Zwischen Kritiksucht und billiger Gnade: Wo ist die goldene Mitte?

Zwischen Kritiksucht und billiger Gnade: Wo ist die goldene Mitte?
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Abschreckende Beispiele von religiöser Kleinkariertheit oder Schwärmerei lösen bei uns oft überzogene Gegenreaktionen aus. Hier heißt es kühlen Kopf bewahren. Von Ellen White

Manchen liegt das Thema »Kleidung« so stark am Herzen, wie ihnen die Menschen am Herzen liegen sollten, die zwischen Leben und Tod schweben.

Ich besuchte einmal eine Versammlung, bei der dieser Geist sein Unwesen trieb. Noch nie hatte ich ein so ernstes Interesse erlebt. 75 ließen sich bei dieser Versammlung taufen. Nachdem ich öffentlich zu der Menschenmenge geredet hatte, sprach und betete ich noch persönlich mit den jungen Leuten, die zu meinem Zelt kamen. Viele wurden gesegnet, aber es gab eine Gruppe im Lager, denen das nicht am Herzen lag. Ich konnte ihre oberflächlichen Gespräche hören, ihr billiges Lachen, während inbrünstige Gebete für die Unbekehrten zu Gott aufstiegen. Als das Interesse am größten war, kam einer von dieser Gruppe zu mir und sagte, einige hätten ein Problem damit, dass Schwester White Gold trage.

Ich hatte einige Zeit zuvor eine kleine goldene Uhr als Geschenk erhalten. Sie sah sehr altertümlich aus und wäre sicher von niemand wegen ihrer Schönheit getragen worden. Ich trug sie, weil sie ein hilfreicher Zeitmesser war. Um niemand Anstoß zu geben, verkaufte ich sie nun und empfehle, dass andere einen ähnlichen Kurs verfolgen. Dies entspricht auch dem Rat des Apostels Paulus, der sagt: »Darum, wenn eine Speise meinem Bruder Anlass zur Sünde gibt, so will ich nie und nimmermehr Fleisch essen, damit ich meinem Bruder keinen Anlass zur Sünde gebe.« (1. Korinther 8,13 Elberfelder Fußnote)

Der Fehlersuchblick – ein religiöses Phänomen

Die Religion vieler besteht darin, Fehler beim anderen zu finden. Ich kannte eine Frau, deren Religion genau so geartet war. In ihrer Familie verhielt sie sich so herrisch, dass es die Angehörigen kaum mit ihr unter einem Dach aushielten. Eines Tages wurde in ihrer Nähe eine Zeltmission abgehalten. Doch anstatt den Arbeitern bei den intensiven Vorbereitungen zu helfen, stand sie nur herum und kritisierte. Als ich an einem Tag gerade wieder in meine Unterkunft kam, überraschte ich sie dabei, wie sie meinen Koffer durchsuchte, um festzustellen, ob sich darin nicht ein verwerfliches Kleidungsstück befand.

Vom Umgang mit Kritikgeistern in deinem Leben

Wir werden in unserem Leben immer wieder solchen Menschen begegnen. Doch wenn wir nicht so sehr an kleinen Dingen hängen, werden sie keine Ausrede finden, ihrem natürlichen Hang nachzugeben. Es erstaunt mich, was für eine Geduld der HERR mit solch verzogenen Werkstoffen hat. Doch er erklärt, dass alle zur Liebe finden und in Einklang kommen können, wenn die Wahrheit klar dargelegt wird.

Nur wenige meiner Geschwister im HERRN tragen wie ich konsequent schlichte Kleidung. Meine Schriften sind zu diesem Thema zwar eindeutig, ich mache aber daraus auch keine große Sache. Ihm soll nicht größere Wichtigkeit gegeben werden als den ernsten, prüfenden Lehren für diese Zeit. Einer der Grundzüge des Charakters mancher Menschen ist ein Kritikgeist, den sie wie eine kostbare Errungenschaft pflegen. Legt die Grundsätze der Wahrheit dar und lasst sie an den Herzen der Menschen arbeiten.

Symptom- oder Wurzelbehandlung?

Wir können einen Baum, so oft wir wollen, entlauben, doch das wird den Baum nicht umbringen. Im nächsten Jahr wird er wieder genau so dicht Blätter treiben wie zuvor. Doch wenn wir die Axt an die Wurzel legen, wird nicht nur das Laub fallen, sondern der ganze Baum wird sterben. Wer die Wahrheit annimmt und sie liebt, wird sich von der Welt abwenden und wie sein göttlicher Herr ein sanftmütiges und demütiges Herz bekommen. Sobald das Herz in Ordnung ist, werden Kleidung, Gespräche und Leben ebenfalls in Einklang mit Gottes Wort sein.

(Predigt in Basel am 17. September 1885, siehe: Historical Sketches of the Foreign Missions of Seventh-day Adventists, 123-124)

Tatkräftige Liebe

Man sagt uns, die Menschen der Länder Europas werden Gefallen an unseren Ausführungen finden, solange wir bei Jesu Liebe verweilen – davon bekommen sie nie genug. Wir könnten aber leicht unser Publikum verlieren, wenn wir auf die unangenehmeren Fragen der Pflicht und des Gesetzes Gottes eingehen. Überall begegnet man diesem fadenscheinigen Verständnis. Einige sagen immer wieder: Wir müssen nur an Jesus glauben! Der Glaube an Jesus ist alles, was wir brauchen. Im vollsten Sinne stimmt das sogar, doch sie begreifen es nicht im vollsten Sinne.

An Jesus zu glauben bedeutet, ihn als Erlöser und Vorbild anzunehmen. Bleiben wir in ihm und er in uns, dann haben wir an seiner göttlichen Natur teil und sind Täter seines Wortes. Die Liebe Jesu im Herzen wird uns bewegen, alle seine Gebote zu befolgen. Doch eine Liebe, die bei den Lippen haltmacht, ist eine Täuschung. Sie wird keine einzige Seele retten. Viele lehnen die Wahrheit der Bibel ab, während sie große Liebe zu Jesus vorgeben. Doch der Apostel Johannes erklärt: »Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht.« (1. Johannes 2,4) Jesus hat zwar alle Leistungen erbracht, aber an uns ist es, die Bedingungen zu erfüllen. »Liebt ihr mich,« sagte unser Erlöser, »so haltet meine Gebote.« (Johannes 14,15)

(Historical Sketches of the Foreign Missions of Seventh-day Adventists, 188-189)

Zuerst im Deutschen erschienen in Unser festes Fundament, 1-2000.

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