Wenn Frauen die Welt verändern: Wie aus einem Bettelstudenten ein Reformator wurde

Wenn Frauen die Welt verändern: Wie aus einem Bettelstudenten ein Reformator wurde
LUTHER ALS KURRENDESCHÜLER VOR FRAU COTTA SINGEND, GEMÄLDE VON PROF. WEISS. QUELLE: WIKIPEDIA

Ein Artikel aus hoffnung HEUTE 1 zum Stöbern. Von Jean-Henry Merle D’aubigné

Johannes Luther wollte aus seinem Sohn gern einen Gelehrten machen. Im Jahr 1497, als Martin vierzehn Jahr alt wurde, sandte sein Vater ihn an die Franziskaner-Schule in Magdeburg. Seine Mutter musste dem wohl oder übel zustimmen, und so bereitete Martin sich darauf vor, das Elternhaus zu verlassen.

Magdeburg war für Martin wie eine neue Welt. Er musste unter zahlreichen Entbehrungen studieren, denn er hatte kaum genug zum Leben. Es war beschämend für ihn, dass er in seiner Freizeit gemeinsam mit anderen Kindern, die noch ärmer als er selbst waren, um Brot betteln musste.

Johannes und Margaret Luther hörten davon, wie schwer ihr Sohn in Magdeburg seinen Lebensunterhalt verdienen musste, und so schickten sie ihn nach nicht einmal einem Jahr nach Eisenach, wo es eine berühmte Schule gab. In dieser Stadt hatten sie viele Verwandte. Johannes und Margaret besaßen zu dem Zeitpunkt zwar mehr Geld als früher, aber trotzdem konnten sie ihren Sohn nicht an einem Ort behalten, wo niemand ihn kannte. Außerdem hatten die beiden neben Martin noch andere Kinder. Mit seiner Arbeit verdiente Johannes Luther gerade mal etwas mehr, als er für den Erhalt seiner Familie brauchte. Er hoffte, Martin könne in Eisenach die Mittel für seinen Lebensunterhalt leichter aufbringen. Aber auch in dieser Stadt ging es Martin nicht besser. Seine dortigen Verwandten kümmerten sich nicht um ihn – wahrscheinlich, weil sie selbst sehr arm waren.

Vom Hunger gequält war der junge Student wie in Magdeburg gezwungen, mit seinen Schulkameraden singend von Haus zu Haus zu ziehen, um sich einen Kanten Brot zu verdienen. Aber statt ihm Essen zu geben, schleuderte man dem armen und bescheidenen Martin nur harsche Worte ins Gesicht. Überwältigt vom Kummer vergoss er heimlich viele Tränen und hatte Angst vor der Zukunft.

»Die fromme Frau von Schunem«

Eines Tages – er war gerade an drei Häusern abgewiesen worden und wollte in seine Unterkunft zurückkehren und fasten – hielt er am Platz des Heiligen Georgs regungslos inne und gab sich vor dem Haus eines angesehenen Bürgers seinen trübsinnigen Gedanken hin. Müsste er nun aus Mangel an Nahrung seine Ausbildung an den Nagel hängen, zurückkehren und mit seinem Vater in den Minen von Mansfeldt arbeiten?

Plötzlich öffnet sich eine Tür! Eine Frau erscheint auf der Schwelle. Es ist Ursula, die Ehefrau von Conrad Cotta und Tochter des Bürgermeisters von Ilefeld. Die Eisenacher Chronik nennt sie »die fromme Frau aus Schunem« im Andenken an die junge Witwe, die den Propheten Elisa so eindringlich zum Bleiben und Essen einlud. Dieser gottesfürchtigen Frau aus Schunem namens Ursula war der junge Martin schon öfter in der Kirche aufgefallen. Seine angenehme Stimme und seine Hingabe hatten sie beeindruckt. Sie hatte die harten Worte gehört, die der arme Schüler sich anhören musste, und als sie ihn so traurig vor ihrer Tür stehen sah, wollte sie ihm helfen, bat ihn herein und gab ihm etwas, um seinen Hunger zu stillen.

Conrad befürwortete diesen wohltätigen Einsatz seiner Frau. Er hatte sogar so viel Freude an der Gesellschaft dieses Jungen, dass er ihn ein paar Tage später ganz bei sich aufnahm. Von nun an war seine Ausbildung gesichert. Er musste nicht in die Minen von Mansfeldt zurückkehren und seine von Gott geschenkten Talente begraben. In einer Zeit, in der er nicht wusste, was aus ihm werden würde, öffnete Gott ihm Herz und Heim einer christlichen Familie. Diese Erfahrung schenkte ihm jenes Gottvertrauen, das auch durch die schwersten Prüfungen, die später noch auf ihn zukommen sollten, nicht erschüttert werden konnte.

Glückliche Zeiten

Luther erlebte im Hause Cotta eine ganz andere Art von Leben, als er es bisher gekannt hatte. Sein Leben glitt nun ruhig dahin, frei von Not und Sorge. Er wurde heiterer, freudiger und offener. Alle seine Fähigkeiten erwachten inmitten der warmen Strahlen der Wohltätigkeit, und er begann sich am Leben, am Frohsinn und am Glück zu freuen. Seine Gebete wurden inniger, sein Durst nach Wissen größer, und in seinem Studium kam er schneller voran.

Neben Literatur und Wissenschaft lernte er nun auch die schönen Künste kennen. Er lernte Flöte und Laute spielen. Mit der Laute begleitete er oft seine ausgezeichnete Altstimme und fand so Freude in traurigen Stunden. Er genoss es, mit seinen Melodien seiner Adoptivmutter seinen großen Dank zu zeigen. Er selbst liebte diese Kunst bis ins hohe Alter und komponierte die Texte und Melodien einiger der besten deutschen Lieder. Es waren glückliche Zeiten für Luther. Nie konnte er ohne innere Ergriffenheit an sie zurückdenken.

»Es gibt nichts Schöneres auf Erden als das Herz einer guten Frau.«

Viele Jahre später kam ein Sohn Conrads zum Studium nach Wittenberg. Damals war der arme Student von Eisenach bereits zum bekanntesten Professor seiner Zeit geworden. Luther nahm ihn freudig an seinem Tisch und unter seinem Dach auf. Er wollte dem Sohn Conrads etwas für die Freundlichkeit zurückgeben, die er von den Eltern erhalten hatte. Über jene gottesfürchtige Frau, die ihn versorgte, als die ganze Welt ihn verstoßen hatte, äußerte er die folgenden wunderbaren Gedanken: »Es gibt nichts Schöneres auf Erden als das Herz einer guten Frau.«

Niemals vergessen

Niemals schämte sich Luther dafür, dass es Tage in seinem Leben gegeben hatte, in denen er von Hunger geplagt, traurig um sein täglich Brot betteln musste. Ganz und gar nicht! Dankbar sprach er über die große Armut seiner Jugend. Er betrachtete sie als Mittel Gottes, aus ihm das zu machen, was er später wurde, und er dankte Gott dafür. Dieser großartige Mann erkannte in diesen ersten, bescheidenen Anfängen den Grund dafür, dass er später so berühmt wurde. Er wollte auf keinen Fall vergessen, dass jene Stimme, die das Kaiserreich und die Welt erschütterte, einmal in den Straßen einer kleinen Stadt um einen Kanten Brot betteln musste.

Quelle:
Jean-Henri Merle d‘Aubigné, History of the Reformation of the Sixteenth Century, Vol. 1: History of the Reformation, Book 2: The Youth, Conversion and Early Labors of Luther 1483- 1517, S. 51, 52.

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