Wie der Sonntag ins Christentum kam: Ein falscher Sabbat

Wie der Sonntag ins Christentum kam: Ein falscher Sabbat
Adobe Stock - Patrick Daxenbichler

Antisemitische und synkretistische Wurzeln. Von Kai Mester

Lesezeit: 3 Minuten

Wenn die Christen im ersten Jahrhundert immer noch am Samstag Sabbat feierten, warum halten dann die meisten Christen heute den Sonntag? Wann vollzog sich der Wechsel?

Das Neue Testament gibt darüber keinen Aufschluss. Das Zusammensein der Jünger am Auferstehungswochenende (Johannes 20,19ff) geschah aus Furcht und die Versammlung in Troas (Apostelgeschichte 20,7ff) war eine Abschiedsfeier. Weitere sonntägliche Versammlungen werden nicht erwähnt, dafür aber zahlreiche Sabbatgottesdienste, an denen die ersten Christen wie selbstverständlich teilnahmen. (Mt 4,23; 9,35; 12,9; 13,54; Mk 1,21.39; 3,1; 6,2; Lk 4,15.16.31.44; 6,6; 13,10; 23,56; Jh 18,20; Apg 9,20; 13,14.42.44; 14,1; 15,21; 16,3; 17,2.10.17; 18,4.26; 19,8)

Doch gegen Ende des ersten Jahrhunderts wurde ihnen die Teilnahme am Synagogengottesdienst wahrscheinlich erschwert, indem man die Sabbatliturgie um einen Gebetsvers erweiterte, der sich auch gegen die Anhänger des Jesus von Nazareth richtete. Dieser Vers enthielt nach alten Funden die Aussage: »Mögen die Nazarener und die Ketzer schnell untergehen und nicht mit den Gerechten eingeschrieben werden.« (12. Segen im Achtzehnbittengebet laut einem Manuskript der Kairoer Genisa)

Antisemitische Züge

Viele Christen bemühten sich nun auch in jeder Hinsicht, sich vom Judentum zu distanzieren und zu unterscheiden, was teilweise recht antisemitische Züge annahm. Man wollte nicht mit ihnen in eine Schublade gesteckt werden, weil Juden aufgrund ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen auch von Rom aus verfolgt wurden.

Der außerbiblische Barnabasbrief ist das früheste Dokument, das sich für eine völlige Abkehr von allem Jüdischen und damit auch vom Sabbat einsetzt. Er propagiert die Sonntagsfeier am »achten Tag« der Woche, dem ersten Tag der Neuschöpfung durch die Auferstehung Jesu Christi. Doch ab wann lässt sich die Sonntagsfeier tatsächlich nachweisen?

Eine heiße Spur

Die erste Beschreibung einer Sonntagsfeier kommt aus Rom von Justin dem Märtyrer (100-165): »Der Sonntag ist der Tag, an dem wir uns alle versammeln, weil er der erste Tag ist, an dem Gott die Welt gemacht hat, indem er die Dunkelheit und die Materie veränderte. Und Jesus Christus unser Erlöser stand am selben Tag von den Toten auf.«

In der Reichshauptstadt Rom hatte inzwischen der Sonnen- oder Mithraskult Einzug gehalten, in dem der Sonntag (dies Solis) zu Ehren des Sonnengottes wöchentlicher Feiertag war. Kaiser Konstantin der Große schließlich, der selbst ein glühender Sonnenverehrer war, wurde Christ, stellte das Christentum den anderen Religionen gleich und erließ im Jahr 321 n. Chr. das erste Sonntagsgesetz: »Am ehrwürdigen Tag der Sonne sollen die Magistrate und das Volk in der Stadt ruhen und alle Geschäfte geschlossen bleiben. Auf dem Land jedoch dürfen die Landwirte frei und legal ihrer Beschäftigung nachgehen.«

Religionsvermischung?

Wegen dieser Abkehr vom Judentum und der Hinwendung zum Sonnenkult haben einige dem Christentum Synkretismus (Religionsvermischung) vorgeworfen. Der Sonntag ist ja nicht das einzige Element, das im Verlauf der Kirchengeschichte aus dem Sonnenkult Eingang ins Christentum gefunden hat. Die Liste ist vielmehr so lang, dass große Teile des heutigen so genannten Christentums in Gedankengut und Ritus eigentlich als heidnischer Kult in christlichem Gewand bezeichnet werden müssten. Dabei braucht man einfach nur nach den Wurzeln aller »christlichen« Lehren und Bräuche zu forschen, die keine Grundlage in der Bibel haben.

Was ist Eisegese?

Wenn man die genaue Bedeutung biblischer Aussagen zu verstehen sucht, nennt man dies Exegese. Eisegese hingegen bezeichnet man das Hineinlesen eigener oder späterer Auffassungen in den biblischen Text. Ein Beispiel ist Offenbarung 1,10: »Ich war im Geist am Tag des HERRN, und ich hörte hinter mir eine gewaltige Stimme, wie von einer Posaune.« In diesen Vers lesen viele Christen hinein, dass der Apostel Johannes seine apokalyptischen Visionen an einem Sonntag bekam. Doch nirgendwo in der ganzen Bibel wird der Sonntag als Tag des HERRN bezeichnet. Johannes selbst bezeichnet den Sonntag an anderer Stelle vielmehr als »ersten Tag« (Johannes 20,1). Als Tag des HERRN kommt in der Bibel nur der Tag des jüngsten Gerichts oder der Sabbat in Frage (2. Mose 20,10; Jesaja 58,13; 2. Mose 31,15; Markus 2,27-28).

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