Posaunenauslegungen im Kreuzfeuer: Als Ellen White ein kalter Schauer über den Rücken lief

Posaunenauslegungen im Kreuzfeuer: Als Ellen White ein kalter Schauer über den Rücken lief
Adobe Stock – DannyM

Eine Masterarbeit wirft Licht auf die Auslegungsgeschichte der sieben Posaunen. Von Kai Mester

Lesezeit: 6 Minuten

Das Verständnis der apokalyptischen sieben Posaunen ist in der Kirchen- und Adventgeschichte vielfältig gewesen. Doch Ellen White stand klar zur Auslegung des Adventpioniers Josiah Litch. Sie bestätigte sein Verständnis in ihrem Buch Vom Schatten zum Licht (The Great Controversy).

Spannende Masterarbeit von 2013

Eine Masterarbeit von Jon Hjorleifur Stefansson aus dem Jahr 2013 zeigt dies auf: Sie trägt den Titel »From Clear Fulfillment to Complex Prophecy: the History of the Adventist Interpretation of Revelation 9, from 1833 to 1957«. Dort lesen wir auf Seite 59, dass bereits im Jahr 1883 ein Pastor der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten die erste futuristische Auslegung der sieben Posaunen vorlegte. Sein Name war Rodney Owen. Ein Komitee der Generalkonferenz lehnte sie jedoch ab.

Futuristische Auslegung von Owen

Worin bestand Owens Interpretation? Wir wissen es, weil er sie 1912 schließlich doch im Eigenverlag veröffentlichte. Er verwarf die Zeitketten in der fünften und sechsten Posaune und damit das bedeutsame Datum des 11. August 1840. Außerdem verlegte er alle sieben Posaunen in die Zeit nach dem Ende der Gnadenzeit als identisch mit den sieben Plagen. Die Gründe dafür sah er im Engel, der das Räucherfass auf die Erde wirft, und darin, dass die fünfte Posaune bereits von den Versiegelten spricht.

Viele Ausleger sind dieser Argumentation später gefolgt.

Ellen White widersprach

»Als meine Brüder so wie Bruder Owen mit neuem Licht kamen, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Denn ich wusste, dass dies ein satanischer Kunstgriff war, den niemand durchschauen konnte, auch wenn man ihn erklären würde. Satan umgibt neuen Ansichten mit einer bezaubernden Macht. Diese gewinnt dann viele, obwohl die Argumente völlig verschwommen sind und im Widerspruch zur Adventbotschaft stehen.« (4LtMs, Letter 19, 1884)

»Bruder Raymonds Wirken ist destruktiv – der Untersuchungsausschuss muss sich mit neuen Ansichten nach der Art von Bruder Owen beschäftigen.« (4LtMs, Letter 20, 1884)

Mit destruktiv meint Ellen White hier Auslegungen, die das prophetische Fundament des Lehrgebäudes destabilisieren, das die Identität der Adventbewegung definiert.

Vorschläge von Prescott

Als Ellen White aber William Prescott bat, Vorschläge für sprachlich bearbeitete Formulierungen in der neuen 1911er Ausgabe des Great Controversy zu machen, reichte er zwei Vorschläge ein, die die Auslegung von Josiah Litch relativiert hätten. Beide lehnte sie ab. Als Reaktion feilte sie sogar an der Beschreibung weiter, sodass die Auslegung noch unangreifbarer wurde.

Klare Unterstützung von Ellen White für Litch

So lautet die entsprechende Stelle nun:

»Im Jahr 1840 erregte eine weitere bemerkenswerte Erfüllung der Prophetie großes Interesse. Zwei Jahre zuvor hatte Josiah Litch, einer der wichtigsten Adventprediger, eine Auslegung von Offenbarung 9 veröffentlicht. In ihr sagte er den Fall des Osmanischen Reiches voraus. Nach seinen Berechnungen, sollte diese Macht ›im Jahr 1840 irgendwann im August‹ zu Fall gebracht werden. Nur wenige Tage vor ihrer Erfüllung schrieb er:

›Wenn sich die erste Zeitperiode der 150 Jahre genau erfüllte, bevor [Konstantin XI.] Dragases den Thron mit Genehmigung der Türken bestieg, und wenn die 391 Jahre und 15 Tage mit dem Ende der ersten Zeitperiode beginnen, dann werden sie am 11. August 1840 enden. Zu diesem Datum müsste die Osmanische Macht in Konstantinopel gebrochen werden. Und ich glaube, dass dies der Fall sein wird.‹

Genau zur besagten Zeit stellte sich die Türkei durch ihre Botschafter unter den Schutz der Alliierten in Europa und begab sich damit unter die Kontrolle christlicher Nationen. Dieses Ereignis erfüllte exakt die Voraussage. Als dies bekannt wurde, ließen sich die Menschen scharenweise davon überzeugen, dass Millers prophetische Auslegungsprinzipien korrekt waren.« (The Great Controversy, 334)

Zwei weitere Sorgen

Die Sorge, dass diese Auslegung islamophobe Wirkung haben könnte und militärische Grausamkeiten verherrlicht, lässt sich durch zwei Erkenntnisse beseitigen.

  1. Die Posaunen beschreiben, was das antichristlich-babylonische System zu Fall bringt. Die dabei verwendeten satanischen Bilder für die Feinde »Babylons« entsprechen daher naturgemäß der subjektiven Wahrnehmung Babylons: der Islam wurde von Babylon als teuflisch und grausam empfunden. Objektive Rückschlüsse auf das Wesen ihrer Feinde müssen dadurch aber nicht unbedingt gezogen werden. Die vom Papsttum verfolgten Ketzer fanden zum Beispiel im Islam Schutz und Freiheit.
  2. Der Rauch aus dem Abgrund verfinsterte die päpstlichen Irrlehren, brachte aber Licht, das zur Reformation, Aufklärung und Adventbewegung führte. Die Tendenz zu mehr Freiheit und Barmherzigkeit bekam dadurch wieder mehr Aufwind.

Es lohnt sich daher, sich noch mehr mit den prophetischen Wurzeln der Adventbewegung zu befassen.

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