Mehr Information über die Zeit, in der wir leben. Von Dr. theol. Alberto Treiyer, adventistischer Experte in Heiligtumslehre aus Argentinien
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Erstaunlich: Heute versuchen einige adventistische Theologen um jeden Preis, die Vision des himmlischen Gerichts in Offenbarung 4–5 von der Gerichtsvision in Daniel 7 zu trennen. Außerhalb unserer Gemeinde gibt es christliche Theologen, die diesen Zusammenhang klar erkennen. Aber in unserer Gemeinde verneinen einige Theologen diesen Zusammenhang und damit die größte Gerichtsvision der Bibel. Dabei hat Gott uns doch berufen, die Welt aufzufordern, den HERRN deshalb zu ehren, weil die Stunde seines Gerichts gekommen ist.
Wie das fatale Umdenken begann
Ellen White sah Offenbarung 4–5 eindeutig als eine Vision des Gerichts im Allerheiligsten. Sarah Peck, Sekretärin und Redakteurin ihrer Schriften, verstand es genauso. Ja, die meisten adventistischen Kommentatoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begriffen, dass die Vision von Offenbarung 4–5 tatsächlich das letzte Gerichtsverfahren im Himmel darstellt. Aber in den 70er und erst recht in den 80er Jahren fand ein Wandel statt, der viele Theologen unserer Gemeinde dazu brachte, diesen Zusammenhang zu leugnen. Stattdessen sehen sie inzwischen in der Vision die Einweihung des himmlischen Heiligtums nach der Himmelfahrt Jesus im Jahr 31 n. Chr. Warum?
Heppenstall und Strand
Die ersten Ansätze zur Änderung der vorher allgemein verbreiteten Ansicht unter Siebenten-Tags-Adventisten begegnete mir bei Edward Heppenstall (Theologieprofessor an den Universitäten Andrews, Michigan und Loma Linda, Kalifornien in den 50er und 60er Jahren) und Kenneth Strand (Theologieprofessor an der Andrews in den 70ern). Kenneth Strand kam zu dem Schluss, das Buch der Offenbarung zeige ein Heiligtum mit nur einem Raum, nicht zwei. Dort wo Johannes von zwei Räumen spreche, tue er es nur, um den Ablauf im himmlischen Priesterdienst zu verdeutlichen (Symposium on Revelation, 58). Gegen Ende der 70er Jahre propagierten er und Edward Heppenstall (in seinem Buch Our High Priest) in der weltweiten Gemeinde dann die Auffassung, es gäbe nämlich im himmlischen Heiligtum auch gar keine zwei Räume.
Maxwell, BRI, Johnson und Paulien
Danach stellte Mervyn Maxwell in seinem Kommentar zu Offenbarung 4–5 die Idee vor, dass sich auch im Heiligen ein Thron befand. Denn in dieser Vision sieht Johannes einen siebenarmigen Leuchter vor dem Thron stehen. Dabei übersah er, dass die Tür zwischen Heiligem und Allerheiligstem bereits geöffnet war. So kam der Tag, an dem das Biblische Forschungsinstitut (BRI) der Generalkonferenz (GK) beschloss, sich eingehend mit dieser Frage zu befassen. Ich nahm an diesen Diskussionen im Newbold College (England) teil und im folgenden Jahr dann in einem der alten GK-Räume (Washington DC). Am Ende der Diskussionen in Newbold fragte William Johnson (der damals nicht glaubte, dass die Vision in Offenbarung 4–5 überhaupt eine himmlische Tempelszene zeigte): Wer könnte einen Aufsatz schreiben, der zeigt, dass es hier um die Einweihung des Heiligtums geht? Jon Paulien meldete sich und bekam die Aufgabe zugewiesen.
Scheinwaffe gegen den Futurismus
Ich war verblüfft, dass zu Beginn einer Forschungsarbeit ein solch dogmatischer Ansatz von vornherein festgelegt wurde. Aber ich verstand, dass man sich sehr gegen die futuristische (Zukunfts-) Auslegung der apokalyptischen Siegel und Posaunen wehrte, die in unserer Gemeinde immer mehr Einzug hielt. Viele waren der Meinung, es sei besser, Offenbarung 4–5 als Tempelweihe zu sehen und nicht mehr als Gerichtsvision. Damit könne man dem neuen Trend begegnen, der die historizistische (geschichtsüberspannende) Auslegung des Buches der Offenbarung in Frage stellt. Doch es gibt kein schlechteres Heilmittel gegen falsche Auslegungen, als ihr mit einer weiteren falschen Auslegung zu begegnen.
Bankrotterklärung des DARCOM
Im folgenden Jahr, nun in Washington DC, las Paulien sein Papier vor dem DARCOM (Daniel and Revelation Committee), überzeugte aber nicht. Vielmehr blieb die Verwirrung unter den Ausschussgliedern. Das Ergebnis war, dass sich das BRI in den 90ern mit einem Studium der Siegel und Posaunen (Offenbarung 6–11) verzettelte. Gleichzeitig versuchte es, die Vision von Offenbarung 4–5 dogmatisch bei der Einweihung des Tempels und der Priesterweihe Jesu zu verankern, eben um dem Eindringen des Futurismus in unsere Gemeinde zu wehren. Einige Jahre lang kündigte es voller Zuversicht an, seine klärenden Studien zum Thema würden bald veröffentlicht. Doch es gelang ihm nicht, eine akzeptable Lösung zu finden.
Schließlich gestand man einen Auslegungsbankrott für die erste Hälfte der Offenbarung ein, und dieser hält bis heute an. Das wird auch so lange so bleiben, wie man dem dogmatischen Weiheansatz an Offenbarung 4–5 folgt und den Auslegungsprinzipien, die dem Vermächtnis unserer Pioniere und dem Geist der Weissagung fremd sind. Das BRI veröffentlichte in den 90er Jahren wörtlich: »Der Ausschuss kann derzeit keine zufriedenstellende Auslegung dieser Prophezeiungen [zu Offb 4–11] vorlegen, die alle damit verbundenen Probleme löst …« Dennoch war dieser Ausschuss laut Bericht der Ansicht: »Obwohl die Gemeinde diese Teile der größeren Prophezeiung vielleicht nie ganz verstehen wird, dürfen wir aber wichtige Lehren aus ihnen ziehen und möchten niemanden vom Studium abhalten.« [F. B. Holbrook, „Issues in the book of Revelation“, in Ministry (Jan 1991), 10; nachgedruckt in F. B. Holbrook, Hrsg., Symposium on Rev. (BRI, RH, 1992), 175-181].
Ellen White bringt Licht ins Dunkel
Trotz dieses enttäuschenden Ergebnisses waren diese Treffen für mich sowohl bereichernd als auch aufschlussreich. Ich verstand nun die Probleme, mit denen die Mitglieder des DARCOM damals konfrontiert waren. Das half mir, meine Studien neu zu organisieren, um auf diese Probleme einzugehen. Kurz darauf wurden alle unveröffentlichten Schriften von Ellen White freigegeben, und ich durfte drei Tage lang in einem Büro des White Estates in der GK arbeiten und alle Aussagen des Geistes der Weissagung vergleichen, die jetzt auf einer CD verfügbar waren. Ich erkannte, dass der HERR ihr – so ihre eigenen Worte – den Zweck der Vision von Offenbarung 5 Anfang des 20. Jahrhunderts immer deutlicher offenbarte. Die meisten dieser Aussagen waren jedoch nie zuvor veröffentlicht worden. Ich stellte alle ihre Aussagen über diese Vision in einem Buch zusammen mit dem Titel The Final Crisis in Revelation 4–5, und zitierte die deutlichsten Aussagen in meinem dritten Seminar über das Heiligtum, The Apocalyptic Expectations of the Sanctuary (2014). Beide erhältlich bei Amazon und auf meiner Webseite: http://adventistdistinctivemessages.com.
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