In diesem fiktiven Gespräch ist der Autor der Bedeutung eines wichtigen biblischen Gottesnamens auf der Spur. Von Kai Mester
Lesezeit: 10 Minuten
Ich freue mich wieder auf ein interessantes Gespräch. Es geht um El Schaddai, den Gott Abrahams. Wie möchtest du das Thema einleiten?
Einer ist auf der Suche nach deinem Herzen. Er will es gewinnen! Er weiß zwar, wo dein Herz ist. Trotzdem muss er es suchen, weil er es sich selber auferlegt. Und genau daran stören sich die meisten, dass er so »vorsichtig« unterwegs ist.
Warum greift Gott nicht ein?
Der Gott Abrahams und seiner Kinder umwirbt dich vorsichtig. Doch viele fragen: »Warum greift er nicht ein? Warum lässt er dies und das zu?« Sie stellen sich unter El-Schaddai, dem allmächtigen Gott, einen Allgewaltigen vor, der mit der Ungerechtigkeit drastisch aufräumt. Weil er das aber nicht tut, glauben sie nicht an seine Existenz oder denken, er interessiere sich nicht für diese Welt und noch weniger für sie als Mensch.
Die allerdings doch an ihn glauben, haben oft so ein allmächtiges Bild von ihm, dass sie sich in ihrem Umfeld in irgendeiner Form selber gewalttätig verhalten. Durch Anschauen wird man eben verwandelt. Kann die Bibel dieses Bild verändern?
Wenn du so einleitest, dann möchtest du der Sache hier sicher auf den Grund gehen. Wie willst du dich da an eine Lösung herantasten?
Wie oft kommt das Wort Allmächtiger in der Bibel vor?
Ich bin dem Begriff des Allmächtigen in der Bibel mal nachgegangen und fand den Begriff 48-mal in der hebräischen Bibel als Nomen oder Adjektiv:
6x Genesis, 1x Exodus, 2x Numeri, 2x Ruth, 31x Hiob, 2x Psalm, 1x Jesaja, 2x Hesekiel, 1x Joel.
Im Neuen Testament fand ich den Begriff 10-mal, davon ganze 9-mal in der Offenbarung und 1x im 2. Korintherbrief.
Eine wirklich interessante Statistik. Hiob und Offenbarung, die älteste und die jüngste Schrift der Bibel scheinen beide eine besondere Vorliebe für diesen Begriff zu haben. Aber welches Wort steht da denn im Original?
Woher kommt das Wort Schaddai?
Im Hebräischen steht das Wort Schaddai. Wen sprachliche Details nicht so interessieren, der kann hier gerne etwas springen. Aber für mich ist das immer ganz spannend.
Das Wort Schaddai besteht aus den drei Buchstaben Schin ש, Dalet ד und Jud י ➦ also von rechts nach links שדי ➦ Sch-d-j. Die zwei A-Kurzvokale werden nicht geschrieben. Erst die Masoreten, das sind die Überlieferer der Hebräischen Bibel im Judentum, sie erfanden mehr als tausend Jahre, nachdem Maleachi das letzte hebräische Bibelbuch geschrieben hatte, die Punktierung. Damit machten sie solche Vokale im Hebräischen sichtbar. Das sieht dann so aus, mit zwei kleinen Strichlein: שַדַי ➦ Schadaj. Die Masoreten ergänzten aber auch einen Punkt im mittleren Buchstaben, was bedeutet, dass der Konsonant Dalet verdoppelt ist שַדַּי ➦ Schaddaj.
Und wie kann man nun wissen, was das Wort bedeutet?
Natürlich könnte man sich auf die Übersetzer verlassen, also zum Beispiel die ältesten Bibelübersetzungen in griechischer, aramäischer und lateinischer Sprache. Die Septuaginta übersetzt manchmal mit παντοκρατωρ (Pantokrator = Allherrscher), aber oft und vor allem bei den Stellen, die unten zitiert sind, mit ο θεος μου, σου (ho Theos mou, sou = mein, dein Gott), der Targum Onkelos übernimmt das Schaddai einfach unübersetzt aus dem Hebräischen und nur die Vulgata sagt omnipotens, also der Allmächtige.
Und wenn wir uns auf die Übersetzer nicht verlassen wollen? Denn scheinbar sind sie sich ja auch nicht ganz einig was Schaddai nun genau bedeutet.
Textzusammenhänge und Wortfamilien geben Aufschluss
Wir könnten versuchen, die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes allein aus dem hebräischen Text zu erschließen. Denn die Bibel legt sich ja nach protestantischem Prinzip selbst aus. Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten. Entweder man analysiert den Kontext. Das kann man auch machen, wenn man kein Hebräisch kann. Wir werden das gleich noch tun. Aber so ganz ohne sprachliche Ausgangsbasis ist das vielleicht doch sehr gewagt.
Wir können uns aber auch mal die hebräischen Wortfamilien anschauen, zu denen dieses Wort von seinen Konsonanten her gehören könnte. Schadad שדד (mit Gewalt zerstören) und Schad שד (weibliche Brust). Sofort fällt auf: Das sind zwei ganz konträre Begriffe, die gegensätzlicher kaum sein können.
Auch die Sprachwissenschaftler suchen hier die Urbedeutung von Schaddai. Alle anderen Theorien suchen bei verwandten semitischen Sprachen, nicht im Hebräischen (von akkadisch schadū = Berg oder aramäisch schdā = schleudern, werfen oder arabisch sadā = Hand ausstrecken/saddā = segnen, versöhnen). Ich würde sagen, wir bleiben hier mal beim Hebräischen.
Na jetzt bin ich aber mal gespannt, was du daraus ableiten möchtest.
Zerstörung oder Mutterbrust?
Wie aus Schadad nun Schaddai werden soll, ist grammatikalisch schwer zu erklären. Vor allem das zusammengezogene Doppel-D in der Mitte würde dafürsprechen. Stammt es aber aus der Wortwurzel Schad, dann ist es ganz leicht zu erklären. Von Schad ist die Mehrzahl Schadīm. Tauscht man nun aber die Endung -īm mit der besitzanzeigenden Endung -ai aus, dann bekommen wir Schadai. Genau dieses Wort kommt tatsächlich im Hohelied vor. Und das Beste: Wir haben hier tatsächlich exakt dasselbe Schriftbild wie bei שדי (Schaddai), wenn man die später hinzugefügte Punktierung der Masoreten weglässt.
»Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten ruht.« (Hohelied 1,13)
Ich weiß nicht, ob du jetzt nicht irgendwie in andere Sphären abdriftest, ehrlich gesagt. Bevor unsere Leser kopfschüttelnd aussteigen, solltest du dich schnell beeilen, sie bei der Stange zu halten.
Gott will dir Geborgenheit schenken und dich versorgen
Was ich sagen möchte, ist: Übersetzen könnte man dann El-Schaddai als »Gott meiner reichhaltigen Versorgung«. Die Mutterbrust ist ja in den alten Kulturen ein Symbol für Fruchtbarkeit, Geborgenheit, Nahrung und Versorgung gewesen. Wenn wir uns jetzt alle Verse anschauen, wo das Wort Schaddai im ersten Buch Mose vorkommt, wollen wir doch mal sehen, ob der Textzusammenhang nicht doch eher in diese Richtung weist als in die Richtung eines Herrschers, der sich über seine Allmacht oder Gewalt definiert.
Da bin ich aber mal sehr gespannt!
Gott will dein volles Potenzial entfalten
»Als Abram 99 Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sagte: Ich bin El-Schaddai, geh deinen Weg vor mir und halte dich ganz an mich! Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will dich sehr, sehr mehren.« (1. Mose 17,1 NEÜ/ELB) Klingt das eher nach Gewalt oder Fruchtbarkeit?
»Da ließ Isaak Jakob zu sich rufen. Er segnete ihn und sagte: … El-Schaddai, der allmächtige Gott, wird dich segnen. Er mache dich fruchtbar und lasse dich zahlreich werden, sodass aus dir eine ganze Schar von Völkern wird.« (1. Mose 28,1.3 NEÜ)«
Es geht tatsächlich immer um Fruchtbarkeit
»Und Gott sagte: Du heißt Jakob. Doch von jetzt an sollst du nicht mehr Jakob, sondern Israel genannt werden! … Ich bin El-Schaddai. Sei fruchtbar und vermehre dich! eine Nation und eine Schar von Nationen soll aus dir entstehen, und Könige sollen aus deinen Lenden hervorkommen.« (1. Mose 35,10.11 NEÜ/ELB)
Und im folgenden Abschnitt bitte auf das Wort für Erbarmen achten, das im Hebräischen aus der Mehrzahl des Wortes Racham (Gebärmutter/Mutterleib) abgeleitet wird.
»Da sagte Israel, ihr Vater, zu ihnen (seinen Söhnen): … El-Schaddai, lasse euch Erbarmen (Rachamīm) finden bei dem Mann (gemeint ist Josef), dass er euren anderen Bruder (Simeon) und Benjamin wieder mit euch heimkehren lässt. Und ich – wenn ich kinderlos sein soll, muss ich eben kinderlos sein.« (1. Mose 43,11.14)
Wenn man das auf dem soeben besprochenen Hintergrund liest, wäre Gott also derjenige, der in seiner mütterlichen Fürsorge auch Menschen bewegt, dieselben Eigenschaften zu zeigen, damit Gottes Volk Fruchtbarkeit statt Kinderlosigkeit erlebt?
»Und Jakob sagte zu Josef: El-Schaddai, erschien mir in Lus im Land Kanaan. Er segnete mich und sagte: Ich will dich fruchtbar machen und vermehren. Zu einer ganzen Schar von Völkern sollst du werden. Und dieses Land werde ich deiner Nachkommenschaft für alle Zeiten zum Besitz geben.« (1. Mose 48,3.4)
Und jetzt kommt der krasseste Text:
Fruchtbar in jeder Hinsicht
»Ein junger Fruchtbaum ist Josef, / ein junger Fruchtbaum am Quell … vom Gott deines Vaters, der dir hilft, / dem Schaddai, der dich segnet. / Er segnet dich mit Regen aus dem Himmel / und mit Wasser aus der Tiefe, / mit Überfluss aus beiden Mutterbrüsten (Schadajim) / und Fruchtbarkeit vom Mutterschoß (Racham).« (1. Mose 49,25 NEÜ)
Jetzt bin ich aber platt! Was ist das für ein Gott?
Ja, Schaddai und Schadajim in einem Vers. Segen statt Zerstörung, Versorgung statt Gewalt.
Die engste und unschuldigste Beziehung als Bild
Ich könnte noch weiter erzählen, davon wie Hagar Gott beschreibt als den Gott, der mich sieht (El Roï), und Abraham ihn als den Gott erkennt, der vorsehen (vorsorgen) wird (JHWH Jirë). Wie der Psalmist ihn als Quelle des Lebens darstellt und Jesus uns auffordert von dieser Quelle zu trinken, damit sie auch in uns aufbricht, bis ins ewige Leben hinein.
Ich könnte davon erzählen was die Wahrheit/Treue (Emet) mit der Mutter (Em) zu tun hat, warum Glauben/Vertrauen (Emuna) mit Sich-Bemuttern-Lassen zusammenhängt. Warum Gottes Segen und unser Lobpreis (beides: Berakha) etwas mit unseren Knien (Berekh) zu tun hat.
Oder dass im aaronitischen Segen steht: »Der HERR lasse sein Angesicht zu dir leuchten und sei dir gnädig! Der HERR hebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.« Das »über« ist immer nur Interpretation, weil ja Gott oben im Himmel ist. Doch Gott demütigt sich und kommt von unten, um uns auf Augenhöhe zu begegnen. In Jesus sehen wir es dann ganz deutlich.
Aber all das würde den Rahmen hier sprengen.
Sehr schade. So faszinierend. Es entsteht ein ganz anderes warmes Bild von diesem Gott Abrahams. Danke für diese Einblicke. Hast du noch ein Abschlusswort?
Alle diese Überlegungen zeigen uns einen sehr konkreten Gott der Liebe. Es gibt kein Wesen im Universum, das uns wohler gesonnen wäre. Wenn wir uns auf sein sanftmütiges Werben einlassen, strömt Kraft in unser Leben ein.
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