Das Skandalbuch, Teil 1: Als der Sturm begann

Das Skandalbuch, Teil 1: Als der Sturm begann
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In kräftiger Sprache, die es richtig einzuordnen gilt, gewährt Ralph Larson Einblick in ein Stück Adventgeschichte. Spannend wie ein Krimi sind die geheimen Treffen, die uns vom Sektenstatus erlösen sollten. Ralph Larson diente zuletzt als Dekan des Adventist Theological Seminary Far East.

Welches Bild steht einem vor Augen, wenn man sich heute in die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten anschaut? Verwirrung, fast Chaos!

Theologische Debatten und Kämpfe, dreiste Empörung gegen den Geist der Weissagung, immer mehr Kritik an der Bibel. Einige versuchen gar, dem Widersinn der Evolution in unserem Glauben einen Platz einzuräumen. Das Niveau in den Gemeinden sinkt; Weltlichkeit hält überall Einzug. Unsere Schulen sind schon lange keine »Zufluchtsstädte« mehr für die Jugend.

Was ist mit der Gemeinde geschehen?

Was ist mit der Gemeinde geschehen? Was hat diesen Wandel bewirkt? Die Antwort ist so einfach, dass es kaum zu glauben ist. Dieser gewaltige und tragische Wandel wurde durch ein Buch ausgelöst.

Ja, richtig, ein Buch! Ein Buch, das unter dem Titel Seventh-day Adventists Answer Questions on Doctrine herausgegeben wurde (Siebenten-Tags-Adventisten beantworten Fragen zur Lehre). Heute wird es meist Questions on Doctrine genannt oder einfach QOD. Gemessen an seinen verheerenden weltweiten Auswirkungen auf unsere Gemeinde ist dieses Buch eigentlich eine der größten Meisterleistungen Satans aller Zeiten.

Unsere wertvolle theologische Einheit ist dahin. Der Geist der Weissagung wird weithin ignoriert. Ja man muss die Adventgeschichte nun in »vor QOD« und »nach QOD« einteilen, zwei völlig unterschiedliche Geschichtsabschnitte. Wer von uns noch beide kennt, kann bezeugen, wie krass sie sich unterscheiden.

1957 ein Schicksalsjahr

Questions on Doctrine wurde im Jahr 1957 veröffentlicht. Ich hatte mich 1936 der Gemeinde angeschlossen und erlebte die Gemeinde vor QOD daher 21 Jahre lang. 1945 wurde ich Prediger und diente der Gemeinde daher 12 Jahre lang vor QOD. In meiner evangelistischen Tätigkeit vor QOD versicherte ich neuen Gemeindegliedern immer, dass sie überall auf der Welt eine Adventgemeinde finden würden, in der sie sich zu Hause fühlen, sobald sie die Schwelle übertreten. Das war begeisternd.

Vor QOD hatten Adventisten aus verschiedenen Teilen der Welt sofort eine Wellenlänge, wenn sie sich trafen. Sie kannten sich im Prinzip gegenseitig schon ganz gut, obwohl sie sich nie gesehen hatten. Sie hatten die gleichen Glaubensüberzeugungen, das gleiche Weltbild und die gleichen Hoffnungen, Träume und Pläne. Sie trugen sogar ähnliche Kleidung und aßen ähnliche Speisen. Sie kannten zum Teil dieselben Gemeindeleiter. Es war wunderbar, fantastisch. Das war vor QOD, vor Questions on Doctrine.

Heute ist das vorbei. Wie jeder weiß, müssen zwei Siebenten-Tags-Adventisten aus verschiedenen Teilen der Welt oder gar aus demselben Land, wenn sie sich zum ersten Mal treffen, heute erst einmal vorsichtig abtasten, wie der andere denkt, bevor eine echte Gemeinschaft entsteht, wir wir sie früher hatten. Denn wir leben seit 1957 nach QOD.

Wo enstand das Buch?

Doch wo kam das tragische Buch Questions on Doctrine her? Es wurde von unserer eigenen Abteilung für Predigtamt erstellt und in unserem eigenen Verlagshaus Review and Herald gedruckt. Es war also ein Eigentor. Das macht die Sache noch schwerer verständlich. Aber es ist die schmerzhafte Wahrheit. Die gruseligen Ereignisse entwickelten sich wie folgt:

In den frühen 50er Jahren hielt Dr. Donald Grey Barnhouse, Herausgeber der evangelikalen (calvinistischen) Zeitschrift Eternity eine Predigt im Radio. Ein adventistischer Prediger, J. T. Unruh, hörte die Predigt und schrieb Barnhouse einen anerkennenden Brief. Barnhouse hatte einen Mitarbeiter, Dr. Walter Martin, Sektenspezialist in den USA. Durch den Brief an die Siebenten-Tags-Adventisten erinnert, schlug Barnhouse nun Martin vor, unseren Glauben doch einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Dies führte schließlich zu einer Reihe von Beratungen, die in der Veröffentlichung von Questions on Doctrines gipfelten.

Welche Siebenten-Tags-Adventisten an diesen Beratungen teilnahmen, wurde erst kürzlich veröffentlicht, doch durch verschiedene inoffizielle Berichte war es schon vorher bekannt geworden. Es waren Dr. Leroy Edwin Froom, Lehrer an unserem theologischen Seminar, Roy Allen Anderson, Sekretär fürs Predigtamt, W. E. Read, ein Sekretär der Generalkonferenz, und T. E. Unruh, Vorsteher der Pennsylvania Vereinigung. Einige Berichte besagen, dass auch Dr. Edward Heppenstall, Lehrer an unserem Seminar, beteiligt gewesen sein soll. Die calvinistischen Theologen waren Dr. Donald Grey Barnhouse und Dr. Walter Martin.

Vorgeschlagene Glaubensänderungen

Barnhouse und Martin hatten den Vertretern der Adventgemeinde nahegelegt, die unserer Lehren zu widerlegen, die besagt, dass Jesus in der Natur des gefallenen Menschen auf die Erde gekommen sei. Sie schlugen auch ein paar andere Änderungen vor. Unter diesen Umständen würden sie uns nicht länger als »Sekte« bezeichnen und uns statt dessen in ihre »Gemeinschaft« aufnehmen.

Unglaublich! Aber unsere Männer willigten ein. Das Ergebnis haben wir vor uns: Verwirrung und Streit im Adventismus. Die Methoden, die dieser kleine Kreis von Männern anwendete, um sein Ziel zu erreichen, sind absolut schockierend und trotzen jeder Erklärung. Man hat den Eindruck, hier hätten Männer gehandelt, die ihres Verstandes beraubt waren. Wie wir sehen werden, ist das Ganze ein Skandal.

Meine persönliche Geschichte

Ohne dass ich es wollte, hatte ich das Pech ins Zentrum des Sturms dieser Auseinandersetzung zu geraten. Da war ich nun. Wie war es dazu gekommen? Dies ist die Geschichte meiner eigenen Reise durch die Wüste, ausgelöst durch das Skandalbuch Questions on Doctrine.

Im Jahr 1945 machte ich meinen Abschluss auf unserem College La Sierra und zog nach einem Jahr in Nevada weiter nach Hawaii, wo ich zwölfeinhalb Jahre als Pastor diente, in Kapaa, Hilo und Honolulu. Zweieinhalb Jahre war ich Vollzeitevangelist auf Hawaii.

Danach wurde ich nach Nordkalifornien versetzt, wo ich sieben Jahre lang in der Mission tätig war. Evangelisationen machten mir große Freude, doch ich musste erkennen, dass man als Evangelist, immer wieder dieselben Lehren predigt und viel Zeit mit Besuchen verbringt, bei denen man Fragen zur Bibel beantwortet. So bleibt einem wenig Zeit für tieferes Studium. Daher begann ich, mir bewusst Studienzeit in meinen Wochenplan einzubauen und in wenigen Jahren erwarb ich den Master- und den Doktorgrad. Danach folgte ich dem Ruf als Pastor der Gemeinde Glendale in Arizona, wo ich ein evangelistisches Experiment durchführte, das mir am Herzen lag.

Der Ruf nach Kalifornien

Eines Nachmittags erhielt ich einen Anruf von meinem Vereinigungsvorsteher, Frank Sherrill. Er sagte, dass die Leitung der Südostkalifornischen Vereinigung mit mir sprechen wollte. Sie wollten mich als leitenden Pastor der Gemeinde Campus Hill in Loma Linda einsetzen.

Ich reagierte sofort: »Sie brauchen mich gar nicht zu kontaktieren«, sagte ich, »sage ihnen, dass ich kein Interesse habe.«

Er war einverstanden und ich dachte, die Sache sei erledigt. Doch am Abend erhielt ich ganz überraschend einen Anruf vom Vorsteher der Südostkalifornischen Vereinigung, Walt Blehm. Er nahm sich die Zeit, mir die Gemeinde Campus Hill schmackhaft zu machen. Ich versuchte respektvoll und höflich, aber doch fest bei meinem Standpunkt zu bleiben, dass jetzt kein Wechsel möglich sei. Denn mein Projekt in Arizona wollte ich nicht im Stich lassen.

Dann erwähnte er den Namen des Verbandsvorstehers, Cree Sandefur. Ich erschrak. Ich sagte: »Walt, ist Sandefur deiner Meinung?« Er sagte: »Aber sicher!« Ich seufzte. Das änderte die Sache schlagartig. Ich sagte: »Walt, lass mich mit Sandefur sprechen. Wäre es für dich in Ordnung, wenn ich ihn morgen ganz früh anrufe und mich danach bei dir melde«? Er bejahte.

Als ich am nächsten Morgen um acht Uhr mein Gemeindebüro betrat, klingelte das Telefon. Sandefur! Er war mir zuvorgekommen. Sobald ich seine Stimme hörte, wusste ich, dass es vorbei war. Ich konnte ihn nicht abweisen.

Nicht nur, weil er Verbandsvorsteher war, sondern auch, weil ich ihm persönlich sehr viel zu verdanken hatte. Er war zu meiner Zeit in Hawaii dort Vorsteher gewesen und hatte eingewilligt, dass ich meine Pastorenarbeit an der Gemeinde Honolulu Zentrum gegen eine Vollzeittätigkeit als Evangelist eintauschte. Das war der Beginn von fünfzehn Jahren Evangelisationstätigkeit gewesen, den besten Jahren meines Lebens.

Noch heute würde ich sagen: »Wenn ich an einem Sommerabend in einem großen Zelt auf einem freien Platz mit einer Menschenmenge wäre, die leise die schönen Zionslieder singt, dann würde ich sagen: ›Schöner kann’s auf dieser Welt nicht werden!‹«

Sandefur bedrängte mich nicht. Das war nicht seine Art. Er sagte nur, er würde sich sehr freuen, wenn ich nach Südosten herüberkäme, um mir die Situation mal anzuschauen und mit Walt Blehm zu reden. Ich war einverstanden, machte mich auf die Reise und später an den Umzug. Ich hatte keine Wahl.

Zwischen den Fronten

Ich erzähle das als Hintergrund für die Auseinandersetzung, die in unserer Gemeinde tobte. Merkwürdigerweise hatte ich bis zu meinem Umzug nach Campus Hill davon überhaupt nichts mitbekommen. Doch als ich ankam, bekam ich die Einschläge von allen Seiten zu spüren. Ich hatte den Eindruck, mitten in der Kampfzone zu sein.

Zwei verschiedene Theologien wurden in der Sabbatschule der Gemeinde Campus Hill gelehrt. Eine war die richtige Theologie, die im Lektionsheft und der Literatur unserer Freikirche gebracht wurde. Die andere, so erfuhr ich, hieß »Neue Theologie« und wurde stark von einem Lehrer am Pacific Union College vertreten, dessen Name Desmond Ford war. Die Gemeindeglieder wurden immer besorgter und verwirrter.

Durch diese Umstände war ich gezwungen, der Neuen Theologie auf den Grund zu gehen, und ich erschrak über das, was ich dabei entdeckte. Sie bestand aus nichts anderem als jahrhundertealtem unmoralischem Calvinismus. Unsere Pioniere waren mit ihm vertraut gewesen und hatten ihn rechtzeitig verworfen. Auch auf meinen Evangelisationen war er mir viele Male begegnet. Man konnte alles in den Standardlehrwerken der calvinistischen Theologie nachlesen.

Die zwei Hauptpunkte, die sich in der calvinistischen Theologie von unseren Glaubenspunkten unterschieden, sind erstens, dass Jesus auf diese Erde mit der ungefallenen menschlichen Natur Adams kam und daher so anders war als wir, dass er uns sehr viel voraus hatte. Daher sei er nur unser Stellvertreter, nicht aber unser Vorbild. Der zweite Punkt war die natürliche Folge des ersten. Wenn Jesus uns so viel voraus hatte, wäre es unvernünftig und unfair, wenn Gott von uns erwartete, wie Jesus zu leben. Weder erwarte Gott daher noch fordere er von uns, dass wir aufhören zu sündigen. Er rette uns in unseren Sünden nicht von unseren Sünden. Dies entspricht der Lehre vom Heil in Sünden, die besagt, dass Christen mit dem Sündigen nicht aufhören können und dies auch nicht zu brauchen.

Ich stand unter Schock, als ich erkannte, dass diese calvinistischen Irrlehren als Wahrheit in einer adventistischen Sabbatschule gelehrt und die Geschwister dadurch verunsichert wurden. Ich empfand es als meine Pflicht, die heilige Wahrheit zu verteidigen, was ich auch tat. Und da fingen die Fetzen erst so richtig an zu fliegen.

Das Skandalbuch Teil 2: Das Schlachtfeld lesen Sie hier.

Aus: Our Firm Foundation, vol. 19 no. 2, Februar 2004

PDF (ab Seite 21):
http://www.andrews.edu/library/car/cardigital/Periodicals/Our_Firm_Foundation/2004/2004_02.pdf

HTML: www.closureforjesus.com/?p=945

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