Ein Bärendienst für Ellen White: Bei solchen Freunden …

Ein Bärendienst für Ellen White: Bei solchen Freunden …
Bilder: Ellen G. White Estate
Sicher gut gemeint, halten einige eine ganze Reihe ihrer Aussagen für gefälscht. Von Dave Fiedler

Ellen White war ein freundlicher Mensch. Die historischen Berichte weisen zumindest darauf hin, dass viele sie als ihre Freundin bezeichneten. Dies hat sie sicher gerne erwidert. Natürlich hatte sie ihre besonderen Freunde, die sie schon länger kannte, denen sie einfach näher stand oder um die sie sich besonders kümmerte. Aber sie wusste auch aus schmerzlicher Erfahrung, was es heißt, von Freunden verlassen zu werden.

Ex-Freunde

Was Freundschaften betraf, musste sie mehr Enttäuschungen einstecken als manch ein anderer. Das Prophetenamt kann Nichtpropheten schon ziemlich verunsichern. Auf der Liste derer, die irgendwann einmal Probleme mit Ellen Whites Berufung hatten, stehen wahrscheinlich alle ihre Freunde. Manchmal waren diese Probleme ganz einfach zu lösen, ein andermal wieder nicht.

Dudley Canright 1840 1919 Dr. John Kellogg 1840 1919

Dudley Canright                     John Kellogg

 

Alonzo Jones 1850 1923

Alonzo T. Jones

 

Die meisten Freunde von Frau White erholten sich von ihrer Verwirrung, obwohl sie ihnen oft geduldig und unermüdlich dabei helfen musste. Es gab jedoch auch solche, die ihr wegen solcher Meinungsverschiedenheiten die Freundschaft aufkündigten und ihrer Glaubensgemeinschaft den Rücken kehrten. Männer wie Dudley Canright und John Kellogg, um die sich diese gottesfürchtige Frau wie eine Mutter gekümmert hatte, entschieden sich später für einen Weg, der in eine ganz andere Richtung führte.

Es ist anscheinend ein Naturgesetz für menschliche Beziehungen, dass sich die Möglichkeiten für Freude oder Trauer mit zunehmender Beziehungsdichte vervielfältigen. Wir können uns sicher den Schmerz vorstellen, den sie empfunden haben muss, während sie zusah, wie diese viel versprechenden Persönlichkeiten – die James und Ellen White so viel verdankten – sich von den einst so geliebten Wahrheiten abkehrten und sich gegen sie wandten. Da wäre z. B. Alonzo T. Jones, der als junger Prediger von Ellen White unterstützt wurde. Mit ihm hatte sie sogar so eng zusammengearbeitet wie nur mit wenigen anderen. Und doch veröffentlichte er in späteren Jahren in gedruckter Form die Behauptung, dass sie sich von »einseitigem Gerede« habe beeinflussen lassen.1 …

Leider müssen wir alle die bittere Lektion lernen, dass nicht jeder Freund echt ist. Aber jetzt wird das Ganze sogar noch komplizierter: Alonzo T. Jones war ja wenigstens noch direkt und offen in seiner öffentlichen Kritik und Verleumdung. Er hätte sie zwar besser nicht veröffentlicht, war aber wenigstens bereit, die Verantwortung für seine Aussagen zu übernehmen.

Scheinfreunde

Nicht alle ehemaligen Freunde sind so direkt. Oft hält man es für zweckdienlich, den Schein angeblicher Freundschaft zu wahren, während man ständig im Hintergrund daran arbeitet, den zu verleumden, den man eigentlich unterstützen müsste. Gegen solch eine Taktik kann man oft kaum etwas unternehmen. Denn sie lässt sich nur schwer als solche bezeichnen, ohne den Anschein zu erwecken, man hintergehe den anderen aufs Bösartigste.

Jesus selbst erlebte das mit Judas. Der wahrte den Schein bis zum bitteren Ende und verriet den Herrn der Herrlichkeit mit einem scheinheiligen Kuss. Glücklicherweise konnten die Schreiber der Evangelien aufgrund ihrer Inspiration durch diese Fassade hindurchblicken und uns einen verlässlichen und korrekten Tatsachenbericht liefern.

Natürlich machen die modernen Judasse manchmal kleine Fehler. Sie reden zu viel bei jemandem, der anständig genug ist, den Verleumdeten zu verteidigen. Dr. Kellogg bekam das besonders zu spüren. Jahrelang konnte er seine Feindschaft gegen Ellen White gerade noch so vor der Öffentlichkeit verbergen. Er fand Helfer, willige Assistenten, die seine Pläne im eigenen Namen ausführten, sodass er vor der Öffentlichkeit eine relativ reine Weste bewahren konnte.2 Doch er hatte anscheinend vergessen, dass er hier gegen mehr als nur menschliche Weisheit kämpfte. Ellen White schrieb:

»Ich habe kürzlich zwei Briefe von Dr. Kellogg erhalten. Er drängt mich, unbedingt nach Battle Creek zu kommen und bietet mir sogar an, für die gesamten Reisekosten aufzukommen. Er denkt, es werde einen guten Eindruck bei mir hinterlassen, wenn ich mir die Zustände in Battle Creek einmal selbst anschaue.

Aber ich sehe schon, wie sich die Sache verhält. Jede Nacht werden mir Gesichte gezeigt, die mir den eigenartigen Zustand der Dinge offenbaren. Während Dr. Kellogg zwar manches zugibt, hat er das Übel, für das er verantwortlich ist, noch nicht an der Wurzel gepackt.

Bei der Generalkonferenz in Oakland [1903] trat Dr. Kellogg in einer Weise auf, die den Geist offenbarte, der ihn regiert. Schon lange vor dieser Versammlung wurde er mir als ein Mann dargestellt, der nicht weiß, wes Geistes Kind er ist. Der Seelenfeind hält ihn im Bann der Täuschung gefangen.«3

Ja, Ellen White hatte ein paar interessante »Freunde«. Auch wenn heute nur noch wenige leben, die sie persönlich gekannt haben, ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Seit ein paar Jahren hat sie neue »Freunde«, und – wie man sich denken kann – sind es ganz unterschiedliche Menschen. Viele ähneln ihren ehrlichen Freunden von damals, andere nicht. Dieser letzten Gruppe wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit schenken.

Wohlmeinende Freunde

Während sie eine große Sorge um die Reinheit ihrer Schriften zeigen, haben diese jüngsten »Freunde« von Ellen White Gedanken geäußert, die eine bestürzende Ähnlichkeit zu den Lieblingstheorien ihrer Feinde von damals aufweisen. Die beliebteste Theorie lautet: »Jemand hat an den Zeugnissen gedreht.«

Willie White 1854 1937 Arthur Daniells 1858 1935

Willie White                         Arthur Daniells

 

Uriah Smith 1832 1903 William Prescott 1855 1944

Uriah Smith                          William Prescott

 

Natürlich kennt dieses Thema viele Variationen. Es kann, wenn man so will, verwendet werden, um ihren Sohn Willie White (den »Hauptschuldigen«), Arthur Daniells, Uriah Smith oder William Prescott zu belasten.

Einige behaupten jetzt nicht nur, dass an den Zeugnissen schon vor der Veröffentlichung gedreht worden sei, sondern dass seit ihrer Erstauflage Hunderte, ja Tausende von Änderungen vorgenommen worden seien.

Die Befürworter dieser unglaublichen Theorie können allerdings nicht erklären, wie das alles geschehen sein soll, ohne dass Ellen White je etwas davon gemerkt hat. Sie geben zu, dass sie sich nur wundern können, warum der HERR ihr das nicht gezeigt hat.

Mary Clough Watson Fannie Bolton 1859 1926

Mary Clough                         Fannie Bolton

 

Könnte es sein, dass er ihr nichts zu zeigen hatte? Schließlich hatte der HERR ja bereits bewiesen, dass er seiner Botin Informationen über ihre Sekretäre geben konnte. Im Jahr 1870 arbeitete Mary Clough eine Zeit lang als Schreibkraft für ihre Tante. Sie war die Tochter von Ellen Whites Schwester Caroline, einer anscheinend aufrichtigen Christin, wenn auch nicht Siebenten-Tags-Adventistin. Ellen White schrieb: »Mary ist die beste Sekretärin, die je für mich gearbeitet hat.«4 Doch mit der Zeit sperrte sich Mary gegen die Wahrheiten, mit denen sie konfrontiert wurde. Da sagte der Herr Ellen White, dass sie nicht länger mit ihr zusammenarbeiten sollte. Warum? »Geistliches muss geistlich beurteilt werden.«5

Noch ausgeprägter war das langatmige Drama mit Fannie Bolton in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts. Fannie war eine gute Hilfe. Doch leider litt sie unter der Vorstellung, sie könne Ellen Whites Schriften verbessern. Der Herr war anderer Meinung und teilte dies seiner Botin mit. Nachdem sich die Sache fünfmal bei verschiedenen Gelegenheiten zugespitzt hatte und Fannie Bolton eine Aufgabe erhielt, bei der sie keinerlei sprachliche Bearbeitung mehr vornehmen konnte, entschied sie sich dafür, die Beschäftigung bei Ellen White aufzugeben.

Interessierte Ellen White das alles etwa nicht? Oder hatte sie es nicht gemerkt? Natürlich! Sie äußerte ihre Meinung sehr deutlich:

»Ich möchte nicht, dass jemand meint, er dürfe das Material, das ich ihm gebe, in seine eigene vermeintlich schöne, gebildete Sprache übertragen. Ich möchte, dass mein eigener Stil in meinen eigenen Worten erscheint.«6 …

Von besonderem Interesse ist Fannies Behauptung, dass sie für Teile verantwortlich sei, die fälschlicherweise als »Geist der Weissagung« betrachtet würden. Ellen Whites Antwort: »Sie stellte mich und meine Arbeit als ihre Schöpfung dar. Sie wies darauf hin, dass dieser ›schöne Ausdruck‹ von ihr stamme und jener und entwertete dadurch das Zeugnis von Gottes Geist.«7

Kommt uns das bekannt vor? »Die allerletzte Täuschung Satans wird darin bestehen, das Zeugnis von Gottes Geist zu entwerten.«8 Was erreichen diese wohlmeinenden »Freunde« von Ellen White nun wirklich mit ihrer Theorie von den manipulierten Schriften? War Ellen White wirklich so naiv, dass sie solche Manipulationen hinter ihrem Rücken zuließ? Hatte der HERR plötzlich sein Interesse an den Botschaften für uns verloren? Wie erklärt man Ellen Whites letzten Willen und ihr Testament, in dem sie die »Hauptschuldigen« zu Mitgliedern im Leitungsgremium ihres Nachlasses, dem Ellen G. White Estate, ernannte?

»Wenn Gott sein Volk durch einen Einzelnen zurechtweist, lässt er den Zurechtgewiesenen nicht im Unklaren. Auch lässt er nicht zu, dass die Botschaft auf dem Weg zu ihrem Empfänger verfälscht wird. Gott gibt die Botschaft und passt sorgsam auf, dass sie nicht verfälscht wird.«9

Wieder einmal kann man, wie bereits vor Jahren, von Ellen Whites Freunden sagen: »Sehr geschickt haben einige daran gearbeitet, die warnenden und zurechtweisenden Zeugnisse zu entwerten, die sich nun schon ein halbes Jahrhundert bewährt haben. Gleichzeitig weisen sie dies weit von sich.«10

Wo führt das hin? Ohne ihre inspirierte Vorschau wüssten wir das nicht. Es ist wahrscheinlich, dass Menschenseelen verloren gehen, nicht aber wegen dieser »Änderungen« und genauso wenig wegen der »Fehler« in der Bibel:

»Einige sagen uns mit besorgtem Blick: ›Meint ihr nicht, dass die Abschreiber oder Übersetzer auch mal Fehler gemacht haben könnten?‹ Das alles ist möglich. Aber wer so engstirnig ist, dass er wegen dieser Möglichkeit zögert oder stolpert, wird genauso über die Geheimnisse des inspirierten Wortes stolpern, weil sein schwaches Gemüt die Absichten Gottes nicht durchschauen kann … Alle Fehler bereiten nur solchen Menschen Probleme und lassen nur solche Füße stolpern, die aus der offensichtlichen, offenbarten Wahrheit Probleme schustern.«11

Nein, niemand geht wegen der »Änderungen« verloren, sondern weil er das Vertrauen darauf verloren hat, dass Gottes auserwähltes Instrument seine Gemeinde richtig führt und korrigiert. Der einzig brauchbare Zweck dieser Theorien ist der, ein Sammelbecken für jene zu bilden, die nicht mit Gottes Willen im Einklang stehen. Wir dürfen erwarten, dass die verschiedensten Abirrungen mit der Behauptung begründet werden, dass gewisse »unerwünschte« Teile aus dem Geist der Weissagung gefälscht und daher unbrauchbar sind. Doch das sollte uns nicht überraschen. Ellen Whites »Freunde« behaupten das schon viele, viele Jahre.

Es bleibt nur die Frage: Braucht man bei solchen Freunden noch Feinde?

1 Alonzo T. Jones, Some History, Some Experience, and Some Facts; Das ungekürzte Buch ist bei Leaves of Autumn Books erhältlich … Vgl. General Conference of Seventhday Adventists, A Statement Refuting Charges Made by A. T. Jones, (1906), 62-75
2 Charles E. Stewart und Frank Belden waren zwei seiner loyalsten Männer. Vgl. A Response to an Urgent Testimony, The Liberty Missionary Society, Battle Creek, Michigan, (1907) und verwandte Dokumente im E. G. White Estate Document File 213
3 Battle Creek Letters, 101
4 Selected Messages 3, 106
5 Selected Messages 3, 457
6 The Fannie Bolton Story (E. G. White Estate Manuscript Release 926), 56
7 Ibid., 55, Hervorhebung hinzugefügt
8 Selected Messages 1, 48; vgl. Christus kommt bald!, 127
9 Manuscript Releases 6, 333
10 Special Testimonies, Series B, No. 7, 31
11 Selected Messages 1, 16

Mit freundlicher Genehmigung leicht gekürzt aus: Dave Fiedler, Hindsight, Seventh-day Adventist History in Essays and Extracts, Harrah, Oklahoma: Acadamy Enterprises, p. 195-198.

Zuerst im Deutschen erschienen in Unser festes Fundament, 6-2003.

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