Hintergründe zum Aufkommen des Islam (Teil 2): Das siebte Jahrhundert aus historischer Perspektive

Hintergründe zum Aufkommen des Islam (Teil 2): Das siebte Jahrhundert aus historischer Perspektive
Bild: okinawakasawa - Adobe Stock
Wer sich über das Phänomen Islam den Kopf zerbricht, für den lohnt es sich, einen Blick auf die prophetischen und historischen Ereignisse dieser Zeit zu werfen. Von Doug Hardt

»Als der Islam im siebten Jahrhundert n. Chr. über die christliche Welt ganz überraschend hereinbrach, hatte sie eine Reihe von Spaltungen, Konflikten und Machtkämpfen hinter sich, die Osten und Westen gegeneinander aufgebracht hatten; beide Gebiete hatten auch innerlich mit tiefen Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zu kämpfen.« So beginnt die Oxford History of Islam ihren Artikel über »Islam und Christentum«.

Die knappe, einführende Beschreibung dieses Geschichtsbuchs lässt eines erkennen: Die Bibel hat in der Tat ganze Arbeit geleistet, als sie die geistliche Finsternis der Kirche jener Zeit prophezeite! Die christliche Welt bot keine durch das Evangelium geeinte Front, als Mohammed sein Wirken begann – sie war vielmehr tief gespalten. So schien für viele Beobachter im Christentum jener Zeit der Islam nichts anderes als nur eine weitere christliche Sekte zu sein (Esposito, Hg., The Oxford History of Islam, S. 305). Dieser Artikel betrachtet einige der herausragenden Streitfragen als Kulisse für das Aufkommen des Islam …

Zur Zeit Mohammeds hatte die christliche Kirche den Sonntag als »heiligen Tag« übernommen, die Lehre von der unsterblichen Seele eingeführt und die Predigt von der baldigen Wiederkunft eines kommenden Retters aufgegeben. Denn sie glaubte, die Kirche werde auf Erden (also politisch) triumphieren und dadurch das biblische tausendjährige Reich erfüllen. Paradoxerweise waren diese Themen im sechsten Jahrhundert schon keine »heißen Eisen« mehr. Die größte Kirchenkontroverse jener Tage drehte sich um die Natur Jesu. Daher behandeln wir dieses Thema zuerst:

Schon seit der Epoche von Smyrna (100 – 313 n. Chr.) hatte die Kirche versucht, die Bibel mit weltlichen Begrifflichkeiten zu erklären.

»Die christlichen Apologeten des zweiten Jahrhunderts waren eine Gruppe von Autoren, die den Glauben gegen jüdische und griechisch-römische Kritiker verteidigen wollten. Sie widerlegten eine Bandbreite von skandalösen Gerüchten, die zum Teil den Christen sogar Kannibalismus und sexuelle Freizügigkeit unterstellten. Im Großen und Ganzen wollten sie das Christentum den Gliedern der griechisch-römischen Gesellschaft verständlich machen und das christliche Verständnis von Gott, der Göttlichkeit Jesu und der Auferstehung des Leibes definieren. Um dies zu erreichen, übernahmen die Apologeten das philosophische und literarische Vokabular der allgemeinen Kultur, um damit ihren Glauben immer präziser auszudrücken und auf die intellektuellen Empfindlichkeiten ihrer heidnischen Zeitgenossen in attraktiver Weise einzugehen.« (Fredericksen, »Christianity«, Encyclopaedia Britannica)

Als Folge davon schwand die herausragende Rolle der Bibel in der Kirche allmählich, sodass man schon im dritten Jahrhundert den Laien die Bibel erklären musste. Dadurch wurden Theologen berühmt wie Origenes mit seinen Bibelkommentaren (ebd.). Diese Entwicklung verschaffte den »Elite«-Theologen mehr Einfluss, da sie wortgewandter schreiben und mit ihrer griechisch-philosophischen Sprache die Öffentlichkeit besser ansprechen konnten. Schon Paulus sagte: »Die Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf.« (1. Korinther 8,1 Luther 84) Mit dieser Erkenntnis ging es anscheinend mit der Liebe in der Kirche immer weiter bergab und mit der »Aufblähung« immer weiter bergauf. Das führte zu allerlei Spaltungen in der Lehre.

Um Mohammed und die Aussagen des Korans besser einzuordnen, hilft es, die Auseinandersetzungen zu kennen, die zu seiner Zeit in der christlichen Kirche ihr Unwesen trieben. Deshalb rückt dieser Artikel die verschiedenen Streitfragen in der orientalischen Kirche in den Mittelpunkt, die ihren Sitz in Konstantinopel hatte. Denn der Einfluss dieses Teils der Kirche war auf der arabischen Halbinsel zur Zeit Mohammeds und in den islamischen Folgegenerationen besonders stark spürbar.

Schon seit der Epoche von Smyrna (100 – 313 n. Chr.) hatte die Kirche versucht, die Bibel mit weltlichen Begrifflichkeiten zu erklären.

»Die christlichen Apologeten des zweiten Jahrhunderts waren eine Gruppe von Autoren, die den Glauben gegen jüdische und griechisch-römische Kritiker verteidigen wollten. Sie widerlegten eine Bandbreite von skandalösen Gerüchten, die zum Teil den Christen sogar Kannibalismus und sexuelle Freizügigkeit unterstellten. Im Großen und Ganzen wollten sie das Christentum den Gliedern der griechisch-römischen Gesellschaft verständlich machen und das christliche Verständnis von Gott, der Göttlichkeit Jesu und der Auferstehung des Leibes definieren. Um dies zu erreichen, übernahmen die Apologeten das philosophische und literarische Vokabular der allgemeinen Kultur, um damit ihren Glauben immer präziser auszudrücken und auf die intellektuellen Empfindlichkeiten ihrer heidnischen Zeitgenossen in attraktiver Weise einzugehen.« (Fredericksen, »Christianity«, Encyclopaedia Britannica)

Als Folge davon schwand die herausragende Rolle der Bibel in der Kirche allmählich, sodass man schon im dritten Jahrhundert den Laien die Bibel erklären musste. Dadurch wurden Theologen berühmt wie Origenes mit seinen Bibelkommentaren (ebd.). Diese Entwicklung verschaffte den »Elite«-Theologen mehr Einfluss, da sie wortgewandter schreiben und mit ihrer griechisch-philosophischen Sprache die Öffentlichkeit besser ansprechen konnten. Schon Paulus sagte: »Die Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf.« (1. Korinther 8,1 Luther 84) Mit dieser Erkenntnis ging es anscheinend mit der Liebe in der Kirche immer weiter bergab und mit der »Aufblähung« immer weiter bergauf. Das führte zu allerlei Spaltungen in der Lehre.

Um Mohammed und die Aussagen des Korans besser einzuordnen, hilft es, die Auseinandersetzungen zu kennen, die zu seiner Zeit in der christlichen Kirche ihr Unwesen trieben. Deshalb rückt dieser Artikel die verschiedenen Streitfragen in der orientalischen Kirche in den Mittelpunkt, die ihren Sitz in Konstantinopel hatte. Denn der Einfluss dieses Teils der Kirche war auf der arabischen Halbinsel zur Zeit Mohammeds und in den islamischen Folgegenerationen besonders stark spürbar.

Eine andere Position vertrat, dass Jesus nur ein Mensch war und dessen Empfängnis ein Wunder. Das unendliche Maß des Heiligen Geistes, durch den er mit  göttlicher Weisheit und Kraft erfüllt wurde, machte ihn jedoch zu Gottes Sohn. Daraus entwickelte sich später die Lehre, Jesus sei nicht als Gottes Sohn geboren worden, sondern Gott habe ihn erst später während seines Lebens als Sohn »adoptiert«. Dieser Glaube lebt heute noch unter vielen modernen Unitariern fort.

Eine weitere Sicht »nahm Anstoß an dem ›Subordinatianismus‹ einiger Kirchenväter, [Jesus sei zwar göttlich, aber dem Vater untergeordnet gewesen]. Sie behauptete im Gegensatz dazu, Vater und Sohn seien nur zwei verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Subjekt, für den einen Gott, der in der vorigen Weltzeit Vater genannt werde, aber Sohn bei seiner Erscheinung als Mensch.« (»Monarchianism«, Encyclopaedia Britannica)

Um 200 n. Chr, begann Noët von Smyrna diese Theorie zu predigen. Als Praxeas diese Anschauungen nach Rom brachte, sagte Tertullian: »Er vertreibt die Prophetie und importiert die Häresie; er schlägt den Tröster in die Flucht und kreuzigt den Vater.« (Parrinder, Jesus in the Qur’an, Seite 134; siehe auch Gwatkin, Selections from Early Christian Writers, S. 129)

Ein Großteil der orthodox-christlichen Lehre über den Logos, das Wort oder den »Sohn« Gottes, wurde zusammengetragen, um diese Irrlehre zu bekämpfen. Der modalistische Monarchianismus trat jedoch der unabhängigen, persönlichen Existenz des Logos entgegen und behauptete, es gebe nur eine Gottheit: Gott den Vater. Das war eine extrem monotheistische Sichtweise.

Selbst nach dem Konzil von Nicäa hörten die christologischen Streitigkeiten nicht auf. Kaiser Konstantin neigte selbst zum Arianismus und sein Sohn war sogar ausgesprochener Arianer. Im Jahr 381 n. Chr. erhob die Kirche auf dem nächsten ökumenischen Konzil die katholische Christenheit (des Westens) zur offiziellen Reichsreligion und rechnete mit dem Arianismus des Orients ab. Arius war ja ein Priester im ägyptischen Alexandria gewesen – einem der Zentren der Ostkirche (Fredericksen, »Christianity«, Encyclopaedia Britannica). Da die Westkirche damals einen Machtzuwachs erlebte, führte diese Entscheidung zu politischen Angriffen von Seiten der Ostkirche, die den nächsten Streit über die Lehre Jesu stark mitprägte.

Diese Gruppe wiederum war im Nahen Osten beliebt, vor allemim Königshaus. Sie lehrte, dass Jesus sowohl wahrer Gott als auch wahrer Mensch gewesen sei. Beides habe sich nicht unterschieden. Das Menschliche in ihm wurde gekreuzigt und getötet, doch dem Göttlichen in ihm sei nichts geschehen. Sie lehrten auch, Maria habe sowohl die göttliche als auch die menschliche Natur Jesu zur Welt gebracht.

Die nächste christologische Debatte wurde 431 n. Chr. auf dem Konzil von Ephesus diskutiert. Angeführt von Kyrill, dem Patriarchen von Alexandria, wurde die extreme Christologie von Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel als Irrlehre verdammt. Nestorius lehrte nämlich, dass der Mensch Jesus eine unabhängige Person neben dem göttlichen Wort ist, weshalb man kein Recht habe, Jesu Mutter Maria »Mutter Gottes« (gr. theotokos, θεοτοκος oder Gottesgebärerin) zu nennen. Es ist schwierig zu sagen, was Nestorius wirklich lehrte. Denn es wird allgemein angenommen, Kyrill habe als Patriarch von Alexandria seinen Rivalen auf dem Stuhl von Konstantinopel schlecht machen wollen. Daher war seine Entscheidung, seinen Rivalen zu verurteilen, wahrscheinlich genauso politisch wie religiös motiviert.

Was Nestorius tatsächlich lehrte, war vermutlich mehr eine prosopische Einheit. Der griechische Begriff prosōpon (προσωπον) bedeutet eine äußerlich einheitliche Repräsentation oder Manifestation eines Individuums einschließlich zusätzlicher Werkzeuge. Ein Beispiel: Der Pinsel eines Malers gehört zu seinem eigenen prosōpon. So verwendete Gottes Sohn sein Menschsein, um sich zu offenbaren, und daher war das Menschsein etwas, was zu seinem prosōpon gehörte. Auf diese Weise war er eine ungeteilte Einzeloffenbarung (Kelly, »Nestorius«, Encyclopaedia Britannica).

Der Nestorianismus, wie ihn seine Gegner damals und schließlich auch seine Befürworter verstanden, pochte jedoch darauf, Jesu menschliche Natur sei absolut menschlich gewesen. Deshalb glaubte man, dies würde zwei Personen aus ihm machen, eine menschliche und eine göttliche. Während nun die orthodoxe (»rechtgläubige«) Christologie der damaligen Zeit zu der Ansicht gelangte, dass Jesus zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche, auf geheimnisvolle Weise in einer Person (gr. hypostasis, υποστασις) vereinte, betonte der Nestorianismus die Unabhängigkeit beider. Er sagte also, es seien in Wirklichkeit zwei Personen oder Hypostasen lose durch eine moralische Einheit miteinander verbunden. Nach der Vorstellung des Nestorianismus hat sich das göttliche Wort also bei der Fleischwerdung mit einem vollständigen, unabhängig existierenden Menschen zusammengeschlossen.

Aus orthodoxer Sicht leugnet der Nestorianismus damit die tatsächliche Fleischwerdung und stellt Jesus als einen von Gott inspirierten Menschen dar, und nicht als einen von Gott geschaffenen Menschen (ebd.). Diese Sicht ähnelte der Anschauung der Melkiten mit der Ausnahme, dass Maria, das göttliche Element Jesu nicht zur Welt gebracht habe (Aasi, Muslim Understanding of Other Religions, S. 121).

Kyrills Lösungsansatz für dieses Problem war jedoch »eine einzige Natur für das fleischgewordene Wort«. Dies führte zu der nächsten Auseinandersetzung über die Natur Jesu.

Diese Lehre behauptet, dass die Natur Jesu Christi insgesamt göttlich blieb und nicht menschlich, auch wenn er einen irdischen und menschlichen Körper angenommen hat, der geboren wird, lebt und stirbt. Die monophysitische Lehre besagt also, in der Person Jesu Christi habe nur eine göttliche Natur existiert, und nicht zwei Naturen, die göttliche und die menschliche.

Papst Leo von Rom führte den Protest gegen diese Lehre an, der 451 n. Chr. in dem Konzil von Chalcedon gipfelte. »Chalcedon verabschiedete den Beschluss, dass Jesus mit ›zwei unvermischten, unverwandelten, ungeschiedenen und ungetrennten Naturen gewürdigt werden müsse‹. Diese Formulierung richtete sich zum Teil gegen die Lehre der Nestorianer, nach der Jesu zwei Naturen eigenständig blieben und faktisch zwei Personen waren. Sie richtete sich aber auch gegen die theologisch schlichte Position von Eutyches, einem Mönch, der 448 n. Chr. verurteilt worden war, weil er lehrte, Jesus habe nach der Fleischwerdung nur eine Natur gehabt und daher sei seine Menschlichkeit nicht von der gleichen Beschaffenheit, wie die anderer Menschen gewesen.« (»Monophysite«, Encyclopaedia Britannica)

Während der nächsten 250 Jahre versuchten die byzantinischen Kaiser und Patriarchen verzweifelt die Monophysiten zu gewinnen; doch alle Versuche schlugen fehl. Die Zwei-Naturen-Lehre Chalcedons wird auch heute noch von verschiedenen Kirchen abgelehnt, nämlich von der Armenisch-Apostolischen und der Koptischen Kirche, von der Koptisch-Orthodoxen Kirche von Ägypten, der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche und der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien (der Syrisch-Jakobitischen Kirche). (Fredericksen, »Christianity«, Encyclopaedia Britannica)

Dies waren Christen, die Jakob Baradei nachfolgten und hauptsächlich in Ägypten lebten. Die Jakobiter bauten den Monophysitismus dahingehend aus, dass sie erklärten, Jesus selbst sei Gott. Nach ihrem Glauben wurde Gott selbst gekreuzigt und das ganze Universum musste die drei Tage lang, in denen Jesus im Grab lag, auf seinen Fürsorger und Erhalter verzichten. Dann stand Gott auf und kehrte auf seinen Platz zurück. Auf diese Weise wurde Gott zum Ins-Leben-Gerufenen und der Ins-Leben-Gerufene wurde ewig. Sie glaubten, dass Gott in Marias Schoß empfangen wurde und sie mit ihm schwanger war. (Aasi, Muslim Understanding of Other Religions, S. 121)

Diese arabische Sekte aus dem vierten Jahrhundert glaubte, Jesus und seine Mutter seien zwei Gottheiten neben Gott. Sie fühlten sich vor allem zu Maria hingezogen und beteten sie an. Sie opferten ihr Brotkuchenringe (collyrida, κολλυριδα – daher der Name der Sekte) wie andere es gegenüber der großen Mutter Erde in heidnischen Zeiten praktiziert hatten. Christen wie Epiphanius kämpften gegen diese Irrlehre und versuchten den Christen zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass Maria nicht angebetet werden sollte. (Parrinder, Jesus in the Qur’an, S.135)

Aus diesem Abriss der christlichen Kirchengeschichte und ihrem Ringen um ein Verständnis der Natur Jesu wird deutlich, warum Jesus sich für die Zeitepoche Thyatiras als »Sohn Gottes« bezeichnet (Offenbarung 2,18). Denn diese Frage verlangte nach einer Antwort im Christentum. Es war jedoch nicht das einzige Problem in der Kirche.

Wie soeben bei den Kollyridianerinnen erwähnt, brauten sich in der Kirche in Bezug auf Maria viele Probleme zusammen. Binnen weniger Jahrhunderte seit den Anfängen des Christentums hatte Maria unter den Laien den ehrwürdigen Status einer Heiligen Jungfrau eingenommen, die das unglaubliche Vorrecht hatte, mit Gottes Sohn schwanger zu sein. Das zeigen die Fresken, die man von ihr und Jesus in den römischen Katakomben gefunden hat. Dies führte jedoch so weit, dass sie schließlich als »Gottesmutter« bekannt wurde. Apokryphe Schriften über ihr Leben tauchten auf und die Verehrung ihrer Reliquien blühte.

Obwohl einige (darunter Nestorius) scharf protestierten, duldete das Konzil von Ephesus 431 n. Chr. die Verehrung der Jungfrau als Theotokos, der »Gottesmutter« (oder genauer der »Gottesgebärerin«) und billigte die Anfertigung von Ikonen der Jungfrau und ihres Kindes. Im selben Jahr verwendete Kyrill, der Erzbischof von Alexandria, viele der Namen für Maria, die die Heiden liebevoll der »großen Göttin« Artemis/Diana von Ephesus gegeben hatten.

Allmählich verschmolzen die beliebtesten Eigenschaften der antiken Göttin Astarte, Kybele, Artemis, Diana und Isis zum neuen Marienkult. In jenem Jahrhundert führte die Kirche das Fest Mariä Himmelfahrt ein im Gedenken an den Tag, als sie am 15. August in den Himmel auffuhr. An diesem Datum waren die antiken Feste von Isis und Artemis gefeiert worden. Maria wurde schließlich  als Fürsprecherin des Menschen vor dem Thron ihres Sohnes betrachtet. Sie wurde zur Schutzheiligen von Konstantinopel und der Kaiserfamilie. An der Spitze jedes großen Umzugs wurde ihr Bild getragen, und in jeder Kirche und jedem christlichen Haus wurde es aufgehängt. (Zitiert in: Oster, Islam Reconsidered, S. 23: aus William James Durant, The Age of Faith: A history of medieval civilization – Christian, Islamic, and Judaic – from Constantine to Dante, C.E. 325-1300, New York: Simon Schuster, 1950)

Folgendes Gebet von Lucius veranschaulicht die Verehrung der Muttergottheit:

»(Du) ernährst durch deinen Reichtum die ganze Welt. Als liebende Mutter jammern dich die Nöte der Elenden … Du nimmst hinweg alle Stürme und Gefahren aus dem Leben der Menschen, streckst deine rechte Hand aus … und stillst die großen Stürme des Schicksals …« (Oster, Islam Reconsidered, S. 24)

Walter Hyde kommentiert dieses neue Phänomen in der Christenheit wie folgt:

»Es ist dann nur allzu natürlich, dass einige Studenten ihren Einfluss als ›Mutter der Sorgen‹ und ›Mutter des Horus‹ auf die christliche Vorstellung von Maria übertrugen. Denn in ihr sahen die Griechen, ihre gramerfüllte Demeter nach ihrer Tochter Persephone suchen, die von Pluto vergewaltigt worden war. In vielen Statuetten, die man in den Trümmern ihrer Schreine an Seine, Rhein und Donau gefunden hat, findet man das Mutter-Kind-Motiv. Die frühen Christen meinten darin die Madonna mit Kind zu erkennen. Kein Wunder, das es bis heute immer noch schwierig ist, archäologische Funde eindeutig zuzuordnen.

Der Beiname »Mutter Gottes« wurde im vierten Jahrhundert gebräuchlich, weil ihn Eusebius, Athanasius, Gregor von Nazianz in Kappadokien und andere verwendeten. Gregor sagte, »wer nicht glaubt, dass Maria die Gottesgebärerin sei, hat keinen Teil an Gott.« (Zit. in Oster, Islam Reconsidered, 24 aus: Hyde, Paganism to Christianity in the Roman Empire, S. 54)

Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Akzeptanz der Maria im östlichen Teil der Christenheit (dem Teil, der näher an dem Gebiet lag, in dem Mohammed wirkte) rascher fortschritt als im Westen. Das sieht man daran, dass Papst Agapetus, als er 536 n. Chr. Konstantinopel besuchte, von seinem östlichen Kollegen zurechtgewiesen wurde, weil er die Marienverehrung und das Aufstellen von Ikonen für die Gottesgebärerin in westlichen Kirchen untersagte. Doch allmählich setzte sich die Marienverehrung auch im Westen durch. Im Jahr 609 n. Chr. (ein Jahr bevor Mohammed angeblich seine erste Vision hatte), wurde der römische Pantheon der Maria geweiht und umgetauft in »Santa Maria ad Martyres« (»Heilige Maria und die Märtyrer«). Im selben Jahr wurde auch eine der ältesten Kirchen, die Titularkirche der Päpste Callixtus I. und Julius I., der »Santa Maria in Trastevere« umgewidmet. Ende desselben Jahrhunderts hatte Papst Sergius I. dann die frühesten Marienfeste im römischen Liturgiekalender eingeführt. Der Tisch war nun für die Verehrung der Gottesgebärerin gedeckt. Denn die Theorie von Mariä Himmelfahrt war weit verbreitet und Christen von Ost und West konnten nun ihre Gebete zu einem weiteren »Fürsprecher« neben dem einen richten, der uns in der Bibel genannt wird (1. Timotheus 2,5).

Dr. Kenneth Oster, ein adventistischer Pastor, der viele Jahre im Iran gedient hat, sagt:

»Die vorchristlichen römischen Kulte tauchten nun in der Kirche unter ›christlichen‹ Namen wieder auf. Diana, die jungfräuliche Göttin brachte ihren Beitrag zur Verehrung der Jungfrau Maria. Roms Juno, Griechenlands Hera, Kathargos Tanit, Ägyptens Isis, Phöniziens Astarte und Babylons Ninlil waren allesamt Himmelsköniginnen gewesen. Ägypten spielte keine geringe Rolle in dieser Entwürdigung der einfachen Lehren Jesu. Die erhaltenen Figürchen von Isis, die den Horus stillt, ähneln den vertrauten Darstellungen der Madonna mit Kind. So wird offenbar, dass diese Irrlehre des lasterhaften Heidentums – ein Gott habe eine Göttin vergewaltigt und aus dieser inzestuösen Vereinigung sei ein »Gottessohn« hervorgegangen … – in den kanaanitischen Kulten von Ugarit und Ägypten übernommen, in der griechisch-römischen Mythologie vor allem in den Mysterienreligionen ausgebrütet wurde, in der abgefallenen Kirche seine volle Größe erreichte und der nichtchristlichen Welt als Wahrheit verkauft wurde.« (Oster, Islam Reconsidered, S. 24)

Dieser Punkt kann nicht überbetont werden, wenn man die Kulisse studiert, vor der Mohammed auftrat. Das Bewusstsein des Lesers muss geschärft werden für das, was wirklich im Christentum vor sich ging, um zu verstehen, worüber der Koran spricht. Arabien war nicht immun gegen diese Entwicklungen im Christentum. Die Vorstellung einer »Trinität« aus einem Vatergott, einer Muttergöttin und ihrem biologischen Nachwuchs, einem dritten Sohngott war so verbreitet, dass die Einwohner Mekkas ihrem Götterpantheon, der Kaaba, eine byzantinische Ikone von Maria mit dem Jesuskind hinzugefügt hatten, damit christliche Händler, die durch Mekka zogen, neben ihren Hunderten von anderen Gottheiten auch etwas zum Anbeten hatten. (zit. in ebd., 25 aus: Payne, The Holy Sword, S. 4) …

Eine weitere Entwicklung in der Christenheit, die eine langfristige Wirkung auf das Aufkommen des Islams hatte, war das Mönchstum. Bereits im fünften Jahrhundert gewann diese Bewegung viele Anhänger. Einer der frühen Gründer eines Mönchsordens, Pachomios, gründete elf Klöster in Oberägypten, bevor er 346 n. Chr. starb. Er hatte über 7000 Anhänger. Hieronymus berichtet, dass innerhalb eines Jahrhunderts 50.000 Mönche den jährlichen Kongress besuchten. Allein in der Region um Oxyrhynchus in Oberägypten gab es schätzungsweise 10.000 Mönche und 20.000 Jungfrauen. Diese Zahlen veranschaulichen den Trend, der in der christlichen Welt an Boden gewann. Tausende zogen in die syrische Wüste und gründeten Klöster mit dem einzigen Ziel, ein Leben der inneren Einkehr zu führen (Tonstad, »Defining Moments in Christian-Mulim History – A Summary«, Adventist Muslim Relations).

Diese Bewegung beruhte auf der Lehre Platons über die Trennung von Körper und Geist. Der Körper, so glaubten sie, sei nur ein vorübergehendes Stadium der menschlichen Existenz, der Geist hingegen der wahre Ausdruck des Göttlichen und nur vorübergehend im fleischlichen Körper gefangen. Origenes und Clemens von Alexandria hatten diese dualistische Sichtweise von der Wirklichkeit übernommen und verbreitet, was dazu führte, dass viele die »Sünden«, die man mit dem Fleisch in Zusammenhang brachte, verlassen und sich an abgelegene Orte zurückziehen wollten, wo sie »geistliche Perfektion« erstrebten. Diese Lehre machte sich vor allem im orientalischen Christentum breit, wo Mohammed mit Christen in Kontakt kommen würde. Sie steht in großem Widerspruch zu den weniger philosophischen, praktischeren Lehren, die er vertrat. Dies ist ein Thema, das der Koran anspricht.

Eine weitere Entwicklung in der Christenheit war das merkliche Nachlassen des Eifers bei der Verkündigung des Evangeliums in der Welt. Eifer fürs Evangelium war der rote Faden bei den Aposteln und in der Urgemeinde. Doch wie sich aus den bisher betrachteten Punkten leicht erkennen lässt, begnügte sich die Kirche inzwischen damit, über Lehrfragen zu streiten und mit theologisch-philosophischen Begriffen Haarspalterei zu betreiben. Im siebten Jahrhundert gab es schließlich nur noch wenige Leuchttürme der christlichen Mission – obwohl die Nestorianer das Evangelium bis nach Indien und China gebracht hatten und die Kelten den Messias bereits unter den Germanen verkündeten (Swartley, Hg. Encountering the World of Islam, S. 10).

Adventisten werden bei diesen Entwicklungen gemischte Gefühle haben. Einerseits sollen alle Völker von Jesus hören … doch soll dies wirklich durch ein Volk geschehen, das lehrt, Gottes Gesetz sei abgeschafft, der Mensch habe eine unsterbliche Seele, ihm drohe eine ewige Hölle, am Sonntag sei anzubeten usw.?

Eine Situation im siebten Jahrhundert, die alle Christen beklagen müssen, war das Fehlen von Bibelübersetzungen. Soweit die Gelehrten wissen, wurde die erste arabische Bibelübersetzung erst 837 n. Chr. fertiggestellt und dann aber kaum vervielfältigt (außer ein paar Manuskripte für Gelehrte). Zu einer Veröffentlichung kam es erst in 1516 n. Chr. (ebd.).

Dies zeigt den fehlenden Eifer von Seiten der Christen, das Evangelium den Arabern zu bringen. Der Trend setzt sich bis in die heutige Zeit fort: Nur einer von zwölf christlichen Arbeitern wird in die muslimischen Länder gesandt, obwohl die Muslime insgesamt ein Fünftel der Weltbevölkerung stellen. In die Sprachen weniger bekannter Kulturen – wie Chinesisch oder Syrisch – hatte man die Bibel schon übersetzt. Aber nicht ins Arabische, weil man den Arabern gegenüber anscheinend Vorurteile hatte (ebd., S. 37).

Jedenfalls glauben christliche Gelehrte, weder Mohammed noch andere Araber damals hatten die Gelegenheit, ein Bibelmanuskript in ihrer Muttersprache zu lesen.

Obwohl das Christentum zu einer Streitkultur entartet war, in der es um die Philosophie der Natur Jesu ging und obwohl es sich die Lehre von der unsterblichen Seele zu eigen gemacht hatte, den biblischen Sabbat und Gottes Gesetz ablehnte sowie extreme Formen des Rückzugs aus der Welt propagierte, war seine abscheulichste Eigenschaft wahrscheinlich seine Gewaltanwendung, um seine Lehren voranzutreiben. Es ist eine Sache, den Irrtum zu lehren, dies aber in dem lieben, christlichen Geist zu tun, den Jesus seinen Nachfolgern nahelegte (»Liebt eure Feinde … tut wohl denen, die euch hassen« Matthäus 5,44); aber es ist eine andere Sache, Irrlehren zu verbreiten, darauf auch noch stolz zu sein und jeden umzubringen, der damit nicht einverstanden ist! Doch genau das praktizierten Christen, als Mohammed auftrat …

Diese Entwicklung begann, kurz nachdem die Christen durch den römischen Kaiser Diokletian (303-313 n. Chr.) schwer verfolgt worden waren. Binnen einer Generation, nachdem Kaiser Konstantin Christ geworden war, verwandelte sich das Christentum vom Verfolgten zum Verfolger. Als das Konzil von Nizäa die Lehre des Arius zur Irrlehre erklärte, glaubte Konstantin, dass jeder zur »Orthodoxie« verpflichtet werden müsse, um die Einheit des Reiches zu wahren. Es wurde beschlossen, dass jeder Glaube, der gegen die offiziellen Lehren der Kirche ginge, nicht nur ein Verstoß gegen die Kirche, sondern auch gegen den Staat war.

Eusebius, der führende Kirchenhistoriker zur Zeit Konstantins, ist ein Spiegel für das Denken der Mehrheit im Christentum damals, wenn er Konstantin als Gottes auserwähltes Gefäß lobt, das Jesu Herrschaft auf Erden aufrichten würde. Ein Autor schreibt über Eusebius:

»Obwohl er ein Mann der Kirche war, begründete er als Propagandist und Historiker die politische Philosophie vom christlichen Staat. Seine Schlussfolgerungen stützte er mehr auf Beweise aus dem Römischen Reich als aus dem Neuen Testament. Sein Blickwinkel ist gründlich politisiert. Seiner Lobeshymne fehlt ›jegliches Bedauern der segensreichen Verfolgung und jegliche prophetische Furcht vor der Reichskontrolle der Kirche.‹ Der Gedanke kommt ihm erst gar nicht, dass staatlicher Schutz zur religiösen Unterwürfigkeit der Kirche führen könnte und die Verfolgung Andersdenkender zu religiöser Heuchelei, obwohl beide tückischen Gefahren in seiner Zeit leicht zu entdecken waren.« (Tonstad, »Defining Moments in Christian-Mulim History – A Summary«, Adventist Muslim Relations)

Das Christentum hatte seine geistliche Reinheit geopfert. Das Prinzip, das Jesus gelehrt hatte – die Trennung von Kirche und Staat – hatte es gegen Popularität und weltlichen Gewinn eingetauscht. Schon zur Zeit von Kaiser Theodosius I. (379-395 n. Chr.) durften sich »Ketzer« nicht mehr versammeln oder Eigentum besitzen; sogar ihre Kirchen wurden enteignet. Theodosius II. (408-450 n. Chr.) ging noch einen Schritt weiter und ordnete an, dass Ketzer, die nicht an die Trinität glaubten oder die Wiedertaufe lehrten (Donatisten), die Todesstrafe verdient hätten.

Eine großflächige Verfolgung fand jedoch erst unter Justinian (527-565 n. Chr.) statt, als Arianer, Montanisten und Sabbatarier allesamt als Staatsfeinde verfolgt wurden. Der Historiker Prokopios, Zeitgenosse von Justinian, sagt, dass Justinian »eine unschätzbare Zahl von Morden arrangierte. Ehrgeizig wollte er alle zu einem christlichen Glaubensbekenntnis zwingen; mutwillig vernichtete er jeden, der sich nicht anpasste und heuchelte dennoch die ganze Zeit Frömmigkeit vor. Denn er sah darin keinen Mord, solange die Sterbenden seinen Glauben nicht teilten.« (ebd. Hervorhebung hinzugefügt; zitiert in Procopius, The Secret History, S. 106)

Das könnte erklären, warum Gott dies als Beginn des absoluten Abfalls betrachtete, dessen sich die christliche Kirche schuldig machte. Die Bibel und der Bericht über die Schöpfung Luzifers, seine Rebellion und sein Versuch, seine Regierung auf Gottes neu geschaffenem Planeten aufzurichten, ist ein Beweis dafür, dass Gott vor allem Religionsfreiheit wertschätzt. Obwohl er wusste, wie viel Leid und Tod durch den Fall Luzifers und somit auch Adams und Evas kommen würde, hielt Gott den Grundsatz der Gewissensfreiheit aufrecht. Wir sehen in der Geschichte, dass Gott immer seinen Segen zurückzieht, wenn eine Instanz, ob Kirche oder Regierung, beschließt, den Menschen dieses heilige Recht zu rauben. Denn dann beginnt sie, gegen den Allerhöchsten zu streiten.

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Mit freundlicher Genehmigung des Autors gekürzt aus: Doug Hardt, Who Was Muhammad?, TEACH Services (2016), Kapitel 4, »Historical Context of the Rise of Islam«

Das Original ist als Paperback, Kindle, und E-Book hier erhältlich:
www.teachservices.com/who-was-muhammad-hardt-doug-paperback-lsi


 

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