Es geschah an einem Freitag: Sehnsucht nach Jesus

Es geschah an einem Freitag: Sehnsucht nach Jesus
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Viele kennen die Ereignisse jenes weltberühmten Freitags aus Spielfilmen oder vom Hörensagen. Die Autorin dieses Artikels versteht es, aus den biblischen Quellen ein fesselndes, authentisches Bild zu zeichnen, das neugierig auf diesen Mann macht. Von Ellen White

Im Gerichtsgebäude des römischen Statthalters Pilatus steht Jesus als Gefangener in Fesseln. Neben ihm die Wächter. Der Saal füllt sich schnell mit Schaulustigen. Vor dem Eingang warten die Richter des Hohen Rates, Priester, Oberste, Älteste und der Mob.

Nachdem der Hohe Rat Jesus verurteilt hatte, erwartete man von Pilatus, dass er das Urteil bestätigen und ausführen werde. Aber die jüdischen Funktionäre betraten den römischen Gerichtshof nicht. Denn ihren Festgesetzen zufolge hätte sie das verunreinigt und ihnen die Teilnahme am Passahfest verwehrt. Sie waren so blind, dass sie nicht merkten, wie viel Verunreinigung der tödliche Hass in ihren Herzen bedeutete. Sie sahen nicht, dass Jesus das echte Passahlamm war und dass das große Fest jetzt für sie irrelevant war, weil sie ihn abgewiesen hatten.

Als der Retter ins Gerichtsgebäude geführt wurde, schaute Pilatus ihn unfreundlich an. Der römische Statthalter war in aller Eile aus seinem Schlafgemach gerufen worden. Deshalb wollte er die Arbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er würde dem Gefangenen mit eiserner Strenge begegnen. Mit dem unerbittlichsten Blick, den er aufsetzen konnte, drehte er sich um. Was für ein Mensch war das, der zu so früher Stunde seine Ruhe störte? Ihm war klar, dass es jemand sein musste, mit dem die jüdische Behörde kurzen Prozess machen wollte.

Pilatus schaute die Männer an, die Jesus bewachten; dann ruhte sein Blick prüfend auf Jesus. Er hatte schon mit Verbrechern aller Art zu tun gehabt. Doch nie zuvor war ihm ein Mensch vorgeführt worden, dem so viel Güte und hohe Gesinnung ins Gesicht geschrieben stand. Er konnte keine Anzeichen von Schuld, Angst, Unverfrorenheit oder Trotz an ihm entdecken. Er hatte einen Mann vor sich, der Ruhe und Würde ausstrahlte. Seine Gesichtszüge ließen nicht auf einen Verbrecher schließen; sie trugen vielmehr die Handschrift des Himmels. Jesu Auftreten machte auf Pilatus einen guten Eindruck. Das weckte seine gute Seite. Ja, er hatte schon von Jesus und seinem Wirken gehört. Auch seine Frau hatte ihm von den Wundern dieses Propheten aus Galiläa erzählt, der Kranke heilen und Tote auferwecken konnte. Das alles trat ihm wieder ins Bewusstsein, als wäre es ein vergessener Traum. Er erinnerte sich an Gerüchte, die man ihm von verschiedenen Seiten zugetragen hatte. So beschloss er, die Juden zu fragen, welche Anklagen sie gegen den Gefangenen vorzubringen hätten.

Wer ist dieser Mann?

»Wer ist dieser Mann und weshalb habt ihr ihn hergebracht?«, fragte er sie. »Was werft ihr ihm vor?« Die Juden waren verstört. Sie wussten sehr wohl, dass sie ihre Anklagen gegen Jesus nicht beweisen konnten. Gerade deshalb wünschten sie ja keine öffentliche Vernehmung! Sie antworteten, er sei ein Betrüger namens Jesus von Nazareth.

Pilatus fragte noch einmal: »Welche Anklage erhebt ihr gegen diesen Mann?« (Johannes 18,29) Die Priester beantworteten diese Frage nicht. Sie brachten aber ihren Ärger mit folgenden Worten zum Ausdruck: »Wenn er kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn nicht zu dir gebracht.« (Vers 30) Anders formuliert: »Mitglieder des Hohen Rates, also die nationale Elite, bringen dir einen Mann in der Überzeugung, er habe den Tod verdient. Ist es da noch angebracht, die einzelnen Anklagepunkte gegen ihn zu erfragen?« Sie hofften damit Pilatus von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugen zu können, sodass er ihrer Bitte ohne weitere Umschweife nachkommen würde. Ihnen war eine schnelle Bestätigung ihres Urteils wichtig. Schließlich war ihnen klar: Wer Jesu Wundertaten erlebt hatte, wusste etwas zu erzählen, das sich gewaltig von dem Lügenmärchen unterschied, das sie selbst gerade vortrugen.

Die Priester dachten, sie könnten ihre Pläne problemlos durchführen, weil Pilatus ein schwacher und wankelmütiger Charakter war. Schon früher hatte er Hinrichtungsbefehle vorschnell unterzeichnet und so Menschen zum Tode verurteilt, die ihn gar nicht verdient hatten. Bei ihm zählte das Leben eines Gefangenen nicht viel. Es war ihm praktisch gleich, ob der Angeklagte schuldig war oder nicht. Die Priester hofften, Pilatus würde die Todesstrafe über Jesus auch diesmal ohne ordentliche Gerichtsverhandlung verhängen. Das erbaten sie sich als Gefälligkeit anlässlich ihres großen Nationalfestes.

Doch der Gefangene hatte etwas an sich, was Pilatus davon abhielt. Er wagte nicht, ihrem Wunsch nachzukommen. Nur allzu deutlich durchschaute er das Verhalten der Priester. Er erinnerte sich daran, wie Jesus vor kurzem Lazarus auferweckt hatte, einen Mann, der schon vier Tage tot gewesen war. Bevor er das Urteil unterzeichnen würde, wollte er unbedingt die Anklagen gegen ihn hören und das Beweismaterial sehen.

»Warum bringt ihr den Gefangenen zu mir, wenn euer Urteil doch ausreicht?«, fragte er. »Nehmt ihn mit, und verurteilt ihn nach eurem Gesetz!« (Vers 31) Auf diese Weise in die Enge getrieben, sagten die Priester, sie hätten Jesus schon verurteilt. Das Urteil bedürfe aber noch seiner Bestätigung, damit es rechtskräftig würde. »Wie lautet euer Urteil?«, fragte Pilatus. »Wir haben ihn zum Tode verurteilt«, antworteten sie darauf. »Doch wir dürfen niemanden hinrichten.« Sie baten Pilatus, auf ihr Wort hin Jesus schuldig zu sprechen und ihr Urteil zu vollstrecken. Die Verantwortung dafür würden sie auch auf sich nehmen.

Pilatus war kein gerechter oder gewissenhafter Richter. Trotz seiner moralischen Schwäche weigerte er sich jedoch, diesem Gesuch nachzukommen. Er wollte Jesus erst verurteilen, wenn man die Anklagepunkte gegen ihn vorgebracht hätte.

Die Anklagepunkte

Jetzt waren die Priester in großer Verlegenheit. Sie erkannten, dass ihre Heuchelei auf keinen Fall entdeckt werden durfte. Denn wenn herauskäme, dass sie Jesus aus religiösen Gründen festgenommen hatten, dann hätte sich Pilatus nicht länger für den Fall interessiert. Sie mussten die Sache daher so darstellen, als hätte Jesus gegen die Staatsgesetze verstoßen. Dann würde man ihn als politischen Straftäter verurteilen. Aufstände gegen die römische Staatsgewalt gab es immer wieder unter den Juden. Die Römer schlugen diese Revolten immer sofort nieder und waren darauf bedacht, alles zu unterdrücken, was zu einem erneuten Ausbruch führen könnte.

Erst wenige Tage zuvor hatten die Pharisäer versucht, Jesus mit der Frage in die Falle zu locken: »Ist es eigentlich Gottes Wille, dass wir dem römischen Kaiser Steuern zahlen, oder nicht?« (Lukas 20,22) Aber Jesus stellte ihre Scheinheiligkeit öffentlich bloß. Die anwesenden Römer sahen, wie der Plan der Verschwörer kläglich scheiterte und wie verunsichert sie waren, als er antwortete: »So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.« (Vers 25 Luther 1984)

Jetzt taten die Priester so, als hätte Jesus bei dieser Gelegenheit etwas anderes gelehrt. In ihrer Not holten sie falsche Zeugen zu Hilfe, die ihn beschuldigten: »Dieser Mensch hetzt unser Volk auf. Er redet den Leuten ein, dass sie dem Kaiser keine Steuern zahlen sollen. Und er behauptet von sich, er sei der Christus, ein König, den Gott geschickt hat.« (Lukas 23,2) Drei Anklagen, jede ohne Grundlage. Die Priester wussten das, waren jedoch bereit, Meineid zu leisten, sollten sie dadurch ihr Ziel erreichen.

Pilatus durchschaute ihre Absichten. Er glaubte nicht, dass der Gefangene ein Komplott gegen die Regierung geschmiedet hatte. Denn sein geduldiges und bescheidenes Auftreten passte ganz und gar nicht zu den Anklagepunkten. Pilatus war überzeugt: Hier war eine Verschwörung übelster Sorte im Gange, und zwar gegen einen Unschuldigen, der den jüdischen Würdenträgern im Weg stand. Zu Jesus gewandt fragte er: »Bist du wirklich der König der Juden?« (Vers 3) Der Retter antwortete: »Ja, du sagst es!«, und dabei hellte sich sein Gesicht auf, als würde es von der Sonne beschienen.

Als Kaiphas und seine Gefährten diese Antwort hörten, wollten sie Pilatus zu der Aussage bewegen, dass Jesus tatsächlich des angelasteten Verbrechens schuldig sei. Mit lauten Rufen forderten die Priester, Schriftgelehrten und Obersten ein Todesurteil. Der Pöbel nahm die Rufe auf, der Tumult war ohrenbetäubend, Pilatus verwirrt. Er sah, dass Jesus keine Anstalten machte, seinen Anklägern etwas zu erwidern. Deshalb sagte er zu ihm: »›Antworte doch! … Hörst du denn nicht, wie schwer sie dich beschuldigen?‹ Aber Jesus sagte kein Wort.« (Markus 15,4.5)

Jesus stand hinter Pilatus und konnte von allen in der Gerichtshalle gesehen werden. Er hörte die Beschimpfungen, erwiderte aber nichts auf die falschen Anklagen. Sein ganzes Verhalten bewies, dass er sich keiner Schuld bewusst war. Unbewegt ließ er die tosende Brandung auf sich eindonnern. Es war, als ob immer höhere Zorneswogen, wilden Ozeanwellen gleich, über ihm zusammenschlugen, ohne ihn überhaupt zu berühren. Jesus stand schweigend da. Doch sein Schweigen sprach Bände. Es war, als ob ein Licht aus ihm herausstrahlte.

Jesus wollte Pilatus retten

Pilatus war über Jesu Verhalten sehr erstaunt. Interessiert sich dieser Mann denn gar nicht für seinen Prozess? Will er denn gar nichts tun, um sein Leben zu retten? So fragte er sich. Als er sah, wie Jesus Spott und Beleidigung ohne Auflehnung über sich ergehen ließ, spürte er: Dieser Mann konnte keinesfalls schlechter und ungerechter sein als die aufgebrachten Priester. In der Hoffnung, von Jesus die Wahrheit zu erfahren und dem Lärm der Menge zu entkommen, nahm Pilatus Jesus zur Seite und stellte ihm erneut die Frage: »Bist du der König der Juden?« (Johannes 18,33) Jesus beantwortete diese Frage nicht sofort. Er wusste, dass der Heilige Geist um Pilatus kämpfte. Daher gab er ihm die Gelegenheit, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen. »Redest du das von dir selbst aus, oder haben es dir andere von mir gesagt?« (Johannes 18,33.34 Schlachter 2000) Das heißt: Wurde diese Frage bei Pilatus durch die Anschuldigungen der Priester ausgelöst oder durch den Wunsch von Jesus erleuchtet zu werden? Pilatus verstand, was Jesus damit sagen wollte, doch Stolz kam in seinem Herzen auf. Er wollte sich zu der Überzeugung, die sich ihm aufdrängte, nicht bekennen. »Bin ich etwa ein Jude?«, fragte er. »Die führenden Männer deines eigenen Volkes und die Hohen Priester haben dich hergebracht, damit ich dich verurteile. Was also hast du getan?« (Vers 34)

Pilatus hatte die einmalige Chance vertan. Doch Jesus ließ ihn nicht ohne weitere Erkenntnis. Ohne direkt auf seine Frage einzugehen, erklärte Jesus deutlich seine Mission und gab ihm zu verstehen, dass er es nicht auf einen irdischen Thron abgesehen hatte.

»Mein Königreich gehört nicht zu dieser Welt«, sagte er. »Wäre ich ein weltlicher Herrscher, dann hätten meine Leute für mich gekämpft, damit ich nicht in die Hände der Juden falle. Aber mein Reich ist von ganz anderer Art.« Da fragte ihn Pilatus: »Dann bist du also doch ein König?« Jesus antwortete: »Ja, du hast Recht. Ich bin ein König. Und dazu bin ich Mensch geworden und in diese Welt gekommen, um ihr die Wahrheit zu bezeugen. Wer bereit ist, auf die Wahrheit zu hören, der hört auf mich.« (Johannes 19,36-37)

Jesus bestätigte damit, dass sein Wort an sich schon ein Schlüssel ist, der allen das Geheimnis enträtseln wird, die offen dafür sind. Seine Kraft spricht für sich und war das Geheimnis, warum sich Jesu Reich der Wahrheit so ausbreitete. Jesus wollte Pilatus verständlich machen, dass sein verpfuschtes Leben nur neu werden könne, wenn er für die Wahrheit offen sein und in ihr aufgehen würde.

Pilatus hatte den Wunsch, die Wahrheit zu erfahren. Alles war so verwirrend. Begierig nahm er die Worte des Retters auf, ja sein Herz war von dem Verlangen bewegt zu erkennen, was wirklich Wahrheit ist und wie man sie erfahren kann. »Wahrheit? Was ist das überhaupt?« (Vers 38), fragte er. Doch er wartete gar nicht erst auf die Antwort. Der Lärm draußen rief ihm das dringliche Anliegen in Erinnerung, denn die Priester forderten lautstark sofortiges Handeln. So trat er hinaus zu den Juden und verkündete entschieden: »Meiner Meinung nach ist der Mann unschuldig.« (Vers 38)

Diese Worte aus dem Mund eines heidnischen Richters stellten eine scharfe Rüge für die Heimtücke und Falschheit der Obersten in Israel dar, die den Retter verklagt hatten. Als die Priester und Ältesten die Worte des Pilatus hörten, kannte ihre Wut und Enttäuschung keine Grenzen. Lange hatten sie Pläne geschmiedet und auf diese Gelegenheit gewartet. Als sie sahen, dass Jesus vielleicht freigelassen würde, hätten sie ihn am liebsten in Stücke gerissen. Mit lauter Stimme beschuldigten sie Pilatus und drohten ihm mit einem Verweis der römischen Verwaltung. Sie warfen ihm vor, er wolle Jesus nicht verurteilen. Dabei spiele sich dieser, so betonten sie, gegen den Kaiser selbst auf.

Jetzt waren verärgerte Stimmen zu hören. Sie behaupteten, Jesu aufrührerischer Einfluss sei im ganzen Land bekannt. Die Priester sagten: »In ganz Judäa hetzt er die Menschen durch seine Lehre auf. Schon in Galiläa hat er damit angefangen, und nun ist er bis hierher nach Jerusalem gekommen.« (Lukas 23,5)

Pilatus hatte bis dahin nicht die Absicht gehabt, Jesus zu verurteilen. Er wusste, dass die Juden ihn aus Hass und Voreingenommenheit angeklagt hatten. Er wusste, worin seine Aufgabe bestand. Aus Gerechtigkeit hätte er Jesus eigentlich sofort freilassen müssen. Doch Pilatus fürchtete die Böswilligkeit des Volkes. Weigerte er sich, ihnen Jesus auszuliefern, würde sich ein Aufruhr erheben, den er unbedingt vermeiden wollte. Als er hörte, dass Jesus aus Galiläa kam, entschloss er sich, den Fall an Herodes weiterzuleiten. Schließlich war er der Herrscher jener Provinz. Zudem hielt er sich gerade in Jerusalem auf. Durch diese Taktik meinte Pilatus die Verantwortung für den Prozess auf Herodes abwälzen zu können. Zugleich sah er darin eine gute Gelegenheit, einen alten Streit zwischen sich und Herodes beizulegen, was auch gelang: Die beiden Richter schlossen anlässlich der Gerichtsverhandlung über den Retter Freundschaft.

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