»Hoffentlich kommt Vater bald nach Hause.« Die Stimme des Jungen klang besorgt.
»Dein Vater wird bestimmt wütend sein«, sagte Tante Phöbe, die mit einem Buch im Wohnzimmer saß.
Richard stand vom Sofa auf, wo er die letzte halbe Stunde gesessen hatte und erwiderte mit einem Anflug von Empörung in der Stimme: »Er wird traurig sein, aber nicht wütend. Vater wird nie wütend … Da kommt er ja schon!« Es hatte geklingelt und er ging zur Tür. Langsam und enttäuscht kam er zurück: »Er war es nicht«, sagte er. »Wo bleibt er nur so lange? Ach, wenn er doch endlich käme!«
»Du kannst es wohl gar nicht abwarten, noch mehr Ärger zu bekommen«, bemerkte seine Tante, die erst seit einer Woche im Haus war und Kinder nicht besonders mochte.
»Ich glaube, Tante Phöbe, du hättest gerne, dass mir mein Vater eine Tracht Prügel verabreicht«, sagte der Junge etwas empört, »das wirst du aber nicht erleben, denn Vater ist gut, und er hat mich lieb.«
»Ich muss zugeben«, erwiderte die Tante, »dass dir eine kleine Tracht Prügel nicht schaden würde. Wenn du mein Kind wärst, würdest du garantiert nicht um sie herumkommen.«
Wieder klingelte es, und der Junge sprang auf und ging zur Tür. »Es ist Vater!«, rief er.
»Ah, Richard!«, begrüßte Mr. Gordon seinen Sohn freundlich und ergriff die Hand des Jungen. »Aber was ist denn los? Du siehst so traurig aus.«
»Komm mal mit.« Richard zog seinen Vater ins Bücherzimmer. Mr. Gordon setzte sich. Richards Hand hielt er immer noch fest.
»Hast du Sorgen, Sohnemann? Was ist denn passiert?«
Richard stiegen Tränen in die Augen, als er dem Vater ins Gesicht schaute. Er versuchte zu antworten, aber seine Lippen bebten. Dann öffnete er die Tür einer Vitrine und holte die Scherben einer Statue hervor, die erst gestern als Geschenk eingetroffen war. Mr. Gordon runzelte die Stirn, als Richard die Scherben auf den Tisch legte.
»Wie ist das denn passiert?«, fragte er mit unveränderter Stimme.
»Ich habe den Ball im Zimmer hochgeworfen, nur ein einziges Mal, weil ich nicht daran gedacht habe.« Die Stimme des armen Jungen klang belegt und zittrig.
Eine Weile saß Mr. Gordon da, rang um Beherrschung und versuchte seine aufgewühlten Gedanken zu sammeln. Dann sagte er freundlich: »Was passiert ist, ist passiert, Richard. Bring die Scherben weg. Du hast schon genug deswegen ausgestanden, wie ich sehe. Ich werde dich nicht auch noch dafür bestrafen.«
»O Papa!« Der Junge umarmte den Vater. »Du bist so lieb.« Fünf Minuten später kam Richard mit seinem Vater ins Wohnzimmer. Tante Phöbe schaute auf in der Erwartung, in zwei finstere Gesichter zu blicken. Doch was sie sah, verblüffte sie.
»Es ist schon sehr bedauerlich«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Es war doch so ein erlesenes Kunstwerk. Jetzt ist es ein für allemal kaputt. Ich finde das ganz schön ungezogen von Richard.«
»Wir haben die Sache bereits geklärt, Tante Phöbe«, antwortete Mr. Gordon freundlich, aber bestimmt. »Eine Regel in unserem Haus lautet: Komm so schnell wie möglich in die Sonne.« In die Sonne, so schnell wie möglich? Ja, das ist tatsächlich das Beste.
Charakterklassiker aus: Choice Stories for Children, Hg.: Ernest Lloyd, Wheeler, Michigan: ohne Datum, S. 47-48.
Zuerst im Deutschen erschienen in Unser festes Fundament, 4-2004.
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