird.« Und weiter sagte er: »Aber ihr seid Menschen und keine Götter, nicht ewig, sondern sterblich. Ihr könnt fehlgehen und irren, getäuscht, hereingelegt, verführt werden. Hier, sagt man, sind berühmte Köpfe, die Klügsten der Welt versammelt! Für euch gehört es sich ganz besonders, nichts vorschnell, nichts unbedacht, nichts im Widerspruch zur Gerechtigkeit in Gang zu bringen. Ich freilich bin nur ein kleines Menschlein, um dessen Kopf es geht und ich spreche hier nicht für mich, der ich ein vergängliches Dasein führe; doch es scheint mir empörend, wenn trotz der Klugheit so vieler Männer ganz gegen die Gerechtigkeit eine Strafe gegen mich festgesetzt wird, die weniger durch die Sache selbst als durch ihr schlechtes Beispiel schaden wird.«

Hochintelligent

Als er dies und vieles mehr kunstvoll ausgeführt hatte und allgemeine Unruhe und Gemurre seine Rede unterbrach, beschloss man schließlich, dass er zuerst auf die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen antworte und dass man ihm dann noch die Gelegenheit gebe, zu sagen, was er sagen wolle. Es wurden also vom Podium aus einzelne Hauptpunkte der Anklage verlesen, dann wurde er gefragt, ob er etwas erwidern wolle, und schließlich wurden die Anschuldigungen durch Zeugenaussagen untermauert.

Es ist unglaublich, wie schlau er antwortete, mit welchen Argumenten er sich verteidigte. Nie äußerte er etwas, das einem anständigen Mann nicht anstand, sodass – falls seine Worte wirklich seinen echten Glauben widerspiegelten, man schon gar keinen triftigen Grund für die Todesstrafe, aber auch nicht einmal den geringsten Anstoß entdecken konnte. Alles sei unwahr, sagte er, alle Anschuldigungen seien von seinen Gegnern erfunden.

Als unter anderem verlesen wurde, er sei ein Verleumder des Heiligen Stuhls, ein Widersacher des römischen Papstes, ein erklärter Feind von Prälaten und Priestern, ein Gegner des christlichen Glaubens, stand er auf und sprach mit klagender Stimme und ausgebreiteten Armen: »Wohin soll ich mich nun wenden, versammelte Priesterschaft? Wessen Hilfe erbitten? Wen anflehen, wen beschwören? Etwa euch? Aber diese meine Verfolger haben euch doch gegenüber meinem Schicksal gleichgültig gemacht, indem sie mich zum Feind aller erklärten, oder etwa nur derer, die hier urteilen werden? Sie haben offenbar geglaubt, dass ihr mich – völlig zu Unrecht als Feind und Gegenspieler aller verleumdet – zur Strecke bringen würdet mit euren Urteilen, auch wenn euch das gegen mich Erdichtete unbedeutend erschiene. Wenn ihr also deren Worten Glauben schenkt, gibt es nichts mehr, was bezüglich meines Lebens noch erhofft werden darf.«

Humorvoll

Viele tadelte er mit Humor und spitzen Bemerkungen, immer wieder brachte er viele in dieser ernsten Angelegenheit zum Lachen, indem er über die Vorwürfe jener Leute scherzte.

Als er gefragt wurde, wie er über das Altarssakrament denke, sagte er: »Vor der Wandlung ist es Brot, danach der wahre Leib Christi.« Und auch das Übrige erklärte er dem christlichen Glauben entsprechend. Dann warf einer ein: »Aber es gibt welche, die behaupten, du hättest gesagt, dass es nach der Wandlung immer noch Brot sei.« Darauf erwiderte jener: »Beim Bäcker bleibt es Brot!« Und als einer vom Dominikanerorden ihm recht hart zusetzte, sagte er: »Schweig, du Heuchler!« Und einem anderen, der bei seinem guten Gewissen gegen ihn schwor, sagte er: »Das ist der sicherste Weg, andere in die Irre zu führen.«

Demütig

Als man aber wegen der Vielzahl und der Schwere der Anschuldigungen den Prozess an diesem Tag nicht zu Ende bringen konnte, ist er auf den dritten Tag verschoben worden. Als an diesem der Inhalt der einzelnen Anschuldigungen verlesen und daraufhin von mehreren Zeugen bestätigt worden war, stand dieser Mann auf und sagte: »Da ihr ja nun meine Gegner so gründlich angehört habt, ist es nur folgerichtig, dass ihr nun auch mir beim Reden geduldig zuhört.« Als ihm nun schließlich, wenn auch unter vielen lauten Zwischenrufen, die Gelegenheit gegeben wurde zu antworten, bat er dringend und unter Anrufung Gottes, ihm gegenüber eine solche Einstellung an den Tag zu legen, ihm eine solche Möglichkeit zu bieten, sich zu erklären, dass sich die Sache zu seinem Vorteil, zu seinem Seelenheil wenden könne.

Geschichtskundig

»Ich weiß, meine hochgelehrten Herren«, sagte er schließlich, »dass es viele herausragende Männer gab, die Strafen erdulden mussten, die ihren Leistungen nicht entsprachen, die mit Hilfe falscher Zeugen überführt wurden, die aufgrund ungerechter Richtersprüche verurteilt wurden.« Er begann bei Sokrates und berichtete, wie dieser zu Unrecht von seinen Landsleuten verurteilt wurde und auch nicht, obwohl sich die Möglichkeit dazu bot, fliehen wollte, um den Menschen die Furcht vor den beiden Schicksalsschlägen zu nehmen, die sie für die härtesten halten: Kerkerhaft und Tod. Dann erinnerte er an die Haft Platons, an die Leiden des Anaxagoras und des Zenon, außerdem die ungerechtfertigte Verurteilung vieler Heiden, die Verurteilung des Rutilius, die des Boethius und anderer, die, wie Boethius berichtet, einen unverdienten Tod erleiden mussten. Dann kam er zu Beispielen von Juden und berichtete gleich, wie Moses, jener Befreier seines Volkes und Gesetzgeber, sehr oft von den Seinen verleumdet, und obendrein, wie Joseph von seinen Brüdern aus Eifersucht verkauft und später wegen der Unterstellung des Ehebruchs in Ketten gelegt wurde. Außer ihnen zählte er Jesaja auf, Daniel und alle Propheten, die wie Verächter Gottes, wie Aufrührer Opfer ungerechter Verurteilungen geworden sind. Auch die Verurteilung der Susanna und dazu vieler Männer, die, obwohl sie überaus fromm gewirkt hatten, aufgrund unrechter Urteilssprüche und Gerichtsverfahren sterben mussten. Dann sagte er, zu Johannes dem Täufer und unserem Heiland kommend, dass es doch allen bekannt sei, dass sie aufgrund falscher Zeugen und Richtersprüche verurteilt worden seien; außerdem sei Stephanus vom Priesterrat umgebracht worden, alle Apostel seien zum Tode verurteilt worden, nicht als ehrenwerte Leute, sondern als aufrührerische Volksverhetzer, als Verächter Gottes und als üble Verbrecher. Es sei Unrecht, sagte er, wenn ein Priester von einem Priester verurteilt werde; dies sei aber vorgekommen, erklärte er. Noch größeres Unrecht sei, wenn die Verurteilung durch einen Priesterrat erfolge; aber auch das belegte er mit einem Beispiel. Das allergrößte Unrecht aber sei, wenn sie durch ein Konzil erfolge. Und er zeigte auf, dass auch dies schon geschehen war.

Redegewandt

Dies hatte er redegewandt und unter großer allgemeiner Spannung erörtert. Aber weil in diesem Prozess den Zeugen besonderes Gewicht zugekommen war, erklärte er auf vielerlei Weise, dass man diesen Zeugen keinen Glauben schenken dürfe, vor allem weil sie all ihre Aussagen nicht wahrheitsgemäß, sondern geleitet von Hass, Missgunst und Neid gemacht hätten. Dann erklärte er die Gründe ihres Hasses derart, dass er nicht mehr weit davon entfernt war, sie zu überzeugen; diese Gründe waren nämlich so nachvollziehbar, dass diesen Zeugenaussagen nur geringer Glauben geschenkt werden durfte, sieht man einmal von den Glaubensfragen ab.

Alle waren sehr bewegt und wurden mitleidig gestimmt. Er hatte obendrein angemerkt, dass er doch freiwillig zum Konzil gekommen sei, um sich zu rechtfertigen, er hatte seinen Lebenslauf dargelegt und seine Studien, die von Pflichterfüllung und Tugendhaftigkeit erfüllt waren. Er hatte darauf hingewiesen, dass es bei den alten hochgelehrten und heiligsten Männern üblich war, in Glaubensdingen unterschiedliche Ansichten zu haben, was aber nicht zur Schwächung des Glaubens führte, sondern zur Erlangung des wahren Glaubens. So seien Augustinus und Hieronymus uneins gewesen und hätten dabei nicht nur unterschiedliche, sondern sogar gegensätzliche Meinungen vertreten, ganz ohne jeden Verdacht der Ketzerei.

Standhaft

Alle erwarteten, dass er sich rechtfertige und sich dabei von den Vorwürfen distanziere, oder gar um Vergebung für seine Irrtümer bitte. Aber jener versicherte ernsthaft, weder geirrt zu haben, noch sich von den von anderen Leuten erfundenen Anklagepunkten distanzieren zu wollen, und schließlich verstieg er sich zu Lobeshymnen auf den bereits zum Feuertod verurteilten Jan Hus und bezeichnete ihn als guten, gerechten und heiligen Mann, der einen solchen Tod nicht verdient habe.

Auch er sei bereit, jeden möglichen Tod tapfer und standhaft zu ertragen und sich seinen Feinden und jenen so schamlos lügenden Zeugen zu ergeben, die aber dann doch vor Gott, den sie nicht täuschen könnten, beim jüngsten Gericht Rechenschaft für ihre Aussagen ablegen müssten.

Groß war die Trauer der Umstehenden; sie wollten nämlich den so außergewöhnlichen Mann gerettet sehen, wenn er nur auch die richtige Einstellung gezeigt hätte. Jener aber blieb bei seiner Meinung und schien den Tod zu begehren, lobte Jan Hus und sagte, dieser habe keine Ansichten vertreten, die gegen die Stellung der Kirche Gottes stünden, sondern vielmehr nur solche, die im Widerspruch seien zur Verschwendung durch Kirchenleute, zum Hochmut, zur Überheblichkeit und Prunksucht der Prälaten. Denn weil die Kirchengüter zuerst den Armen, dann den Pilgern und schließlich dem Kirchenbau geschuldet seien, scheine es ihm eines ehrenwerten Mannes unwürdig, sie für Dirnen, Gelage, Aufzucht von Pferden oder Hunden, prunkvolle Kleider oder andere Dinge zu verschleudern, die nicht mit der Lehre Christi zu vereinbaren seien.

Furchtlos

Folgendes aber bewies seinen besonderen Charakter: Als sein Vortrag des Öfteren durch verschiedenartigen Lärm unterbrochen und ihm von einigen Leuten, die ihm seine Ansichten entlocken wollten, hart zugesetzt wurde, ließ er keinen von ihnen ungeschoren, rügte gleichermaßen alle und brachte sie zum Erröten oder Verstummen. Wenn Murren aufkam, schwieg er, bisweilen fuhr er die Menge an und setzte dann seine Rede fort, wobei er, wenn sie nicht mehr zuhören wollten, eindringlich darum bat, dass man ihn reden lasse. Niemals zeigte er Angst bei diesen Störungen und blieb bei seiner festen und furchtlosen Haltung.

Folgendes aber ist ein erstaunlicher Beweis seiner Gedächtnisleistung: Dreihundertvierzig Tage lang hatte er in der Tiefe eines stinkenden und finsteren Turms verbracht, eine Zeit, über deren Härte er sich selbst beklagte (wobei er anmerkte, dass er, wie es sich für einen tapferen Mann gehört, nicht deshalb jammere, weil er eine unverdiente Pein erlitten habe, sondern dass er sich nur über die Unmenschlichkeit der Leute ihm gegenüber wundere) und in der er, geschweige denn zum Lesen, nicht einmal zum Sehen irgendeine Möglichkeit hatte. Ich rede gar nicht von seinen Seelenängsten, die ihn täglich plagen mussten, die jegliche Erinnerung hätten auslöschen müssen; dennoch führte er so viele hochgelehrte und weiseste Männer als Zeugen seiner Auffassungen an, so viele Kirchenlehrer stellte er als Stützen seiner Meinung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, dass das schon mehr als genug gewesen wäre, wenn er sich in dieser ganzen Zeit in vollkommener Entspannung und vollkommener Ruhe gelehrten Studien gewidmet hätte. Seine Stimme war sanft, klar, klangvoll und von einer gewissen Würde. Mit seiner rhetorischen Gestik konnte er sowohl Verärgerung zum Ausdruck bringen, als auch Mitgefühl wecken, welches er aber weder forderte, noch überhaupt gewinnen wollte. Furchtlos stand er da, unerschrocken, den Tod nicht nur nicht fürchtend, sondern suchend, sodass man ihn als zweiten Cato hätte bezeichnen können. Oh, du Mann, der ewiges Andenken verdient hätte! Falls er Ansichten gegen die Grundsätze der Kirche vertreten hat, so lobe ich das nicht; aber ich bewundere seine Bildung, sein Wissen in sehr vielen Bereichen, seine Beredsamkeit, seine angenehme Art zu sprechen und seinen Scharfsinn bei seiner Rechtfertigung. Aber ich fürchte, dass ihm die Natur all diese Gaben zu seinem Verderben geschenkt hat. Daraufhin wurden ihm noch zwei Tage zur Reue gewährt.

Viele hochgebildete Männer kamen zu ihm, um ihn von seiner Haltung abzubringen, darunter auch der Kardinal von Florenz, der ihn aufsuchte, um ihn auf den rechten Weg zu bringen; doch als er allzu hartnäckig auf seinen Irrtümern bestand, wurde er vom Konzil als Ketzer verurteilt und verbrannt.

Todesmutig

Mit fröhlichem Gesicht und heiterer Miene wartete er auf seinen Tod, fürchtete nicht das Feuer, nicht die Art der Pein und des Todes. Kein Stoiker hat je mit so festem und tapferen Sinn den Tod erlitten wie ihn jener geradezu zu begehren schien. Als er zur Hinrichtungsstätte kam, zog er selbst seine Kleider aus, fiel auf die Knie und pries den Pfahl, an den er dann gebunden wurde. Zuerst wurde er nackt mit feuchten Tauen und schließlich mit einer Kette an den Pfahl gefesselt. Daraufhin wurden rings um ihn bis in Brusthöhe Holzscheite aufgeschichtet, keine kleinen, sondern große, und dazwischen Stroh. Als der Scheiterhaufen dann angezündet worden war, begann jener einen Hymnus zu singen, den Rauch und Feuer kaum unterbrechen konnten. Und dies ist vielleicht der größte Beweis seiner Beharrlichkeit: Als der Henker das Feuer hinter seinem Rücken, damit er es nicht sehen könne, entzünden wollte, rief er: »Komm hierher und zünde es vor meinen Augen an! Wenn ich nämlich Angst vor dem Feuer gehabt hätte, wäre ich gar nicht an diesen Ort gekommen, den ich doch hätte meiden können.«
Auf diese Weise fand der, abgesehen von seinem Glauben, großartige Mann sein Ende. Ich war Augenzeuge dieses Endes und habe alle Einzelheiten beobachtet. Mag er nun aus fehlgeleitetem Glauben oder aus Halsstarrigkeit so gehandelt haben, man hat wohl doch den Tod eines Mannes aus der Reihe der Philosophen beschrieben.

Ich habe dir die ganze Litanei erzählt, weil ich Zeit dazu hatte und weil ich auch im Nichtstun etwas tun und dir von Ereignissen berichten wollte, die Ähnlichkeiten mit den Geschichten der Alten aufweisen. Denn weder hat der berühmte Mucius mit so großem zuversichtlichem Mut einen Teil seines Körpers verbrennen lassen wie dieser seinen ganzen Leib, noch hat Sokrates so willig das Gift getrunken, wie dieser das Feuer empfangen hat. Doch das soll jetzt genug sein. Sieh es mir nach, wenn ich zu ausführlich war, aber die Geschichte hätte eine noch gründlichere Schilderung verdient; doch ich wollte nicht allzu geschwätzig sein.

Leb wohl, mein liebster Leonardo!

Aus dem Lateinischen übersetzt von Wolfram Berger. Illustrationen von Tulio Barrios del Carpio.

Weitere Quellenangaben:

http://www.elfinspell.com/PoggioLetter.html

Poggio Bracciolini in: Fontes rerum Bohemicarum VIII, S.332-334.
Siehe auch: R.N.Watkins, “The Death of Jerome of Prague”, in: Speculum 42, 1958, zu Poggio cf. S.112-114.
Sowie: Poggio Bracciolini, Gian Francesco, Opera Omnia, Turin 1964-1969.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Ich stimme der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten nach EU-DSGVO zu und akzeptiere die Datenschutzbedingungen.